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Alles TOP im Arbeitsschutz? Naja.

Arbeitssicherheit wird bei uns großgeschrieben. Ach ja?  

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Arbeitssicherheit nehmen wir ernst. Aus gutem Grund. Denn „ungenügend abgesicherte Arbeitsplätze und Arbeitsunfälle führen zu teuren Ausfallzeiten und mindern die Produktivität des Unternehmens“. Sicheres Arbeiten sei „essentiell für Arbeitnehmer und Arbeitgeber“, so mahnt uns die heilige deutsche Instanz des TÜVs. 

Dabei gibt es gar nicht mehr viel zu mahnen. Denn anders als noch zu den dunklen Frühzeiten der industriellen Revolution herrscht allgemeine Einigkeit im Thema Arbeitsschutz.  

Also wird allerorten viel dafür getan. Zum Beispiel indem Sicherheitsbeauftragte berufen und entsprechend geschult oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit beschäftigt werden. Indem Arbeitsplätze und ganze Arbeitsstätten sicher gestaltet und ausgerüstet werden, indem Arbeitsprozesse permanent überwacht, überprüft, angepasst und optimiert werden. 

Im technischen Arbeitsschutz hat sich dabei ein Ansatz in drei Schritten zu einer Norm entwickelt, die allgemein anerkannt ist und breit angewendet wird. Überall dort also, wo es um Fertigung geht, wo Maschinen bedient werden und Handarbeit im Spiel ist, wird Arbeitsschutz IMMER nach einem bestimmten Prinzip organisiert. 

Die TOP-Faustformel 

Dieses Prinzip lässt sich mit der TOP-Faustformel simplifiziert, aber eingängig zusammenfassen: Technisch – Organisatorisch – Persönlich. 

T – Technische Mittel

Im ersten Schritt werden Arbeitsschutzrisiken durch technische Mittel minimiert. Dazu gehört z.B. jede Form von technischer Sicherung am Arbeitsplatz, an den Arbeitsgeräten und an Werkzeugen, die fatale Verletzungen oder Ausfallrisiken durch Fehlbedienung ausschließen soll (z.B. Sicherungsbügel, Absturzschutz, Ein- und Ausschaltsicherungen, automatische Abschaltvorrichtungen, Abdeckungen etc.)

Auch Sicherheitskleidung und sonstige sichernde Ausrüstung zählen zu technischen Mitteln (z.B. sichere Arbeitskleidung, Helm, Ohrenschutz, Schutzbrillen, Werkzeug).

O – Organisatorische Mittel

Restrisiken oder Gefahren, die durch Technik nicht eingedämmt werden können, werden im zweiten Schritt durch organisatorische Mittel möglichst minimiert, indem absichernde Verfahren und Strukturen eingeführt werden. 

Um Bedienfehler und Gefährdungen möglichst auszuschließen, ist dann zum Beispiel gefordert, per Checkliste zu arbeiten und jeden Schritt zu quittieren. Oder eine Maschine wird nur von mehreren Mitarbeitenden bedient und vielleicht auch nach einem vorgegebenen Protokoll.

P – Persönliche Sicherheitskompetenz

Durch technische und organisatorische Vorkehrungen lassen sich sehr viele Risiken und Gefahren eindämmen. Dennoch bleibt ein Restrisiko. Schließlich sind Menschen am Werk. Und die sind nun einmal fehlbar. 

Also setzt professioneller Arbeitsschutz in einem letzten, dritten Schritt auf persönliche Sicherheitskompetenzen. Mitarbeitende werden geschult. 

Dabei geht es nicht nur um Detailwissen, z.B. sichere Bedienung bzw. Anwendung eines bestimmten Werkzeugs, einer bestimmten Produktionsanlage, eines bestimmten Verfahrens etc. Auch nicht nur um spezielles vertiefendes Fachwissen zu Sicherheits- und Risikoaspekten allein des eigenen Arbeitsbereichs. 

Vor allem soll auch Wissen zum allgemeinen Gesundheits- und Arbeitsschutz vermittelt werden (Prävention, Prophylaxe, Notfallpläne).

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Ein anerkanntes, etabliertes Vorgehen

Nach diesem bewährten und deshalb etablierten dreistufigen Prinzip in genau dieser Reihenfolge - also Technik, Organisation, persönliche Kompetenz - wird hierzulande Arbeitsschutz professionell organisiert. 

Und zwar überall dort, wo es um körperliche Sicherheit und Gesundheit geht. Vor allem also in Werkshallen, an Produktionsstätten, auf Baustellen und in Handwerksbetrieben.

Wie aber sieht es in jenen Bereichen aus, wo Büroarbeit oder auch so genannte Wissens- und auch Kreativarbeit geleistet wird? Wo es um den Schutz und den Erhalt der mentalen Leistungsfähigkeit, der psychischen Unversehrtheit und Gesundheit geht? 

Wo die Gefahren nicht oder nicht unmittelbar von Bedienfehlern der Maschinen und Werkzeugen ausgehen, die wir benutzen (PCs, Smartphone, E-Mail, Office-Anwendungen, SAP usw.)? Sondern eher von den generellen betrieblichen Rahmenbedingungen, den organisatorischen Strukturen, vom sozialen Wirken der Beteiligten - und dem damit oft verbundenen Druck und Stress? 

Wie also ist es um unsere psychische und mentale Arbeitssicherheit bestellt? Leider sowohl allgemein wie auch im Detail ungleich viel (!) schlechter. 

Denn meistens wissen oder erkennen wir noch nicht einmal, dass Arbeitsschutz sich nicht nur auf technischen Arbeitsschutz beschränkt. Dass er sich eben auch auf mentale und psychologische Sicherheitsaspekte bezieht und beziehen muss.  

Und entsprechend zu organisieren ist. 

Es ist eine ESSENTIELLE Management- (!) Aufgabe. Allerdings neigen wir dazu, dies zu übersehen bzw. zu ignorieren. Bewusst oder unbewusst. Absichtlich oder unabsichtlich. 

Damit bereiten wir vor allem uns selbst große, leidvolle und vor allem kostspielige Probleme: 

Denn zum einen etablieren wir dadurch nicht nur keine guten, sicheren Strukturen - was schon schlimm genug ist. Gleichzeitig (!) machen wir die bestehende Organisation noch unsicherer und schlechter als sie ohnehin schon ist. 

Unser Nichts-Tun schafft also MAXIMAL SCHLECHTE betriebliche Bedingungen, was sich direkt (!) und auch massiv auf die Produktivität der Betriebsleistung, den Geschäftserfolg und damit auch auf die Rentabilität auswirken kann. Und dies auch tut. 

Wir verhindern Leistung, Erfolg und Profit. 

Anders als beim technischen Arbeitsschutz, den wir verinnerlicht haben und nicht hinterfragen, kümmern wir uns sogar explizit NICHT um psychische Sicherheit ("Wem es zuviel wird, der soll halt gehen!"). Was nichts anderes heißt, als dass wir größtmögliche (!) Risiken eingehen.

Dabei ist uns das Thema durchaus bewusst. Irgendwie zumindest. Deshalb versuchen wir diesen Risiken zu begegnen, indem wir die mentale und psychische Resilienz und Leistungskompetenz der Mitarbeitenden fördern. 

Dazu wird viel Geld in ein vielfältiges Angebot an Seminaren und Coachings Zeit- und Selbstmanagement, Stressbewältigung, Achtsamkeit oder Umgang mit Konflikten gesteckt.

Doch was auf den ersten Blick als naheliegend erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als äußerst kontraproduktiv. Denn: So überlassen wir es einzig und allein den einzelnen Mitarbeitenden, sich mental und psychisch zu wappnen und fit zu halten.

Zumindest, wenn Schulungen und Coachings die einzige Maßnahme zum psychologischen Arbeitsschutz bleiben – was in aller Regel der Fall ist – wird so auch die Verantwortung für die Lösung eines allgemeinen ORGANISATORISCHEN Problems auf einzelne Mitarbeitende übertragen. 

Das ist jedoch ein unmöglicher Auftrag. Denn wie sollen Einzelne Probleme, die strukturelle Ursachen haben oder aus organisatorischen Schwächen herrühren alleine lösen? Wie sollen sie z.B. Stress und Druck durch chronische Unterbesetzung, unfähige Führungskräfte oder KollegInnen, Investitionsstau, überfordernde, unerreichbare Zielorgaben oder Lieferkettenprobleme lösen?  

Durch regelmäßiges meditatives Atmen? Indem sie ihre überbordenden Tagesaufgaben mit der Eisenhower-Matrix priorisieren? Indem sie die Botschaft wiederholter und immer aggressiver vorgetragener Kundenbeschwerden per Vier-Ohren-Modell noch besser verstehen?

Der unmögliche Auftrag führt dazu, dass Einzelne noch mehr unter Stress und psychischen Druck geraten. Und mit ihnen die gesamte Organisation. Das Problem eines hochdynamischen, maximal unsicheren Umfeldes verschärft sich noch einmal - was eigentlich gerade zu verhindern ist. 

Es wird deutlich: Wenn wir so vorgehen, stellen wir alles auf den Kopf, was im technischen Arbeitsschutz aus gutem Grund seit jeher erzielt werden soll und sehr erfolgreich praktiziert wird. 

Bild vom Autor, kreiert durch DALL E

Aus „TOP“ wird "FLOP" - nämlich „POT“

Statt mentale und psychische Sicherheit als existenzielle, organisatorische und also: Gemeinschafts-Aufgabe zu begreifen, die es aus guten wirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen zu MANAGEN und nachzuhalten gilt, möchten wir daran glauben und festhalten, dass wir es mit einem Problem zu tun haben, das wir an Einzelnen deligieren können oder vielleicht sogar müssen. 

Statt mit ganzheitlichem Blick gute Rahmenbedingungen für mentale und psychische Arbeitssicherheit zu sorgen, statt mit technischen und dann eben organisatorischen Mitteln Arbeitsumfelder und Arbeitsplätze zu schaffen, die Störungen verhindern und Leistung fördern, statt sich dann erst, als letzten absichernden Schritt zu erwägen, die persönlichen und individuellen Kompetenzen der Mitarbeitenden zu erhöhen, machen wir es in diesem (überlebens-) wichtigen Thema genau andersherum.

Wider besseren Wissens. 

Wider wirtschaftlicher Vernunft. 

(Und wider gesetzlicher Bestimmungen.)  

Gut möglich, dass wir uns ein solches Vorgehen bald nicht mehr werden leisten können. Angesichts des sich zuspitzenden Fachkräftemangels. Angesichts der schon seit Jahren stetig steigendenden arbeitsbedingten psychischen und psychosomatischen Erkrankungen - und deren horrenden betriebs- und volkswirtschaftlichen Verlusten. Angesichts des wachsenden Wettbewerbs. 

Oder wir beginnen einfach "nur" aus eigenem Antrieb damit, endlich auch im psychischen Arbeitsschutz "TOP"-Ergebnisse anzustreben. Also die Erkenntnisse und Erfahrungen des technischen Arbeitsschutzes auch auf die psychische und mentale Arbeitssicherheit anzuwenden.

Schließlich geht es uns doch darum, die Dinge für uns und andere professionell, produktiv und auch DAUERHAFT gut zu machen. Oder etwa nicht?    



PS: Vielen Dank an Stephan List, meinen Freund, Kollegen und ausgewiesenen Spezialisten im Thema Arbeitssicherheit, der mich schon vor längerem auf das Thema gestoßen und erhellt hat. 


Edgars eigener Blog: www.trellisterium.de
Edgars Podcast: trellisterium.podbean.com 


Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de


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