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"Klingt nach Beratersprech" #4/6: Heiße Berater-Luft oder die "Zweite Aufklärung"?

Hi Georgie, wenn aber so viel für systemische, konstruktivistische und also auch agile Ansätze spricht - und das auch noch in so vielen Lebensbereichen: Warum setzt sich das alles nicht schneller durch? Ist das nicht wieder nur teure, aber unwirksame Berater-Zauberei?

Bild: Autor mit Hilfe von Bing Image Creator

Georgie: Warum systemische, konstruktivistische und agile Ansätze nicht so weit verbreitet sind, obwohl sie in vielen Bereichen nützlich sind? Dafür gibt es einige Gründe:

  • Traditionelle Denkmuster: Viele Organisationen und Schulen folgen seit langem festen Routinen. Neue Ideen stoßen auf Widerstand, besonders wenn sie die bestehenden Strukturen herausfordern.
  • Wissenslücken: Der Wechsel zu neuen Ansätzen erfordert spezielles Wissen und Training, was Zeit und Geld kostet.
  • Kulturelle Unterschiede: Nicht jede Kultur ist bereit für mehr Beteiligung und flache Hierarchien.
  • Kurzfristiges Denken: Der Druck, schnelle Ergebnisse zu liefern, kann langfristige Veränderungen übersehen lassen.
  • Angst vor Kontrollverlust: Manche Führungskräfte fürchten, die Kontrolle zu verlieren, wenn Mitarbeiter mehr Entscheidungsfreiheit erhalten.
  • Investitionen: Die Einführung neuer Ansätze erfordert Investitionen, sowohl finanziell als auch in Zeit und Engagement.
  • Messung des Erfolgs: Die Bewertung solcher Ansätze ist komplexer als bei traditionellen Methoden, was Skepsis hervorrufen kann.

Obwohl also diese Hindernisse bestehen, steigt das Interesse an diesen Ansätzen. Der Schlüssel liegt in schrittweisen Veränderungen, Kulturwandel, Schulung und Erfolgsgeschichten, die ihre Vorteile zeigen. Es ist ein Prozess, der Zeit und Engagement erfordert.


Edgar: Von welchen Kompetenzen sprichst du denn? Für mich scheint das alles nur gesunden Menschenverstand zu brauchen.

Georgie: Viele Prinzipien von systemischen, konstruktivistischen und agilen Ansätzen scheinen auf den ersten Blick vernünftig, erfordern aber spezifische Fähigkeiten, um sie wirksam umzusetzen. Hier sind einige davon:

  • Kommunikationsfähigkeiten: Klare Kommunikation und Zuhören sind entscheidend für Zusammenarbeit.
  • Konfliktlösungsfähigkeiten: Konflikte konstruktiv zu lösen, ist in diversen Umgebungen unerlässlich.
  • Anpassungsfähigkeit und Flexibilität: Offenheit für Veränderung und Flexibilität sind für agile Ansätze wichtig.
  • Fähigkeit zum systemischen Denken: Komplexe Systeme zu verstehen, ist entscheidend für systemische Ansätze.
  • Selbstmanagement und Selbstreflexion: Selbstorganisation und Selbstreflexion sind in selbstgesteuerten Arbeitsumgebungen unerlässlich.
  • Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten: Innovatives Denken ist zentral für konstruktivistische und agile Methoden.
  • Führungskompetenzen: Empowerment und Coaching sind für moderne Führung notwendig.
  • Lernbereitschaft: Kontinuierliches Lernen ist entscheidend für kontinuierliche Verbesserung.

Die Umsetzung erfordert oft gezielte Entwicklung und Praxis. Kritische Reflexion über den Einsatz ist wichtig, um sicherzustellen, dass die Prinzipien authentisch und praxisrelevant bleiben.

Bild: Autor mit Hilfe von Bing Image Creator

Edgar: Das klingt arg nach Berater-Sprech. Müssen Menschen erst bestimmte Dienstleistungen kaufen, um diese Ansätze anzuwenden?

Georgie: Deine Skepsis ist verständlich. Es ist wichtig, dass diese Ansätze praktikabel und nicht nur ein Verkaufsargument sind. Authentizität, Selbstreflexion und klare Kommunikation sind dabei entscheidend.


Edgar: Hm. Lass uns mal die Frage anders beleuchten. Ein Gedanke, der mich beschleicht: Braucht es vielleicht eine zweite Aufklärung? Um die Leute aus ihrer selbstverschuldeten „hierarchischen“ und „co-abhängigen“ Unmündigkeit zu holen?

Georgie: Deine Idee knüpft interessant an Kants Konzept der Aufklärung an – dem Befreiungsakt des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Angesichts der raschen Veränderungen, der digitalen Revolution und der zunehmenden Komplexität unserer Zeit könnte eine "zweite Aufklärung" vonnöten sein. Ihr Fokus läge darauf, Menschen zu befähigen, sich in einer vernetzten und komplexen Welt zurechtzufinden, selbstständig zu handeln und kritisch zu denken.

Die Ziele einer solchen Bewegung könnten sein:

  • Förderung von kritischem Denken und Medienkompetenz, um Informationen in einer Welt voller Desinformationen zu bewerten.
  • Betonung von Selbstbestimmung und Autonomie, ohne in Isolation oder Egoismus zu verfallen.
  • Förderung von Engagement und Partizipation in gesellschaftlichen Prozessen, um Entfremdung entgegenzuwirken.
  • Förderung von interdisziplinärem und systemischem Denken, um komplexe Probleme anzugehen.
  • Schärfung des Bewusstseins für nachhaltige Entwicklung und ethisches Handeln.

Herausforderungen für eine solche Bewegung könnten sein:

  • Widerstand gegen Veränderung, der oft bestehende Machtstrukturen oder Komfortzonen schützt.
  • Digitale Spaltung, die den Zugang zu Ressourcen und Bildungsmöglichkeiten einschränkt.
  • Komplexität der Herausforderungen, die einfache Lösungen unmöglich macht.

Eine "zweite Aufklärung" würde nicht nur individuelle Bewusstseinsbildung und Kompetenzen stärken, sondern auch strukturelle Veränderungen erfordern, um eine Kultur des kritischen Denkens und der nachhaltigen Entwicklung zu fördern. Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, das langfristiges Engagement erfordert, aber das Potenzial hat, zu einer gerechteren und informierteren Gesellschaft beizutragen.


  • Der fünfte Teil des Interviews folgt morgen. 
  • Hier geht’s zu allen Teilen des Interviews.


Edgars eigener Blog: www.trellisterium.de
Edgars Podcast: trellisterium.podbean.com 

Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de


Literatur

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