Direkt zum Hauptbereich

Aufgaben delegieren: Tanz mit mir den Eiertanz!

Chefs delegieren – was bleibt ihnen auch anderes übrig? Sie können ja nicht alles allein machen. Aber sie müssen auch bedenken, dass sie die Verantwortung behalten für alles, was ihre Mitarbeiter so anrichten können. Also ist Vorsicht geboten.
Am Montag habe ich in einem Post die Kosten dargestellt, die durch eine Delegation von Aufgaben durch den Vorgesetzten an einen Mitarbeiter entstehen /1/. Heute geht es mir um das Konzept der verschiedenen „Delegationsstufen“ – eine merkwürdig kopfgeborene Gestalt aus der Welt der gut gemeinten Organisationsratschläge.

„Risiken vermeiden“ – die Hauptmaxime der Unternehmen vom Typ X

Jean-François Zobrist war bis zu seinem Ruhestand vor einigen Jahren CEO eines mittelständischen französischen Unternehmens. Und zwar von der Firma FAVI in Nordfrankreich, die vor allem Kupplungsteile für die internationalen Automobilkonzerne liefert. In einem Buch hat er seine Erfahrungen bei FAVI beschrieben. Dort hat er nämlich ein neues System selbstorganisierter Teams eingeführt. /2/

Zobrist spricht in diesem Zusammenhang vom althergebrachten, hierarchisch organisierten und schwerfälligen „Unternehmen X“ (natürlich um sein neues „Unternehmensmodell Y“ = FAVI vorteilhaft dagegen abzugrenzen). Das Unternehmen X sei gekennzeichnet durch die Suche nach „dem NULLRISIKO für alle und jeden“.
Wenn der CEO eine Auskunft von einem Abteilungsleiter verlangt und der Abteilungsleiter die Anfrage an einen Teamleiter weitergibt, dann sucht der Teamleiter eine Antwort mit NULLRISIKO für sich, für seinen Abteilungsleiter und für den CEO.

Aber die einzige Antwort ohne Risiko heißt ‚Wir tun nichts‘, außer:
  • Besprechungen
  • Besprechungen zur Vorbereitung von Besprechungen
  • Besprechungen zur Auswertung von Besprechungen
  • Vorstudien …“ /2, S. 115/
Auch die Art und Weise, wie in „Unternehmen X“ Aufgaben und damit verbundene Entscheidungen delegiert werden, hängt mit dieser Angst vor dem Risiko zusammen.

Risikominimierung mithilfe von „Delegationsstufen“

In der Literatur gibt es verschiedene Stufenmodelle, um die Delegation von Entscheidungen von oben nach unten zu gestalten. Wie sehr diese eigentlich nur auf der Grundlage von Angst beruhen – der Angst des Vorgesetzten, der Mitarbeiter könne eine Fehlentscheidung treffen – ist mir beim Spiel „Delegations-Poker“ klar geworden, das man im www finden kann. /3/

„Die Idee des Spiels besteht darin“, heißt es in der Spielanleitung, „die Spieler zur größtmöglichen Delegation anzureizen, ohne es zu übertreiben. Ein [Vorgesetzter], der seinen Mitarbeitern in einer bestimmten Situation zu viel zutraut, geht ein unvertretbares Risiko ein … [In diesem Falle hat er] die Situation unterschätzt und unkontrolliertes Chaos zugelassen.“

Das Spiel gibt sich selbst als Training für Führungskräfte aus, mehr und offener nach unten zu delegieren. In Wirklichkeit aber wird alles von der Angst beherrscht, man könne „es übertreiben“ und dabei „unkontrolliertes Chaos“ erzeugen.

Auf dieser Grundlage wird dann eine Stufenfolge von Delegationsniveaus konstruiert, bei denen immer eine Stufe ein bisschen mehr Risiko beinhalte als die davor:
  1. Anweisen. Ich weise sie an.
  2. Verkaufen. Ich entscheide, aber ich versuche sie zu überzeugen.
  3. Konsultieren. Ich hole mir Meinungen ein und entscheide dann selbst.
  4. Vereinbaren. Wir treffen die Entscheidung gemeinsam.
  5. Beraten. Ich gebe ihnen Rat, aber lasse sie entscheiden.
  6. Erkundigen. Ich informiere mich nachdem sie sich entschieden haben.
  7. Delegieren. Ich delegiere vollständig und muss nicht informiert werden.“
Es ist ein einziger Eiertanz, der da propagiert wird – immer um das Risiko herum. Und es gibt bestimmt keine zurechnungsfähige Führungskraft dieser Welt, die sich an einem solchen Modell orientiert. Je vorsichtiger der Chef beim Delegieren ist, desto mehr muss er erklären, desto größer wird der Anteil unproduktiver Zeit.

Abb. 1: Ablauf einer Delegation

Der Pferdefuß der Delegation

Alle diese Stufen, vielleicht mit Ausnahme der letzten, erzeugen einen unglaublich hohen unproduktiven Overhead. Immer hält der Chef lange Reden (pardon, er weist an, überzeugt, konsultiert, vereinbart, berät usw.), und der Mitarbeiter folgt den Mäandern seiner Sätze. Die Vorstellung besteht darin, dass der Chef immer richtig entscheiden würde, weil er über (rationale, regelhafte – also sprachlich kommunizierbare) Kriterien verfügt. Diese Kriterien versucht er, dem Mitarbeiter zu vermitteln. Und der Mitarbeiter versucht, sie zu verstehen. Es geht um die Vermittlung eines Kontextes.

Gerade das aber kann nicht gelingen. Denn im kommunikativen Akt tritt eine entscheidende Verschiebung ein. Angenommen, die Aufgabe bestehe darin, einen Artikel für die Kundenzeitschrift des Unternehmens zu schreiben. Der Chef wünscht sich einen Artikel, der verständlich, anfeuernd, witzig und nachhaltig ist. Er hat den Leser vor Augen. Er erklärt seine Qualitätskriterien dem Mitarbeiter, der auserkoren ist, den Artikel an Stelle des Chefs zu schreiben. Der Mitarbeiter versucht genau zu verstehen, wie er die Aufgabe erfolgreich – d. h. mit einem Lob am Ende – hinter sich bringen kann. Er hat den Chef vor Augen.

Die Hierarchie schiebt sich wie eine, na sagen wir aktuell: hohe Mauer zwischen den Mitarbeiter und das wirkliche Ziel – den Kunden und seine Zufriedenheit.


Welche friedliche Revolution könnte diese Mauer einstürzen lassen?

Anmerkungen

Kommentare

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Schätzungen sind schätzungsweise überschätzte Schätze

"Wer viel misst, misst viel Mist." Zumindest ist diese Gefahr gegeben. Entweder misst man z. B. Mist, weil man zu früh zu KPIs zur Messung von Ergebnissen greift, oder aber man greift zu den falschen KPIs, die gar nicht das messen, was man wissen möchte. Einst war agiles Arbeiten der alternative Ansatz, aber inzwischen gibt es auch für einige Details dessen, was in Konzernen als "agil" praktiziert wird, einleuchtende alternative Ideen, die bis heute noch nicht so richtig auf die große Bühne vorgedrungen zu sein scheinen. 

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Microsoft Copilot - Notebook, Pages, Agents und mehr

Es tut sich sehr viel an der Copilot Front. Gefühlt entwickelt Microsoft mit aller Kraft die KI-Anwendung weiter. Mit dem letzten Update hat sich die Microsoft-Startseite stark verändert. Hier zeige ich, was sich hinter all den Begrifflichkeiten verbirgt und was davon alltagstauglich ist.

Wenn es mal gerade etwas schwierig bei Kund:innen wird… Zwei Fragen, die uns helfen, unsere Strategie mit unseren Kund:innen abzusprechen.

Seit 2024 organisieren Bob Galen und ich eine Masterclass für agile Coaches. Wir möchten die Ausbildung von agilen Coaches verbessern und ihnen Techniken mitgeben, mit denen sie bei ihren Kund:innen etwas einfacher haben. Bisher haben wir in vier Durchgängen mit jeweils 14 Modulen ungefähr 70 Extraordinarily Badass Agile Coaches ausgebildet (/1/). In diesem Blogpost möchte ich ein paar Erfahrungen und simple Techniken aus der Masterclass teilen, wie wir unsere Strategie besser abstimmen können. Sie beschränken sich nicht auf agiles Coaching – das ist nur das Setting.

Teamleitungen gesucht

Was macht Teams erfolgreich? Kann man das lernen? Ab Herbst starten unsere Kurse für aktuelle und künftige Teamleitungen. Jetzt gibt es die Gelegenheit, den Kurs zu testen.

Nachschau zum Lean Coffee-Spezial "Agil einfach machen" (Interaktive Buchvorstellung)

Bei unserem Lean Coffee-Spezial Ende Mai waren wir von Lean Coffee Karlsruhe/Frankfurt Zeugen einer Buchvorstellung, doch nicht nur das – natürlich gab es auch einen nicht unbeträchtlichen Anteil an eigener Aktion, denn bei unseren Spezialterminen ist traditionell „Teilgabe“ angesagt. Das Autorenduo Christian Baron und Janick Oswald zeigte uns, was es mit „Agil einfach machen“ auf sich hat.  

Wie überprüft man den aktuellen Stand einer neuen gemeinsamen Ablage?

Ihr habt in eurem Team die individuellen, unordentlichen Ablagen auf eine gemeinsame Ablage, die nach Vorgängen und Prozessen geordnet ist, umgestellt. Woher wisst ihr, ob das wirklich funktioniert? In diesem Beitrag gibt es 10 Auditfragen.

Kleine Organisationsveränderungen, die direktes Feedback erzeugen

Große Veränderungen sind in einer Organisation schwer zu messen. Oft liegt zwischen Ursache und Wirkung ein langer Zeitraum, sodass die Umsetzer:innen nicht wissen, was genau gewirkt hat. Hier ist eine Liste mit kleinen Maßnahmen, die schnell etwas zurückmelden.