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IT- und Organisationsprojekte mit Referenzklassen vereinfachen

Wir werden häufiger gefragt, wie man die Projektarbeit vereinfachen kann. Die Projektleute melden uns zurück, dass sie zu viel auf dem Tisch haben und nicht alles schaffen können. Gleichzeitig zieht sich die Lieferung von Ergebnissen hin. Jede Organisation ist immer auf der Suche nach neuen, externen Methoden und Tools. Dabei übersehen sie die beste Quelle für Verbesserungen.

Was sind Referenzklassen?

Wir müssen mal über ein wichtiges Konzept im Projektmanagement reden. Wir Menschen sind, was die Planung angeht, hoffnungslose Optimisten. Wir gehen davon aus, dass immer alles glatt läuft. Wir berücksichtigen keine Wahrscheinlichkeiten und Verteilungen für bestimmte Kosten und Zeiten.

Kahnemann und Tversky haben sich damit beschäftigt. Aus ihrer Sicht ist das Problem, dass wir nur von innen auf ein Problem schauen. Wenn man aber von außen auf ein Problem schaut, sieht man, was wirklich passiert. Sie haben die Begriffe der Referenzklasse und Referenzklassenvorhersage geprägt.

Der Projektmanagementexperte Bent Flyvbjerg führt es weiter aus. Für ihn sind "Psychology and Power" wichtige Treiber im Projekt. Immer wenn Menschen nachdenken, planen und entscheiden, kommt Psychologie ins Spiel. Und immer wenn Menschen von anderen Menschen etwas wollen, kommt Politik ins Spiel. Beide Faktoren werden oft unterschätzt.

Welche Projekte haben wir heute im Angebot? (Foto von Brigitte Tohm auf Pexels)

Wenn wir ein neues Projekt machen, planen wir nicht auf drauflos. Stattdessen schauen wir uns ähnliche Projekte von anderen Unternehmen oder eigene Projekte aus der Vergangenheit an, und stellen uns bestimmte Fragen:

  • Wie lange haben wir wirklich gebraucht?
  • Wie viel Geld haben wir wirklich ausgegeben?
  • Was spielte im Nachhinein wirklich eine Rolle?

Flybjerg ging am Anfang seiner Karriere davon aus, dass verschiedene Organisationen schon Datenbanken oder Listen mit Projektdaten hatten. Dem war nicht so. Deshalb fing er an, selbst eine Datenbank mit Projektdaten aufzubauen. 

Er empfiehlt, vor jedem Projekt Daten von ähnlichen Projekten zu sammeln. Er rät davon ab, die Vergleichsbasis zu eng zu machen. Wenn man vor einer Küchenrenovierung steht, sollte man einfach Daten von anderen Küchenprojekten sammeln. (Sein neues Buch "How Big Things Get Done" ist aus meiner Sicht ein Muss für jede:n Projektleiter:in.)

Wie findet man Referenzklassen?

Wenn wir Organisationen beim Projektmanagement helfen, bitten wir die Beteiligten, eine Liste mit Projekten aus der Vergangenheit zu erstellen. Wir sortieren diese Liste einmal nach Aufwand und einmal nach Nutzen. Dabei lernen wir ganz viel über die möglichen Projektklassen:

  • Der Aufwand steigt, je mehr Menschen und andere Abteilungen oder externe Firmen beteiligt sind.
  • Der Aufwand steigt, wenn Compliance (Datenschutz, IT-Sicherheit, Vergaberecht etc.) besonders geprüft werden muss. Das gilt auch, wenn das Ergebnis besondere Zertifikate braucht.
  • Der Aufwand steigt, wenn die Lösung und die Erwartungen unklar sind.
  • Der Nutzen steigt, je mehr Anwender:innen ihre Arbeitsweisen ändern und je mehr Geschäftsprozesse betroffen sind.
  • Der Nutzen steigt, wenn Dinge schneller erledigt werden, wenn die Qualität steigt und der Aufwand für Nacharbeiten sinkt.

Im Bereich IT gibt es meist folgende Klassen, die gern als Projekt bezeichnet werden:

  • Incident/Change: etwas, das bereits im Betrieb genutzt wird, wird angepasst.
  • Weiterentwicklung: eine bestehende Lösung wird erweitert (zus. Geschäftsprozesse, neue Anwender:innen, neue Schnittstellen, zus. Daten)
  • Softwareeinführung: es wird eine neue Software für bekannte Prozesse eingeführt.
  • Projekt: die Organisation braucht neue Ergebnisse, die die Organisation verändern (neue Bereiche, neue Produkte, neue Regularien).

Der Aufwand in IT-Projekten steht oft in Relation mit der Anzahl der aktiven Anwender:innen und mit der Anzahl der betroffenen Geschäftsprozesse. Wir können also alte Projekte nehmen und diese mit den Treibern vergleichen, z. B. die tatsächlichen Projekttage durch die Anzahl der aktiven Anwender:innen teilen.

Aus der Literatur gibt es noch weitere Hinweise:

  • Im Buch "Benefits Management" teilen die Autoren John Ward und Elizabeth Daniel Lösungen danach ein , wie hoch ihre Bedeutung für das aktuelle und für das zukünftige Business ist. Daraus kann ableiten, woher der Nutzen am Ende kommt.
  • Im Artikel "Mastering the Three Worlds of Information Technology" beschreibt der Autor Andrew McAfee drei Klassen von Systemen: Function IT, Network IT, Enterprise IT.
  • Im Buch "Project Management Reinvented" beschreiben die Autoren Aaron Shenhar und Dov Dvir vier Arten von Unsicherheit (Neuheit, Technologie, Komplexität und Zeitdruck), die Einfluss auf das Projektmanagement haben.

Diese Informationen helfen uns bei der ersten Aufnahme der Idee. Wir können mit wenigen Fragen die ersten Ideen konkretisieren.

Klasse für Klasse optimieren

Wir haben Daten aus der Vergangenheit und zusätzliche Informationen aus der Literatur. Wir wollen unser Projektmanagement verbessern, damit wir mit weniger Stress mehr schaffen. Die Verbesserungen bekommen wir nicht durch das Anwenden von Wundermethoden oder Wunderwerkzeugen. Es wird besser, wenn wir Klasse für Klasse optimieren. 

Dazu erstellen wir für jede Klasse einen Steckbrief. Sehen wir uns das für den Bereich der IT-Projekte an. Wir könnten folgende Punkte auf einem Steckbrief notieren:

  • Titel der Klasse: Wie benennen wir die Klasse so, dass die meisten wissen, was gemeint ist? ggf. ein paar Beispiele aus der Vergangenheit
  • Bedeutung, Nutzenquelle: Wie wichtig ist das betroffene Systeme für das aktuelle und für das künftige Business? Daraus lässt sich ableiten, woher der Nutzen kommt. Wie wird die Lösung eingesetzt? Bei Funktions-IT gibt es viele Freiheiten, bei Enterprise-IT braucht es Vorgaben und die Nutzung ist verpflichtend.
  • Unsicherheitsprofil: Wie ist die Unsicherheit auf den Achsen Neuheit, Technologie, Komplexität und Zeitdruck?
  • Betroffene Anwender:innen
  • betroffene Geschäftsprozesse
  • Vergleichsdaten: Daten und Treiber aus alten Projekten
  • Interviewfragen: Welche (wenigen) Fragen müssen wir den Anwender:innen zu Beginn stellen, um die Umsetzung zu starten?
  • Mustervorgehen: Was wäre mit Blick auf die Vergangenheit und mit Blick auf die Literatur ein gutes Vorgehen?

Diese Daten könnten auf einem Flipchart oder auf einer Seite festgehalten werden.

Vorlage für eine Projektreferenzklasse

Mit diesen Steckbriefen können wir unsere Projekte Klasse für Klasse verbessern. Aber ein Schritt fehlt noch zur Entlastung.

Projektportfolio festlegen

Wie können den Blick auf die Vergangenheit nicht zur Verbesserung der einzelnen Projektklassen nutzen. Wir können auch zurückschauen und fragen: "Welche Projekte machen wir eigentlich in einem Jahr so?". Das ist dann die Basis für die Planung des nächsten Jahres. Wenn wir wissen, dass wir immer 10 Changes für das SAP-System bekommen, sollten wir diese Zeit reservieren.

  • Wenn wir nur operative Projekte machen, veralten unsere Systeme.
  • Wenn wir nur strategische Projekte machen, steigen uns die Anwender:innen auf's Dach, weil ihre Systeme unbedienbar werden.

Wir brauchen also einen guten Mix aus Projekten. 

Verwendete Literatur, Links:

  • Flyvbjerg, Bent ; Gardner, Dan: How Big Things Get Done : The Surprising Factors That Determine the Fate of Every Project, from Home Renovations to Space Exploration and Everything In Between. New York: Crown, 2023.
  • Shenhar, Aaron J. ; Dvir, Dov: Reinventing Project Management : The Diamond Approach To Successful Growth And Innovation. Boston, Massachusetts: Harvard Business Press, 2007. 
  • MCAFEE, Andrew. Mastering the three worlds of information technology.Harvard business review, 2006, 84. Jg., Nr. 11, S. 141.
    Jan Fischbach: Projektaufwände schätzen, Teamworkblog, erschienen am 03. Aug 2015, abrufbar unter http://www.teamworkblog.de/2015/08/projektaufwande-schatzen.html 


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