Direkt zum Hauptbereich

"Einfach so tun als ob"... Vom Bürokratiemonster zur selbstorganisierten Organisation in Eigenregie - Interview mit einer Geschäftsführerin, die es gewagt hat! (2/2)

Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir über Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren einer hierarchiefreien Organisation. Lesen sie, wieso klare Prinzipien mehr bewirken und Handbücher meistens überflüssig sind.

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews:

Knowhow Aufbau: Entscheidungen richtig treffen

Maria: Welche Entscheidungsfindungsmodelle habt ihr eingesetzt und Knowhow aufgebaut?

Cornelia: Konsent-Entscheidungen oder integrative Entscheidungsfindung waren die kompliziertesten Konzepte. Das Format des Einzelentscheids innerhalb der Rolle und das Konsultationsverfahren nutzen wir ebenfalls. Wir haben klare Strukturen und Prinzipien, welches Model in welcher Situation eingesetzt wird. Die Mitarbeiter:innen entscheiden jeweils, welches Verfahren gerade nötig wird. Klare Entscheidungen und Verantwortlichkeiten haben entschieden dazu beigetragen, die Umstrukturierung gut hinzubekommen.

Hierarchiefreies Arbeiten erfordert bestimmt Fähigkeiten

Maria: Was glaubst du, welche Fähigkeiten sollten Mitarbeiter:innen und Führungskräfte mitbringen, um hierarchiefrei arbeiten zu können?

Cornelia: Was ich als Geschäftsführerin mitbringen musste: ich musste lernen, sehr klar zu kommunizieren. Die Einladung, eine Entscheidung für einen anderen treffen zu sollen, musste ich erkennen und zurückgeben lernen. Eher in die Konsultation zu gehen, als die Entscheidung für einen anderen zu treffen. Eine starke Verführung, wenn man lange in klassischen Führungsrollen war.  

Mitarbeiter: innen brauchen eine hohe Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und nicht zu erwarten, das einer kommt, dem man die Verantwortung für eigene Entscheidungen geben kann.

Wenn bei uns einer eine Aufgabe übernimmt, ist er dafür Entscheidungsverantwortlich. Natürlich kann man sich Unterstützung oder Konsultation einholen. Am Ende treffen die Mitarbeiter:innen die Entscheidung über ihr Handeln. Sie sind verantwortlich für das, was zu tun ist, um die Aufgabe zu erfüllen.

Man muss sehr reflektiert sein, an den eigenen Verhaltensmustern arbeiten wollen. Grundsätzlich muss die Bereitschaft da sein: „Ja, ich möchte Verantwortung tragen und meinen Beitrag leisten.“ Es erfordert ein hohes Maß an Disziplin und Pflichtgefühl, sich an Abmachungen und Zusagen zu halten. 

Prinzipien statt Regeln

Maria: Welche Regeln oder Prinzipien der Zusammenarbeit haben sich für euch herauskristallisiert? Welche Leitplanken helfen euch?

erstellt mit DALL-E AI Bildgenerator
Cornelia: Guter Punkt. Von festgehaltenen Verhaltensregeln halte ich nicht viel. Dinge, die ich mir nicht merken kann und sie mir aufschreiben muss, sind im täglichen Handeln irrelevant. Handbücher, Dienstanweisungen – häufig unnötig. Unser Organisationsberater hat uns mitgegeben: stellt keine Regeln auf, sondern Prinzipien! Das kennt man aus der Soziokratie und Holokratie. Im Laufe des Prozesses haben wir unsere Form dazu gefunden.  Immer wieder haben wir für uns Prinzipien herausgearbeitet, die unsere tägliche Arbeit begleiten. Die Überschrift unserer Prinzipien zur Konfliktlösung lautet beispielsweise: Für meinen Ärger bin ich selbst verantwortlich, auch für die Lösung des Problems. Das ist harte Arbeit an sich selbst. Lösungen selbst aktiv anzugehen und nicht darauf zu warten, das etwas im Außen die Lösung reicht.

Von Konflikten zur Lösung in hierarchiefreien Organisationen

Maria: Der Alltag bietet doch so viel Gelegenheit sich zu ärgern, jetzt soll ich selbst dafür verantwortlich sein?

Cornelia: Das Gefühl des Ärgerns ist erstmal da. Jedes Gefühl hat seine Berechtigung. Aber du bist verantwortlich dafür, was du mit dem Ärger machst. Häufig sind die Quellen des Ärgers in Erwartungen zu finden, die nicht erfüllt oder ausgesprochen wurden. Dann heißt es, im Kontext des Ärgers, Dinge anzusprechen und aktiv nach einer Lösung zu suchen.

Für Konflikte, die Mitarbeiter:innen nicht selbst lösen können, haben wir ein Stufenmodell:

1.     4- Augen Gespräch oder Konsultation

2.     Einbindung eines Schlichters

3.     Kollegiale Beratung oder Supervision

4.     Ein Dritter trifft die Entscheidung, die akzeptiert werden muss

Bei jeder Stufe geht es darum, Ideen zu finden, was man machen könnte, um das Problem zu lösen. In der Regel kommt man dabei selbst auf eine Idee, was man daraus macht. Das heißt eben nicht, ich spreche mit fünf Leuten beim Kaffee über meinen Ärger und die rennen dann los und lösen mein Problem. Der Ball kommt immer wieder zu mir zurück. Die Kollegen werden mich fragen, „Was ist dein nächster Schritt? Wie könntest du den Konflikt mit dem Betroffenen lösen“ Erst wenn man das versucht hat und scheitert, geht es eine Stufe weiter. Sich Hilfe zu holen, bedeutet für uns auch, sich sehr klar zu sein oder zu werden, was das eigentliche Anliegen ist und wie es aussehen könnte, wenn das Problem oder der Konflikt weg ist. 

Maria: Welches Fazit über den Veränderungsprozess vom Bürokratiemonster zur hierarchiefreien Organisation ziehst Du und welchen Rat würdest du anderen geben?

Cornelia: Maria, jeder Ratschlag ist ein Schlag (lacht). Mein Fazit: ich will nie wieder anders arbeiten! Ich möchte gar keinem sagen müssen, was sie zu tun haben. Das sind alles erwachsene Leute. Im Privatleben schreibt den Mitarbeiter:innen auch keiner vor, wie sie was zu tun haben. Und die Mitarbeiter:innen bekommen es hin!

Wenn ich Empfehlungen aussprechen soll, dann diese:

  • Klare Entscheidung & Commitment der Geschäftsführung
  • Unterstützung von Außen einholen, sonst dreht man sich im Kreis
  • Nötige Knowhow aufbauen, damit Mitarbeiter:innen schnell selbst wirksam werden können
  • Klare Rollen und Zuständigkeiten klären
  • Freigabe von oben: So tun als ob, dass Ziel schon erreicht wäre. Jeden Tag!
  • Gnadenlos ausmisten: Prozesse, Regeln, die nicht hilfreich oder nötig sind
  • klare Strukturen zur Konfliktklärung aufbauen
  • Prinzipien, statt Regeln als Leitplanken gemeinsam entwickeln  

 

Maria: Danke, Cornelia! 

Interesse geweckt? Stell Deine Fragen an Cornelia Adolf in unserer Agilen Mittagspause! 
In einem interaktiven Format hast Du Gelegenheit, Impulse und Erfolgsfaktoren für deinen Arbeitsalltag mitzunehmen und dich aktiv einzubringen.

Anmeldung über Eventbrite 

zur kostenfreien Session

Datum: Mittwoch, 03.05.2023

Zeitraum: 12:15 Uhr bis – 13:15 Uhr via Zoom.



Über die Interviewpartner 

Conny Adolf, systemische Familientherapeutin

Maria Kühn, systemische Organisationsentwicklerin

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Und jetzt alle zusammen! Teams - OneNote - Aufgaben - To Do

Ein Meeting jagt das nächste. Sich da nicht zu verzetteln, wird  im Zeitalter virtueller Besprechungen  noch anspruchsvoller. Kein Wunder, dass  im Zusammenhang mit Microsoft 365  zwei Fragen besonders häufig auftauchen: Wie dokumentiert man Besprechungen gut? Was hilft, offene Aufgaben nachzuhalten? Eine gute Lösung: Das in MS Teams integrierte OneNote-Notizbuch als gemeinsame Plattform auch für den Aufgabenüberblick zu nutzen.

Outlook-Aufgabenliste: bitte nicht die Aufgaben des ganzen Teams!

Am Tag der Arbeit kommt eine Lösung, nach der ich schon so oft gefragt wurde: Wie schaffe ich es, dass meine Outlook-Aufgabenliste nur meine eigenen Aufgaben anzeigt und nicht auch die E-Mails, die meine Kollegen gekennzeichnet haben oder Aufgaben, die einfach in einem gemeinsamen Postfach stehen?

Kategorien in Outlook - für das Team nutzen

Kennen Sie die Kategorien in Outlook? Nutzen Sie diese? Wenn ja wofür? Wenn ich diese Fragen im Seminar stelle, sehe ich oft hochgezogene Augenbrauen. Kaum jemand weiß, was man eigentlich mit diesen Kategorien machen kann und wofür sie nützlich sind. Dieser Blogartikel stellt sie Ihnen vor.

Das Ubongo Flow Game

Spiele bieten eine gute Gelegenheit, zeitliche Erfahrungen zu verdichten und gemeinsam zu lernen. Karl Scotland und Sallyann Freudenberg haben im Mai 2014 das Lego Flow Game veröffentlicht. Wir haben die Spielidee übernommen, aber das Spielmaterial gewechselt. Statt Legosteinen benutzen wir Material aus Grzegorz Rejchtmans Ubongo-Spiel. Hier präsentieren wir die Anleitung für das Ubongo Flow Game.

E-Mail-Vorlagen gemeinsam nutzen (Outlook)

Mittlerweile wird praktisch alle Routine-Korrespondenz in Outlook erledigt. Was liegt da näher, als ein gutes Set von Vorlagen zu erstellen und diese gemeinsam in Team zu nutzen? Leider hat Microsoft vor diesen – an sich simplen – Wunsch einige Hürden gebaut.

Protokolle in OneNote - neue Ideen für's neue Jahr

Protokolliert Ihr Team seine Besprechungen in OneNote? Das geht einfach, schnell ist teamfähig und hat eine exzellente Suchfunktion. Die beliebte Fragen "Wann haben wir eigentlich beschlossen, dass..." ist so schnell beantwortet. Darum wird OneNote an dieser Stelle immer beliebter. In meinen Seminaren dazu sind gute Ideen entstanden, die ich hier weitergeben will.

Beispiel für eine Partyplanung mit Scrum

Wer sich neu mit Scrum beschäftigt, ist vielleicht überwältigt von den ganzen Fachbegriffen. Dann sieht man vielleicht gar nicht, wie einfach die einzelnen Elemente von Scrum sind. Deshalb hier ein einfaches Beispiel für die Vorbereitung einer Party mit Hilfe von Scrum.

Optimieren wir uns zu Tode?

Als jemand, der mehr als fünfzehn Jahre in der Welt des IT-Service-Management-Prozessmanagements verbracht hat, musste ich das Buch von Guther Dueck aus dem Jahr 2020 Heute schon einen Prozess optimiert? Das Management frisst seine Mitarbeiter lesen/1/. Typisch für ihn bietet Dueck uns einen provokanten, teils vernichtenden, jedoch humorvoll geschriebener Weckruf. Er behauptet, dass das moderne Management von “Pacesetters” und “Controllers” dominiert wird. Sie sind so sehr auf Optimierung und Profit fokussiert, dass sie den Willen zu Innovation und Unternehmertum abtöten. Jedoch ohne mehr Kreativität und Tatkraft werden wir die Herausforderungen der Digitalisierung, des Klimawandels etc. nicht bewältigen. Ein agiles Mindset kann helfen.

Projekt-Kick Off – Wie Du einen Auftakt gestaltest, der alle Kräfte freisetzt!

Ein typisches Szenario:  Zum Auftakt wird das neue Projekt vom Verantwortlichen vorgestellt. Die vorbereitete PowerPoint-Präsentation zeigt in bunten Bildern, welche Traumschlösser vom Team umgesetzt werden sollen. Doch statt der erhofften Aufbruchsstimmung macht sich Widerstand breit. Diskussionen kommen auf. Das Kickoff-Meeting wird zur Bühne der Lauten. Miese Stimmung macht sich breit. Die Lauten werden lauter, die Stillen werden leiser.  Kommt Dir das bekannt vor? Häufig werde ich gefragt: "Maria - wie sieht das in der Praxis aus? Wie gestalte ich als Moderator ein strukturiertes Meeting?". In diesem Artikel stelle ich Dir EINEN alternativen Ablauf einer Kickoff-Veranstaltung in fünf Schritten vor. Ein Gestaltungsvorschlag, der Impulse und Mut zum Experimentieren neuer Formate bieten soll.  Was es ermöglicht: Förderung des Projekterfolg Frühes gemeinsames Verständnis des Projekts Missverständnissen wird vorgebeugt Es werden hilfreich Hinweise sichtbar, WIE d

Agiles Mindset – Gibt es das überhaupt? Eine wissenschaftliche Perspektive

Es ist in aller Munde: Das Agile Mindset. Es wird als wichtiger Erfolgsfaktor und gleichzeitig riesige Hürde und Herausforderung in agilen Transformationsvorhaben beschrieben. Der ein und andere hat verbunden mit einem gescheiterten agilen Vorhaben vermutlich schon mal gehört „Die hatten einfach nicht das richtige Mindset“. Doch was ist dieses agile Mindset? Gibt es das überhaupt?