Können Sie die Prinzipien von Kanban gut erklären? Sehen wir uns ein Beispiel an.
Die meisten Organisationen glauben, dass es sie effizienter macht, wenn sie an mehreren Aufgaben oder Projekten gleichzeitig arbeiten. Das erhöht doch die Auslastung: wenn eine Aufgabe mal stockt, switcht man halt schnell zu einer anderen rüber. Je mehr alle zu tun haben, um so mehr Arbeit wird doch auch erledigt, oder?
Die auslösende Erkenntnis von Kanban war: „Das stimmt nicht.“ Und um diese, auf den ersten Blick nicht einleuchtende Behauptung zu verstehen, lässt man sich am besten auf ein Gedankenexperiment ein.
Die Zeiten, die man als Kunde durchschnittlich an einem Schalter verbringt, sind unterschiedlich: am ersten 20 Sekunden, am zweiten 30 Sekunden und am letzten 40 Sekunden. Wenn man ein Auto probehalber durch den Drive-in fahren lässt, ergibt sich folgende Abfolge:
Wir haben in jedem Bild eine gelbe Zeitleiste, die unten mitläuft. Bei 0 Sekunden fährt der Wagen ein. Nach 20 Sekunden ist er am ersten Schalter abgefertigt und fährt zum zweiten. 30 weitere Sekunden und er fährt zum Empfangsschalter. Nochmal 40 Sekunden, und er kann mit seiner Ware den Drive-in verlassen.
Insgesamt hat er 90 Sekunden gebraucht, das ist seine Durchlaufzeit. Und er war der einzige Kunde, der in dieser Zeit abgefertigt wurde, d.h. der Durchsatz betrug 0,67 Kunden pro Minute. wir haben hier die Anzahl der gleichzeitigen Kunden auf einen Kunden begrenzt. Der Fachbegriff ist WIP-Limit (work in progress).
Immer, wenn ein Auto rechts aus dem Bild rausfährt, kann ein neues links zum Drive-in hineinfahren. Wir haben es hier rot markiert. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die Uhr zu laufen: die Zeitleiste zeigt 0 Sekunden.
Nach 20 Sekunden kann das Auto zum Bezahlen-Schalter vorrücken. Aber der Schalter ist durch eine Schlange versperrt. Unser Auto muss sich hinten einreihen.
Erst nach 50 Sekunden sind die beiden Wagen vor ihm abgefertigt. Es kann jetzt selbst zum Bezahlschalter vorrücken.
Weitere 30 Sekunden, und unser Kunde hat bezahlt. Theoretisch könnte er jetzt zum Empfangsschalter, aber da hat sich wieder eine Schlange gebildet. Es heißt, nochmal warten.
Erst nach einer weiteren Minute kann er vorrücken.
Kanban: Weniger arbeiten, um mehr zu erreichen
Kanban wird oft auf eine Technik reduziert, bei der man auf ein Board verschiedene Spalten zeichnet und mit maximalen Aufgabenmengen versieht, die sich in jeder Spalte befinden dürfen. Aber um ein Team zu befähigen, wirklich aktiv mit dieser Technik zu spielen und sie selbst weiter zu entwickeln, ist ein wirkliches Grundverständnis unumgänglich.Die meisten Organisationen glauben, dass es sie effizienter macht, wenn sie an mehreren Aufgaben oder Projekten gleichzeitig arbeiten. Das erhöht doch die Auslastung: wenn eine Aufgabe mal stockt, switcht man halt schnell zu einer anderen rüber. Je mehr alle zu tun haben, um so mehr Arbeit wird doch auch erledigt, oder?
Die auslösende Erkenntnis von Kanban war: „Das stimmt nicht.“ Und um diese, auf den ersten Blick nicht einleuchtende Behauptung zu verstehen, lässt man sich am besten auf ein Gedankenexperiment ein.
Grundverständnis erreichen mit einem einfachen Experiment
Das Setting des folgenden Experiments beruht auf einem Video von David Lowe, das ich in eine Powerpoint-Präsentation übersetzt habe. Die Präsentation kann sich jeder runterladen /Anmerkung 1/. Das Experiment ist denkbar einfach: es demonstriert das Kanban am Beispiel eines McDonald-Autoschalters. Der Drive-in (amerikanisch: Drive-thru) besteht aus drei Schaltern: einem zum Bestellen, einem Bezahlschalter und ein Schalter, an dem man die Ware in Empfang nimmt:Die Schalter eines McDonald-Drive-Ins. |
Die Zeiten, die man als Kunde durchschnittlich an einem Schalter verbringt, sind unterschiedlich: am ersten 20 Sekunden, am zweiten 30 Sekunden und am letzten 40 Sekunden. Wenn man ein Auto probehalber durch den Drive-in fahren lässt, ergibt sich folgende Abfolge:
Bildleiste 1: Bei einem Work in Progress von maximal 1 Auto ist die Durchlaufzeit 90 Sekunden und der Durchsatz 0,67 pro Minute |
Insgesamt hat er 90 Sekunden gebraucht, das ist seine Durchlaufzeit. Und er war der einzige Kunde, der in dieser Zeit abgefertigt wurde, d.h. der Durchsatz betrug 0,67 Kunden pro Minute. wir haben hier die Anzahl der gleichzeitigen Kunden auf einen Kunden begrenzt. Der Fachbegriff ist WIP-Limit (work in progress).
Ein System in Überlast
Jetzt beginnt das eigentliche Experiment. Wir lassen mehrere Autos gleichzeitig in den Drive-in einfahren, aber maximal 5. Was passiert?Immer, wenn ein Auto rechts aus dem Bild rausfährt, kann ein neues links zum Drive-in hineinfahren. Wir haben es hier rot markiert. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die Uhr zu laufen: die Zeitleiste zeigt 0 Sekunden.
Nach 20 Sekunden kann das Auto zum Bezahlen-Schalter vorrücken. Aber der Schalter ist durch eine Schlange versperrt. Unser Auto muss sich hinten einreihen.
Erst nach 50 Sekunden sind die beiden Wagen vor ihm abgefertigt. Es kann jetzt selbst zum Bezahlschalter vorrücken.
Weitere 30 Sekunden, und unser Kunde hat bezahlt. Theoretisch könnte er jetzt zum Empfangsschalter, aber da hat sich wieder eine Schlange gebildet. Es heißt, nochmal warten.
Erst nach einer weiteren Minute kann er vorrücken.
Bildleiste 2: Bei einem Work in Progress von maximal 5 Autos ist die Durchlaufzeit 200 Sekunden und der Durchsatz 1,5 pro Minute
Nochmal 40 Sekunden Abfertigungszeit, und er kann den Drive-in verlassen. 90 Sekunden war er an den Schaltern, aber insgesamt 110 Sekunden hat er mit Warten verbracht. Durchlaufzeit demnach: 200 Sekunden. Aber in dieser Zeit wurden 5 Kunden abgefertigt: Der Durchsatz beträgt nun 1,5 Kunden pro Minute.
Das System ist überlastet. Es bilden sich Schlangen. Warum? Der Schalter 2 ist langsamer als Schalter 1. Schalter 1 produziert mehr abgefertigte Kunden, als Schalter 2 aufnehmen kann. Und dieser selbst ist wieder schneller als der Folgeschalter 3: auch vor Schalter 3 bildet sich eine Schlange.
"Auslastung steigern": völlig kontraproduktiv
Was sich auf Seite der Kunden als Wartezeit niederschlägt, bewirkt auf Seite der Mitarbeiter in den Schaltern ebenfalls Leerlauf. Bei welchen Schaltern? Schalter 3 ist immer ausgelastet. Immer, wenn ein Auto seine Ware empfangen hat und den Drive-in verlässt, rückt sofort ein Kunde aus der Warteschlange nach. Das Gleiche gilt für den Bezahlschalter. Wenn er einen Kunden abgefertigt hat und in die Warteschleife vor dem nächsten Schalter schickt, erhält er sofort Nachschub von Schalter 1.
Aber dieser Schalter hat regelmäßig nichts zu tun. Maximal 5 Autos werden ins System gelassen, und wenn die sich an den beiden Folgeschaltern oder in den Warteschlangen davor befinden, haben die Mitarbeiter am Bestellschalter nichts zu tun.
"So geht's aber nicht", denkt der Manager, und erhöht das WIP-Limit von 5 auf 6 oder 7. Die Wirkung können wir uns aufgrund der folgenden Tabelle ausrechnen.
Wenn ich das WIP-Limit von 2 auf 3 erhöhe, steigt der Durchsatz nicht mehr. Er beträgt immer 1,50 abgefertigte Kunden pro Minute. Das kann ich übrigens schon oben aus der allerersten Abbildung ableiten, in der die Verweilzeiten an den Schaltern stehen. Schalter 3 bildet den "Flaschenhals" des Systems: er ist am arbeitsintensivsten und braucht 40 Sekunden pro Auto. D.h. durch diesen Flaschenhals "fließen" 1,5 Autos pro Minute, wenn regelmäßig für Nachschub gesorgt wird (das war nur bei WiP=1 nicht der Fall). Die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems wird durch seinen Flaschenhals begrenzt. Eine Steigerung von 4 auf 5 Kunden gleichzeitig im System erhöht nur deren Wartezeiten, nicht den Durchsatz. Und das gilt selbstverständlich auch für die nächsten Werte WIP = 6, 7 usw.
Wenn ich das WIP-Limit überhaupt nicht begrenzen würde, sondern so viele Kunden in den Drive-in lassen würden, wie vor dem Tor einfahren möchten: dann würden tendenziell die Warteschlangen und die Wartezeiten ins Unendliche wachsen. Die scheinbare Kulanz den Kunden gegenüber: "Wir weisen niemanden ab, wir bedienen alle", schlägt gegen die Kunden zurück.
Die Strategie unseres fiktiven Managers, die Auslastung zu steigern, führt nur zu wachsender Unproduktivität. Auch Schalter 1 ist dann dauernd ausgelastet, aber sein Produkt besteht in wartenden Kunden, nicht in ausgelieferter Ware. Viel produktiver wäre es, wenn die Mitarbeiter unausgelastet blieben und sich Gedanken um Verbesserungsmaßnahmen machen würden, zu denen sie sonst nie Zeit haben.
Hinschauen, was istDie erste - und keineswegs unwichtigste - Funktion von Kanban ist: die Visualisierung von dem, was ist. In unserer traditionellen Ingenieurskultur ist das "Tun" als wichtiger Wert stark verankert, "die Ärmel hochkrempeln" gilt als erfolgreiche Lebensweise. Nachdenken wird oft etwas skeptisch betrachtet.Die vorherrschende Daseinsform der Mitarbeiter in vielen Abteilungen - gerade auch die mit vielen Projekten, also IT-Abteilungen oder oft auch die Orga - ist das Hamsterrad: ständige Überlastung und Stress bei gleichzeitig endlos sich verlängernden Projektzeiten. Das japanische Genchi Genbutsu ("zur Quelle gehen"), Teil des Toyota-Produktivsystems, rät uns in solchen Fällen, die Fakten an der Basis zu untersuchen. Wir sollen lernen, empirisch zu arbeiten, damit unsere Entscheidungen wohlbegründet werden und nicht dem Voluntarismus in die Falle gehen. Kanban ist ein praktischer Weg, diese Werte zum Leben zu bringen.Anmerkungen
/1/ Jan Fischbach hat auf diesem Blog auf das Video von David Lowe
aufmerksam gemacht. (siehe http://www.teamworkblog.de/2016/09/kanban-lohnt-es-sich-wirklich-die-menge.html) Wir beide zeigen dieses Video oft in unseren
Seminaren:
Ich
habe nun aber festgestellt, dass dieses Video vielen Teilnehmern zu
schnell geht, um es wirklich zu vestehen. Ich habe es deshalb in eine
Powerpoint-Präsentation übertragen, die ich gerne unseren Lesern zur
Verfügung stelle (https://agileverwaltungorg.files.wordpress.com/2020/02/kanban-nach-david-lowe-20200211.pptx).
Die Präsentation erlaubt es im Unterschied
zum Film, an einzelnen Stellen innezuhalten, gezielt zu einer Folie
wieder zurück- und vorzuspringen und die Teilnehmenden sich aktiv in die
Vorführung einzubringen.
|
Kommentare
Kommentar veröffentlichen