Direkt zum Hauptbereich

Prozesse aufräumen: Wie geht das? (Teil 4)

Jeder ist einsichtig, dass Prozesse möglichst schlank sein sollen. Schließlich wollen wir mit der Zeit unserer Kollegen und Kunden und unserem Geld sparsam umgehen. Doch warum sind die Prozesse in den meisten Organisationen immer noch so schwierig? Ich glaube, wir wissen einfach noch nicht, wie das praktisch geht. Zeit für eine Anleitung.
In den vorhergehenden Beiträgen (Teil 1, Teil 2, Teil 3) haben wir viel über Prozessverbesserung gelernt:
  • Bei den unterstützenden Prozessen haben wir gelernt, dass wir Prozesse verbessern können. Wir können einfache Prozessbeschreibungen erstellen.
  • Bei den Warteschlangenerzeugern haben wir gelernt, auf die Größe von Warteschlangen und die durchschnittliche Dauer zu achten.
  • Bei den strategischen Prozessen haben wir gelernt, auf Entscheidungen zu achten, die unsere Warteschlangen priorisieren.
Nun können wir uns der schwierigsten Klasse widmen: den Prozessen, die Warteschlangen abbauen.

Warteschlangen abbauen, 1. Ziel: Vorgangsteam hat wieder Zeit


Jeder Vorgang belegt das Team, das ihn bearbeitet. Das erste Ziel der Optimierung ist, das Vorgangsteam wieder frei zu bekommen. Schließlich könnte es ja eine noch bessere Gelegenheit geben, die Unternehmensziele umzusetzen.

Man stelle sich vor, das Team hat mit der Arbeit an einem Vorgang begonnen, der nur 1 Werteinheit Ergebnis liefert, aber 100 Zeiteinheiten dauern wird. Nun kommt ein weiterer Auftrag rein, der 100 Werteinheiten bringt, aber nur eine Zeiteinheit dauert. Der Auftrag wäre viel besser (mehr Wert, bei wenig Aufwand). Aber das Team ist blockiert und kann den Auftrag nicht annehmen. Ob der Kunde so lange wartet? Sie könnten sich jetzt den Nettogegenwartswert (engl. Net Present Value) ausrechnen, ob sich das Warten lohnt. Die Idee hinter Net Present Value ist, dass ich lieber heute 100 EUR verdiene als die gleichen 100 EUR in 12 Monaten. Bei dieser Methode verliert der Nutzen über die Zeit an Wert (Abzinsung).

Das erste Optimierungsziel muss also sein, dass das Vorgangsteam einen Vorgang so schnell wie möglich beendet, um noch bessere Aufträge zu bedienen.

2. Ziel: Wenig Aufwand, hoher Nutzen


Das zweite Ziel ist, mit möglichst wenig Aufwand den höchsten Nutzen zu erzielen. Wenn zwei Vorgänge den gleichen Wert liefern, ziehe ich den Auftrag vor, der weniger Arbeit macht.

Don Reinertsen hat in seinem Flow-Buch /1/ viel über Warteschlangen-Theorie, Stapelgrößen und Jobzuteilung geschrieben. Das Buch ist sehr dicht geschrieben, aber durchaus informativ.

Allerdings müssen wir etwas über den Geschäftsprozess verstehen. Beratungs- und Reparaturprozesse lassen sich nicht standardisieren. Das sind schwach strukturierte Prozesse. Es wäre völlig fatal, diese in einen festen Workflow zu gießen und vom Team die Einhaltung zu fordern.

Bestimmte Produktionsprozesse dagegeben sind sehr gut standardisierbar. Dort ist es besser, Variationen zu vermeiden. Bei Produktentwicklungsprozessen dagegeben müssen wir wieder Variationen reinbringen. Die beste Zusammenfassung dazu ist ein Artikel von Stabell und Fjeldstad /2/. Dort schreiben die Autoren, dass es neben der industriellen Fertigung (Wertkette) auch andere Modelle wie Wertwerkstatt und Wertnetz gibt. Diese "Konfigurationen" haben unterschiedliche Kosten- und Werttreiber. Und sie gehen unterschiedlich mit Risiken um. In dem Artikel gibt es auf der dritten Seite /2, S. 415/ eine zusammenfassende Tabelle dazu. Bevor man einen Prozess optimiert, sollte man also Wissen, wie dieser einen Wert für das Unternehmen erzeugt. Was wollen wir optimieren?

Lösungen finden


Am Anfang sagte ich bereits, dass es gar nicht so einfach ist, einen Vorgang zu optimieren. Schließlich hält man den aktuellen Ablauf ja schon für den allerbesten der Welt. Wie finde ich also Lösungen, wo ich noch nicht einmal weiß, was das Problem ist?

Im einfachsten Fall ist allen klar, dass der Prozess irgendwie verbessert werden muss. Entweder dauert er länger als erwartet oder es passieren zu viele Fehler. Wenn das Vorgangsteam regelmäßig Retrospektiven macht, wird man den üblichen Kandidaten schon auf die Schliche kommen.

Früher war es üblich, sog. Best-Practices oder Referenzmodelle zu benutzen. Ich habe bei Fettke und Loos /3/ eine gute Liste mit Modellen gefunden. Als Inspirationsquelle nicht schlecht. Aber so richtig Arbeit abgenommen, haben die Referenzmodelle auch nicht. Und jede Organisation wird natürlich behaupten, dass es für ihre Branche keine Modelle gibt. Von den Referenzmodellen geht man also wieder weg. Selbst denken ist besser als abschreiben.

Wie finden wir Lösungen? Dazu brauchen wir so etwas wie eine Prüfliste oder Matrix, die uns auf unsere Lücken im Denken oder weiße Flecken aufmerksam macht. Als erstes fallen mir die 7 Quellen von Verschwendung im Lean Management von Taiichi Ohno /4, Kap. 1/ ein. Nach dem Motto "Ist das noch Prozess oder kann dieser Arbeitsschritt weg", optimieren wir den Prozess, indem wir konsequent nach diesen Verschwendungsquellen suchen:
  • Bestände (Inventory), unfertige Arbeit
  • Überverarbeitung (Extra Processing, Over-engineering), sinnlose Prozesse
  • Überproduktion (Over-production), sinnlose Funktionen
  • Transport, Multitasking
  • Warten (Waiting)
  • Bewegung (Motion)
  • Ausschuss, Nacharbeiten, Fehler (Defects)
Das macht man zum Beispiel mit einer Wertstromanalyse.

Eine weitere Inspirationsquelle sind die 40 TRIZ-Prinzipien (oder auch Innovationsregeln). Ich kenne mich kaum mit TRIZ aus. Aber diese Prinzipien habe ich mir schon öfter angesehen. Die Kollegen bei c4pi bzw. triz-online.de beschreiben diese Prinzipien auf ihrer Webseite etwas genauer.

Jetzt wissen wir auch, wie wir Lösungen für unsere schwierigen Prozesse finden. Das ist natürlich empirische Arbeit. Sie müssen lernen, auf bestimmte Dinge zu achten. Am Anfang zerbricht man sich den Kopf darüber, welche Dinge das wohl sein könnten. Aber wenn man einen Tipp bekommt, ärgert man sich, dass man nicht selbst darauf gekommen ist. Dazu mehr im nächsten Teil.

Anmerkungen

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Transparenz als Schlüssel zum Erfolg: 20 Reflexionsfragen für moderne Organisationen

Transparenz ist das Herzstück erfolgreicher Teams. Sie schafft Vertrauen und fördert Zusammenarbeit. Wenn alle Zugang zu den notwendigen Informationen haben, können sie fundierte Entscheidungen treffen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Dies führt zu höherer Effizienz, schnelleren Entscheidungsprozessen und besseren Arbeitsergebnissen. Transparenz ist mehr als ein Schlagwort – es gilt, sie greifbar zu machen, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln und es in die Praxis umzusetzen. Wie das gelingt und welche Vorteile es für Euer Team und Eure Organisation bringt, erkunden wir im Folgenden.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Zu viel zu tun? Planen Sie Ihre ideale Woche

Wir hören immer wieder, dass Teams zu viel zu tun haben. Aber woher wissen wir eigentlich, was zu viel genau bedeutet? Hier ist ein ungewöhnlicher Tipp: Treffen Sie Annahmen über eine gute Menge. Planen Sie eine ideale Woche.

Wenn dein Team die Anforderungen blockt: 12 Tipps für Product Owner*innen

Liebe Product Owners, wir müssen reden. Schon wieder eine Anforderung, die im Nirgendwo landet? Zeit, das Ganze anders anzugehen. Ihr kennt das Spiel: Anforderungen sind ausgearbeitet, und doch läuft es im Team holprig. Was fehlt? Oft sind es Klarheit, realistische Erwartungen und ein bisschen Fingerspitzengefühl. Doch keine Sorge! Mit ein paar praktischen Tipps könnt ihr Missverständnisse vermeiden, Blockaden umgehen und den Entwicklungsprozess so richtig in Fahrt bringen – natürlich in Zusammenarbeit mit eurem Scrum Master. Hier sind zwölf Regeln, die euch helfen, das Team auf Kurs zu bringen und das Chaos in produktive Zusammenarbeit zu verwandeln. Wir zeigen dabei auch, wo der Scrum Master unterstützen kann, damit ihr eure Rolle als Product Owner noch besser erfüllen könnt. Häufige Stolperfallen: Warum Anforderungen oft scheitern Bevor wir ins Eingemachte gehen, kurz zu den typischen Stolperfallen. „Klare Anforderungen“? Klingt gut, scheitert aber sehr häufig an der realen Praxis. ...

Rebellieren für den Wandel: die 8 Regeln des totalen Stillstandes von Prof. Dr. Peter Kruse

In einem legendärem Vortrag skizzierte Peter Kruse 8 Regeln des totalen Stillstands. Ihm zufolge wurden die Regeln entwickelt, um Managern und Führungskräften dabei zu helfen, Bereiche mit potenziellem Widerstand gegen Veränderungen zu erkennen und Menschen auf strukturierte Weise durch den Veränderungsprozess zu führen.

Pragmatisch oder nur “Quick and Dirty”?

“Wir müssen aber pragmatisch vorgehen”, drängt der Kollege. Hm… Im Wörterbuch finde ich für “pragmatisch” in etwa: sachbezogenes, praktisches Handeln. Klingt gut. Leider zeigt sich in meinen Erfahrungen, dass pragmatisch für viele doch eher “quick and dirty” bedeutet. Es soll schnell fertig werden. Aber auf welche oder wessen Kosten? Wo ist die Grenze? Warum steht “praktisch” im Konflikt mit einem langfristigen “Nützlich”? Muss das sein?

Und jetzt alle zusammen! Teams - OneNote - Aufgaben - To Do

Ein Meeting jagt das nächste. Sich da nicht zu verzetteln, wird  im Zeitalter virtueller Besprechungen  noch anspruchsvoller. Kein Wunder, dass  im Zusammenhang mit Microsoft 365  zwei Fragen besonders häufig auftauchen: Wie dokumentiert man Besprechungen gut? Was hilft, offene Aufgaben nachzuhalten? Eine gute Lösung: Das in MS Teams integrierte OneNote-Notizbuch als gemeinsame Plattform auch für den Aufgabenüberblick zu nutzen.

Kategorien in Outlook - für das Team nutzen

Kennen Sie die Kategorien in Outlook? Nutzen Sie diese? Wenn ja wofür? Wenn ich diese Fragen im Seminar stelle, sehe ich oft hochgezogene Augenbrauen. Kaum jemand weiß, was man eigentlich mit diesen Kategorien machen kann und wofür sie nützlich sind. Dieser Blogartikel stellt sie Ihnen vor.

5 Gründe, warum wir jetzt über die Zukunft nachdenken sollten

Wer hätte im Jahr 2019 gedacht, dass so viele Menschen heute im Home-Office arbeiten können und dass die Firma trotzdem funktioniert? Wer hätte damals gedacht, dass wir heute wie selbstverständlich KI-Werkzeuge nutzen können? Ich will mich nicht der Aussage anschließen, dass sich die Welt immer schneller dreht. Es ist egal, wie schnell sie sich dreht, weil es sich immer lohnt, über die Zukunft nachzudenken. Und das muss nicht kompliziert sein.

Meetings in Scrum Teams: Mehr Fokus, weniger Kontextwechsel

  Meetings in Scrum Teams: Mehr Fokus, weniger Kontextwechsel  „Wir arbeiten agil“ – das bedeutet für viele von uns: Daily Stand-up am Morgen, dann Refinement, dazwischen eine Demovorbereitung, später noch ein kurzes Scrum of Scrums (SoS) und am Nachmittag ein Community-Meeting. Gleichzeitig soll ich an meinen Sprint-Aufgaben arbeiten. Wenn dir diese Situation bekannt vorkommt, les dir gerne meinen Beitrag an. Hier sprechen wir über den Einfluss von häufigen Kontextwechseln auf die Arbeit in agilen Teams und zeigen Best Practices, um diese Wechsel zu minimieren. Viel Spaß & Let’s grow, Michi.  Foto von Matt Bero auf Unsplash