Direkt zum Hauptbereich

Führungskräftetraining (Lektion 25): Der Mythos vom Alphatier

Das Bild des Alphatiers stammt aus der Biologie und zeigt, dass keine ordentliche Gruppe ohne eine gescheite Hierarchie und innere Konkurrenzkämpfe auskommt. Insbesondere Gutmenschen neigen dazu, sich an diesem natürlichen Grundgesetz vorbeimogeln zu wollen. Teamworkblog, immer um Risikominderung für seine Leser bemüht, gibt auch hier wieder praktische Hilfestellungen. Dieses Mal trifft es die Führungskräfte.

Als Alphatiere bezeichnet die Verhaltensforschung Mitglieder einer Tierherde oder eines Tierrudels, die dort über besondere Rechte verfügen. Wenn es sich um männliche Alphatiere handelt (es gibt auch Tierarten mit weiblichen Alphatieren!), dann sind es meistens die einzigen, die sich mit den weiblichen Herdentieren paaren dürfen. Oft haben sie auch Vorrang bei der Nahrungsverteilung.
Beispiele für Alphatiere bei Säugetieren sind der Leitstier bei den Hausrindern oder „Silberrücken“ bei den Gorillas. So weit, so unbestritten. /1/  Besondere Bedeutung haben aber Studien über Wölfe erlangt. Rudolph Schenkel verwendete in einem Artikel von 1947 erstmals die Begriffe „Alphatier“ und „Betatier“. /2/

Abb. 1: Das Alphatier im Wolf (Canis Lupus)

Übertragung auf den Menschen

Und von diesen Wolfsstudien aus fanden die Begriffe ihren Weg in die Betriebssoziologie. Jemanden mit einer hohen beruflichen Stellung als „Alphatier“ zu bezeichnen, war immer mit einer Mischung aus Bewunderung und negativem Unterton verbunden. Also etwa: „Er ist zwar rücksichtlos und kämpft seine innerbetrieblichen Konkurrenten mit harten Bandagen nieder, aber er macht das auch wirklich erfolgreich und es entspricht im Übrigen dem natürlichen Lauf der Dinge.“

Dass es in Gruppen, in denen es um produktive Arbeit geht (also um Jagdmethoden, Rollen im Jagdrudel und Verteilung der Beute wie auch um Zugang zu Weibchen – um im Wolfsbild zu bleiben), immer
  • eine Hierarchie geben muss,
  • dass diese Hierarchie mit Privilegien bei der Beuteverteilung verbunden ist
  • und dass es immer innere Konkurrenzkämpfe gibt
wurde zum stehenden Vorurteil.

Ich erinnere mich an eine Fortbildung zur Transaktionsanalyse, die ich Ende der 90er Jahre besuchte. Der Trainer berichtete von einer eigenen Erfahrung als Berater der Führungsmannschaft eines sehr großen Internetproviders. Endlose Hahnenkämpfe um Macht und Privilegien. Er schloss seine Schilderung mit den Worten: „Bei Führungskräften muss und darf das auch so sein, und das rechtfertigt ja auch unser hohes Beraterhonorar.“

Bloß leider ist es Nonsens

Das Problem war nur, dass die ganze Wolfstheorie auf fehlerhaften Beobachtungen beruhte. David Mech, ein Biologe, hatte Anfang der 70er Jahre noch die These vom hierarchischen Wolfsrudel unterstützt. Nach 13jährigen Beobachtungen in der kanadischen Wildbahn – also an frei lebenden und nicht in Gefangenschaft im Zoo gehaltenen Wölfen – kam er dann zu ganz anderen Schlüssen. Danach bestehen Wolfsrudel in der Regel aus Familien oder Familienverbänden. Das sind 1 bis 3 Wolfspaare zusammen mit ihren Sprösslingen bis zu einem Alter von drei Jahren. Die älteren Wölfe haben eine Erziehungsfunktion gegenüber den Wolfskindern, aber kein Dominanzverhalten innerhalb der Generation erwachsener Wölfe. /3/

Wenn man es sich als Nichtbiologe überlegt, macht das auch Sinn. Wölfe sind Raubtiere, das unterscheidet sie von den oben zitierten Hausrindern  (Ochsen brauchen wirklich einen Leitstier!) und von Gorillas. Zweitens jagen Wölfe im Rudel, das unterscheidet sie von Katzenartigen wie Löwe oder Leopard. Wer in der Gruppe jagt, muss aber die Beute verteilen. Sonst haben nämlich die anderen Rudelmitglieder kein Interesse daran, mitzujagen.

Menschen haben, bevor sie sesshaft wurden, auch in Gruppen gejagt. Also die ersten ca. 2.990.000 Jahre ihrer Evolutionsentwicklung. Es gibt deshalb wirklich einige Parallelen zwischen angeborenen Verhaltensweisen bei Mensch und – Hund. Und eine solche Parallele besteht eben darin, dass Menschen wie Wölfe – wenn man sie nicht umerzieht – einen relativ großen Aufwand treiben, um gerade Konkurrenzkämpfe im Innern der Gruppe zu vermeiden und zu schlichten. Das hält Gruppen stabil – eine elementare Voraussetzung für den Jagderfolg (die produktive Arbeit im Team).
Insgesamt sind Wölfe Meister im Konfliktlösen. Sie vermeiden Auseinandersetzungen, wann immer es geht. (…) Kein Anführer eines Wolfsrudels kann seine Schutzbefohlenen zu etwas zwingen. Kooperation geschieht freiwillig, ‚Gehorsam‘ spielt im Wolfsrudel keine Rolle.“ /4/

Der Mensch als Wolf


Jede historische Epoche hat ihre inneren Verfassungen in die Natur hineininterpretiert, um sie dann aus ihr als ewige moralische Lehre wieder abzuleiten. Das galt für den Sozialdarwinismus, das gilt auch heute für die Theorie vom Alphatier. Die Gesellschaft sieht in die Natur hinein – und sieht doch nur ihr eigenes Spiegelbild dort wieder.

Abb. 2: Der Mensch als Wolf (Homo homini lupus)

In unserer heutigen Epoche sehe ich zwei Tendenzen im Widerstreit. Die eine Tendenz ist das Streben nach Selbstorganisation in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Die andere Tendenz ist die zu einer Ökonomie des „The Winner Takes It All“.

Diese Ökonomie wird in der Wirtschaftspresse wie in vielen Titeln der Ratgeberliteratur gefeiert. Biografien von Steve Jobs, von Unternehmen wie Amazon oder Google machen das Bild vom Alphatier zum Gegenstand moderner Heldenverehrung. Gern würde sich diese Ökonomie des „The Winner Takes It All“ auch mit Vorbildern in der Natur rechtfertigen. Aber damit ist es leider nicht mehr weit her.

Anmerkungen

Kommentare

  1. Lieber Wolf,

    vielen Dank, dass Du mit einer der sehr weitverbreiten und unangenehmen "Urban Legend" aufräumst, die unter Menschen allgemein, und unter Managern im Besonderen grassiert, und zu so unglaublich viel Unzufriedenheit (um nicht zu sagen: Leid) führt. Und dies noch nicht einmal nur bei jenen, die unter Alpha-Gehabe leiden, sondern auch unter jenen, die intuitiv merken, dass das Alpha-Getue widernatürlich ist, und sich trotzdem aber dazu zwingen, weil es ja angeblich gefordert ist.

    Mir ist beim Lesen spontan das Buch "Kooperative Intelligenz. Das Erfolgsgeheimnis der Evolution" von Martin Nowak und Roger Highfield eingefallen. Nach meinem Dafürhalten untermauert es deine Hypothese big time. Eine lohnenswerte Lektüre! Nicht nur, sondern vor allem auch für Manager!

    Herzliche Grüße,
    Edgar

    AntwortenLöschen
  2. Vielen Dank für diesen Artikel. Dass der Mythos des Alphatiers beim Wolf inzwischen bereinigt wurde, war mir schon vor einigen Wochen aufgefallen. Schön die Übertragung auf den Menschen hier zu sehen.
    Ist es möglich, den Artikel auch auf dem Blog Initiative Wirtschaftsdemokratie nochmals zu bringen, da er dort gut passt?
    http://wirdemo.buergerstimme.com/
    Gerne auch mit Aufnahme als Autor dort :-)
    VG Martin

    AntwortenLöschen
  3. Klar, sehr gerne. Muss ich dafür etwas tun?

    AntwortenLöschen
  4. Wenn ich selbst den Artikel übertrage, nicht. Wenn ich einen Autoren-Account einrichten soll, schon. Ich kann dann aber auch hier beim Übertragen behilflich sein. Eine Autoren-Vorstellung könnte dann auch interessant sein, siehe meine eigene: http://wirdemo.buergerstimme.com/2012/12/dr-martin-bartonitz/

    AntwortenLöschen
  5. ist es so ok?
    http://wirdemo.buergerstimme.com/2015/06/der-mythos-vom-alphatier/
    VG Martin Bartonitz

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das neue Outlook - One Outlook - erster Eindruck

Microsoft hat ein Problem: Outlook ist nicht gleich Outlook. Da ist das gute alte Outlook in der Desktop-Version. Das ist das, womit fast alle von uns im Alltag arbeiten und worüber ich hier schon oft berichtet habe. Outlook auf dem MAC sieht aber anders aus. Outlook auf Mobilgeräten sowieso. Dann gibt's noch Outlook im Web. Kein Wunder, dass Microsoft das alles entwirren, verschlanken und vereinheitlichen möchte. Gelingt es? Hier die interessantesten Funktionen des neuen Outlooks . 

Und jetzt alle zusammen! Teams - OneNote - Aufgaben - To Do

Ein Meeting jagt das nächste. Sich da nicht zu verzetteln, wird  im Zeitalter virtueller Besprechungen  noch anspruchsvoller. Kein Wunder, dass  im Zusammenhang mit Microsoft 365  zwei Fragen besonders häufig auftauchen: Wie dokumentiert man Besprechungen gut? Was hilft, offene Aufgaben nachzuhalten? Eine gute Lösung: Das in MS Teams integrierte OneNote-Notizbuch als gemeinsame Plattform auch für den Aufgabenüberblick zu nutzen.

Kategorien in Outlook - für das Team nutzen

Kennen Sie die Kategorien in Outlook? Nutzen Sie diese? Wenn ja wofür? Wenn ich diese Fragen im Seminar stelle, sehe ich oft hochgezogene Augenbrauen. Kaum jemand weiß, was man eigentlich mit diesen Kategorien machen kann und wofür sie nützlich sind. Dieser Blogartikel stellt sie Ihnen vor.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

E-Mail-Vorlagen gemeinsam nutzen (Outlook)

Mittlerweile wird praktisch alle Routine-Korrespondenz in Outlook erledigt. Was liegt da näher, als ein gutes Set von Vorlagen zu erstellen und diese gemeinsam in Team zu nutzen? Leider hat Microsoft vor diesen – an sich simplen – Wunsch einige Hürden gebaut.

Das Ubongo Flow Game

Spiele bieten eine gute Gelegenheit, zeitliche Erfahrungen zu verdichten und gemeinsam zu lernen. Karl Scotland und Sallyann Freudenberg haben im Mai 2014 das Lego Flow Game veröffentlicht. Wir haben die Spielidee übernommen, aber das Spielmaterial gewechselt. Statt Legosteinen benutzen wir Material aus Grzegorz Rejchtmans Ubongo-Spiel. Hier präsentieren wir die Anleitung für das Ubongo Flow Game.

Outlook-Aufgabenliste: bitte nicht die Aufgaben des ganzen Teams!

Am Tag der Arbeit kommt eine Lösung, nach der ich schon so oft gefragt wurde: Wie schaffe ich es, dass meine Outlook-Aufgabenliste nur meine eigenen Aufgaben anzeigt und nicht auch die E-Mails, die meine Kollegen gekennzeichnet haben oder Aufgaben, die einfach in einem gemeinsamen Postfach stehen?

Nie wieder Ärger mit Besprechungsserien in Outlook

Erstellen auch Sie Besprechungsserien in Outlook? Ärgern auch Sie sich manchmal darüber, wenn Sie etwas zu ändern haben? Falls nicht, versenden Sie entweder keine wiederkehrenden Outlook-Besprechungen (Serienterminen). Oder Sie ändern nie etwas daran. Dann ist dieser Artikel nichts für Sie. Lesen Sie aber bitte weiter, falls Sie sich schon immer mal gefragt haben, ob es eine Lösung gibt? 

"Denn sie wissen nicht was sie tun ...! Freigeben und teilen in OneDrive und SharePoint und per E-Mail

Neuerdings können Sie bei Ihren E-Mails entscheiden, ob Sie den Anhang als Datei (Kopie) anhängen wollen oder einen Link senden. Doch was kann dieser Link? Wie sicher ist er? Wer kann was damit tun? Lesen Sie hier was sinnvoll ist und was weniger.