„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ (Niels Bohr, dänischer Physiker, 1885 – 1962). Der Jahreswechsel markiert den stetigen Übergang des nebligen Morgen über das flüchtige Heute ins starre Gestern. Abrupt springt die Datumsanzeige um. Die ansonsten formlose Zukunft erhält ein plakatives Zeichen und nimmt plötzlich Gestalt an: „2014“. Der Gedanke an die Zukunft ist für uns Menschen nicht ohne Beklemmung zu fassen. Viele Rituale zum Jahreswechsel – wie Bleigießen, gute Vorsätze oder kollektive Berauschung - widmen sich dem Versuch, die beängstigenden Geister zu bannen.
Die diversen Krisen und Katastrophen seit dem Jahre 2000 – u.v.a. Platzen der Internet-Blase, 9/11, US-Hypothekencrash, Kathrina - haben das Sicherheitsgefühl auch in den mäßig wohlhabenden Schichten der Industrieländer grundlegend erschüttert. Die Bücher stellen dazu ein Echo dar, ein gebrochenes und reflektiertes.
Eines der Bücher zu diesem Thema stammt von Nate Silver. Die deutsche Ausgabe trägt den Titel „Die Berechnung der Zukunft“. /1/ Silver ist ein amerikanischer Statistiker, Wahlforscher und Autor, der in den USA vor allem für seine sehr sicheren Wahlprognosen bekannt ist. /2/ In seinem Buch stellt er seine Prognosemethoden vor und versucht, sie auf andere Wissensgebiete außerhalb der engen Wahlforschung zu übertragen.
Ich kümmere mich hier nur um einen Aspekt des Buchs: Was können wir als Einzelne und als selbstorganisierende Teams aus dem Buch für unsere Praxis lernen? /3/
Spontan formulieren wir unsere Eindrücke – wenn wir ihnen überhaupt sprachlichen Ausdruck in unserem inneren Dialog verleihen – meist in der Form starrer Urteile.
Im Hintergrund wird nämlich immer das Gegenteil mitgedacht: Also wenn jemand nicht „arrogant“ ist, dann ist er „unsicher“ oder gar „verklemmt“. Ein nicht „herrlicher“ Urlaub war ein „Reinfall“. Eine Aufgabe hat man „glänzend gelöst“ oder man ist an ihr „gescheitert“.
Probieren wir das an einem der obigen Beispiele:
Ich musste mir nämlich beim Umformulieren überlegen, was „arrogant“ für mich eigentlich bedeutet (nämlich: „Wenn jemand immer Probleme hat …“,;jemand anderes würde Arroganz für sich bestimmt anders definieren). Und ich musste die Zahl 100% hinschreiben, damit wirklich der gleiche Inhalt rauskommt wie beim ersten Urteil. Aber bin ich mir wirklich 100%ig sicher? Worin könnte seine Chance bestehen, mein Urteil zu modifizieren? Wie könnte er meine Sicherheit erschüttern?
Das bedeutet in der Praxis zuerst einmal die Bereitschaft (und die Fähigkeit), dauernd zwischen Reflexion und Metareflexion hin- und herzuspringen. Also nicht nur etwas zu denken, nicht nur einfach ein Urteil zu fällen, sondern immer wieder sich befragen: „Was sind die Gründe und Belege für mein Urteil?“
Es bringt bessere Ergebnisse, wenn man die eigenen Urteile in der Schwebe hält und sie sich selbst gegenüber als Wahrscheinlichkeiten fixiert. Und es bringt nicht nur bessere Ergebnisse, sondern es dient auch meiner Entwicklung und inneren Balance. Denn auf der einen Seite gebe ich mir selbst gegenüber zu, dass all meine Urteile über die Welt unsicher sind. Sie können nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit stimmen. Aber gleichzeitig macht diese Denkweise mich aktiver und flexibler mit den Risiken von Fehlurteilen. Das möchte ich gerne in weiteren Artikeln genauer darstellen.
Ein Folgeartikel erschien am 14. Januar 2014: „Denken in Wahrscheinlichkeiten ist nicht sexy“.
http://www.teamworkblog.de/2014/01/denken-in-wahrscheinlichkeiten-bringt.html
/2/ Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2008 prognostizierte Silver die Teilergebnisse in allen 50 US-Bundesstaaten korrekt, mit Ausnahme von Indiana. Ähnliche Erfolge hatte er bei der Voraussage bei amerikanischen Senatswahlen.
/3/ Wer ein umfassendes Urteil über Silvers Buch haben möchte, muss die einschlägigen Rezensionen (vor allem der amerikanischen Ausgabe von 2012) lesen. Das Buch hat 554 Seiten (ohne die Anmerkungen), und mein Artikel behandelt davon vielleicht 20%. Das Buch ist zu einem großen Teil Themen wie den Finanzmärkten, der Pharmaforschung, den Rechenmethoden von Schachcomputern usw. gewidmet. Silver überträgt seine Erkenntnisse aus Wahlforschung und der Schätzung von Baseball-Ergebnissen auf diese Felder. Zum Teil sehr interessant, aber außerhalb unseres Fokus‘.
Das untergrabene Sicherheitsgefühl
Und einige Menschen schreiben Bücher mit dem gleichen Zweck. Kann man Prognosen über die Zukunft erstellen, die in gewissem Maße verlässlich sind? Wenn ja, kann man diese Verlässlichkeit schon zum Zeitpunkt der Prognose irgendwie abschätzen?
Die diversen Krisen und Katastrophen seit dem Jahre 2000 – u.v.a. Platzen der Internet-Blase, 9/11, US-Hypothekencrash, Kathrina - haben das Sicherheitsgefühl auch in den mäßig wohlhabenden Schichten der Industrieländer grundlegend erschüttert. Die Bücher stellen dazu ein Echo dar, ein gebrochenes und reflektiertes.
Eines der Bücher zu diesem Thema stammt von Nate Silver. Die deutsche Ausgabe trägt den Titel „Die Berechnung der Zukunft“. /1/ Silver ist ein amerikanischer Statistiker, Wahlforscher und Autor, der in den USA vor allem für seine sehr sicheren Wahlprognosen bekannt ist. /2/ In seinem Buch stellt er seine Prognosemethoden vor und versucht, sie auf andere Wissensgebiete außerhalb der engen Wahlforschung zu übertragen.
Ich kümmere mich hier nur um einen Aspekt des Buchs: Was können wir als Einzelne und als selbstorganisierende Teams aus dem Buch für unsere Praxis lernen? /3/
Die Beschränkung unserer festen Urteile
Eine der wichtigsten Botschaften Silvers ist: „Wir sollten lernen, in Wahrscheinlichkeiten zu denken statt in Wahr/Falsch-Alternativen“, oder wie der Autor selbst es formuliert: „Probabilistisch denken!“
Spontan formulieren wir unsere Eindrücke – wenn wir ihnen überhaupt sprachlichen Ausdruck in unserem inneren Dialog verleihen – meist in der Form starrer Urteile.
- Wir lernen jemanden kennen: „Der ist aber arrogant!“ (oder „nett“ oder „überlegen“ oder „dumm“ oder oder).
- Wir stellen uns ein Urlaubsziel vor: „Das wird bestimmt herrlich!“
- Unser Team überträgt uns eine Aufgabe: „Das ist überhaupt nicht zu schaffen!“
Im Hintergrund wird nämlich immer das Gegenteil mitgedacht: Also wenn jemand nicht „arrogant“ ist, dann ist er „unsicher“ oder gar „verklemmt“. Ein nicht „herrlicher“ Urlaub war ein „Reinfall“. Eine Aufgabe hat man „glänzend gelöst“ oder man ist an ihr „gescheitert“.
Formulieren in Wahrscheinlichkeiten
Formulieren in Wahrscheinlichkeiten bedeutet, zwischen den Werten schwarz und weiß noch Grautöne zuzulassen. Aus dem Satz „x ist bestimmt y!“ wird ein Satz der Form „Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand schätze ich die Wahrscheinlichkeit, dass x = y ist, etwa P%.“ Diese Umformung funktioniert oft nur, wenn man die Voraussetzungen seines Urteils explizit mit nennt (wozu man vorher nicht verpflichtet war).
Probieren wir das an einem der obigen Beispiele:
- „Der ist aber arrogant!“
- „Ich bin mir 100%ig sicher, dass er in allen künftigen Gesprächen Probleme haben wird, andere Argumente als die seinen wahrzunehmen.“
Ich musste mir nämlich beim Umformulieren überlegen, was „arrogant“ für mich eigentlich bedeutet (nämlich: „Wenn jemand immer Probleme hat …“,;jemand anderes würde Arroganz für sich bestimmt anders definieren). Und ich musste die Zahl 100% hinschreiben, damit wirklich der gleiche Inhalt rauskommt wie beim ersten Urteil. Aber bin ich mir wirklich 100%ig sicher? Worin könnte seine Chance bestehen, mein Urteil zu modifizieren? Wie könnte er meine Sicherheit erschüttern?
Das bedeutet in der Praxis zuerst einmal die Bereitschaft (und die Fähigkeit), dauernd zwischen Reflexion und Metareflexion hin- und herzuspringen. Also nicht nur etwas zu denken, nicht nur einfach ein Urteil zu fällen, sondern immer wieder sich befragen: „Was sind die Gründe und Belege für mein Urteil?“
Es bringt bessere Ergebnisse, wenn man die eigenen Urteile in der Schwebe hält und sie sich selbst gegenüber als Wahrscheinlichkeiten fixiert. Und es bringt nicht nur bessere Ergebnisse, sondern es dient auch meiner Entwicklung und inneren Balance. Denn auf der einen Seite gebe ich mir selbst gegenüber zu, dass all meine Urteile über die Welt unsicher sind. Sie können nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit stimmen. Aber gleichzeitig macht diese Denkweise mich aktiver und flexibler mit den Risiken von Fehlurteilen. Das möchte ich gerne in weiteren Artikeln genauer darstellen.
Ein Folgeartikel erschien am 14. Januar 2014: „Denken in Wahrscheinlichkeiten ist nicht sexy“.
http://www.teamworkblog.de/2014/01/denken-in-wahrscheinlichkeiten-bringt.html
Anmerkungen
/1/ Nate Silver: Die Berechnung der Zukunft. Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen; Heyne Verlag, 2013, ISBN 978-3-453-20048-7. Das Original erschien 2012 unter dem Titel „The Signal and the Noise“ (also: Das Signal und das Rauschen). Ein weiteres Buch zum Thema ist „Anti-Fragilität“ von Nassim Taleb, das wir auch in einem der nächsten Blogartikel vorstellen wollen.
/2/ Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2008 prognostizierte Silver die Teilergebnisse in allen 50 US-Bundesstaaten korrekt, mit Ausnahme von Indiana. Ähnliche Erfolge hatte er bei der Voraussage bei amerikanischen Senatswahlen.
/3/ Wer ein umfassendes Urteil über Silvers Buch haben möchte, muss die einschlägigen Rezensionen (vor allem der amerikanischen Ausgabe von 2012) lesen. Das Buch hat 554 Seiten (ohne die Anmerkungen), und mein Artikel behandelt davon vielleicht 20%. Das Buch ist zu einem großen Teil Themen wie den Finanzmärkten, der Pharmaforschung, den Rechenmethoden von Schachcomputern usw. gewidmet. Silver überträgt seine Erkenntnisse aus Wahlforschung und der Schätzung von Baseball-Ergebnissen auf diese Felder. Zum Teil sehr interessant, aber außerhalb unseres Fokus‘.
Dieser Ansatz gefällt mir ausgespriochen gut. Denn meine Urteile fälle ich aufgrund gemachter Erfahrung und damit erhaltenem Wissen. Und mit zunhemendem Wissen merken wir, dass wir eigentlich viel zu wenig wissen und daher jede Beurteilung mit Fehlern behaftet sein wird. Und da sind wir dann direkt bei der Wahrscheinlichkeit, richtig zu liegen ...
AntwortenLöschensuper Artikel!
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