Direkt zum Hauptbereich

Lean Estimating: vorläufiges Kochrezept

Lean und agile Methoden folgen dem Prinzip „enough design up front“. So vermeiden sie zu viel Design, überflüssige Detailplanung etc. Damit bleiben sie agil. Agile-Kritiker bemängeln allerdings, dass dieser Ansatz eine Tür für schlampige, unkontrollierte Arbeit offen lässt. Sie spotten, „Über eine mit Agile gebaute Brücke möchte ich nicht fahren“ (/1/).

Deshalb stellen sich die Fragen: Wie viel Design, Planung oder Analyse ist genug? Woher weiß ich, dass ich den Punkt erreicht habe? Wie überzeugen wir den Lenkungsausschuss, das Team oder den Kunden, dass weniger Planung ausreicht bzw. dass mehr Planung notwendig ist?

Die Antwort ist einfacher als man denkt und kann sogar mit belastbaren Zahlen belegt werden. Der Clou liegt in unseren Mess- und Schätzverfahren, die für Geld, menschliche Ressourcen, Nutzen etc. gleichermaßen angewendet werden können. Für ein „Lean Estimating“ müssen wir nur ein paar Zutaten in unsere Planungssuppe werfen (/2/).

Die erste Zutat für schlanke Schätzungen ist ein klares Verständnis über deren Zweck. Wir messen, analysieren, schätzen und planen aus nur einem Grund: um Entscheidungen zu ermöglichen. Wollen wir dieses Projekt? Haben wir die Ressourcen dafür? Sind die Anforderungen realisierbar? Kennen wir die Risiken? Geleitet durch dieses Verständnis wird die Antwort auf unsere Frage „wie viel ist genug“ leichter. Wenn wir genug wissen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen, dann haben wir ausreichend gemessen bzw. geplant.

Ziemlich lean, oder? Wir benötigen aber noch eine klarere Definition von „genug“, wenn wir jemand überzeugen möchten. Hierfür berechnen wir den Wert der Informationen. Dieser Wert ist gleich dem durch die Analyse vermiedenen Verlust.
Ein vereinfachtes Beispiel: Wenn ein Projekt € 1 Mio. verspricht, € 750.000 kostet, aber ein 33,3% Risiko für Totalverlust hat, beträgt unser erwarteter Verlust € 250.000 (/3/). Durch bessere Planung oder das Bauen eines Prototyps könnten wir das Risiko vielleicht auf 10%, also auf einen erwarteten Verlust von € 75.000, reduzieren. Nach diesem Ansatz könnte man bis € 175.000 für Planung oder Prototypenbau rechtfertigen, da wir uns so gleich dem ursprünglichen Szenario stehen. Allerdings ist die Realität noch besser, denn die Verkleinerung auf 10% ist wahrscheinlich mit nur einem Bruchteil dieses Betrags möglich.
Demzufolge ist die zweite Zutat das Senken der Unsicherheiten hinsichtlich der vorliegenden Entscheidung. Deshalb machen wir die ganze Analyse und Planung. Wir erzielen damit zwar keinen wissenschaftlichen Beweis, aber eine bessere Entscheidung. Im Beispiel oben wären 20 Personentage für die Planung nur ein Klacks. Diese Menge ist „genug“, weil dieses Investment deutlich kleiner ist als der erwartete Verlust. 

Der wirkliche Feind von einem Lean/Agile-Ansatz ist nicht die Wasserfall-Methode, sondern die Erwartung, dass Planung und Design perfekte, risikolose Zahlen liefern. Das können sie nicht, und das müssen sie auch nicht. Sie müssen nur unsere Unsicherheit reduzieren.

Die dritte Zutat im Lean Estimating Rezept ist die Anwendung von Wahrscheinlichkeiten im Schätzungsprozess. Wahrscheinlichkeiten, im Gegensatz zu Mittelwerten, stellen die Entscheidungen auf ein nachvollziehbares Fundament, zumindest in Hinblick auf die Unsicherheiten. Durchschnittswerte führen in die Irre, da sie die Varianzen nicht in die Betrachtung miteinbeziehen. Das wissen wir vom Statistikkurs. Aber wie passt das zu Projekten?
Image © Dixie Allen,
Used by permission /5/
Noch ein einfaches Beispiel macht es klar: Wenn ein Plan aus fünf Parallelaktivitäten besteht, und jede Aktivität durchschnittlich 10 Tage dauert, reizt uns der Gedanke, dass ein Team von fünf Personen in 10 Tagen fertig sein könnten.  Allerdings beträgt die Chance hierfür nur 3% (1:32), da alle fünf Aktivitäten innerhalb von 10 Tagen fertig sein müssten. Wir werden erst dann fertig sein, wenn die letzte der fünf Aktivitäten erledigt ist (/4/).
Deshalb sollten wir unsere Schätzungen so ausdrücken: „Wir haben eine 90% Chance, den Plan innerhalb von fünf bis 15 Tagen zu erledigen“. Und nicht: „Die durchschnittliche Fertigstellungsdauer beträgt 10 Tage“. Beide Aussagen können gleichzeitig wahr sein. Aber die erste Aussage berücksichtigt die Unsicherheiten und bietet dadurch eine deutlich bessere Entscheidungsgrundlage. Wer’s nicht glaubt, der fragt die Giraffe, die in einem Zoo lebt, dessen Gebäude auf die durchschnittliche Größe der Tiere zugeschnitten sind.

Fazit: für agile Schätzungen ist „genug“ der Punkt, wo wir 90% sicher sind, dass die Realität innerhalb unserer geschätzten Spannbreite liegt. Diese Denkweise gibt dem „enough design up front“ ein klare Bedeutung, ohne utopische Planungsstandards aufzusetzen.

Versuchen Sie es. Lassen Sie uns Ihre Erfahrungen wissen.

Anmerkungen


Kommentare

  1. Das ist eine auch für "erdverbundene" Manager sehr gut nachvollziehbare Argumentation!
    Übrigens: Die Erwartung, dass Planung und Design perfekte, risikolose Zahlen liefern habe ich bisher noch bei keinem Manager angetroffen. Wohl aber immer wieder mal heftige Zweifel, dass die vorgelegten groben Konzepte (= JEDUF) und Risikoabschätzhungen auch nach wirtschaftlich angemessenem Analyseaufwand vaild sind.
    Und da kommen wir in das selten angesprochene Feld der bewussten Verantungsübernahme als UNTERNEHMER. Und damit zur Frage nach der Macht und tatsächlichen Verantwortung von Managern innerhalb der heute gegebenen Unternehmesstrukturen...

    AntwortenLöschen
  2. Ja, richtig.

    Wir haben wohl eine paradoxe Situation: die Manager wollen häufig eine einfache Schätzung "das Projekt wird 233 Personentage benötigen", aber sie zweifeln daran, dass mehr Planung/Analyse notwendig ist. NICHTDESTOTROTZ treffen die Manager auf diese Basis mal Entscheidungen über Projekte mit größere Summen.

    Die "heftig Zweifel" des Managers liegt häufig an einem Misstrauen des Prozesses. Er hat noch nicht verinnerlicht, dass nur eine Reduktion der Unsicherheiten möglich ist, und in dem Moment muss er unternehmerisch vorgehen - nämlich ein Risiko eingehen.

    Deshalb stimme ich 100% zu, dass wir an die Entscheidungsstrukturen in Unternehmen arbeiten müssen. Darf ich als Mittelmanager Sachen probieren? Sind Fehlern erlaubt? Können wir konstruktiv "nein" zu sinnlosen Projekten sagen?

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das neue Outlook - One Outlook - erster Eindruck

Microsoft hat ein Problem: Outlook ist nicht gleich Outlook. Da ist das gute alte Outlook in der Desktop-Version. Das ist das, womit fast alle von uns im Alltag arbeiten und worüber ich hier schon oft berichtet habe. Outlook auf dem MAC sieht aber anders aus. Outlook auf Mobilgeräten sowieso. Dann gibt's noch Outlook im Web. Kein Wunder, dass Microsoft das alles entwirren, verschlanken und vereinheitlichen möchte. Gelingt es? Hier die interessantesten Funktionen des neuen Outlooks . 

Kategorien in Outlook - für das Team nutzen

Kennen Sie die Kategorien in Outlook? Nutzen Sie diese? Wenn ja wofür? Wenn ich diese Fragen im Seminar stelle, sehe ich oft hochgezogene Augenbrauen. Kaum jemand weiß, was man eigentlich mit diesen Kategorien machen kann und wofür sie nützlich sind. Dieser Blogartikel stellt sie Ihnen vor.

Und jetzt alle zusammen! Teams - OneNote - Aufgaben - To Do

Ein Meeting jagt das nächste. Sich da nicht zu verzetteln, wird  im Zeitalter virtueller Besprechungen  noch anspruchsvoller. Kein Wunder, dass  im Zusammenhang mit Microsoft 365  zwei Fragen besonders häufig auftauchen: Wie dokumentiert man Besprechungen gut? Was hilft, offene Aufgaben nachzuhalten? Eine gute Lösung: Das in MS Teams integrierte OneNote-Notizbuch als gemeinsame Plattform auch für den Aufgabenüberblick zu nutzen.

E-Mail-Vorlagen gemeinsam nutzen (Outlook)

Mittlerweile wird praktisch alle Routine-Korrespondenz in Outlook erledigt. Was liegt da näher, als ein gutes Set von Vorlagen zu erstellen und diese gemeinsam in Team zu nutzen? Leider hat Microsoft vor diesen – an sich simplen – Wunsch einige Hürden gebaut.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Outlook-Aufgabenliste: bitte nicht die Aufgaben des ganzen Teams!

Am Tag der Arbeit kommt eine Lösung, nach der ich schon so oft gefragt wurde: Wie schaffe ich es, dass meine Outlook-Aufgabenliste nur meine eigenen Aufgaben anzeigt und nicht auch die E-Mails, die meine Kollegen gekennzeichnet haben oder Aufgaben, die einfach in einem gemeinsamen Postfach stehen?

"Denn sie wissen nicht was sie tun ...! Freigeben und teilen in OneDrive und SharePoint und per E-Mail

Neuerdings können Sie bei Ihren E-Mails entscheiden, ob Sie den Anhang als Datei (Kopie) anhängen wollen oder einen Link senden. Doch was kann dieser Link? Wie sicher ist er? Wer kann was damit tun? Lesen Sie hier was sinnvoll ist und was weniger.

Nie wieder Ärger mit Besprechungsserien in Outlook

Erstellen auch Sie Besprechungsserien in Outlook? Ärgern auch Sie sich manchmal darüber, wenn Sie etwas zu ändern haben? Falls nicht, versenden Sie entweder keine wiederkehrenden Outlook-Besprechungen (Serienterminen). Oder Sie ändern nie etwas daran. Dann ist dieser Artikel nichts für Sie. Lesen Sie aber bitte weiter, falls Sie sich schon immer mal gefragt haben, ob es eine Lösung gibt? 

Das Ubongo Flow Game

Spiele bieten eine gute Gelegenheit, zeitliche Erfahrungen zu verdichten und gemeinsam zu lernen. Karl Scotland und Sallyann Freudenberg haben im Mai 2014 das Lego Flow Game veröffentlicht. Wir haben die Spielidee übernommen, aber das Spielmaterial gewechselt. Statt Legosteinen benutzen wir Material aus Grzegorz Rejchtmans Ubongo-Spiel. Hier präsentieren wir die Anleitung für das Ubongo Flow Game.