Direkt zum Hauptbereich

Design Thinking, Scrum und Improvement Kata im Vergleich

Ein aufmerksamer Leser hat uns Feedback zu unserem Buch "Unternehmenssoftware einführen" (https://leanpub.com/unternehmenssoftwareagileinfuehren/) gegeben. In der Diskussion kam die Frage auf: "Wie unterscheidet sich Euer Vorgehen mit Scrum eigentlich von Design Thinking oder Verbesserungs-Kata?" Eine gute Gelegenheit für einen Blogbeitrag.

Bevor wir die Begriffe vergleichen können, sollten wir klarstellen, was mit ihnen gemeint ist.

Was ist Scrum?

Scrum ist die populärste agile Arbeitsweise. Scrum versteht sich als Arbeitsrahmen für Teams, der gut für unsichere Ausgangssituationen geeignet ist. Scrum ist eine Feedbackmaschine. Durch das Feedback aus kurzen Arbeitszyklen findet das Team den richtigen Weg heraus. Softwareentwicklung ist ein Beispiel für solche Situationen. Deswegen ist Scrum dort auch sehr verbreitet.

Um das Feedback zu organisieren, pflegt der Auftraggeber (der sog. Product Owner) eine Liste sowohl mit konkreten als auch mit groben Ideen (das sog. Product Backlog). Die Ideen, die ihm am wichtigsten sind, werden nach oben priorisiert und feiner ausgearbeitet (Refinement). Der Auftraggeber trifft sich in regelmäßigen Abständen mit einem Team, das ihm hilft, die Ideen umzusetzen. Dabei wird darauf geachtet, dass das Team verschiedene Kompetenzen abdeckt, um als ganzes Team Dinge abschließen zu können.

Es gibt ein Planungsmeeting, bei dem die Aufgaben bis zum nächsten Treffen besprochen und konkret geplant werden (das sog. Sprint Planning, in dem das Sprint Backlog erstellt wird). Es gibt ein Auswertungsmeeting, bei dem sich Product Owner und Team die fertigen Arbeiten (das sog. Inkrement) ansehen und prüfen, ob der eingeschlagene Weg richtig ist oder ob nachgesteuert werden muss (der sog. Sprint Review). Anschließend setzt man sich zusammen, um die Arbeitsabläufe konkret zu verbessern (Sprint Retrospektive). Die Rolle Scrum Master achtet darauf, dass alle Beteiligten die neuen Regeln der Zusammenarbeit kennen und einhalten, ohne aber Scrum-Polizist zu sein.

Scrum wurde von Jeff Sutherland und Ken Schwaber entwickelt und populär gemacht. Der Scrum Guide listet die Spielregeln auf und ist kostenlos in verschiedenen Sprachen verfügbar: www.scrumguides.org. Scrum ist übrigens keine Abkürzung, sondern bedeutet im Englischen einfach Gedränge.

Was ist Design Thinking?

Design Thinking ist eine Vorgehensweise, die ursprünglich von Mitarbeitern der Design- und Innovationsberatungsfirma IDEO entwickelt wurde, um kreative Lösungen für schwierige Probleme zu finden. Als Entwickler gilt vor allem David Kelley, einer der Gründer von IDEO. Tim Brown, ebenfalls von IDEO, hat ein wichtiges Buch über Design Thinking ("Change by Design") geschrieben.

Viele Menschen halten sich nicht für besonders kreativ. David Kelley konnte beobachten, wie ein bekannter Psychologe Patienten mit Phobien behandelt hat. Schlüssel zum Erfolg war ein schrittweiser Prozess. Kelley und andere haben mit Design Thinking einen Prozess entwickelt, mit dem JEDER Mensch kreative Lösungen entwickeln kann:
  • Verstehe die Menschen, beobachte sie, sammle Daten. Entwickle Empathie für ihre Lage, um das wirkliche Problem zu verstehen.
  • Entwickle Idee und baue einfache Prototypen.
  • Teste Deine Ideen, sammle Daten und verbessere die Lösungen.
Während die meisten unter Design eine praktische und ästhetische Gestaltung von Gegenständen oder Prozessen verstehen, geht Design Thinking weiter. Weg vom Objekt, hin zur Gesamtlösung.

Bei Design Thinking ist es wichtig, dass man verschiedene Sichtweisen im Raum hat, um eine gute Lösung zu finden, die sowohl erstrebenswert, als auch technisch machbar und bezahlbar ist.

IDEO hat übrigens eine eigene Seite zu Design Thinking zusammengestellt: https://designthinking.ideo.com/

Was ist mit Katas gemeint?

Der Begriff Kata kommt aus dem Japanischen und steht für Bewegungsabfolgen bei Kampfsportarten wie Aikido oder Karate, die detaillierter festgelegt sind. Mike Rother hat die Begriffe Verbessungs-Kata und Coaching-Kata geprägt, nachdem er genauer untersucht hat, wie die Mitarbeiter und Führungskräfte bei Toyota Prozesse verbessern. In der Einzahl heißt es übrigens "die Kata".

Beim Beobachten hat Mike Rother festgestellt, dass die Mitarbeiter in der Produktion bei Toyota immer den gleichen Schritten folgen, wenn sie Dinge verbessern wollen. Aus dem Lean Management kennen wir viele Einzeltechniken, die bei Toyota entwickelt wurden, z. B. Kanban-Systeme, Kamishibai-Boards oder Heijunka-Boxen. Toyota hat aber nicht einfach Kanban erfunden. Stattdessen suchte man nach einer einfachen Lösung, den Umgang mit Nachschub zu regeln. Und es war auch nicht so, dass einfach einer auf die richtige Idee kam. Und es ist auch nicht, dass ein einmal eingeführtes Kanbansystem immer so bleibt.

Wenn es bei Toyota etwas zu verbessern gibt, wird zunächst ein Zielzustand definiert. Dann findet das Team heraus, was eigentlich der aktuelle Zustand ist. Anschließend macht man Experimente, um näher an den Zielzustand heranzukommen. Das kann durchaus Monate oder Jahre dauern. Wenn der Zielzustand erreicht ist, sucht man sich einen neuen Zielzustand und das Spiel geht von vorne los. Im Kern ist es also wissenschaftliches Arbeiten: Problem definieren, Situation genau beobachten, Daten sammeln, Experimente machen, weiter verbessern. Hier treffen wir auch den berühmten PDSA-Zyklus (auch Deming-Cycle genannt) wieder.

Wieso heißt es Kata? Mike Rother hat festgestellt, dass diese Arbeitsweise so gut eingeübt ist, dass die Mitarbeiter es nicht einmal merken. Sie heißt auch bei Toyota nicht so. Sie hat wahrscheinlich gar keinen besonderen Namen dort. Aber sie ist erlernt und wenn Toyota neue Fabriken aufmacht oder Produktionsstätten übernimmt, fehlen häufig gute Führungskräfte, die mit den anderen Führungskräften und Mitarbeitern die Verbesserungs-Kata üben.

Mike Rother hat auf seiner Webseite viel Material zur Verfügung gestellt: http://www-personal.umich.edu/~mrother/Materials_to_Download.html

Sehr gut ist aber auch sein Kata-Buch (in deutscher oder in englischer Sprache):
  • Rother, Mike ; Kinkel, Silvia: Die Kata des Weltmarktführers : Toyotas Erfolgsmethoden. 2. Aufl.. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2013.
  • Rother, Mike: Toyota Kata: Managing People for Improvement, Adaptiveness and Superior Results. Madison: McGraw Hill Professional, 2009.
Das E-Book zur deutschen Ausgabe gibt es übrigens nur über die Verlagswebseite.

Wann nutzt man was?

Scrum, Design Thinking und Verbesserungs-Kata arbeiten iterativ. Man arbeitet schrittweise auf einen guten Zielzustand hin:
  • Scrum liefert alle zwei Wochen ein neues Product Inkrement, bis das Produkt gut genug ist.
  • Bei Design Thinking baut immer wieder neue Prototypen, bis man eine gute Lösung gefunden hat.
  • Mit der Verbesserungs-Kata wird ein Ablauf immer wieder angepasst, bis ein guter Zielzustand erreicht wurde.
Alle drei Arbeitsweisen verlangen das Sammeln von echten Daten und ein wirkliches Einarbeiten in die Problemlage. Sind sie also austauschbar?

Nein, sind sie nicht. Jede Vorgehensweise wurde für eine bestimmte Situation entwickelt. Ich würde die Benutzungsreihenfolge so definieren: Design Thinking --> Scrum --> Verbesserungs-Kata.
  • Mit Design Thinking erarbeite ich mit künftigen Nutzern eine Idee, wie eine gute Lösung überhaupt aussehen soll. Es gibt einen oder ein paar Workshops und dann hört Design Thinking wieder auf.
  • Mit Scrum entwickle ich mit einem interdisziplinären Team ein konkretes Produkt für die Lösung. Häufig wird dafür ein Projekt aufgesetzt. Input für das Projekt sind die Ideen aus den Design Thinking Workshops, Output ist das fertige Produkt.
  • Wenn die Lösung in Betrieb ist, kann ich mich mit Katas weiter verbessern. Input ist das fertige Produkt bzw. die neuen Prozesse. Output sind die erreichten vereinbarten Zielzustände.
Der Anlass zu diesem Beitrag war eine Diskussion darüber, wie man Unternehmenssoftware einführt.

Im o. g. Buch nutzen wir Scrum als Arbeitsrahmen, um Unternehmenssoftware in eine Organisation einzuführen. Ob eine neue Software grundsätzlich eine gute Lösung ist, dafür setzt man eher einen oder mehrere Design Thinking Workshops an. (Nun ja, die Design Thinker unter den Lesern dieses Blog würden wahrscheinlich protestieren und sagen, dass für so ein profanes Problem die Design Thinking Zeit zu schade ist.) Wenn die neue Software im Betrieb ist und das Team für die Lösungsentwicklung aufgelöst wurde, dann können die Nutzer die Verbesserungs-Kata einüben, um auch den laufenden Prozess weiter zu verbessern.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Wie Agilität den Kundennutzen steigert - Einige Argumente für Berater:innen

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit fragen sich viele, ob agile Beratung noch eine Zukunft hat. Die Antwort liegt in der konsequenten Orientierung am Kundennutzen. Qualität setzt sich durch, wenn sie messbare Verbesserungen bei Umsatz, Kosten und Leistungsfähigkeit bewirkt, anstatt sich in Methoden und zirkulären Fragen zu verlieren. Dieser Artikel zeigt, wie agile Beratung nachhaltige Veränderungen in Unternehmen schafft und warum gerade jetzt gute Berater:innen gebraucht werden, um Organisationen widerstandsfähiger zu machen.

Warum eine Agile Transformation keine Reise ist

Die agile Transformation wird oft als eine Reise beschrieben. Doch dieser Vergleich kann viele Unternehmen in die Irre führen oder Bilder von unpassenden Vergleichen erzeugen. Transformationen sind keine linearen Prozesse mit einem klaren Ziel, sondern komplexe und dynamische Entwicklungen. Dieser Artikel zeigt, warum Agilität kein Weg mit einem festen Endpunkt ist.

Kleine Organisationsveränderungen, die direktes Feedback erzeugen

Große Veränderungen sind in einer Organisation schwer zu messen. Oft liegt zwischen Ursache und Wirkung ein langer Zeitraum, sodass die Umsetzer:innen nicht wissen, was genau gewirkt hat. Hier ist eine Liste mit kleinen Maßnahmen, die schnell etwas zurückmelden.

Agile Leadership – Führst du noch oder dienst du schon?

Die Arbeitswelt verändert sich. Und das spüren nicht nur Führungskräfte, sondern vor allem Mitarbeitende. Immer mehr Menschen hinterfragen den Sinn ihrer Arbeit, erwarten Respekt, Vertrauen und eine Unternehmenskultur, die echte Zusammenarbeit ermöglicht. Studien wie die Gallup-Studie 2025 oder die EY-Jobstudie zeigen: Der Frust am Arbeitsplatz wächst – und mit ihm die Unzufriedenheit mit der Führung. Höchste Zeit, umzudenken. Genau hier setzt agile Führung an. 1. Warum agile Führung heute entscheidend ist  Klassische Führung – hierarchisch, kontrollierend, top-down – funktioniert immer weniger. Die Zahlen sind eindeutig:  Laut Gallup fühlen sich nur noch 45 % der deutschen Beschäftigten mit ihrem Leben zufrieden. Fast jede dritte Kündigung erfolgt wegen der Führungskraft. Nicht das Gehalt, sondern mangelnde Wertschätzung, fehlendes Vertrauen und ein schlechtes Arbeitsumfeld treiben Menschen aus Unternehmen.  Agile Führung bietet eine Alternative, die auf Vertrauen, Selbs...

Ent-Spannen statt Platzen: Erste Hilfe für mehr Vertrauen und Resilienz im Team

Zwei Themen die mir in den letzten Wochen immer wieder über den Weg laufen sind Vertrauen und Resilienz. Vertrauen als das Fundament für gemeinsame Zusammenarbeit und Resilienz als die Fähigkeit, Herausforderungen, Stress und Rückschläge zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.  In dem Blogpost möchte ich ein paar Erste-Hilfe Interventionen teilen, die zu mehr Vertrauen und Resilienz im Team führen können - gerade wenn die Emotionen hochkochen und es heiss her geht im Team. Die „Mist-Runde“: Ärger Raum geben. In konfliktbeladenen oder belasteten Teams kann es eine große Herausforderung sein, eine offene Kommunikation und ein respektvolles Miteinander zu fördern. Eine einfache, aber äußerst effektive Methode, um Spannungen abzubauen, ist die „Mist-Runde“ . Diese Intervention, die ich zuerst bei Veronika Jungwirth und Ralph Miarka kennengelernt habe, gibt den Teilnehmern einen geschützten Raum, in dem sie ihre Frustrationen und negativen Gedanken ohne Zensur äußern können un...

Microsoft Lists: mit Forms und Power Apps komfortabel mobil arbeiten

In meinem Kundenkreis sind viele Menschen, die den Arbeitsalltag nicht vorwiegend auf dem Bürostuhl sitzend verbringen, sondern "draußen" unterwegs sind. Vielleicht in Werkstätten oder im Facility-Management. Es ist so wichtig, dass die Schnittstellen zu den Abläufen im Büro gut abgestimmt sind. Microsoft 365 hat so einiges im Baukasten, man muss es nur finden und nutzen.  In diesem Artikel spiele ich ein Szenario durch, das auf Microsoft Lists, Forms und - für die Ambitionierteren - Power Apps setzt.

Selbstbewertungsfragen für den Alltag in Arbeitsgruppen aus Sicht von Mitarbeitenden

Welche Fragen können wir Mitarbeiter:innen stellen, um herauszufinden, ob agiles Arbeiten wirkt? Es gibt bereits eine Menge an Fragebögen. Aber ich bin nicht immer zufrieden damit.