Die Digitale Transformation braucht Tempo. Also auch Konversation in Ruhe statt nur hektische Meetings
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„Gesprächsrunde“ (Quelle: siehe unten) |
Um diese beiden Trends geht es in diesem Artikel. Und eine Einladung zu einem Event „Impuls in der
Mittagspause“, in dem Stephanie Borgert eine konkrete Alternative vorstellt.
Zeitfresser Meetings
Dazu hat Jessica
Turner Ende 2024 ein interessantes Buch veröffentlicht „Online-Meetings mit
Fokus und Mehrwert“ (alle Quellen unten). Der Titel deutet schon an, dass viele
Meetings Fokus und Mehrwert vermissen lassen. Jessica nennt Zahlen: Eine
„Studie der Harvard Business Review … (2017) kommt zu dem Schluss, dass
Meetings – egal, ob online oder vor Ort – in den vergangenen Jahren an Länge
und Häufigkeit zugenommen haben, so dass Führungskräfte durchschnittlich fast 23
h pro Woche in Meetings verbringen. Im Vergleich dazu waren es in den 1960er
Jahren weniger als 10 h.“ (S. 44) Das heißt, unterm Strich sind wir (oder vor
allem Führungskräfte) in den letzten 60 Jahren unproduktiver geworden. Das sind Daten, die in fast keiner
Organisation, die ich kenne, überhaupt einmal erhoben werden. (Dafür ist keine
Zeit, weil wir ja in
Und Jessica fügt Ergebnisse aus ihrem eigenen Netzwerk dazu, die die
zeitliche Belastung nach Kategorien von Meetings aufgliedern. Dabei zeigt sich,
dass vor allem Meetings der Synchronisation, Koordination und der
hierarchischen Kontrolle das Zeitbudget belasten, während produktive Meetings wie Workshops – bei denen Ergebnisse erarbeitet
werden – nur geringe Zeitkontingente ausmachen. (S. 45)
Das ist der eine
Aspekt der Unzufriedenheit von Mitarbeiter:innen wie von Führungskräften, und
dazu liefert das Buch eine Fülle von Erfahrungen und Ratschlägen.
Das mangelnde Mindset der Mitarbeiter
Das zweite Thema, das
breit behandelt wird, ist der Widerstand der Mitarbeiter gegen Projekte. Wenn
es um agile Projekte geht, ist auch das „Agile Mindset“ der Beschäftigten
beliebt bzw. die Beschwerden über den Mangel an einem solchen. Häufig kleidet
sich die Klage über die Mitarbeiter in beraterliche Tipps, wie der
Widerspenstigen Zähmung zu geschehen habe. Über den Grund dafür weiter unten.
Ich möchte mich auf
ein Beispiel konzentrieren, und zwar ein Online-Paper von Kraus&Partner,
„Transformation Experts“ (unten in den Quellen stehen noch andere Beispiele). Dazu
distanziere ich mich zu Beginn von mir selbst: Eine Kritik an Beraterkollegen
hat immer etwas Denunziatorisches. Meine Kritik ist aber nicht vernichtend
gemeint, sondern ergänzend: „Eure Ratschläge sind alle nützlich, aber sie
blenden einen Aspekt aus, und auf diese Lücke möchte ich hinweisen. Nicht
mehr.“
Aber auch nicht weniger. Der Autor von Kraus&Partner formuliert zu Beginn: „Veränderungsprozesse erfordern häufig, dass Mitarbeitende Privilegien und alte Gewohnheiten aufgeben“ (Hervorhebung von WS). Und formuliert vier Grundsätze im Umgang mit Widerstand:
- Ohne Widerstand keine Veränderung.
- Widerstand als „verschlüsselte Botschaft“
- Ignorierter Widerstand bremst den Wandel
- Widerstand als Weckruf.
Punkt 2 will ich etwas
ausführlicher darstellen: „Widerstand ist selten grundlos – oft steckt eine ‚verschlüsselte
Botschaft‘ dahinter, die es zu entschlüsseln gilt. Ängste vor
Arbeitsplatzverlust, Unsicherheiten in Bezug auf neue Technologien oder Zweifel
an der Umsetzungskraft sind nur einige der Emotionen, die Mitarbeitende
empfinden können. Diese emotionalen Gründe sind oft der Kern des Widerstands
und sollten als solcher ernst genommen werden.“
Dieser Punkt entwertet
weitgehend das, was im obigen Satz gesagt wurde. Wenn es stimmt, dass
Mitarbeiter:innen „Privilegien“ aufgeben müssen (vielleicht sogar der
Arbeitsplatz), dann müsste doch die erste Frage sein: Stimmt das oder stimmt
das nicht? Ist der Arbeitsplatz gefährdet oder nicht? (siehe unten Anmerkung
/1/)
Zweite Anmerkung:
Warum muss ich überhaupt etwas „entschlüsseln“? Ich kann doch die Leute fragen.
Oder sie aktiv beteiligen.
Der 5. Grundsatz für den Umgang mit Widerstand: Beteiligt die Betroffenen!
Und zwar von Anfang
an: Bezieht die Gesichtspunkte der Betroffenen in die Zielfindung eines
Transformationsprojekts mit ein!
Die Erzählung vom Widerstand der Mitarbeiter, den sie den
Änderungsprojekten angeblich entgegensetzen, hat ja zur Voraussetzung, dass das
Projekt in seinen wesentlichen Inhalten schon feststeht. Wider-Stand
richtet sich ja gegen einen Stand, also etwas, das fest-steht und zu Fall
gebracht werden soll. Und dann kommen die Mitarbeiter, entwickeln „Emotionen“
und machen nicht mit. Es ist ein Bild aus der traditionellen Familie: die
Eltern bestimmen, wohin der Wochenendausflug geht, und die Kinder maulen.
Aber Mitarbeiter sind keine Kinder, die mit den eigenen Emotionen noch
nicht umzugehen wissen. Warum müssen Ziele immer von der obersten
Hierarchieebene beschlossen werden, ohne die Betroffenen (und ihre
Prozesskenntnisse!) einzubeziehen und dann hinterher den Widerstand
auszutricksen? Warum sie nicht als mündige Personen behandeln, auf die Risiken
der ins Auge gefassten Veränderungen ansprechen und sie zur Lösungsfindung
einladen? Zu gewagt, zu riskant, zu modern? Oder das „Kapital“ der
Führungskräfte gefährdend, so dass diese auch auf einmal „Emotionen“ bekommen?
Das Problem dabei ist: Wir wissen nicht, wie man so etwas macht. Wenn die
Ziele eines Projekts einmal definiert sind, gibt es Super-Vorgehensweisen wie
Scrum. Aber die Stufe davor, wie wir zu den Zielen kommen, wird
geflissentlich ausgeblendet. Deshalb verfügen wir auch über keine erprobten
Frameworks, wie wir Ziele definieren können für Projekte, die keine
Top-Down-Projekte sein sollen. (Auch so eine Ratschlagsinflation zurzeit, „wie
ich eine Digitalisierungsstrategie für meine Verwaltung aufstelle“.)
Ein neues Gefäß für Kommunikation wird gebraucht
Anmerkungen
In Transformationsprojekten verändern sich regelmäßig Zuständigkeiten und Rollen (Aufbauorganisation) wie auch Tätigkeiten und Prozesse (Abläufe). Das bewirkt (fast) immer Änderungen in der Verteilung des Kapitals in einer Organisation, vor allem des symbolischen Kapitals (und in der Folge bisweilen auch des realen, also finanziellen Kapitals). Jeder Mensch hat ein „Kapitalvermögen“ in Form seiner formellen Stellung in der Organisation (Entscheidungs- und Befehlsmacht) und seiner Expertisen und Skills.
Gerade in Verwaltungen, also in hierarchischen Expertenorganisationen, sind beide Vermögensformen extrem wichtig. Jetzt kommt das Projekt „Digitale Transformation“. Sofort wird ein Teil des Expertisekapitals der Mitarbeiter entwertet – verschiedene Arten von Expertise in verschiedenem Ausmaß. Wie man etwas macht, wie das Formular aussieht, wie die Kontaktaufnahme durch Bürger aussieht, wie man eine Beschlussvorlage schreibt – alles Schnee von gestern. Umgekehrt wird Wissenskapital aufgewertet: wie man ein KI-Tool verwendet, um sich erstmal einen Berichtsentwurf schreiben zu lassen – wer das schon mal gemacht hat, steht plötzlich gut da. Vielleicht besser als der Vorgesetzte, der 20 Jahre älter ist.
Mit Verlaub, liebe Transformation Experts, die Ängste vor Kapitalverlusten sind keine „emotionalen Gründe“ – das sind reale Gründe. Es geht um Besitz, um Vermögen – und eine Transformation bedroht Besitz. „Privilegien“ nennen das Kraus&Partner, was schon eine Abwertung darstellt, denn Privilegien sind ein ungerechtfertigter Vorteil. Aber die Expertise eines Sachbearbeiters, der lange Jahre in der Verwaltung arbeitet und einen Schatz an Wissen aufgehäuft hat, ist nichts, was er sich nicht verdient hätte. Oder gar der Arbeitsplatz selbst – ein „Privileg“?
Quellen und weitere Literatur
Stephanie Borgert:
Gemeinsam denken, wirksam verändern. Organisationaler Diskurs als Schlüssel zum
Change, Vahlen, 2024, 200 Seiten, 24,90 €, ISBN Print: 978-3-8006-7295-0
Eine sehr gute
Rezension von Peter Bauer findet ihr im Blog des Forums Agile Verwaltung e.V.: https://agile-verwaltung.org/2024/06/27/rezension-gemeinsam-denken-wirksam-verandern-von-stephanie-borgert/
Jessica Turner:
Online-Meetings mit Fokus und Mehrwert: Schluss mit Kalender-Tetris – wie
virtuelle Besprechungen effizienter werden, Springer Gabler, 2024. ISBN
978-3-662-69048-2 (Print), 213 Seiten
Kraus & Partner: Die 4 Grundsätze des Widerstandes (Change)
Ganz ähnlich: Dardo Consulting: 10 Tipps für den Übergang mit
Widerstand in Change-Prozessen
Quelle von Bild 1: Wikimedia
Commons, Heinrich-Böll-Stiftung Gesprächsrunde (14770082996)
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