Nehmen wir an, jemand hat keine Lust oder keine Zeit, an einem Training für Scrum Master teilzunehmen. Vielleicht sagt jemand auch, dass er sich die Themen lieber erst einmal selbst beibringen will, bevor er ein Training macht. Es gibt eine Vielzahl von Büchern zu Scrum. Mit welchen Büchern oder anderem Material sollte man starten? Hier ist eine Liste zum Einarbeiten.
Was erwarten scrum.org, Scrum Inc. und Scrum Alliance von Scrum Master:innen?
Es gibt viele Anbieter, die einem helfen, ein:e Scrum Master:in zu werden. Ich beschränke mich hier auch scrum.org, Scrum Inc. und Scrum Alliance, weil diese Organisationen von den Scrum-Erfindern Ken Schwaber oder Jeff Sutherland gegründet wurden.
- Die scrum.org hat eine Seite mit Professional Scrum Competencies zusammengestellt. Von dort aus kann man sich durch die einzelnen Themen durcharbeiten.
- Die Scrum Inc. hat ebenfalls ein Ausbildungsprogramm. Auf dieser Seite finden sich ausführliche Lernziele (eng. Learning Objectives).
- Die Scrum Alliance hat eine Einstiegseite zur Zertifizierung zum Scrum Master. Ziemlich weit unten gibt es einen Link zu einer PDF-Datei mit den Learning Objectives für CSMs.
In der ersten Zertifizierungsstufe wird im Prinzip abgefragt, ob jemand den Scrum Guide und die Denkweise hinter Agilität verstanden hat.
Diese Listen wurden von kompetenten Trainer:innen zusammengestellt. Wer sich auf eine Prüfung bei einem dieser Anbieter vorbereitet, tut gut daran, diese Listen zu kennen.
Ich habe zwei Kritikpunkte daran: ich finde sie zum einen zu lang. Zum anderen braucht man doch einige Zeit, um dieses Wissen und diese Sprache in den betrieblichen Alltag zu übersetzen. Viele Scrum-Begriffe werden den übrigen Mitarbeiter:innen erst einmal nichts sagen und eher verwirren. Deswegen habe ich mich nach Quellen umgeschaut, die vielleicht etwas verständlicher sind.
Was ist die Aufgabe von Scrum Master:innen?
Das ist der Job: Scrum Master:innen müssen (wie alle mittleren Führungskräfte) die Lieferfähigkeit ihrer Teams und Organisationen signifikant verbessern.
Scrum Master sind keine Kindergärtner. Sie sind keine (Psycho-) Therapeuten und keine Psychologen. Sie sind keine Besserwisser und sie stehen nicht über ihren Teamkolleg:innen oder über den Führungskräften. Wie gute Trainer:innen verhelfen Scrum Master:innen ihren Teams zu Spitzenleistungen. Das erfordert Empathie, Kompetenz und Durchhaltevermögen.
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Das im Folgenden vorgestellte Wissen, dient dazu, Scrum Master:innen auf diese Aufgabe vorzubereiten.
Warum einlesen?
Warum muss man als neue:e Scrum Master:in das ganze Material lesen? Reicht da nicht die Praxis? Reichen nicht die offiziellen Scrum-Kurse?
Ich bin mit der Qualität der Scrum Master:innen NICHT zufrieden. Es gibt doch immer noch viele, die ihren Job von der Verbesserung nicht verstanden haben. Dieser Punkt wird - wenn man genau hinhört - auf den Trainings auch angesprochen. Aber, dass dieser Punkt wesentlich ist, bleibt nicht hängen.
Viele Kurse gehen gut auf die Mechanik von Scrum ein. (Das ist ja auch das Ziel der Kurse.) Aber für die Hintergründe und Zusammenhänge bleibt keine Zeit. Die müsst Ihr Euch selbst nehmen. Ich habe für Euch gute und relevante Quellen herausgesucht. Es ist immer noch viel, aber es ist das Wesentliche.
Plant Euer Lernen und reseviert Euch jede Woche Eure Lese- und Nachdenkzeit. Noch besser wird es, wenn Ihr zu zweit oder zu dritt arbeitet. Die Diskussion über die Texte verbessert Euer Verständnis.
Was muss ein:e Scrum Master:in wissen?
Jeff Sutherland, einer der Miterfinder von Scrum listet vier Themenbereiche auf, mit denen sich ein Scrum Master auskennen sollte:
- Kenntnis des Scrum Guides
- Kenntnis von Lean Thinking für die kontinuierliche Verbesserung und für die Produktentwicklung
- Kenntnis der Scrum Patterns
- Kenntnis über skaliertes Scrum, d. h. wie koordinieren mehrere agile Teams ihre Arbeit.
Ken Schwaber, der andere Miterfinder, betont stets die Wichtigkeit eines empirischen Vorgehens und eines angemessenen Umgangs mit komplex-adaptiven Systemen.
Wenn Ihr die folgende Leseliste durchgearbeitet habt, habt Ihr folgendes Wissen:
- Was sind die wesentlichen Begriffe bei Scrum und wie ist Scrum entstanden?
- Wie kann ich einem Team helfen, seine Leistung zu verbessern? Wie mache ich es durch Training flexibler? Wie reduziere ich unnötige Konflikte? Wie formuliere ich Zielzustände und wie sorge ich täglich für die Verbesserung der Lieferfähigkeit? Wie rede ich mit Teammitgliedern, damit sie sich selbst verbessern?
- Auf welche Themen muss ich im Alltag achten, um die Produktivität des Teams zu verbessern?
- Wie können mehrere Teams gemeinsam an Ergebnissen arbeiten?
Mit diesem Wissen könnt Ihr souveräner mit Euren Teams und mit Führungskräften kommunizieren. Ihr könnt Dinge verständlicher erklären. Ihr wisst, worauf Ihr wirklich achten müsst, um bessere Ergebnisse zu bekommen.
Eine geführte Leseliste
Wie liefert Euer Team Wert?
Jede Managementrolle, jeder Managementansatz muss sich daran messen lassen, ob die Organisation damit erfolgreicher ist. Das erreicht sie durch zufriedene Kunden, die für eine gute Leistung auch einen angemessenen Preis bezahlen. Dafür braucht man kompetente und fröhliche Teams. Die ersten Fragen lauten:
- Welchen Anteil hat Euer Team oder Eure Einheit am Umsatz?
- Wie hoch sind die Kosten für Euer Team oder Eure Einheit?
Die Fragen sind nicht immer leicht und auch nicht immer sofort zu beantworten. Aber wenn Ihr und Eure Teams die Antwort nicht wisst, wird sie jemand anders beantworten. Und diese Antwort wird Euch vielleicht nicht gefallen. Ein gutes Scrum Team weiß immer, was es wert ist.
Zum Einstieg in das Thema Business Value empfehle ich zwei Quellen:
- Christiaan Verwijs (ein erfahrener Scrum.org-Trainer) hat einen Beitrag über Five Types Of Value veröffentlicht.
- Die Trainer:innen der scrum.org haben einen kurzen Leitfaden mit vielen guten Kennzahlen zum Thema veröffentlicht. Man muss sich etwas durch den Text arbeiten. Aber es lohnt sich: Evidence-Based Management Guide
Was ist Scrum? Wie ist Scrum entstanden?
Zum Einstieg gibt es einen Blogbeitrag von mir: Wie liest man sich in Scrum und Agilität ein? Damit bekommt Ihr einen ersten Überblick. Ich empfehle, sich einen halben Tag zu reservieren und einigen Artikel aus dieser Übersicht zu folgen:
- Link zum Konferenzpaper der OOPSLA-Konferenz in Austin, bei der Scrum vorgestellt wurde.
- Ken Schwaber hat etwas über die Gründung der scrum.org geschrieben: The Genesis of the scrum.org
- Takeuchi and Nonaka: The Roots of Scrum: https://www.scruminc.com/takeuchi-and-nonaka-roots-of-scrum/ (incl. OODA-Loop)
- The First Scrum: Was it Scrum or Lean?: https://www.scruminc.com/is-it-scrum-or-lean/
- Artikel von Takeuchi und Nonaka "The New New Product Development Game"
- Roots of Scrum: Object Technology: https://www.scruminc.com/roots-of-scrum-object-technology/
- Das Agile Manifest (für Softwareentwicklung) mit seinen 12 Prinzipien.
Als Nächstes folgt der Scrum Guide. Vielleicht muss man den sogar mehrfach lesen. Am Anfang wirkt er etwas unverständlich, weil es viele neue Begriffe gibt. Aber jeder Scrum Master muss diese Begriffe kennen. Ich bin ganz froh, dass es den Scrum Guide als Referenz gibt.
Auf welche Ursprungsideen greift Scrum zurück?
Die Rolle Scrum Master hat eine lange Geschichte. Das erste Scrum-Team wurde zwar "erst" im Jahr 1993 aufgebaut. Aber die Konzepte hinter dieser Rolle gehen bis ins 19. Jahrhundert zurück.
Als ich das TWI-Programm kennenlernte, habe ich die Aufgaben des Scrum Masters viel besser verstanden. Das TWI-Programm ist die Mutter von Lean. Schaut Euch dieses Programm an. Dazu gibt es folgende Beiträge:
- Training within Industry – TWI – Oldies but Goldies von Christoph Roser. Am Ende dieses Artikels gibt es Verweise auf die einzelnen Ausbildungsprogramm Job Instructions, Job Relations und Job Methods. Christoph Roser hat kürzlich noch einen Beitrag über den Second Line Coach aus der TWI-Zeit geschrieben, den ich auch sehr gut finde.
- Hugh Alley hat einen leicht lesbaren Roman über die Anwendung der TWI-Programme geschrieben. Becoming the Supervisor gefällt mir wegen der Dialoge zwischen Coach und Coachee sehr gut. Da können sich Scrum Master viel abgucken.
- Das alte Job-Methods-Programm kommt inzwischen einem neuen Gewand daher, Toyota Kata. Mike Rother hat die wissenschaftliche Arbeitsweise im betrieblichen Alltag bei Toyota anschaulich beschrieben (auch wenn das bei Toyota niemand so nennen würde) und gute Fragen formuliert. Erfahrene Scrum Master:innen kennen die Inhalte der Kata-Bücher von Mike Rother. Zum schnellen Einstieg empfehle ich aber das Buch "Bringing scientific thinking to life: An introduction to Toyota Kata for next-generation business leaders" von Sylvain Landry. Joe Krebs hat mit Agile Kata eine Variante für agile Teams veröffentlicht.
Jetzt wisst Ihr vielleicht besser, was mit Lean Thinking gemeint ist.
Welche Muster zeigen gute Scrum Teams?
Jeff Sutherland und andere haben untersucht, ob es wiederkehrende Muster in guten Scrum Teams gibt. Und sie haben eine ganze Reihe gefunden. Einige Muster verdoppeln jeweils die Produktivität eines Teams, wenn man weiß, wie und warum man sie anwendet. Die Liste der Scrum Patterns ist kostenfrei im Netz verfügbar.
Jede:r Scrum Master:in sollte diese Liste, besser noch auch einige der Muster kennen. Zu jedem Muster gibt es eine kurze Beschreibung sowie Hintergründe und Literaturquellen. Nehmt Euch auch hier einen halben Tag Zeit, um die Patterns zu erkunden.
Nehmt Euch als Scrum Master:in immer wieder diese Muster vor und prüft, wie gut die schon in Eurer Organisation umgesetzt wurden.
Wie arbeiten mehrere Teams zusammen?
Wir wissen, dass Hierarchien nicht gut funktionieren. Jeff und andere Praktiker empfehlen eine fraktale Skalierung.
Fraktale Skalierung bedeutet, dass ein Teil immer wie das Ganze aussieht. Bei einem Scrum of Scrums vertritt eine Person ein ganzes Team. Für die anderen Vertreter der anderen Teams ist diese Person das Team.
Aus diesem und anderen Prinzipien heraus haben die scrum.org und die Scrum Inc. ihre Skalierungsmodelle entwickelt:
- The Nexus™ Guide: Mehrere Teams an einem Produkt
- The Official Scrum@Scale Guide: Mehrere Teams und mehrere Produkte in einer Organisation
Zur Synchronisation der verschiedenen Einheiten gibt es verschiedene Techniken, die aber alle das gleiche Ziel haben: Fokussieren, nicht ablenken lassen und gemeinsam etwas erreichen, was man als einzelnes Team nicht schaffen kann.
- OKRs: John Doerr ist wahrscheinlich der bekannteste Förderer von OKR. Auf seiner Webseite gibt es einen guten Einstieg: Get Started With OKRs. In Deutschland finde ich die Arbeit von Cansel Sörgens sehr gut. In ihrem Blog gibt es einen Einstiegsartikel: How does the OKR Process work? (Wenn Ihr Euch mit OKRs weiter beschäftigt, werdet Ihr von allein auf die guten Quellen stoßen.)
- Mich stört der Hype um OKRs etwas. Ich sehe die Gefahr, dass wieder nur eine Methode implementiert werden soll, ohne zu verstehen warum. Deswegen möchte ich Euren Blick etwas weiten. Seht Euch auch Strategy Maps, Balanced Scorecards und Hoshin Kanri als Methoden an. Die gehen zum Teil etwas anders vor. Aber das Ziel bleibt das gleiche.
Natürlich gibt es noch eine Reihe weiterer Themen und besonderer Praktiken. Aber die findet Ihr auch selbst heraus. Lasst Euch von den Details nicht ablenken. Scrum Master:innen haben die Aufgabe, die Produktivität ihrer Teams und der Organisation zu verbessern. Mit dem hier vorgestellten Wissen könnt Ihr das schrittweise tun.
Macht die Dinge beim Skalieren bitte nicht zu kompliziert. Versucht immer erst, den Teamschnitt zu verbessern. Je weniger Abhängigkeiten die Teams zu anderen Einheiten haben, desto schneller können sie liefern.
Jetzt habt Ihr eine Liste zur Einarbeitung. Andere Expert:innen sind eingeladen, Ihre Listen vorzustellen. Ich verlinke gerne darauf. Meine Wünsche: die Liste geht auf die wesentlichen Punkte ein und ist kurz. Sie soll eine Einarbeitungshilfe sein.
Ihr wollt mehr über Scrum wissen? Wir haben eine Übersichtsseite zu Scrum, über die man sich in die wichtigsten Artikel in diesem Blog einlesen kann.
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