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Neun Lügen über Arbeit, die wir nicht mehr glauben sollten

Es gibt sie noch, die "neuen" Erkenntnissen und Perspektiven, die helfen können, Arbeit besser zu machen. Auf der stetigen Suche nach diesen Einblicken wurde ich in einem Lean Coffee auf das Buch "Nine Lies about Work" /1/ von Marcus Buckingham und Ashley Goodall aufmerksam. Es verspricht, einige der gängigen Mythen über Arbeit, Organisationen und Führung zu entlarven.

Nine Lies about Work

Das Buch basiert auf umfangreichen Forschungen und Erfahrungen der Autoren, die beide als Experten für Leadership und Teamwork gelten. Sie identifizieren neun Lügen, die oft als Wahrheiten über Arbeit und Organisationen akzeptiert werden, und zeigen, warum sie falsch, irreführend oder schädlich sind. Für jede der Lügen bieten die Autoren eine Alternative an, die auf den tatsächlichen Bedürfnissen und Erfahrungen der Menschen basiert.

Lüge 1: Die Menschen kümmern sich darum, für welche Firma sie arbeiten

Team vor Firma

Laut den Autoren mag das für den Einstieg in eine Firma gelten. Anschließend zählt der Alltag, das faktische Erleben im Team bei der täglichen Arbeit viel mehr als theoretische/virtuelle Werte und Prinzipien einer Organisation. Im Team kann die Einzigartigkeit gelebt werden und in der Interaktion mit anderen Wertvolles geschaffen werden.

Wahrheit 1: Die Menschen kümmern sich darum, in welchem Team sie arbeiten

Lüge 2: Der beste Plan gewinnt immer

Zweck vor Plan

Pläne veralten schnell und werden dadurch irrelevant. Es ist wichtiger, sich an die Realität anzupassen, daraus zu lernen und sich auf detaillierte Echtzeit-Infos der Teammitglieder zu verlassen. Hierfür hilft es, ein intelligentes System zu entwickeln, um trotz Ungewissheit Probleme in Echtzeit erkennen und erfolgreich bewältigen zu können.

Wahrheit 2: Der beste Zweck gewinnt


Lüge 3: Die besten Unternehmen kaskadieren Ziele

Sinn/Zweck vor Zielkaskadierung

Ziele werden oft als zu abstrakt, willkürlich, widersprüchlich, fremdbestimmt, zu niedrig oder hoch angesetzt oder als Kontrollmechanismus wahrgenommen. Dadurch sind sie oft eher eine Einschränkung als ein Leistungsmotivator.

Wahrheit 3: Die besten Unternehmen kaskadieren Sinn und Zweck

Lüge 4: Die besten Menschen sind vielseitig

Multikönner vor Alleskönner

Viele Unternehmen verwenden Kompetenzmodelle, um die Qualitäten idealisierter Kandidaten zu definieren. Diese Modelle werden dann als Grundlage für die Einstellung, Schulung und Leistungsbewertung verwendet. Die Autoren führen einige Gründe auf, weshalb diese Kompetenzmodelle nicht funktionieren können. So haben Menschen einzigartige Stärken und Schwächen, weshalb es produktiver ist, diese zu erkennen und zu nutzen, als sie zu glätten oder zu ignorieren.

Wahrheit 4: Die besten Menschen sind "stachelige" Multikönner (in mehreren Gebieten und nicht überall gleichermaßen gut oder schlecht)

Lüge 5: Die Menschen brauchen Feedback

Aufmerksamkeit vor Feedback

Viele gehen davon aus, dass häufiges und offenes Feedback für Verbesserungen notwendig ist. Die meisten Rückmeldungen sind jedoch subjektiv, ungenau, voreingenommen, ineffektiv und können sogar demotivieren und die Leistung verschlechtern. Zudem sagt das Feedback mehr über Feedbackgeber als über Feedbacknehmer aus. Hier ist es besser, sich auf die positiven Aspekte des Gegenübers zu konzentrieren und den Menschen mit echter Offenheit und Neugier zu begegnen.

Wahrheit 5: Die Menschen brauchen Aufmerksamkeit

Lüge 6: Die Menschen können andere Menschen zuverlässig bewerten

Eigene Einschätzung vor Bewertung

Ähnlich wie beim Feedback sagen auch Bewertungen mehr über die Persönlichkeit und Bewertungsmuster der Bewerter als über die Leistung der Bewerteten aus. Die typischerweise unternommenen Versuche, solch unbrauchbaren Daten den Anschein von Gültigkeit und Seriosität zu geben verschlimmern die Problematik nur noch weiter. Stattdessen ist es fairer, explizit auf die Perspektive der Bewertenden einzugehen.

Wahrheit 6: Die Menschen sind zuverlässig, wenn es um die Bewertung der eigenen Gefühle bezogen auf ihre Erfahrungen geht

Lüge 7: Die Menschen haben Potenzial

Schwung vor Potenzial

Potenzial ist ein vages und begrenzendes Konzept. Trotzdem wird "Karriere" oft am, von anderen bewerteten (sh. Lüge 6), Potenzial festgemacht. Das Problem besteht darin, dass wegen Neuroplastizität & Co. alle Menschen Potenzial haben, dies aber nichts darüber aussagt, welche Leistung Menschen in der Interaktion mit anderen erbringen. Es ist sinnvoller, die Menschen bei ihren Leidenschaften, dort, wo sie dynamisch agieren oder sich engagieren wollen, zu unterstützen und ihnen nicht den Schwung (und die Motivation) zu nehmen. 

Wahrheit 7: Die Menschen haben Schwung

Lüge 8: Work-Life-Balance ist wichtig

Arbeitsfreude vor Balance

Die "Work-Life-Balance" ist ein weiteres gängiges, aber fehlerhaftes Konzept für den Arbeitsplatz. Es trennt die Arbeit generell vom Leben. In Wirklichkeit geht es darum, was wir lieben zu tun oder eben nicht. Die Wahrheit ist, dass Arbeit und Leben nicht grundsätzlich getrennt oder gegensätzlich sind. Es ist gesünder, eine harmonische Integration zu suchen und Stück für Stück die Arbeitsanteile, die man liebt und an denen man Freude hat zu verstärken.

Wahrheit 8: Die Liebe zur Arbeit ist wichtiger als die Balance

Lüge 9: Führung ist eine Sache

Interaktion vor Führung

Beim Thema Führung wird oft versucht, Checklisten mit bestimmten Eigenschaften, Fähigkeiten oder Kriterien abhaken zu können. Das spiegelt sich auch im Ablauf typischer Leadership Kurse wider. Wenn sich Menschen an anderen orientieren, dann jedoch an deren Besonderheiten (sh. Lüge 4). Die Wahrheit ist, dass es nicht eine einzige Definition oder einen einzigen Weg für gute Führung gibt. Vielmehr geht es darum, authentisch, empathisch und inspirierend zu sein.

Wahrheit 9: Menschliche Aktivität und Interaktionen sind entscheidend

Das Buch ist voller interessanter Geschichten und Beispiele, die die Argumente der Autoren illustrieren. Es regt zum Nachdenken an und fordert die Leser heraus, ihre eigenen Annahmen und Praktiken zu hinterfragen. Zusätzlich werden praktische Tipps und Werkzeuge angeboten, mit denen die beschriebenen Wahrheiten für eine bessere Arbeitskultur einsetzen lassen. Einige Argumentationsmuster finden bei der Entlarvung mehrerer Lügen Anwendung und hatten einen für mich angenehmen Wiedererkennungswert. Bei den einzelnen Lügen nutzen sie jeweils sehr ausführlich immer wieder die selben leicht abgewandelten oder verfeinerten Details. Diese ca. 50 % des Inhalts mögen der Vollständigkeit halber hilfreich sein. Für das Verständnis notwendige, zusätzliche Informationen bzgl. der Lügen und entsprechenden Wahrheiten enthalten sie meiner Ansicht nach jedoch nicht. Apropos: Auf hohen inhaltlichen Wiedererkennungswert dürften zudem jene Leser stoßen, die andere Werke der Autoren kennen. 

Ich stimme mit vielen der von den Autoren dargelegten Punkte überein und habe einige neue Einsichten gewonnen, deren Anwendung sich in der täglichen Arbeit lohnen kann. Die Idee, dass die Menschen Aufmerksamkeit statt Feedback (sh. Lüge 5) brauchen, fand ich beispielsweise sehr überzeugend. Es wird eine viel positivere und effektivere Alternative beschrieben, um die Motivation zu erhalten/unterstützen, anstatt zu zerstören.

Die Illusion der Bewertbarkeit und Relevanz von erhobenen Daten zum Potenzial von Menschen (sh. Lüge 7) wird anschaulich am Beispiel eines konkreten Werdegangs illustriert. Trotz subjektiver Ablehnung der Handlungsweisen der darin vorgestellten Hauptfigur hat die dahinterliegende Argumentation einen positiven Eindruck hinterlassen.

Ein Punkt, der keiner weiteren Argumente zu meiner Überzeugung bedurfte, war die Lüge, dass der beste Plan immer gewinnt (sh. Lüge 2). Die Autoren argumentieren, dass Pläne oft zu starr und zu detailliert sind, um auf die sich ständig ändernden Bedingungen adäquat reagieren zu können. Stattdessen sollten wir uns auf den Zweck unseres Tuns konzentrieren. Der Zweck sollte klar und inspirierend sein, aber auch flexibel genug, um Raum für Experimente und Anpassungen zu lassen. Das ist sehr ähnlich zu dem, was wir in der agilen Welt tun, wenn wir eine gemeinsame Vision und ein gemeinsames Ziel definieren, aber auch iterativ und inkrementell vorgehen, um das bestmögliche Ergebnis unter Berücksichtigung der aktuellen Lage zu erzielen.

Fazit

Ich fand das Buch sehr anregend, wenn auch teilweise etwas langatmig. Es stellt viele der vermeintlichen "Wahrheiten", Paradigmen, Annahmen und Praktiken in Frage, denen ich täglich begegne. Die Argumente und Beispiele der Autoren schätze ich vor allem dort, wo sie mich zum Nachdenken und Reflektieren gebracht haben. Ich denke, dass das Buch für jeden, der sich für agile Methoden, Organisationsentwicklung und Führung interessiert, nützlich und wertvoll ist. Es bietet eine frische und befreiende Sicht auf die Arbeitswelt, die sowohl provokant als auch praxisbezogen ist. Ich empfehle es jedem, der seine eigene Arbeit und die seiner Teams verbessern und besser verstehen möchte. Für tiefere Erkenntnis und die Suche nach "Fehlern" werde ich es mir sicherlich selbst auch noch einmal vornehmen.


Quellen, Weiterführendes & Co.

  • /1/ "Nine Lies About Work: A Freethinking Leader's Guide to the Real World" - Marcus Buckingham, Ashley Goodall (ISBN: 1633698033)
  • /2/ "Book Summary – Nine Lies About Work: A Freethinking Leader’s Guide to the Real World" https://readingraphics.com/book-summary-nine-lies-about-work/
  • /3/ "Nine Lies About Work - Here's the Summary" https://www.runn.io/blog/nine-lies-about-work-summary
  • /Bilder/ Generiert mit Bing, teilweise überarbeitet

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