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Der vertrocknete Wasserfall

"Entwickler hassen Scrum", so ein kürzlich auf LinkedIn veröffentlichter Beitrag. Doch welche Entwickler genau? Wie viele? Wo ist die Statistik, die diese Behauptung untermauert? Unsere nachforschenden Kommentare blieben unbeantwortet.

Scrum- und Agile-Bashing – aus welcher Ecke kommt das eigentlich?

Industrie 1.0 war geprägt von Wirtschaftswundern und somit hocherfolgreich. Warum dann überhaupt Industrie 2.0 oder 3.0? Weil die Probleme der Vergangenheit vielleicht gravierend waren, doch systemisch meistens vergleichsweise simpel und allerhöchstens kompliziert. In der Gegenwart ist wenig simpel, sehr viel kompliziert und noch viel mehr komplex. Tatsächlich explodiert die Komplexität dieser Tage. Das gilt für Unternehmen wie für Unternehmungen, die Politik wie für die Wirtschaft und die Umwelt. So gut wie nichts ist noch einfach.

Umso größer offenbar das Bedürfnis nach einfachen Lösungen.

Die Gegenwart wirkt wie eine ständige Überforderung. Die Zukunft verheißt Stress. Wandel ist gefordert. Und eine Herausforderung. Die Lösungswege und Strategien von gestern, im Wesentlichen Top Down und die Linien-Organisation von Industrie 1.0 als Modell, wurden für simple und komplizierte Herausforderungen entwickelt, nicht für komplexe. Sie funktionieren daher nicht mehr.

In der sich ständig weiterentwickelnden Landschaft des Projektmanagements und der Teamdynamik wird das Verständnis für die "richtige Arbeitsweise" zunehmend wichtig. Hier kommen Rahmenwerke wie Cynefin und die Stacey-Matrix ins Spiel. Cynefin etwa, entwickelt von Dave Snowden, ist ein Entscheidungsfindungsrahmen, der Führungskräften hilft, den Kontext, in dem sie arbeiten, zu verstehen. Es kategorisiert Probleme in einfache, komplizierte, komplexe und chaotische Bereiche, wobei jeder Bereich einen anderen Ansatz für Management und Entscheidungsfindung erfordert. Die Stacey-Matrix hingegen konzentriert sich auf den Grad der Sicherheit und Übereinstimmung bei Aufgaben. Mit Hilfe von Cynefin oder der Stacey-Matrix können Agile Coaches Teams dabei anleiten, die am besten geeigneten Methoden für ihre spezifischen Herausforderungen zu identifizieren, um Effizienz und Wirksamkeit zu steigern.

Der notwendige Übergang vom traditionellen Wasserfallmodell zu Agilität stellt eine tiefgreifende, auch disruptive, Veränderung in der Produktentwicklung dar. Wasserfall, gekennzeichnet durch seine linearen und sequenziellen Phasen, bietet Vorhersehbarkeit und eine klare Struktur, aber wenig Flexibilität. Im Gegensatz dazu beruht die agile Produktentwicklung auf Anpassungsfähigkeit, Zusammenarbeit und iterativem Fortschritt. Agile Methodologien wie Scrum und Kanban legen Wert auf kontinuierliche Verbesserung, Kundenfeedback und funktionsübergreifende Teamarbeit. Dieser Ansatz ermöglicht eine schnelle Reaktion auf Veränderungen. Dies ein entscheidender Vorteil in unseren heutigen schnelllebigen Marktumgebungen. Bei der Agilität liegt der Fokus auf der häufigen Lieferung kleiner, arbeitsfähiger Produktsegmente in sog. Iterationen. Diese werden meistens Sprints genannt und sind zeitlich getaktet. Ein Sprint dauert meistens zwei oder vier Wochen. Am Ende eines Sprints wird das sogenannte Inkrement präsentiert – ein funktionsfähiges Produktsegment.

Das Wasserfallmodell hingegen betont die Lieferung eines vollständigen, perfekten Endprodukts. Dessen Entwicklung erfolgt in langen, zeitlichen Zyklen, Monaten also bis Jahren. Mögliche Anpassung aufgrund veränderter Anforderungen oder auch fehlerhafter Entwicklungsschritte kann damit nicht wie in Sprints zeitnah erfolgen.

Entscheidende Werkzeuge der Agilität sind Story Mapping und agile Schätzungen. Story Mapping, eine von Jeff Patton entwickelte Methode, hilft Teams, ein Produkt mit seinen Anforderungen aus der Perspektive von Benutzer:innen zu visualisieren. Es ermöglicht ein gemeinsames Verständnis und eine Priorisierung von Aufgaben und stellt sicher, dass die Produktentwicklung mit den Bedürfnissen und Erwartungen der Benutzer:innen übereinstimmt. Agile Schätzungen, die Techniken wie Planning Poker einbeziehen, spielen eine entscheidende Rolle in der Sprintplanung. Sie ermöglichen es Teams, den für jede Aufgabe erforderlichen Aufwand abzuschätzen, um einen realistischen und erreichbaren Sprint-Backlog zu gewährleisten. Dieser Prozess fördert Transparenz und Zusammenarbeit, was zu einer genaueren Planung und Umsetzung führt.

Scrum, ein Rahmenwerk innerhalb von Agile, wird oft für seine Einfachheit und Wirksamkeit gelobt. So bietet der Scrum Guide eine klare, prägnante Reihe von Richtlinien für die Implementierung von Scrum. Die Herausforderung liegt jedoch in seiner praktischen Anwendung. Organisationen kämpfen oft mit dem kulturellen Wandel, der für Scrum erforderlich ist, da es ein hohes Maß an Zusammenarbeit, Selbstorganisation und Anpassungsfähigkeit von Teams verlangt. Die Schwierigkeit bei der Implementierung von Scrum ergibt sich aus verfestigten organisatorischen Hierarchien, Widerstand gegen Veränderungen und Missverständnissen über Agile-Methodologien. Trotz seiner scheinbaren Einfachheit erfordert Scrum ein tiefes Verständnis seiner Prinzipien und ein Engagement für kontinuierliche Verbesserung.

In den letzten Jahren ist "Agilität" zu einem Schlagwort geworden. Kritiker argumentieren, dass der Begriff seine Bedeutung verloren hat und zu einer allumfassenden Phrase für alles, was auch nur entfernt innovativ oder flexibel ist, geworden ist. Doch die Essenz der Agilität - die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen zu reagieren, kontinuierlich zu lernen und inkrementell Wert zu liefern - bleibt relevanter denn je. In einer Welt, in der Veränderung die einzige Konstante ist, können Organisationen es sich nicht leisten, Agilität als bloßes Schlagwort abzutun. Die Prinzipien von Agile, obwohl schwierig umzusetzen, bieten einen Weg, um die Komplexitäten der modernen Geschäftsumgebungen zu navigieren. Es führt keinen Weg daran vorbei; Agilität einzusetzen ist kein Trend, sondern eine Notwendigkeit, die das wirtschaftliche Überleben und den Erfolg in der heutigen schnelllebigen und sich ständig verändernden Landschaft überhaupt ermöglicht.

Als Agile Coach besteht die Reise darin, Teams durch die Komplexitäten moderner Arbeitsumgebungen zu führen, indem man Werkzeuge wie Cynefin und die Stacey-Matrix verwendet, Agile-Methodologien gegenüber traditionellen bevorzugt, die Wichtigkeit benutzerzentrierter Ansätze wie Story Mapping betont und die praktischen Herausforderungen bei der Implementierung von Rahmenwerken wie Scrum bewältigt. Agilität bleibt somit unverzichtbar bei unserem Streben nach Effizienz, Anpassungsfähigkeit und anhaltendem Erfolg.

Weil der Pfad der Veränderung und Adaption ein eher holpriger ist, weil hochanspruchsvoll und damit weniger eine Autobahn in die Zukunft, braucht es fachkundige Begleitung, um von diesem Weg nicht abzukommen.

Wir von Veraenderungskraft bieten genau das mit mit unserer Agile Coach Ausbildung: Sechs Module für methodisch fundierte Adaptivität.

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