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Tooling #7: Wie Problemlösung funktioniert. Oder: Die fünf Fragen der Toyota Kata.

Manchmal werde ich nach meinen wichtigsten Tools und Herangehensweisen gefragt. Heute soll es um die Frage gehen, wie sich schwierige Situationen verbessern oder Probleme lösen lassen. Was ja eigentlich IMMER irgendwie der Auftrag ist. :)

Foto: E. Rodehack

Coaching und Beratung wirkt manchmal wie Zauberei. Durch irgendwelches rätselhaft magisches Tun ist das, was vorher so schwierig war, zwar vielleicht noch nicht in bester, aber doch in guter Ordnung. 

Wie geht das? 

Diese Frage habe ich mir in der Vergangenheit oft gestellt. Und zwar dann, wenn ich mit (guten) Coaches, BeraterInnen oder MentorInnen zu tun hatte. Immer dann, wenn die Gespräche mit diesen Menschen meine schier unlösbaren Probleme schneller als gedacht aus der Welt geschafft hatten. In den meisten Fällen hatte niemand irgendetwas großartig „gemacht“. Wir hatten „nur“ gesprochen. 

Waren Zauberkräfte im Spiel? Was steckte dahinter?

Seit etlichen Jahren bin auch ich Teil der Coaching- und BeraterInnen-Zunft. Jener Gruppe also, die mit vermeintlich magischen Mitteln hantieren. Deshalb weiß ich auch schon seit längerem, dass – Achtung Spoiler-Alarm! - es (leider) NICHT Magie ist, was Menschen aus ihren schwierigen Situationen hilft. 

Sondern schlicht: Professionelles Handwerk. Mit allem, was dazugehört.

Heißt, dass BeraterInnen und Coaches 

  • die Situation ihrer Klienten offen und mitfühlend betrachten - also (erst einmal) genau zuhören und antizipieren. Und zwar mit möglichst wenigen bis keinen Vor(ab)urteilen.
  • sich und die gesamte Problem- UND Beratungs-Situation ständig selbst reflektieren
  • Denk- und Prozessstrukturen parat haben, die sie dann – je nach Situation - bewusst und offen benutzen („Angebote machen“)
  • also planvoll handeln

Die wichtigste Aufgabe ist, die Klienten zu Gedanken, Erkenntnissen und also auch ZU WORT kommen zu lassen klar. Dazu ist notwendig, gut getimt zu sprechen, heißt vor allem auch: NICHT zu sprechen und Pausen und Entwicklungen im Stillen zuzulassen (oder auch im Lauten, Expliziten). Das geschieht vor allem durch Fragen, manchmal sind aber auch Antworten, Inhalte und Widersprüche zu geben bzw. Impulse zu setzen. 

Foto: E. Rodehack (Aus Landry: Bringing scientific thinking to life)

Hilfesuchende Menschen sind in aller Regel auf ihr Problem fokussiert, so dass ihnen andere Dinge drumherum entgehen. So kann jene magische Illusion entstehen, die jede gute Zaubershow und auch viele Beratungen und Coachings ausmacht. 

Dieses „Show“-Element ist nicht nur ein netter Nebeneffekt. 

Im Gegenteil ist er für den Lösungsprozess wichtig. Denn durch diese „Magie“ lassen sich oft Dinge verändern, die VORHER unveränderbar erschienen. Und das ist ja eines der Hauptanliegen. 

Also: Gerne würde ich von mir selbst behaupten, ich hätte echte Zauberkräfte. Wie alle meine KollegInnen helfe ich Klienten jedoch „nur“ mit zwar professionellen, aber eben doch profanen Herangehensweisen und Techniken. 

Für alle, die jetzt enttäuscht sind: Das Gute ist, dass Coaches und BeraterInnen ihre Mittel weitergeben können - anders als Zauberer und ihre Kolleginnen, die aus guten Gründen ihre Tricks NICHT verraten dürfen.

Einer MEINER wichtigsten und grundlegendsten „Zaubertricks“ sind die „Fünf Coaching-Fragen der Toyota Kata“ von Mike Rother. 

Mit diesem Ansatz arbeite ich auf die eine oder andere Art IMMER. 

Foto: E. Rodehack

Denn es handelt sich hierbei nicht um IRGENDEIN Lösungsmodell. Vielmehr ist es DAS Alltagsprinzip von Lean. Und zwar genau so, wie es bei Toyota – bekanntermaßen der Heilige Gral des Lean Managements - tagtäglich gelebt wird. 

Kurz: Es ist ein grundsätzlicher Weg, mit dem sich wirksam komplexe, problematische oder konfliktreiche Situationen behandeln lassen. Menschen können damit zielgerichtet entscheiden, agieren und Dinge voranbringen. So, wie es jede Coaching- oder Beratungssituation erfordert./1/  

Der fünfstufige Prozess wird durch die folgenden Fragen strukturiert: 

  1. „What’s the target-condition?“
    Was wünschen wir uns generell und im Detail? Welche Situation streben wir idealerweise an? /2/

  2. “What’s the actual condition now?” 
    Was ist unsere Ausgangslage? Wie kam es dazu? Hilfreich (und wichtig) ist, die Hintergründe detaillierter zu beleuchten, weil sich sonst über die nächsten Schritte nicht gut und sicher genug entscheiden lässt: /3/
    a) Was ist zuletzt geschehen? Was wurde zuletzt getan? Wer? Wie?
    b) Warum? Was hatte wer/hatten wir dabei (konkret) erwartet?
    c) Was ist tatsächlich passiert?
    d) Was lernen wir daraus?

  3. “What obstacles are in our way?” 
    Was hindert uns jetzt oder generell? Mit welchen Schwierigkeiten ist zu rechnen? Um welche davon sollten oder müssen wir uns kümmern? Welche Hindernisse können wir realistischer und sinnvollerweise JETZT angehen? /4/

  4. “What’s the next step”
    Was ist der nächste konkrete Schritt, die nächste spezifische Maßnahme? Was erwarten wir uns davon? Welche KONKRETEN Ergebnisse erwarten wir? Welche erhoffen wir uns?

  5. „How quickly can we go and see what we have learned from taking that step.”
    Wann werten wir die Ergebnisse aus? Wie schnell können wir sicherstellen, dass wir die Ergebnisse kontrollieren und auswerten? Wann also können wir frühestens sehen (und daraus LERNEN), inwiefern unsere Maßnahmen erfolgreich waren? Um DANACH den Prozess zu wiederholen. So lange, bis wir dort angelangt sind, wo wir bzw. die Klienten generell hinwollen. 

So nachhaltig und lösungsorientiert mit schwierigen Situationen oder Problemen umzugehen, wirkt im ersten Moment simpel und logisch - und das zurecht! Bei näherer Betrachtung jedoch fällt auf, dass es ein ziemlich anderer Weg ist als der, den wir hierzulande in Ausbildung und Praxis einüben und gewohnt sind. Wir sind eher gefordert, schnelle punktuelle Maßnahmen zur Symptombekämpfung zu ergreifen statt analytisch und schrittweise eine nachhaltige, ganzheitliche Lösung zu erzielen./6/ 

Bei den „Fünf Coaching-Fragen“ geht es also darum, sich GEMEINSAM bewusst zu machen, was GRUNDSÄTZLICH erreicht werden soll. Um DANACH GEMEINSAM zu überlegen, welche MACHBAREN MASSNAHMEN uns realistischerweise diesen Ergebnissen näherbringen und was auf dem Weg dorthin zu erwarten ist. 

Es geht darum, sich den kleineren Zwischenschritten möglichst bewusst zu widmen, sie so kontrolliert und sicher wie möglich zu gehen, um danach GEMEINSAM daraus zu LERNEN. 

In Coaching und Beratung, in welchen sich die Situationen und Problemlagen meist schon so festgefahren haben,/5/ dass die betroffenen Menschen ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit verlieren, ist Letzteres meist schon ein wichtiger Erfolg. Denn so bekommen sie – wie durch Zauberhand - das Heft des Handelns Schritt für Schritt wieder in die Hand. 

Bis sie aus eigener Kraft (!) wieder die Ergebnisse erzielen, die sie erzielen wollen oder sollen.

Magisch. 

Sag ich doch. 😊



Edgars eigener Blog: www.trellisterium.de
Edgars Podcast: trellisterium.podbean.com 

Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de


Literatur

  • Landry, Sylvain: Bringing scientific thinking to life: An introduction to Toyota Kata for next-generation business leaders (and those who would like to be). Montreal (Quebec), 2022.
  • Roth, Gerhard; Ryba, Alica: Coaching, Beratung und Gehirn. Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte. Stuttgart, 2016.
  • Roth, Gerhard: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Stuttgart, 2011.
  • Roth, Gerhard: Über den Menschen. Frankfurt am Main, Berlin, 2021.
  • Rother, Mike: Die Kata des Weltmarktführers Toyotas Erfolgsmethoden. Frankfurt am Main, 2013.
  • Rother, Mike: The Toyota Kata Practice Guide. o.O. 2022

Anmerkungen

  • /1/ Die Fragen und das übergeordnete Denkmodell entstammen dem „Scientific Thinking“, das ein Grundpfeiler der Lean Idee ist. Der Ausgangspunkt von Lean Management sind bekanntermaßen die Strukturen bei Toyota. Mike Rother interessierte, wie Toyota die eigenen Lean Prinzipien im Firmenalltag KONKRET LEBT, weshalb er Toyotas Manager im Alltag begleitete und wiederkehrende Muster in ihren Herangehensweisen herausarbeitete: Was MACHEN Toyota Manager grundsätzlich in WELCHEN Situationen? Die Strukturen und Praktiken, die er bei seinen Studien fand – allen voran also z.B. die „Fünf Coaching-Fragen“ - nannte er „Toyota Kata“. In Anlehnung an fernöstliche Kampfkunst-Übungspraktiken („Kata“), die Kämpfer solange einzuüben haben, bis sie in Fleisch und Blut übergangen, also zu unbewussten Automatismen geworden sind.
  • /2/ Wir fragen nach den „Conditions“, also nicht nach einem Ziel, sondern nach Ziel-ZUSTÄNDEN. („Woran werden wir erkennen, dass wir das Ziel erreicht haben?“ – Eine klassische Coaching Frage. Was wie ein unwesentlicher Punkt aussieht, macht einen großen Unterschied. Denn es hilft Klienten aus einem oft abstrakten allgemeinen und deshalb tendenziell hilflosen Denk- und Fühlmodus heraus und in selbstwirksamere, konkretere denk- und handlungsorientierte Bahnen zu kommen.
  • /3/ Ansonsten lässt sich der nächste Schritt nicht gut und sicher genug planen oder wir drehen uns im Kreis
  • /4/ Im Original heißen die Fragen:
    a) What obstacles are preventing you from reaching the target condition?
    b) What obstacles are you addressing now?
  • /5/ All das übrigens Situationen, die per definitionem komplex sind. Heißt: Die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind selbst bei noch so gründlicher Analyse nicht ersichtlich UND verändern sich zudem ständig.
  • /6/ Dies wird noch einmal mehr deutlich, wenn man weiß, dass Toyota-ManagerInnen GEMEINSAM mit ihren Teammitgliedern vorgehen, wann immer in ihrem Alltag unvorhergesehene Situationen (Probleme) auftauchen. Die Fünf Fragen dienen ihnen als "gedankliches Betriebssystem".


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