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Finde deinen Platz in einer komplexen Welt: Veränderungen in Organisationen bewältigen

Jede Veränderung in Organisationen bedeutet auch ein Verlust, ein Abschiednehmen von Vertrautem. Auch wenn wir es uns im beruflichem Kontext kaum eingestehen wollen: wo Verlust ist, findet sich Trauer. Ich verstehe Trauer als eine natürliche Reaktion.

Der Verlust von Vorbildern, vom Systemverständnis, von Glaubwürdigkeit des einmal Gewußten, des eigenen Selbstverständnisses, von Prozessen, von Kollegen und Vertrautem und so weiter.

Wo Trauer ist, sind Ängste nicht weit: Verlustangst, Versagensängste, Angst vor Enttäuschung. Die Optionen, wie Menschen in Momenten der Trauer und Angst reagieren sind vielfältig.

Wut, Ohnmacht, Starre - es gibt viele Facetten. Alle Reaktionen dienen dazu, so schräg es auch klingen mag, überlebenswichtige Funktionen aufrechtzuerhalten:

  • sozialer Beziehungen aufrecht erhalten 
  • emotionales Gleichgewicht behalten
  • negative Einflüsse regulieren oder vermeiden
  • Perspektiven für Erholung sehen
„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die Einen Schutzmauern, die Anderen bauen Windmühlen.“ (Chinesische Weisheit)

Veränderungen fallen uns oft schwer. Für eine kurze Zeit des Übergangs bewegen wir uns in einem Schwellenzustand zwischen Altem und Neuen, obwohl wir eigentlich nach Sicherheit und Stabilität streben. Die Angst vor dem Unbekannten und die fehlende Weitsicht erschweren belasten zusätzlich den Veränderungsprozess. Doch was bringt uns aus unserer Komfortzone heraus? Schmerz oder Gewinn sind die entscheidenden Faktoren, die Menschen zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung bewegen. 
Wenn du üble Kopfschmerzen hast, wirst du dir einiges einfallen lassen, um sie loszuwerden. Das Gleiche gilt, wenn du für eine Idee brennst, die dein Leben zu verbessern verspricht. 

Ich lade dich ein, über folgende Fragen nachzudenken: 

  • Wer verliert oder gewinnt, wenn die Veränderung kommt? 
  • Wer, wenn die Veränderung nicht kommt?
  • Was brauche ich, um die Veränderung (mit)-tragen zu können?
  • Was soll bleiben? 
  • Wovon kann ich leicht Abschied nehmen?
Vor kurzem hatte ich ein interessantes Gespräch mit einer Kollegin kurz vor dem Rentenalter. 

Anfang der 90er Jahre verlor sie ihren Arbeitsplatz in der ehemaligen DDR. Sie war Mitte 30 und hatte 3 kleine Kinder. Ihre bisherige Karriere wurde offiziell Infrage gestellt. Mit viel bürokratischem Aufwand sollte sie nachweisen, welchen Wert ihre beruflichen Abschlüssen und Berufserfahrungen haben.

In den darauffolgenden Jahren durchlebte sie tiefe Phasen der Depression. Ich fragte sie, was das Schwerste war, das Sie in dieser Zeit zu überwinden hatten. 

Sie antwortete: "Alles, was ich bis dahin erreicht hatte, alles, was ich gelernt, woran ich geglaubt und was ich an meine Kinder weitergegeben hatte, sollte von einem Tag auf den anderen falsch sein. 

Dieselben Leute, die mich in Strukturen zwingen wollten, wollten mir nun sagen, dass alles nicht mehr stimmte.

Ich fragte, was ihr in dieser Zeit geholfen hätte. Sie sagte: "Was fehlte, war die Anerkennung dessen, was erreicht worden war. Nicht alles war schlecht. Einiges davon war es wert, bewahrt zu werden, und sei es in der Erinnerung. Das hätte mir geholfen."

Rituale, Gedenkfeiern: Erreichen solche Inszenierungen nicht genau das? Sich an das zu erinnern und zu schätzen, was uns wichtig war und ist?

  • Wir nehmen mit, was uns antreibt (Werte, Prinzipien, Ressourcen).
  • Wir lassen zurück, was uns belastet (z. B. alte Gewohnheiten).
  • Wir würdigen, was uns im Kern wichtig ist/war 
  • Wir erkennen an, was wir vermissen, um uns zu verabschieden.  

Diese Anerkennung, diese Wertschätzung, könnte ein entscheidendes Element in der Veränderungsarbeit sein.

"Ich sehe dich" - Vieles kann in diesen kleinen Satz gequetscht werden. 
Ich sehe DICH als Individuum, als Teil MEINES Systems, als Teil des Systems, in dem WIR sind. Ich erkenne DICH an.

Was für ein wunderbarer Gedanke, dass eine kleine Botschaft so viel bewirken kann. Und es kostet nichts! Auf welche Bereiche im täglichen Berufsalltag kann der Raum für Abschied und Trauer eine Rolle spielen? Hier einige Beispiele: 

  • ein Kollege verlässt das Unternehmen
  • ein Projekt wird beendet
  • Prozesse verändern sich grundlegend
  • eine neue Software wird eingesetzt, die eine grundlegende Einarbeitung nötig macht

Wie kann ein ritualisierter Abschied aussehen? 

Ein Beispiel aus meiner Praxis:
Eine Kollegin hat sich für eine berufliche Neuausrichtung entschieden. Ihr Austritt hat innerhalb des Teams ziemlich viel Wind aufgewirbelt. Als geschätzter Teil des Teams kamen viele Fragen und Sorgen auf, die meistens in der Kaffeeküche besprochen wurden.

Um diesen Sorgen einen Raum zu geben und der Kollegin einen würdigen Abschied zu ermöglichen, haben wir ein Meeting angesetzt. In diesem Meeting standen folgende Fragen im Mittelpunkt:
  • Was verbindet ihr mit Sabine? Was hat sie für euch einzigartig gemacht? 
  • Welchen Schatz (Arbeitsergebnisse, übernommene Gewohnheiten ...) lässt sie da? 
  • Welchen Fähigkeiten und Kompetenzen möchtet ihr in eure Arbeit einfließen lassen?
Die Kollegin wurden parallel eingeladen, folgende Fragen zu reflektieren:
  • Was möchtest du dem Team mitgeben?
  • Welche Ressourcen hast du besonders an deinen Kollegen geschätzt?
  • Wofür bist du dankbar? 

Was wurde ermöglicht? 

Sowohl das Team als auch Sabine haben Wertschätzung und Anerkennung empfangen. Dinge, die bis dahin selbstverständlich waren, wurden im Angesichts des Abschieds, präsenter. Die helfende Hand, das offene Ohr in schwierigen Situationen. Die perfektionistische Ader, die im Alltag auch mal nervig sein konnten wurde in diesem Moment aus einer versöhnlichen Perspektive betrachtet. 

Gleichzeitig stimmen die Fragen auf die Zukunft ein. Die entstehende Lücke im Team wurde kleiner: die Schätze die sie hinterlässt, werden bleiben. Das Team wurde sich bewusster, über Dinge, die sie selbst tun können. 

Die Integration des Vergangenen in die neue Teamsituation machte es den Teammitgliedern leichter, das Ausscheiden der Kollegin zu akzeptieren. Der Fokus auf die eigentliche Arbeit konnte schnell wieder hergestellt werden. Eine tolle Erfahrung für das Team und auch für mich in der Rolle als Prozessbegleiter. 

Du bist auf der Suche nach Wegbegleiter:innen?

In unserer "Agilen Mittagspause" bieten wir regelmäßig spannende Themen an. 
In interaktiven Formaten hast Du Gelegenheit:
  • Impulse für deinen Arbeitsalltag mitzunehmen 
  • dich aktiv einzubringen
  • in den Austausch mit anderen Branchen zu kommen
  • neue Perspektiven und Blickwinkel kennenzulernen

Übersicht unserer Online-Events 

jeweils Mittwochs

Zeitraum: 12:15 Uhr bis – 13:15 Uhr via Zoom.



Über die Autorin

Maria Kühn, systemische Organisationsentwicklerin


Du hast Fragen, Ideen oder Themen rund um Agilität und Organisationsentwicklung? 
Vernetz Dich gern via LinkedIn 

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