Diesen Artikel wollten wir vom Lean Coffee Frankfurt/Karlsruhe bzw. Karlsruhe/Frankfurt schon seit geraumer Zeit veröffentlicht haben. Eigentlich hat er mit Brot gar nichts zu tun, außer vielleicht, dass agile Spiele das täglich Brot für unsere Referentin sind, um deren Veranstaltung es in diesem Artikel geht, aber die Referenz aufs alte Rom klappt sonst ja nicht...
Vor schon längerer Zeit durften wir mal wieder offiziell Spielkind sein. Wir berichten hier von einem Spezialtermin in unserem Lean Coffee, bei dem wir mit einer Expertin für "Agile Gaming" (neudeutsch für: "agile Spiele"), Claudia Haußmann, einen spannenden und spielerischen Abend verlebten. Natürlich werden über diese Spiele Erkenntnisse und Prinzipien aus der agilen Arbeitswelt greifbar und erfahrbar gemacht. /1/
Als gemeinsamer Einstieg interessierte sich Claudia zunächst dafür, wieso wir denn eigentlich gerne spielen. In Menitmenter erschienen Antworten wie „Raum und Zeit vergessen“, „instinktiv“, „wieder Kind sein dürfen“.
Nach unserer Wahrnehmung geht häufig genau das, von dem wir da lasen, im Arbeitsalltag unter, wird mit der Zeit „vergessen“, oder es ist von vorneherein kein Platz dafür eingeplant.
Unsicherheit meistern - spielen und lernen
Agiles Umfeld bedeutet, dass ich nicht weiß, was auf mich zukommt, ich kann mich nicht wappnen, ich kann mich nur höchst mangelhaft vorbereiten, es ist die Zeit vor dem Präzedenzfall. Eine solche Situation bereitet Menschen im Allgemeinen ziemliches Unbehagen, da sie früher potentiell Lebensgefahr bedeuten konnte. Das einzige, was einem bleibt, ist, offen zu sein für das, was da kommt, und gemeinsam zu erkennen und zu lernen. Genau das eigentlich, was häufig beim Spielen passiert. Ein agiles Spiel mit einem/einer versierten Spielleiter:in bietet einen geschützten Raum, um Dinge auszuprobieren und eine Gruppe, ein Team und/oder sich selbst besser kennenzulernen, ohne dabei Schaden zu nehmen. Überdies ist die Teilnahme an einem Spiel oder einer Simulation wahrscheinlich deutlich einprägsamer und lehrreicher als die Worte eines Scrum Masters oder Agile Coaches, der sich vor ein Team stellt und von bestimmten Effekten lediglich berichtet. („Kann sein, muss aber nicht“, mag sich dann manche/r denken.)
Ein guter Scrum Master begleitet zwei Teams...
Ein geeignetes Beispiel bietet hier unserer Erfahrung nach der bekannte nach Gerald M. Weinberg benannte Weinberg-Effekt /2/: Nach wie vor werden in nicht wenigen Unternehmen diejenigen hoch angesehen, die fünf Projekte gleichzeitig bearbeiten, weil sie vermeintlich so "effizient" sind. Lässt man aber in einer Simulation dessen einmal mittels Stoppuhr überprüfen, wieviel jemand mit zunehmender Arbeitslast durch steigende Projektanzahl noch an Ergebnis für diese Projekte gebacken kriegt, sieht man, wie eine exponentiell steigende gedankliche Umrüstzeit nur noch Fitzelchen von effektiver Arbeit übrig lässt.
Aber zurück zum Spieleabend. Für mich war er, wie ich ihn mir gewünscht hatte: Ein Angebot aus drei verschiedenen Spielen, dazwischen notwendiges, aber kurzes Debriefing – um nicht zu viel Zeit, die man sonst für die Spiele hätte, zu verbraten. 😊 Unsere Spielleiterin hatte sich bereits in der Vergangenheit einmal die Mühe gemacht, agile Spiele in einer eigenen Übersicht zu klassifizieren, je nach Zweck des Spiels („Management-Coaching“, „Teambuilding“ usf., siehe Quellenangabe). Aus dieser Übersicht durften wir wählen, wie wir den Abend verbringen wollen.
Mir san auf der Alm
Anschließend eröffnete Claudia die Spielarena mit der klassischen Simulation „Frühlingswiese“ /3/. Zwei Gruppen erhalten einen unterschiedlichen Detailgrad von Informationen, um eine Anforderung „malerisch“ auf einem Whiteboard umzusetzen. Während die eine Gruppe ein komplettes Konzept präsentiert bekommt, also etwas auf einer recht hohen Abstraktionsebene, das aber in allen Köpfen eine Art gemeinsames Verständnis erzeugt („malt eine Frühlingsweise in den Alpen“), und außerdem freie Hand hat, wie sie das Gemälde umsetzt, erhält die andere Gruppe sehr detaillierte Informationen, die knebelnd und einschränkend wirken und außerdem dazu führen, dass das große Ganze aus den Augen verloren wird („malt acht blaue Blumen mit jeweils fünf Blütenblättern“…).
Mikromanagement ist nur mikroskopisch hilfreich
Übertragen auf den Projektalltag bedeutet dies, dass ein Product Owner gut daran tut, ein gemeinsames Verständnis über die zu bewältigende Arbeit im Team zu schaffen, aber am besten nicht mikroklein vorgibt, WIE die Arbeit umzusetzen ist – das ist schließlich Aufgabe der Expert:innen im Team. Als wir am Schluss die beiden jeweils vor der andere Gruppe verdeckten Gemälde ansahen, wurde der Effekt deutlich sichtbar: Das Bild der einen Gruppe zeigte eine relativ homogene Blumenwiese mit Bergen im Hintergrund, das andere Bild war ein Stückwerk aus verschiedenen Objekten, die teilweise in der gegebenen Zeit auch gar nicht fertiggestellt werden konnten (vielleicht, weil die Maler zu lange die Blütenblätter zählen mussten).