„Michi, ich habe gestern in diesem Team ein hilfreiches Feedback für meine Arbeit bekommen. Das war klasse.“ – Ein Entwickler aus dem Team, zwei Wochen nach der Methode und dem nachfolgendem Teamcoaching.
Ich denke wir sind uns einig, dass Feedback ein zentraler Teil agiler Kultur ist. Doch wie kann ich als Coach einem Team helfen, wenn eben genau dieser Teil nicht ausgeprägt ist? In diesem Artikel teile ich eine hierfür entwickelte Methode und damit meine Erfahrungen aus meinem aktuellen Team. Ich freue mich über Feedback. Apropos Feedback. Lasst uns anfangen.
Hintergründe & Beobachtungen
In den letzten Wochen haben wir viele Herausforderungen in meinem aktuellen Team bewältigen müssen. Viele der Herausforderungen haben eine gemeinsame Ursache: Wir haben keine stark ausgeprägte Feedbackkultur. Wir hatten zum Beispiel einige längere und wenig zielführende Diskussionen bei der Backlogpflege. Die meist technischen Diskussionen wurden hier oft mit zu wenig Fokus auf das Wesentliche und auf einem zu hohem Detailgrad geführt. Die Entwickler wollten Entwicklungsvorgänge bis ins kleinste Lösungsdetail vor der Umsetzung besprechen.
Absprachen im Vorfeld zur Entwicklung sind notwendig, aber ab einem gewissem Detailgrad nicht mehr effektiv. Ein entscheidender Teil von Agilität ist es allen Beteiligten zu vertrauen und dementsprechend kein Bedürfnis nach Mikromanagment, weder offensichtlich hierarchisch noch unterbewusst vom Team gesteuert, zu entwickeln. Ein Team muss eben auch lernen sich selbst zu vertrauen.
Zudem gab es Spannungen im Entwicklungsteam, die durch verschiedene Verständnisse von „gutem“ und „schlechtem“ Code erzeugt worden sind.
Hinter all diesen Beobachten steckte für mich eine gemeinsame Ursache: Wir geben zu wenig Feedback. Methodisch bin ich dieses Thema in einer Retrospektive angegangen, die unter anderem ein Improvisationstheater enthielt. Die Retrospektive war auf zwei Stunden ausgelegt und hatte folgenden Aufbau:
- Check-In (5 Minuten)
- Improvisationstheater (25 Minuten)
- Ich-zentrierte Sprint Reflexion (40 Minuten)
- Erarbeitung unserer nächsten Schritte (15 Minuten)
- Kurzer gemeinsamer Abschluss (5 Minuten)
Mit dieser Retrospektive konnte ich das Team zu einer zentralen Erkenntnis führen: „Wir wollen lernen mehr Feedback zu geben!“ Dies hat mich sehr gefreut und mich ermutigt die Methode mit euch zu teilen.
Wie hat diese Retro im Detail funktioniert?
Check-In (5 Min):
Zu Beginn hat jedes Teammitglied eine Umfrage in Mentimeter beantwortet:
- So viel Feedback habe ich in meiner gesamten Zeit in diesem Team erhalten
- So viel Feedback habe ich im letztem Sprint erhalten
- Ich denke wir sollten mehr Feedback geben
Die ersten beiden Werte in der Umfrage sind als Anzahl und der letzte als relative Einschätzung zu sehen. Das Ergebnis habe ich dann allen sichtbar gemacht. Mit den folgenden Fragen habe ich darauf aufbauend, die gewünschte Grundhaltung für die Retrospektive erzeugt: Wie geht es euch, wenn ihr die Ergebnisse seht? Glaubt ihr, dass durch mehr Feedback, die Qualität unserer Arbeit steigt? Wie würdet ihr euch fühlen, wenn wir mehr Feedback geben würden? Nachdem die Teammitglieder durch diese Fragen in der Retro angekommen waren, habe ich die Retrospektive in das hierfür entwickeltes Improvisationstheater übergeleitet.
Improvisationstheater (25 Minuten):
Ziel der Einheit war es die Stimmung bewusst weiter aufzulockern und dabei das Thema Feedback weiter zu vertiefen. Vor der Retrospektive habe ich diverse Feedbacksituationen verschriftlicht. Hier ein Beispiel: Ein fachlicher Analyst kommt immer zu spät in eure gemeinsamen Meetings. Du bist ein Entwickler und willst ihm das Feedback geben. Am Ende ist der fachliche Analyst dankbar und ihr findet einen guten Kompromiss für die Zukunft. Jeder der Feedbacksituationen war ein erfundener, aber realistischer Fall.
Jedes Teammitglied hat eine dieser Feedbacksituationen mit einem anderem Teammitglied nachgespielt. Die Reihenfolge haben wir direkt am Anfang ausgemacht, als die Teilnehmer noch nicht wussten, was auf sie zukommt. Die anderen Teammitglieder sollten beobachten und für sich überlegen, was gutes Feedback ausmacht und worauf man dabei achten sollte. Diese Erkenntnisse haben wir danach noch im Team geteilt. Das Theater hat eine sehr gute Stimmung im Team geschaffen. Das Team hat zusammen gelacht. Alle haben gemerkt, dass Feedback geben doch eigentlich Spaß macht. Nachdem das Team spielerisch Feedback gegeben hat, wollte ich eine Reflexion durchführen, die weiteres Feedback erzeugt.
Ich-zentrierte Sprint Reflexion (40 Minuten):
Die Teilnehmer hatten zehn Minuten Zeit, um Antworten auf die folgenden Fragen zu sammeln:
- Was habe ich im letzten Sprint besonders gut gemacht? Was habe ich gelernt?
- Was kann ich an mir selbst verbessern? Was will ich lernen?
- Was sollten wir als Team ausprobieren oder beibehalten?
Dann hat jedes Teammitglied seine Antworten dem Team vorgestellt und dafür tatsächlich Feedback vom Team bekommen. Die meisten Aussagen wurden bestätigt. Das Team hat aber auch gemeinsame Lernziele identifiziert. In einzelnen Fällen wurden auch andere Meinungen wertschätzend eingebracht.
Erarbeitung unserer nächsten Schritte (15 Minuten)
Das Team hatte nochmals fünf Minuten Zeit, um Ideen für Verbesserungen zu sammeln. Die meisten davon sind bereits durch Diskussionen in der Reflexion entstanden und wurden hier noch einmal verschriftlicht. Es wurden diverse wertvolle Erkenntnisse und Verbesserungen identifiziert und als Maßnahmen für den nächsten Sprint beschlossen – in Bezug auf Feedback ist Folgendes entstanden:
„Lasst uns mehr Feedback geben! Im nächsten Sprint setzen wir uns zum Ziel, dass jeder zweimal einem anderem Teammitglied ein Feedback gibt. Dies soll nicht erzwungen sein, aber jeder versucht es!“
Checkout (5 Min):
Mittels der Methode "drei Wort Feedback" wurde nochmal ein Feedback zur Retrospektive selbst von allen Teilnehmern eingesammelt. Mein Favorit war: „Ich fand’s gut.“
Wie setzen wir diese Maßnahme jetzt operativ um?
Die Aufgabe Feedback geben findet jedes Teammitglied gut sichtbar in unserem Daily Board und wird damit täglich an dieses Ziel erinnert. Jedes Teammitglied hat ein kleines Sticky mit seinem Avatar auf dem Board um sichtbar zu machen, dass er die Aufgabe noch erfüllen muss. Wir haben am Anfang noch einmal klar kommuniziert, dass die Feedbacks nicht erzwungen werden sollen und dem Empfänger etwas nützen sollen. Wenn ein Teammitglied es einer beim ersten Mal nicht schafft, ist das auch kein Beinbruch.
Während des Sprints haben wir das Ziel auf ein Feedback pro Person reduziert, weil wir gelernt haben, dass es wirklich schwer ist, seine Teammitglieder in der remote Situation aufmerksam zu beobachten. Diesen Artikel schreibe ich am Ende des Sprints. Wir haben es fast vollständig geschafft. Ich werde dem Team in dieser Retro vorschlagen, dieses Lernziel noch ca. zwei bis drei Sprints als übergeordnetes Lernziel weiter zu verfolgen. Wenn es nichtmehr notwendig ist, weil wir unser Verhalten geändert haben, können wir uns ein nächstes spannendes Ziel setzen.
Hinter dem gesamten Vorgehen steckt das Grundprinzip von Scrum: Transparenz, Inspekt & Adapt auf Basis empirischer Daten in kurzen Zyklen. Wir wollen mehr Feedback. Also machen wir Feedback transparent, messen es, setzen uns als Team ein machbares, aber herausforderndes Ziel und werden dies und das Vorgehen selbst immer wieder inspizieren und ggfs. anpassen.
Ist diese Methode vollständig ausreichend, um eine Feedbackkultur in Teams zu erreichen?
Nein, das denke ich definitiv nicht. Für mich ist es ein hervorragender Ausgangspunkt und Start in das Thema. In der nächsten Retro werde ich Themen wie psychologische Sicherheit, Zeit der tatsächlichen synchronen Zusammenarbeit zwischen den Teammitgliedern und wie viel und welche Art von Feedback jedes Teammitglied gibt weiter mit dem Team vertiefen. Außerdem möchte ich die Technik Self-Guided Feedback im Team etablieren.
Ich stelle auf Anfrage gerne das komplette Template für die Retrospektive zur Verfügung und freue mich über einen Austausch zu dem Thema. Mit welchen Methoden erzeugt ihr eine Feedbackkultur in Teams? Am besten bin ich über LinkedIn zu erreichen.
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