Direkt zum Hauptbereich

Lean Coffee Frankfurt/Karlsruhe, Nachschau zum Termin 56

Wissen ist Macht. Wer etwas weiß, muss dieses Wissen natürlich irgendwo als Information gesammelt haben. ;-) Vernetzung ist also alles.  

 "Zusammen sind wir weniger allein." Hier sind passende Lieblingsgruppen für Deinen Austausch:

Der vergangene Lean Coffee stand erstmalig unter einem Schwerpunktthema, ein kleines Experiment. Unsere Lean-Coffee-Comunity trifft Menschen, die überwiegend an (nein, kein Tippfehler) der agilen Verwaltung arbeiten.

Bevor es richtig losgegangen ist...

Warum brauchen wir eine agile Verwaltung? Hier die Antworten des vergangenen Dienstagmorgens: Die Aufgabenkomplexität nimmt sehr schnell zu, dies bedeutet einen großen Bedarf an Schnittstellen - insbesondere in Digitalisierungsprojekten (enormer Kraftaufwand in der aktuellen Struktur), denn es gibt noch kaum crossfunktionale Teams, vertikal oder horizontal. Auch die Aufgabenmenge steigt stetig (Bsp.: Die Einwohnerzahl von Klein-Kleckersdorf steigt, die Beschäftigtenzahl in dessen Verwaltung aber nicht). Last but not least werden Reaktionen auf aktuelle Änderungen gefordert, z. B. adäquater Umgang mit der Corona-Pandemie, indem Teststationen errichtet werden, die Außenbereichsnutzung von Gastronomie geregelt werden muss etc. pp. Die Bürger möchten bei diesen Themen mitsprechen, geeignete Kanäle dafür gibt es aber (überwiegend) noch nicht.

Agil ist doch schon angekommen

Schlaglichter aus der angeregten Diskussion, die bereits losgeht, bevor jemand überhaupt die erste Scrumlr-Karte gelesen hat:
„Die Freiwillige Feuerwehr macht agil seit mehr als 150 Jahren – sie nennt es bloß nicht so. Sie sind dort hochgradig agil, weil sie sich Silos nicht leisten können, da sie zu wenige sind…“
„Die Verwaltung ist besser als ihr Ruf, sie nennt es bloß nie agil [was sie teilweise tut]. Sie muss aufpassen, dass sie nicht aufgefressen wird durch Überregulierung.“

Umbau von Verwaltung mit Graswurzel-Ansatz

Der Gedanke des Kathedralenbaus aus einem unserer letzten Lean Coffees kommt hier wieder auf, als das Graswurzelprinzip zitiert wird: „Es wird Jahrzehnte dauern, bis die Verwaltung in der Breite umgestellt ist. In einer Pilotierung von 100 Personen testen gerade 8, angelehnt an Herrenberg, die Selbstorganisation. Es ist faszinierend, was in ½ Jahr für Team- und Einzelentwicklungen schon stattgefunden haben. Scrum und Kanban fungieren als durch Führungskräfte unterstützter Schutzschild mit Freiheitsgraden, hinter dem Teams ungestört arbeiten können.“
„Schlechte analoge Prozesse sind auch nachher schlechte digitale Prozesse. Prozessoptimierung funktioniert gut, hier sind auch crossfunktionale Teams gut einsetzbar.“

Kanban als Optimierung des Regelbetriebs

Kanban ist laut einigen Stimmen gut nutzbar bei ca. 70% Regelbetrieb und 30% Entwicklung. Kanban wird also gerne bei vielen wiederkehrenden Aufgaben genutzt. Beispiele, die man bei Verwaltung zitieren kann? Der Landesrechnungshof Vorarlberg exerimentiert mit Kanban (bislang nur wenige Personen involviert), es gibt Beispiele, im deutschsprachigen Raum aber leider noch sehr wenige.

Berater:innen sollten nach dem fragen, was gebraucht wird

„Die Frage, die man stellen muss, ist: Was braucht ihr? Welches Team braucht was? Was habt Ihr probiert, was geht, was nicht? Die größte Herausforderung ist: Jeder sagt/denkt, er habe in diesem Themenbereich die Weisheit mit Löffeln gefressen, anstatt einfach mal anzufangen.“ Die Diskussion geht noch weiter, und sie geht auch weiter weg vom Ursprungsthema, aber das stört uns nicht arg, auch nicht die Themengeberin.

Bauhof Herrenberg in Zwangslage

In Herrenberg konnte eine Führungslücke nicht geschlossen werden; es sei ein Kampf gewesen, die Belegschaft dazu bringen, sich selbst zu organisieren, so eine Stimme in der Runde. Dies wird von mehreren auf die Sozialisierung von Verwaltungsbeamten zurückgeführt: „Nicht ausscheren!“ Es gebe in der Ausbildung zum gehobenen Dienst diese Art von Konditionierung. Wenn ein Auftrag ergehe, würde spätestens irgendwann gesagt: „Komm, ich mach’s halt…“
Ein Teilnehmer über (wir erinnern uns an Lean Coffee #54:) den Bauhof Herrenberg: „Sobald du sie laufen lässt, können sie plötzlich Dinge kreieren, dass du mit den Ohren schlackerst“. Jemand anderes zieht Parallelen, man sehe das durchaus auch in der Wirtschaft.

Kanäle für den Transport des Bürgerwunsches

Die BürgerApp einer Stadt wird erwähnt. Ein anderer Ansatz: Die Anliegen von Bürgern mit Beteiligten aus der Verwaltung werden an einem gemeinsamen Tisch besprochen (genannt „Arena“). Diese Arenen wirken, so ein Teilnehmer, über einen einzelnen Fachbereich hinweg. Auch ein Bürgerrat könne eingerichtet werden. Das Problem bei allen Apps sei, so ein erfahrener Gast, dass man nicht wirklich in einen Dialog komme.

Wie könnte dauerhafter Austausch aussehen?

Im Bereich Bürgerbeteiligung hat der Teilnehmer sehr viel Erfahrung, hier seien die Austausche aber meist auf den Fachbereich x im Silo y begrenzt. Dialog über längere Zeiträume hinweg lässt sich beispielsweise über sogenannte „Zukunftswerkstätten“ aufrechterhalten (dies habe viele Knoten in beiden Richtungen gelöst, auch die Bürger:innnen verstehen durch diesen Austausch das rechtliche Korsett, in dem sich die Verwaltung bewegt und warum sie teils handeln muss, wie sie handelt). Apps sind laut der Runde nur für die Adressierung kurzfristiger und punktueller Themen gut nutzbar.

Ich bezahle, also muss die kommunale Einrichtung was leisten

Ein anderer Gedanke: In den letzten Jahren kam zunehmend die Sicht vom Staat bzw. von kommunalen Einrichtungen als Dienstleister auf. Der Bürgergedanke (Teil der Gemeinschaft) sei in den Hintergrund getreten (eher herrsche die Sichtweise vor: „Ich bezahle Steuern und habe dann das Recht auf Dienstleistungen“), dies sei eine falsche Erwartungshaltung. Der Teilnehmer empfiehlt , dass Bürger:innen vielleicht mehr die Bürgerrolle übernehmen sollten.

Übergreifende Digitalisierung vs. individuelle Organisation von Silos

Ein weiterer Punkt: Wenn in der Verwaltung gewisse Strukturen sich eigene Vorgehensweisen erarbeiteten und autonom arbeiteten, sei das dann nicht ein Hemmnis, um eine übergreifende Digitalisierung voranzutreiben? Der Teilnehmer gibt zu bedenken, dass diese Strukturen/Arbeitsbereiche, die sich ggf. bereits eigenständig eingerichtet haben, die eigenen neuen Prozesse und Vorgehensweisen leben möchten und u. U. keine neuen Impulse von außen mehr aufnehmen.

Verwaltung als Konzern sehen?

Ein anderer ergänzt, dass die Anspruchshaltung des Bürgers aus den 90er Jahren stamme, als Relikt einer Bewegung, die die Verwaltung als Konzern sehen wollte. Es wird noch in den Raum geworfen, dass, wenn eine Bürgerbeteiligung gefragt sei, diejenigen, die kommen, 70jährige Rentner seien. Menschen würden eingeladen, sich zu beteiligen. Sie meckerten trotzdem, kämen aber nicht (Zitat: „Ist mir zu viel Geschäft“). Als Quintessenz fasst ein Silberrücken zusammen, dass das einzige Modell, das dieses Verhalten aufzubrechen imstande sei, der Bürgerrat sei: Hier würde man per Los ausgewählt. Man könne zwar nein sagen, das traue sich aber in den meisten Fällen dann niemand.

Die eine größte Herausforderung

Da die Verwaltungen sehr unterschiedliche Formen annehmen können, kann diese Frage (des Schreiberlings) nicht so plump und über einen Kamm scherend beantwortet werden, weswegen wir einstimmig ganz fix zum nächsten Thema schreiten.

Größte Hürde: Fehlerkultur

Die (bestehende) Fehlerkultur wird als große Hürde für das gewünschte Zusammenarbeiten gesehen. Die Teilnehmerin, die das Wort hat, ruft uns das geflügelte Wort vom „Fehler vom Amt“ in Erinnerung. Eine wichtige Frage ist, wie kann man die Angst vor Fehlern nehmen?
Der Silberrücken der im Bereich der agil werdenden Verwaltung arbeitenden Gäste öffnet uns allen die Augen. Wir würden uns kein Bild davon machen, was passieren würde, wenn Fehler aus der Verwaltung nach außen sickerten. Die Presse meckert, der Schrei nach Rücktritt wird laut… „Der Kopf wird abgerissen - aber nicht vom Chef, sondern von den Bürgern!“

Mit einem Hammer auf den Schrottplatz...

Wer einmal bei Telefonaten vom Ordnungsamt mithören könne, so die lebendige Schilderung des Teilnehmers, müsse die Mitarbeiter:innen eigentlich mit einem Hammer auf den Schrottplatz schicken, damit sie sich dort austoben könnten. Man könne ein Buch darüber schreiben, was für Breitseiten sie abbekämen. „Die Bürger verzeihen der Verwaltung keinen Fehler mehr“, und hierin liege der Unterschied zur Privatwirtschaft. Sonst seien viele Parallelen vorhanden, in jedem Fall mehr Gemeinsamkeiten, als die Menschen denken.

Reden hilft auch hier - Supervision im Team als ein Ansatz

Die Stimme einer Teilnehmerin: „Miteinander in Kommunikation zu treten ist eine große Herausforderung.“ Für dieses Thema bietet eine andere Teilnehmerin gleich einen Lösungsansatz aus eigener Erfahrung an. Sie kennt Supervision im Team, und das an einer Hochschule, wo dies schwierig einzurichten gewesen sei, auch hätte Geld in die Hand genommen werden müssen (was ja fast immer der Fall ist, aber in diesem Setting war es wohl zuvor noch nicht für derartige Initiativen ausgegeben worden – die Red.). Es wurde der Austausch mit vertrauten Kollegen, die die gleiche Erfahrung haben, initiiert und aufgebaut, um Mut zu geben und gegenseitige Unterstützung zu sichern.

Wir, die wir überwiegend in Konzernen arbeiten, dachten wahrscheinlich, dass Konzerne ganz anders sind als Verwaltungen, aber andererseits, wenn ich da an gewisse Erfahrungen aus großen „agilen“ Projekten denke… vielleicht doch nicht. 😊(die Red.) Es ist jedenfalls immer ein Aha-Moment, wenn einem jemand anderes die Augen öffnet über Bereiche, in die man bisher keinen Einblick hatte, und erhebend, als mit der passenden Information gefütterter Außenstehende/r plötzlich echtes Verständnis für die andere Seite aufbringen zu können.
 

Vorgeschlagene Themen im Überblick



Literaturliste aus dem Termin...

... von Teilnehmer:innen für Teilnehmer:innen (und diejenigen, die nicht dabei waren, aber ggf. hier nachlesen) wurde - nicht mitgeschnitten, waaaah! (Nein, der Host der Sitzung war leider nicht zugegen.) Falls wir dran denken, reichen wir das nach, was wir nachträglich zusammenkratzen können. Falls das nichts wird: Selber teilnehmen macht Spaß!

Unser Schwerpunkt-Lean-Coffee hat allgemein Freude bereitet, das merkte man auch am offenen und angeregten Austausch. An dieser Stelle danken wir nochmals unserer Impulsgeberin Gaby dafür, dass sie uns für den Streifzug durch die agile Verwaltung an die Hand genommen hat, und natürlich allen Gästinnen und Gästen dafür, dass sie da waren und mit uns geschnackt haben.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wofür braucht man einen Aktenplan?

Es muss im Jahr 2000 gewesen sein. In meinem Job hatte ich ein breites Feld an Aufgaben und ich wollte den Überblick behalten. Ich kannte mich schon mit verschiedenen Zeitmanagementsystemen aus. Aber mein Schreibtisch und meine elektronische Ablage wurden immer unübersichtlicher. Wer könnte noch ein Problem in der Ablage haben? Die Lösung fand ich in einem Handbuch für Sekretärinnen: einen Aktenplan. Ohne ihn wäre mein Leben anders verlaufen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Transparenz als Schlüssel zum Erfolg: 20 Reflexionsfragen für moderne Organisationen

Transparenz ist das Herzstück erfolgreicher Teams. Sie schafft Vertrauen und fördert Zusammenarbeit. Wenn alle Zugang zu den notwendigen Informationen haben, können sie fundierte Entscheidungen treffen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Dies führt zu höherer Effizienz, schnelleren Entscheidungsprozessen und besseren Arbeitsergebnissen. Transparenz ist mehr als ein Schlagwort – es gilt, sie greifbar zu machen, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln und es in die Praxis umzusetzen. Wie das gelingt und welche Vorteile es für Euer Team und Eure Organisation bringt, erkunden wir im Folgenden.

Rebellieren für den Wandel: die 8 Regeln des totalen Stillstandes von Prof. Dr. Peter Kruse

In einem legendärem Vortrag skizzierte Peter Kruse 8 Regeln des totalen Stillstands. Ihm zufolge wurden die Regeln entwickelt, um Managern und Führungskräften dabei zu helfen, Bereiche mit potenziellem Widerstand gegen Veränderungen zu erkennen und Menschen auf strukturierte Weise durch den Veränderungsprozess zu führen.

Remote Energizer – Frische Energie für Online-Meetings (Teil 1)

Remote Meetings können anstrengend sein – müde Augen, sinkende Konzentration und ein angespanntes Team. Aber keine Sorge: Mit den richtigen Energizern bringst du Schwung und Motivation in jede Online-Session! In diesem ersten Teil zeige ich dir vier Übungen, die schnell für gute Laune sorgen und deinen Meetings neuen Schwung verleihen.

Der Call for Workshops für den Scrum Day 2025 ist geöffnet

Der persönliche Austausch auf einer Konferenz hilft beim Lösen der eigenen Probleme im Unternehmen. Hier sind ein paar Vorschläge aus der Community für den nächsten Scrum Day. Ihr könnt jetzt Vorschläge für das Programm einreichen.

Kategorien in Outlook - für das Team nutzen

Kennen Sie die Kategorien in Outlook? Nutzen Sie diese? Wenn ja wofür? Wenn ich diese Fragen im Seminar stelle, sehe ich oft hochgezogene Augenbrauen. Kaum jemand weiß, was man eigentlich mit diesen Kategorien machen kann und wofür sie nützlich sind. Dieser Blogartikel stellt sie Ihnen vor.

Wenn dein Team die Anforderungen blockt: 12 Tipps für Product Owner*innen

Liebe Product Owners, wir müssen reden. Schon wieder eine Anforderung, die im Nirgendwo landet? Zeit, das Ganze anders anzugehen. Ihr kennt das Spiel: Anforderungen sind ausgearbeitet, und doch läuft es im Team holprig. Was fehlt? Oft sind es Klarheit, realistische Erwartungen und ein bisschen Fingerspitzengefühl. Doch keine Sorge! Mit ein paar praktischen Tipps könnt ihr Missverständnisse vermeiden, Blockaden umgehen und den Entwicklungsprozess so richtig in Fahrt bringen – natürlich in Zusammenarbeit mit eurem Scrum Master. Hier sind zwölf Regeln, die euch helfen, das Team auf Kurs zu bringen und das Chaos in produktive Zusammenarbeit zu verwandeln. Wir zeigen dabei auch, wo der Scrum Master unterstützen kann, damit ihr eure Rolle als Product Owner noch besser erfüllen könnt. Häufige Stolperfallen: Warum Anforderungen oft scheitern Bevor wir ins Eingemachte gehen, kurz zu den typischen Stolperfallen. „Klare Anforderungen“? Klingt gut, scheitert aber sehr häufig an der realen Praxis. ...

Die Stimmung in Deinem Team drehen? So wird’s gemacht.

Oder ähnlich. Mir gefiel der Titel. Vor ein paar Tagen hat mich jemand angesprochen und von einem, wohl etwas frustrierenden, virtuellen Teammeeting erzählt. Die Teammitglieder zogen lange Gesichter, schauten grimmig in ihre Kameras. Ich habe mich dann gefragt, was ich tun würde, wenn ich in so einer Situation wäre. In diesem Blogpost beschreibe ich ein paar Tipps mit denen Du die Stimmung in Deinem Team (und Deine eigene) verbessern kannst.

Zu viel zu tun? Planen Sie Ihre ideale Woche

Wir hören immer wieder, dass Teams zu viel zu tun haben. Aber woher wissen wir eigentlich, was zu viel genau bedeutet? Hier ist ein ungewöhnlicher Tipp: Treffen Sie Annahmen über eine gute Menge. Planen Sie eine ideale Woche.