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Lean Coffee Frankfurt/Karlsruhe, Nachschau zum Termin 32

Die agile Szene trifft sich in verschiedenen Stammtischen und Meetups. Hier ist ein Bericht vom Lean Coffee Frankfurt/Karlsruhe bzw. Karlsruhe/Frankfurt. Auch diese Veranstaltung ist dazu gedacht, dass sich die agile Szene untereinander vernetzt und sich gegenseitig hilft. Die Mitglieder (aller Erfahrungsstufen) treffen sich jeden Dienstagmorgen von 8 - 9 Uhr. Wer sich an der Diskussion beteiligen und dazukommen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, sich in einer der entsprechenden Xing-Gruppen anzumelden:


Die ersten hatten sich schon wie üblich einige Minuten vor Veranstaltungsbeginn eingefunden, um noch ein wenig miteinander zu schnacken. Ein Teilnehmer arbeitet in einem Unternehmen, das seine Sprints nach bekannten Städten der Welt benennt, und er zeigt sich immer mit der entsprechenden Stadt im Zoom-Hintergrund. Auch am vergangenen Dienstag kam schnell die Frage auf, um welche Stadt es sich handele. Sie lag am Wasser, ein Hafen war zu sehen, es gab Hochhäuser, und es wurde gerätselt, da ein merkwürdiges weißes Ei im Hintergrund zu sehen war, das wie ein astronomisches Observatorium aussah. Ein anderer Teilnehmer, Fußballfan und in einem vorherigen Leben (vor demjenigen als Product Owner und Scrum Master – doch, doch, sowas soll’s geben…) Reiseverkehrskaufmann, konnte seine Ehre als solcher retten, indem er dieses Ei sicher als das Fußballstadion von Vancouver identifizierte.

Nachdem die Moderation murmelte, die Begrüßungs- und Anleitungs-Karten (für eventuelle Scrumlr-Neulinge) auf dem Board würden jetzt mal herausgelöscht, frotzelte eine Teilnehmerin, die sollten dringelassen werden, „wer weiß, wie die hochgevotet werden.“

An diesem Dienstag hatten wir in Scrumlr überraschenderweise Sean Connery zu Gast, und da die VIP bisher immer Musiker gewesen waren, fragte auch gleich jemand in den elektronischen Raum, welche Musik das denn wohl sei.

Jetzt geht es zu den besprochenen Themen.

 

Was können wir als Agilisten gegen den Klimawandel unternehmen?

Gemeint war hier, wie wir zur Bearbeitung dieses Themas (unser Wissen über) agile Arbeitsweisen gewinnbringend einsetzen können. „Bei Euch die Flut, hier die Windhose oder Waldbrände -wir können dem Thema nicht mehr aus dem Weg gehen! Gibt es etwas, das wir Agilisten tun können?“

Interessanterweise startete die Diskussion nur im Ansatz mit möglichen agilen Vorgehensweisen, mutierte aber schnell zu einer Betrachtung von aktueller Politik, Verhalten von uns Menschen in den verschiedenen Ländern der Erde und einer – sich teilweise etwas düster ausnehmenden – Prognose der Zukunft der Menschheit.

Politik und Gesellschaft und Klimawandel

Agile Ansätze waren „Zuhören propagieren“, sich die Frage stellen „Wie kann man große Themen schnell bearbeiten?“ und damit verbunden die Ansage eines Teilnehmers: „Wenn wir die Politik schneller machen müssen, müssen wir ein Wunder schaffen.“ Er habe einmal dabei unterstützt, eine Stadt umzugestalten, und bestätigte, dass Politik soo langsam sei, und das, was damit verbunden sei, brauche immer viel Zeit. Jemand anderes wies darauf hin, dass im Projektumfeld immer geraten wird: „Geh dahin, wo das Geld ist“ (= sprich mit den Geldgebern), übertragen auf dieses Setting: „Geh zu den Leuten, die es angeht.“ Es wurde in Erinnerung gerufen, dass die gesellschaftliche Bewegung der 70er und 80er vor der Politik da war und letztere nur nachgezogen sei.

Der Themengeber (oder die gesamte Diskussionsrunde?) stellte in den Raum, man müsse mit Agilität etwas anderes machen als nur Software-Entwicklung. Ein anderer warf ein, dass ein gern genutztes Scheinargument laute, agile Vorgehensweisen seien (angeblich) nicht für die Bearbeitung komplexer Sachverhalte geeignet, wohingegen sie gerade genau dafür entwickelt wurde. Klimathemen, so führte der Teilnehmer weiter aus, seien noch eine Stufe komplexer. Hier müsse man auf die aktuellen Prognosen sehen, und wenn man sich geirrt hat, sein Verhalten und seine Maßnahmen anpassen und gegensteuern. Eine Teilnehmerin präzisierte: „Wie kann man dies etablieren? Wie können wir den Menschen helfen, auf den Weg zu kommen?“

Ein kurzer Abriss zum klimatischen Status der Nation...

Einem anderen Teilnehmer platzte beim Gedanken an die aktuelle Situation milde der Kragen: „Das System ist gekippt, der Planet verkraftet die Menge an Menschen nicht mehr. Alles wird ausgeplündert, und das, was wir verursachen, müssen andere ausbaden… selbst wenn wir ab heute null CO² produzieren würden: Mir schwappen hunderte Jahre nach. Das System ist… am Arsch.“ In den Moment ernster Stimmung fügte ein seniorer Teilnehmer zustimmend hinzu: „Ja - wir ham‘s schon versaubeutelt!“

Anschließend wurde noch ein interessantes Detail bekannt, gerade in diesen Zeiten: eine Videokonferenz, die ihrem Namen alle Ehre macht, bei der also alle Menschen ihre Kamera eingeschaltet haben, verbraucht das Fünffache an Energie einer Konferenz ohne eingeschaltetes Bild.

Ein Teilnehmer brachte – wohl auch, um die Stimmung wieder ein bisschen herumzureißen  - trockenen vor: „Damit unterstützt du eigentlich, dass wir alle in die Volksfront von Judäa ins Suizidkommando eintreten.“ Lachen des Vorredners: „Oder in die judäische Volksfront…“ (muss man hier jetzt Monty Python als Quelle zitieren? Na, ja, ist eh soeben geschehen.)

Scherzhaft panische Reaktion aus dem Maschinenraum, mit Blick auf die verstrichene Zeit: „Die 10 Minuten sind um, soll das das Schlusswort gewesen sein? Schnell… noch jemand anderes…“ Wir lachen kurz gemeinsam, danach gehen fast alle Daumen hoch für eine Verlängerung.

... und in der Verlängerung konkrete agile Initiativen mit Verbesserungszielen

Ein Teilnehmer wendet ein, dass wir ja auch noch die Zivilgesellshaft hätten, und erwähnt die Initiative „years of living dangerously“ (https://theyearsproject.com/), Studenten seien in dieser Initiative von einer gemeinnützigen Organisation ausgebildet worden, mit beispielsweise dem in einem Sommercamp umzusetzenden Ziel, Strom einzusparen. Auf diese Weise sei es gelungen, 40% des zuvor verbrauchten Stroms in einem Hotel mit Status einzusparen. Per Abendschule habe es Scrum-Kurse gegeben, in denen Menschen entsprechend ausgebildet wurden. Jemand stellte die gute Frage: „Wie können wir es schaffen, diejenigen, die es viel mehr trifft (die weniger Möglichkeiten und Geld besitzen, um das auszugleichen) sichtbarer zu machen, ihnen Gehör zu verschaffen?“ Für einen anderen Teilnehmer bestand die Lösung in „Schule und Bildung“, denn „So lange es keine flächendeckenden Schulmöglichkeiten gibt, ist es schwierig, das Volk kann dumm gehalten werden.“

Besagter Gast regte auch gleich an, die Welt einmal anders sehen zu wollen, ein Gedankenexperiment zu unternehmen: „Vielleicht müssen wir mal Visionen erstellen, wie könnte eine Welt aussehen zu den Themen Bildung, Pflege,…“ Ein anderer Teilnehmer konstatiert, dass wir alle gerade selber feststeckten: „Die ganz große Lösung, das ist uns zu groß, und die kleine Lösung, das reicht nicht!“

 

Mehr aus dem Product Owner herausholen

Der Product Owner soll dazu gebracht werden, mehr Visionen für das Produkt zu entwickeln. Bei der Erarbeitung der Produktvision, wurde festgestellt, gibt es mindestens zwei mögliche Perspektiven: „Wir können adressieren, was wir erstellen können“ oder: „Wir können adressieren, was der Kunde am Ende herausbekommen möchte.“ Es ist für die Arbeit an einem Produkt herauszustellen, womit ein Team auf das Produkt einzahlt. Welche Punkte in der Arbeit wirken visionär? Auch die Vision des gesamten Teams spielt eine Rolle, nur, wenn diese berücksichtigt wird, kann das Team auch „mit Emotionen dabei“ sein.

Wie kommen wir zu einer guten Vision?

Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass eine Vision auch bildlich dargestellt werden muss, dass nur eine Verschriftlichung zu wenig sei. Bildliches beeinflusse das Unterbewusste und sei damit stärker als Geschriebenes. Er bekannte, selbst ein Freund empirischen Arbeitens zu sein (bei dem es ständig etwas zu entdecken und zu verbessern gibt). „Eine Projektmanagement-Denke des Product Owners stört mich.“ Es müsse gemeinsam an sogenannten „Gestalten“ (Bildern) im Kopf gearbeitet werden: „Wie kommen wir dahin, welche Hürden sehen wir, und wie können wir sie überwinden?“ In der gemeinsamen Diskussion darüber entstehe auch Kreativität.

Ein anderer Teilnehmer führte daraufhin aus: „Ich habe oft das Thema, dass nicht der Wunsch nach begründeten Experimenten besteht, sondern dass vom Team der Wunsch nach der perfekten Vision oder Lösung implizit mit im Raum wabert, dass dann massiver Gegenwind vom Team kommt, wenn eine Story mit dabei ist, die nicht das gewünschte Ziel erreicht“, und noch das sinngemäße Zitat des Teams: „Ein PO muss doch wissen, dass das so nicht funktionieren kann…“

Daraufhin folgte die Empfehlung vom Vorredner, sich als Product Owner die fünf größten Visionen der Geschichte anzusehen, von Kennedy über Coca-Cola zu Elon Musk, und sich damit zu beschäftigen, um zu erkennen, was eine gute Vision ausmacht. So könne man ein Gespür dafür bekommen, wie man eine Vision für die eigene Umgebung entwickeln kann.

 Verstehe ich den Kunden wirklich?

Jemand blies an dieser Stelle ein bekanntes Zitat in den Raum, dass nämlich Altkanzler Helmut Schmidt auf eine blöde Frage doch pampig geantwortet habe, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen, woraufhin Erheiterung in der Runde ausbrach. Eine Teilnehmerin bekannte, dass sie es für eine große Kunst halte, sich Kundenbedürfnisse anzugucken und diese auch wirklich zu verstehen, bevor eine Vision entwickelt wird, anstatt irgendetwas zu entwickeln, das total schick und schnafte sei (dieser Ausdruck war dem Schreiberling mit phonetischer Vorbildung zuvor unbekannt, weswegen er unbedingt hier hinein muss), aber trotzdem leider „meist für die Tonne“.

Was zeichnet einen guten Product Owner (u. a.) aus?

Einen interessanten Schlusspunkt, der zu weiterem Nachdenken anregt, bildete die Feststellung eines Gastes, dass gute Product Owner nie diejenigen gewesen seien, die innovative Techniken auf den Markt gebracht hätten, sondern diejenigen, die Einzeltechniken, die gut funktionieren und auf die sie sich gerne verlassen wollten, zu neuen Produkten zusammengefügt hätten. Als Beispiel wurde der Flugzeugbau genannt, in dem ein gutes Flügelprofil entwickelt wurde (Details sind dem Dokumentar der Sitzung entgangen), oder die Gründer von Tesla, die an ihrer Vision arbeiteten, weil sie die Mobilität verändern und von fossilen Brennstoffen wegkommen wollten.

 

Merkt man irgendwann, dass die Scrum-Luft raus ist?

Da dieser Themengeber auf dem Scrumlr-Board als „Sean Connery“ auftauchte, frotzelte ein Mitglied des Organisationsteams: „Aus Sean Connery ist die Luft raus…“, Lachen in der Runde. Der Teilnehmer erläuterte ungerührt, dass es dem Ende des Projektes zugehe, die Entwicklung nun abgeschlossen sein soll, danach kommen nur noch User Integration Tests. „Ich merke, dass die sagen: ja, ja, klappt schon…“, sprich, das Team schert sich nach Wahrnehmung des Diskussionsgastes nicht mehr groß um Probleme und winkt innerlich - scheinbar - schon ein bisschen ab. Der Gast möchte gerne wissen, ob man das noch einmal einfangen kann, ob es sich lohnt, da noch etwas zu tun. Detail: Das beschriebene Team geht nach dem Projekt auseinander, die gesamte Arbeit findet remote statt. „Wie kann man im Endspurt die Energie noch mitnehmen?“ Anderer Teilnehmer furztrocken: „Warum sollten die das tun?“ Themengeber: „Noch bin ich da, ansonsten könnte ich auch abschalten, ich möchte aber nicht nur rumsitzen…“ Aus dem Maschinenraum hallte die Frage, ob es nicht ok sei, wenn der Teilnehmer seine Füße einmal stillhalte, das Projekt ausklingen lasse, und ob das Problem vielleicht nur zwischen seinen eigenen Ohren bestehe.

Ein anderer Teilnehmer riet, die gemachten Erfahrungen noch ins Unternehmen zu tragen, „Da würde ich dranbleiben“. Andere Sichtweise: „Nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf: Ich würde das Team in Bezug auf das nächste Projekt fragen, was wir lernen / noch mit erledigen können, damit wir für dieses nächste Projekt gut aufgestellt sind.“ Anregungen: Sind Einarbeitungsleitfäden vorhanden? Wenn nicht, anfertigen; sollten neue Technologien genutzt werden? Eigene Notizen durchgehen, eine große Retrospektive zu dem Thema durchführen: „Was würden wir aus diesem Projekt für das Unternehmen retten wollen?“ Der Themengeber berichtete daraufhin, dass auch gerade eine Knowledge Base aufgebaut werde und diese Ideen gut passten.

 

Verbreitung von „Scrum in healthcare“

Der Themengeber freute sich: „Hey, mein zweites Thema…!“ Kommentar aus dem Maschinenraum: „Abräumer!“ 😊 Der Themengeber hatte beim Thema healthcare erste Erfahrungen mit einer Uniklinik gemacht, die darauf positiv reagierte. Diese positive Reaktion zeigte sich in Sessions, in die Menschen kamen und Fragen stellten.

Der Begriff „lean“ sei verbrannt, Scharen von Beratern „schon durch“ (die Einrichtungen gegangen), und: keiner könne es mehr allein machen, so die Erkenntnis. „Wir müssen uns zusammentun und gemeinsam dieses Thema fördern.“

Eine Teilnehmerin wandte ein, dass es sich ein Stückweit auch um ein systemisches Problem handeln könne, da Regelungen bestehen, dass bei Ausschreibungen jeweils der günstigste (oder „billigste“) Essensanbieter, die billigste Reinigungsfirma genommen werden müsse. Diese Firmen würden dann natürlich nicht qualitativ hochwertig arbeiten.

Was brauchen wir dafür?

Mit der Agilisierung von Healthcare soll eine bessere Versorgung der Patienten erreicht werden, wofür es natürlich auch und gerade in diesem Sektor das Commitment des Managements benötigt, wie angesprochen wurde. Weiterhin spiele psychologische Sicherheit eine entscheidende Rolle, so ein anderer Beitrag, eine versorgende Person müsse sich z. B. trauen, wenn jemand anderes wiederholt ein falsches Medikament spritzen will, diesem Tun Einhalt zu gebieten. Das Thema Healthcare/Gesundheitsfürsorge werde im Zusammenhang mit psychologischer Sicherheit immer wieder genannt. Ein Beitrag dazu: „Im Krankenhaus, da geht’s um Menschenleben, wer will da die Verantwortung übernehmen, wenn mal etwas schief läuft? Der Chefarzt weiß um die Verantwortung, aber z. B. eine Krankenschwester mit wenig Gehalt möchte diese Verantwortung nicht übernehmen müssen.“

Konkrete Beispiele für Verbesserungen im Bereich Healthcare

Der Themengeber berichtete, dass durch bessere Arbeitsorganisation viel gesündere Menschen resultieren könnten, und nannte als Beispiel ein Krankenhaus in Boston, in dem bereits viel „lean“ gearbeitet wurde und in dem mit einem gemischten Team (verschiedene Perspektiven) die Reinigungszeiten drastisch reduziert werden konnten. Hierfür hätten alle gemeinsam darüber gesprochen, welche Bedürfnisse vorhanden sind, um den besten Weg zu finden. Dadurch konnte ein Millionenbetrag durch Reduktion von 1h auf 20 min Reinigung von OP-Sälen erreicht werden. Jemand fragte, ob dies nicht einer der Extremfälle sei, die „pauschal auf alles ausgegossen“ würden.

In der Folgediskussion kamen noch weitere Beispiele auf, die zeigten, dass dem nicht so ist. „Es würde im Krankenhaus viel weniger Stress geben, wenn man auf der Intensivstation einfach ans Telefon ginge und die Fragen der Angehörigen beantwortete.“ Zum Schluss konstatierte ein Teilnehmer das, was wir auch an anderen Stellen immer wieder sehen. Er berichtete, dass er häufig beobachte, dass auch in diesem Sektor Prozesse an Einzelstellen super optimiert seien, aber man habe ebenfalls das Gefühl, dass alles in Abteilungen organisiert sei, man in verschiedenen spezialisierten Krankenhäusern sei (obwohl es nur ein einziges ist). Der Ablauf pro Fachabteilung sei für sich genommen jeweils super, aber der Blick auf den Gesamtprozess ist nicht vorhanden. Allein die Fragen „Wie heißen Sie? Wie alt sind Sie?“ etc. würde man mindestens 7- oder 8- mal beantworten müssen.

Hier im Anschluss wieder der Screenshot mit den eingebrachten Themen:

Wir freuen uns in unserem Lean-Coffee-Joint Venture über alle, die die dienstäglichen Diskussionen beleben.






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