Beim agilen Arbeiten ist uns Empirie wichtig. Dafür gibt es eine lange Tradition, die beim Scientific Management im 19. Jahrhundert beginnt, sich beim Lean Management und Scrum fortsetzt. Der Begriff "Scientific" war durchaus ernst gemeint und nicht einfach ein Marketingtrick. Das können wir an wichtigen Akteuren und ihrer Arbeitsweise nachvollziehen.
In wirtschaftlichen Schwierigkeiten brauchten US-amerikanische Unternehmer systematisch arbeitende Ingenieure
Bei LinkedIn habe ich kürzlich ein paar Sekundärquellen über Frederick W. Taylor vorgestellt. Für mich war die Frage interessant, warum Taylor zu dieser Zeit aufgefallen ist. Warum er und kein anderer? Gab es irgendwelche besonderen Einflüsse? Warum Philadelphia und keine anderen Orte?
Die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten blühte nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg wieder auf. Mark Twain sprach vom vergoldeten Zeitalter (engl. Gilded Age). Der Zeit war von vielen Erfindungen geprägt. Die Reallöhne stiegen. Die Eisenbahn wurde zum wichtigen Verkehrsmittel. New York, Philadelphia und Chicago wurden zu wichtigen Zentren. Gleichzeit stiegen aber auch Armut und Korruption.
Es entstanden viele neue Fabriken und die Besitzer standen vor der Frage, wie diese zu organisieren seien. Es treten die ersten Ingenieure auf, die vor allem Konzepte zur Kostenrechnung vorschlagen. Ende des 19. Jahrhunderts gibt es eine große Wirtschaftskrise und der Stahlmarkt wird konsolidiert. Jetzt suchen die Fabrikbesitzer nach Leuten, die ihnen helfen, Kosten zu sparen. Ich weiß noch zu wenig, wer oder was Taylors Denken beeinflusst hat. Taylor hat zeitweise mit Frank und Lillian Gilbreth zusammengearbeitet. Wer Einfluss auf deren Denken hatte, habe ich herausfinden können. Und dazu gehen wir nach Deutschland.
Die Psychologie kommt in die USA
Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland beginnt etwas früher als in den USA. Die Gründerzeit wurde durch eine hohe Nachfrage nach Kohle und Stahl und den Ausbau der Eisenbahn angetrieben. In einem Beitrag über diese Zeit bei der bpb schreibt der Autor: "Wirtschaftliches Wachstum und politische Stabilisierung bei allmählicher Demokratisierung und dem langsamen Abbau alter Hierarchien zugunsten größerer Gleichheit der Staatsbürger legten eine ... Weltsicht [des Fortschritts] nahe. Für viele Menschen wurde Fortschritt unmittelbar erfahrbar: Postkutschen wurden durch Eisenbahnen abgelöst, Segelschiffe durch Dampfer; an die Stelle von Erzeugnissen des Handwerks traten zunehmend Produkte der Fabrikindustrie; Städte legten sich Kanalisation und zentrale Wasserversorgung zu. In zahlreichen Ländern Europas wurde in diesen Jahrzehnten das Elementarschulwesen ausgebaut. Der Anteil von Analphabeten an der Bevölkerung ging zurück, Mädchen kamen zum Teil erstmals in den Genuss staatlicher Bildungsangebote. Die Leserschaft von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern multiplizierte sich."
In dieser Zeit entwickelt sich die Psychologie als eigenständige Wissenschaft. Im Jahr 1879 gründet Wilhelm Wundt das erste Labor für experimentelle Psychologie an der Universität in Leipzig. Zu den wichtigsten Einflüssen auf Wundt gehören Leibniz und Kant. Wundt stimmt Kant darin zu, dass das Wesen eines Menschen in seiner Gesamtheit nicht objektiv messbar ist. Er konzentriert sich daher in seiner Forschung auf einzelne Aspekte wie die Sinneswahrnehmung.
Edward B. Titchener (Quelle: Wiki Commons) |
Wundts Labor wird schnell populär. Es gibt einige Personen die bei Wundt als Assistent im Labor arbeiten. Einige davon werden später zu wichtigen Akteuren im Scientific Management in den USA wurden: James McKeen Cattell, Edward Bradford Titchener, Granville Stanley Hall und Hugo Münsterberg.
James McKeen Cattell und Granviell Stanley Hall gründen 1894 die American Psychological Association (APA). James McKeen Cattell bildet Edward Lee Thorndike aus, bei dem Lillian Moller Gilbreth studiert und stark beeinflusst wird. Ihre Doktorarbeit trägt später den Titel "The Psychology of Management".
Titchener prägt übrigens später den Begriff der Empathie.
Gemeinsam Wissen teilen
Wir kennen in der agilen Szene die Bereitschaft, Dinge zu durchdenken, zusammen zu kommen und Wissen zu teilen. Das war auch schon damals der Fall.
So wie in Scrum Produktentwicklung und Psychologie zusammenkommen, entwickelte sich eine Taylor Society aus einer Untergruppe der American Society of Mechanical Engineers (ASME). Seit 1910 haben sich Expert:innen vom Scientific Management, die auch gleichzeitig ASME-Mitglieder waren, getroffen, um speziell über Managementthemen zu diskutieren. Daraus entwickelte sich die Society to Promote The Science of Management, die nach Taylors Tod zu seinen Ehren umbenannt wurde.
Die Mitglieder der Taylor Society trafen sich regelmäßig und veröffentlichten ihre Vorträge in regelmäßigen Bulletins. Die Taylor Society ging 1936 in der Society for Advancement of Management auf.
Die Bulletins sind heute noch lesenswert. Ich finde es erstaunlich, wie ähnlich die Arbeitsweise der Expert:innen damals und heute sind und wie stark sich hier (Elementen-) Psychologie, Management und Maschinenbau überlappen.
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