Direkt zum Hauptbereich

Lässt sich Scrum auch in Hardwareprojekten nutzen?

Immer wieder taucht die Frage auf, ob denn Scrum auch für Hardwareprodukte geeignet sei. Die Konzepte in Scrum kommen aus der Hardwareentwicklung. Die frühe Scrum-Community hat sich viel von Toyota inspirieren lassen. Es gibt eine Vielzahl von Tools und Praktiken. Wie können wir uns das besser merken? Gehen wir dazu ein wenig in die Geschichte zurück.

Bücher über die Produktentwicklung bei Toyota

Zu Scrum und Hardware habe ich im Jahre 2018 bereits einen Beitrag geschrieben.

Toyota macht konsequent weiter, was andere vergessen haben

Seit den 1950er Jahren gibt es für jedes Modell bei Toyota einen Chief Engineer. Toyota war pleite und musste sich bei der Entwicklung neuer Autos auf wenige neue Modelle konzentrieren.
Der erste Chief Engineer Kenya Nakamura war von allen anderen Pflichten entbunden und sollte nur herausfinden, was den Crown so gut machte, dass er von vielen Leuten gekauft würde. Er sprach viel mit potenziellen Kunden und hat nach eigener Aussage wahrscheinlich jede Straße in Japan einmal befahren. Nakamura hatte keine disziplinarische Macht über seine Mitingenieure. Aber jeder wusste, dass es gut war, mit ihm zusammen zu arbeiten.

Die Idee des Chief Engineers hat Toyota aber nicht erfunden. Sie wurde von Tatsuo Hasegawa mitgebracht und umgesetzt. Hasegawa war vorher Flugzeugbauer. Seit der Jahrhundertwende hatten besonders die Flugzeugbauer eine spezielle Art, Maschinen zu konstruieren. Eine Art, die zunächst in Deutschland entwickelt und dann in der Welt verbreitet wurde. Sie war praktisch der Standard weltweit. Es gab deshalb nicht einmal einen besonderen Namen dafür. Toyota macht nur konsequent weiter, was bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Norm war.

Was ist daran besonders? Die Herangehensweise zeichnet sich dadurch aus, dass die Konstrukteure durch viele kleine Experimente an Wissen gelangen. Sie steht damit in der Tradition von Otto Lilienthal oder den Gebrüdern Wright. Sie machten Experimente und dokumentierten ihre Erkenntnisse akribisch in Tabellen und Kennlinien. Sie wussten, dass Maschinen und die entsprechende Physik irgendwann so komplex werden, dass man sie nicht mehr mit mathematischen Formeln beschreiben kann. Dennoch brauchten sie für ihre Versuche eine gute theoretische Basis.
Zu Beginn haben die Konstrukteure ihre wesentlichen Wissenslücken formuliert. Dann haben sie sich mit Modellen die Zusammenhänge erarbeitet, bis sie größere Experimente wagen konnten. Wie sieht das heute konkret aus?

So sammeln wir Wissen

Wenn wir die Arbeitsweise von Ingenieuren vergleichen, fallen uns im Wesentlichen zwei Techniken auf.

a) Die eine Technik formuliert genaue Anforderungen. Auf diese Anforderungen hin wird entwickelt und getestet. Diese Herangehensweise ist in klare Phasen unterteilt und zielt darauf ab, die eine beste Lösung zu finden. Der Fachbegriff lautet point-based sequential engineering. Diese Arbeitsweise haben Nonaka und Takeuchi in ihrem Aufsatz damals beschrieben. Das Problem daran ist, dass damit die Zyklen sehr lang werden. Fehler werden spät entdeckt und korrigiert. Zudem dauert es lange, wenn unterschiedliche Fachdisziplinen widersprüchliche Ziele haben und Konflikte beizulegen sind.

b) Die ursprüngliche Technik der Flugzeugbauer zielt darauf ab, aus einer Menge von Lösungen eine gute Variante herauszufiltern. Statt die eine beste Lösung zu finden, starten die Konstrukteure mit mehreren Ansätzen gleichzeitig. Die Entwicklungszyklen überlappen sich. Das Wissen wird verdichtet. Der Fachbegriff lautet set-based concurrent engineering. Unterschiedliche Abteilungen oder Fachdisziplinen legen ihr Wissen in Form von Kennlinien, Skizzen und Checklisten übereinander, um gemeinsame Arbeitsbereiche zu finden.
Point-based und set-based engineering im Vergleich


Ist es nicht Verschwendungen, mehrere Ansätze gleichzeitig zu fahren? Zum einen macht diese Herangehensweise es möglich, dass in bestimmten Projekten überhaupt eine Lösung gefunden wird. Zum anderen widerlegen Zahlen die Verschwendung. Ein Artikel aus dem Jahr 2005 stellt fest, dass Toyota 150 Ingenieure braucht, um ein Auto zu entwickeln. Chrysler braucht 600 Ingenieure für die gleiche Arbeit und zudem doppelt so viel an Zeit (Ballé, Freddy, and Michael Ballé. "Lean development." Business Strategy Review 16.3 (2005): 17-22.). Toyota erarbeitet sich so wiederverwendbares Wissen (re-usable knowledge).

Toyota nutzt weitere Techniken, die wir kopieren können. Zunächst werden die technischen Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Abteilungen verhandelt. Solange die Schnittstelle bedient wird, darf jeder hinter der Schnittstelle ändern, was nötig ist. Zum ist die Entwicklung im ganzen Unternehmen getaktet. Neue Komponenten werden zu verlässlichen Terminen veröffentlicht. Zur Not wird der Umfang reduziert, um den Termin zu halten. Technik- und Ausbildungsstandards sichern eine gleichbleibende Qualität bei den Mitarbeitern und verkürzen Durchlaufzeiten. Hinzu kommen Tools zur Automatisierung.

Was bedeutet das nun konkret in unseren Hardware-Scrum-Projekten?

Wir starten mit einem oder mehreren Grundmodellen und verfeinern diese sukzessive. Wir fassen unsere Wissenslücken zusammen. Es werden Experimente definiert, um Wissen zu erzeugen. Wir reden mit anderen Abteilungen, um in den Daten gemeinsame Arbeitsbereiche zu finden. Es werden technische Schnittstellen vereinbart, um Komplexität zu reduzieren. Tools für automatische Tests nehmen uns schließlich Arbeit ab.

Wer mehr wissen will, findet in diesen Quellen einige Anregungen:
  • Sobek II, Durward K., Allen C. Ward, and Jeffrey K. Liker. "Toyota's principles of set-based concurrent engineering." MIT Sloan Management Review 40.2 (1999): 67.
  • Morgan, James, and Jeffrey K. Liker. The Toyota product development system: integrating people, process, and technology. Productivity press, 2006.
  • Ward, Allen C., and Durward K. Sobek II. Lean product and process development. Lean Enterprise Institute, 2014.
  • Morgan, James M., and Jeffrey K. Liker. Designing the Future: How Ford, Toyota, and other World-Class Organizations Use Lean Product Development to Drive Innovation and Transform Their Business, McGraw Hill Professional, 2018.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Und jetzt alle zusammen! Teams - OneNote - Aufgaben - To Do

Ein Meeting jagt das nächste. Sich da nicht zu verzetteln, wird  im Zeitalter virtueller Besprechungen  noch anspruchsvoller. Kein Wunder, dass  im Zusammenhang mit Microsoft 365  zwei Fragen besonders häufig auftauchen: Wie dokumentiert man Besprechungen gut? Was hilft, offene Aufgaben nachzuhalten? Eine gute Lösung: Das in MS Teams integrierte OneNote-Notizbuch als gemeinsame Plattform auch für den Aufgabenüberblick zu nutzen.

Outlook-Aufgabenliste: bitte nicht die Aufgaben des ganzen Teams!

Am Tag der Arbeit kommt eine Lösung, nach der ich schon so oft gefragt wurde: Wie schaffe ich es, dass meine Outlook-Aufgabenliste nur meine eigenen Aufgaben anzeigt und nicht auch die E-Mails, die meine Kollegen gekennzeichnet haben oder Aufgaben, die einfach in einem gemeinsamen Postfach stehen?

Kategorien in Outlook - für das Team nutzen

Kennen Sie die Kategorien in Outlook? Nutzen Sie diese? Wenn ja wofür? Wenn ich diese Fragen im Seminar stelle, sehe ich oft hochgezogene Augenbrauen. Kaum jemand weiß, was man eigentlich mit diesen Kategorien machen kann und wofür sie nützlich sind. Dieser Blogartikel stellt sie Ihnen vor.

Das Ubongo Flow Game

Spiele bieten eine gute Gelegenheit, zeitliche Erfahrungen zu verdichten und gemeinsam zu lernen. Karl Scotland und Sallyann Freudenberg haben im Mai 2014 das Lego Flow Game veröffentlicht. Wir haben die Spielidee übernommen, aber das Spielmaterial gewechselt. Statt Legosteinen benutzen wir Material aus Grzegorz Rejchtmans Ubongo-Spiel. Hier präsentieren wir die Anleitung für das Ubongo Flow Game.

E-Mail-Vorlagen gemeinsam nutzen (Outlook)

Mittlerweile wird praktisch alle Routine-Korrespondenz in Outlook erledigt. Was liegt da näher, als ein gutes Set von Vorlagen zu erstellen und diese gemeinsam in Team zu nutzen? Leider hat Microsoft vor diesen – an sich simplen – Wunsch einige Hürden gebaut.

Protokolle in OneNote - neue Ideen für's neue Jahr

Protokolliert Ihr Team seine Besprechungen in OneNote? Das geht einfach, schnell ist teamfähig und hat eine exzellente Suchfunktion. Die beliebte Fragen "Wann haben wir eigentlich beschlossen, dass..." ist so schnell beantwortet. Darum wird OneNote an dieser Stelle immer beliebter. In meinen Seminaren dazu sind gute Ideen entstanden, die ich hier weitergeben will.

Beispiel für eine Partyplanung mit Scrum

Wer sich neu mit Scrum beschäftigt, ist vielleicht überwältigt von den ganzen Fachbegriffen. Dann sieht man vielleicht gar nicht, wie einfach die einzelnen Elemente von Scrum sind. Deshalb hier ein einfaches Beispiel für die Vorbereitung einer Party mit Hilfe von Scrum.

Optimieren wir uns zu Tode?

Als jemand, der mehr als fünfzehn Jahre in der Welt des IT-Service-Management-Prozessmanagements verbracht hat, musste ich das Buch von Guther Dueck aus dem Jahr 2020 Heute schon einen Prozess optimiert? Das Management frisst seine Mitarbeiter lesen/1/. Typisch für ihn bietet Dueck uns einen provokanten, teils vernichtenden, jedoch humorvoll geschriebener Weckruf. Er behauptet, dass das moderne Management von “Pacesetters” und “Controllers” dominiert wird. Sie sind so sehr auf Optimierung und Profit fokussiert, dass sie den Willen zu Innovation und Unternehmertum abtöten. Jedoch ohne mehr Kreativität und Tatkraft werden wir die Herausforderungen der Digitalisierung, des Klimawandels etc. nicht bewältigen. Ein agiles Mindset kann helfen.

Projekt-Kick Off – Wie Du einen Auftakt gestaltest, der alle Kräfte freisetzt!

Ein typisches Szenario:  Zum Auftakt wird das neue Projekt vom Verantwortlichen vorgestellt. Die vorbereitete PowerPoint-Präsentation zeigt in bunten Bildern, welche Traumschlösser vom Team umgesetzt werden sollen. Doch statt der erhofften Aufbruchsstimmung macht sich Widerstand breit. Diskussionen kommen auf. Das Kickoff-Meeting wird zur Bühne der Lauten. Miese Stimmung macht sich breit. Die Lauten werden lauter, die Stillen werden leiser.  Kommt Dir das bekannt vor? Häufig werde ich gefragt: "Maria - wie sieht das in der Praxis aus? Wie gestalte ich als Moderator ein strukturiertes Meeting?". In diesem Artikel stelle ich Dir EINEN alternativen Ablauf einer Kickoff-Veranstaltung in fünf Schritten vor. Ein Gestaltungsvorschlag, der Impulse und Mut zum Experimentieren neuer Formate bieten soll.  Was es ermöglicht: Förderung des Projekterfolg Frühes gemeinsames Verständnis des Projekts Missverständnissen wird vorgebeugt Es werden hilfreich Hinweise sichtbar, WIE d

OneNote Prinzipien: Zugriffsrechte und Speicherorte

OneNote ist praktisch – ohne jeden Zweifel. OneNote ist auch einfach und intuitiv zu bedienen… Ja… so am Anfang. Doch früher oder später kommen Fragen wie: - wer genau hat eigentlich wie Zugriff auf die Daten? Wie ist das mit Synchronisation zwischen Büro-PC und Smartphone oder iPad? Wie funktioniert OneNote auf dem SharePoint? Auf diese Fragen findet sich die Antwort nicht ganz so leicht. Ich versuche hier die nicht ganz so offensichtlichen Zusammenhänge deutlich zu machen und "gern genommene" Fallen zeigen.