Direkt zum Hauptbereich

Pragmatisch oder nur “Quick and Dirty”?

“Wir müssen aber pragmatisch vorgehen”, drängt der Kollege. Hm… Im Wörterbuch finde ich für “pragmatisch” in etwa: sachbezogenes, praktisches Handeln. Klingt gut. Leider zeigt sich in meinen Erfahrungen, dass pragmatisch für viele doch eher “quick and dirty” bedeutet. Es soll schnell fertig werden. Aber auf welche oder wessen Kosten? Wo ist die Grenze? Warum steht “praktisch” im Konflikt mit einem langfristigen “Nützlich”? Muss das sein?

Ein Team, das ich kenne, hat Pragmatismus für sich wie folgt definiert: “Stets den kürzesten und einfachsten Weg zum Ergebnis verfolgen, ohne dass daraus Folgen entstehen, die langfristig mehr schaden als nutzen.” Die Definition ist gut, und sie erfasst genau die zwei Kernprobleme:

  1. Wie stellen wir sicher, dass wir schlank (Lean) handeln?
  2. Wie vermeiden wir langfristigen Schaden, sprich Fehler oder unfertige Arbeit, die zu späteren Aufwänden, Kosten oder PR-Arbeit führen?

In der Lean Philosophie gelten solche Fehler und das daraus entstehende Re-Work als Verschwendung, die zu reduzieren bzw. zu vermeiden sind. Das Pragmatische deutet damit auf ein Optimum, das wir durch einen Kompromiss erreichen.

Der Kompromiss gibt uns in der täglichen Arbeit leider keinen guten Leitfaden. Auf der einer Seite ist er banaler Common Sense: Gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Ja, richtig. Gut. Auf der anderen Seite ist dieses Verhältnis für die handelnden Personen aber sehr schwer zu ermitteln. Wie viel Zusatzkosten dürfen wir im Kauf nehmen? Wie hoch sind diese Kosten? Keiner kann in einem "pragmatischen" Entscheidungsmoment durchblicken, wie viel Re-Work oder Fehlerkorrekturen durch den genommenen, kürzeren Weg entstehen. Meist beugt man sich dem Termindruck der Einzelsituation und entscheidet für die kurzfristig naheliegendste Lösung. Denn der Mensch "leidet" generell an einem "Optimism-Bias", der ihn dazu verleitet, den späteren Schaden zu unterschätzen./1/

Die Folge ist, dass wenig Hoffnung besteht, dass sich Menschein im Eifer des Gefechts für das Optimum entscheiden. Am Ende führt sich das Team in eine negative Spirale, die Menge an Korrekturarbeit nimmt Oberhand. Und da wir keine Zeit haben, es richtig zu machen, sind wir zu weiterer Korrekturarbeit verdammt...

Der Weg aus dem Strudel liegt in einem stetigen Hervorheben des kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP), der die Ursachen und Fehlerquellen aufdeckt und angeht. Der KVP sorgt für einen langfristigen Pragmatismus, der darin besteht, dass unsere Prozesse einfach gestaltet sind. So entstehen möglichst wenig Fehler in den Einzelfällen. Die Herausforderung liegt allerdings darin, dass wir oft meinen, keine Zeit für den KVP zu haben. In dieser Situation hilft nur ein radikaler Schnitt: Wir zwingen uns die Zeit für den KVP zu nehmen. Trotz Termindruck. Das ist zunächst hart. Doch diese Zeit zahlt sich schnell aus.

Es gibt auch einen Teamwork- bzw. sozialen Aspekt zum vermeintlichen pragmatischen Handeln. Die Schaden (Korrekturkosten) entstehen häufig bei anderen, als denjeningen, die pragmatisch gehandelt haben. Sie nehmen eine Hypothek auf, und andere bezahlen die Zinsen. Gutes Geschäft, könnte man auf den ersten Blick meinen! Für den Pragmatiker ist es häufig schwer wirklich zu begreifen, welche unnötige Last er bei seinen Kollegen in einer entfernten Abteilung verursacht hat. Denn er kennt ihre Arbeit zu wenig. Der Lean-Ansatz bietet in diesem Zusammenhang ein Qualitätsversprechen an, das jedes Team an sich selbst geben kann. Das Qualitätsverprechen lautet:

  • Ich erstelle keine schlechte Qualität.
  • Ich gebe keine schlechte Qualität weiter. 
  • Ich akzeptiere keine schlechte Qualität.

Der wichtigste Satz ist der letzte. Denn er generiert sowohl das notwendige Feedback. Und er bietet eine Lern-Chance für beide Parteien an. In einem längeren Prozess mit vielen unterschiedlichen Teams pusht der Fehler zurück zu seiner Quelle. Wenn ich keinen Fehler von dir akzeptieren kann, und du machst das Gleiche mit deinem Lieferant, decken wir die wahre Fehlerquelle schnell auf. Damit können wir am effektivsten den ursprünglichen Fehler (Root Cause) beseitigen.

Also: Ich schlage eine neue Definition von Pragmatismus vor: “Stets nach Verbesserungen im Prozess zu suchen, die über kurze und einfache Wege zu fehlerarmen Ergebnissen führen.”

Denn für kurzfristigen Pragmatismus habe ich keine Zeit.


Anmerkungen

  • /1/  Daniel Kahneman, Thinking, Fast and Slow (Farrar Straus & Giroux, 2011).  Schöner ließt sich allerdings Albert O. Hirschman, “The Principle of the Hiding Hand,” in Development Projects Observed (Washington, D.C.: The Brookings Institution, 1967), 9–34. Hirschmanns Hiding Hand hat 30 Jahre früher das gleiche Phänomen aufgegriffen und geht dessen Paradoxen subtiler an.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Wie Agilität den Kundennutzen steigert - Einige Argumente für Berater:innen

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit fragen sich viele, ob agile Beratung noch eine Zukunft hat. Die Antwort liegt in der konsequenten Orientierung am Kundennutzen. Qualität setzt sich durch, wenn sie messbare Verbesserungen bei Umsatz, Kosten und Leistungsfähigkeit bewirkt, anstatt sich in Methoden und zirkulären Fragen zu verlieren. Dieser Artikel zeigt, wie agile Beratung nachhaltige Veränderungen in Unternehmen schafft und warum gerade jetzt gute Berater:innen gebraucht werden, um Organisationen widerstandsfähiger zu machen.

Warum eine Agile Transformation keine Reise ist

Die agile Transformation wird oft als eine Reise beschrieben. Doch dieser Vergleich kann viele Unternehmen in die Irre führen oder Bilder von unpassenden Vergleichen erzeugen. Transformationen sind keine linearen Prozesse mit einem klaren Ziel, sondern komplexe und dynamische Entwicklungen. Dieser Artikel zeigt, warum Agilität kein Weg mit einem festen Endpunkt ist.

Agile Leadership – Führst du noch oder dienst du schon?

Die Arbeitswelt verändert sich. Und das spüren nicht nur Führungskräfte, sondern vor allem Mitarbeitende. Immer mehr Menschen hinterfragen den Sinn ihrer Arbeit, erwarten Respekt, Vertrauen und eine Unternehmenskultur, die echte Zusammenarbeit ermöglicht. Studien wie die Gallup-Studie 2025 oder die EY-Jobstudie zeigen: Der Frust am Arbeitsplatz wächst – und mit ihm die Unzufriedenheit mit der Führung. Höchste Zeit, umzudenken. Genau hier setzt agile Führung an. 1. Warum agile Führung heute entscheidend ist  Klassische Führung – hierarchisch, kontrollierend, top-down – funktioniert immer weniger. Die Zahlen sind eindeutig:  Laut Gallup fühlen sich nur noch 45 % der deutschen Beschäftigten mit ihrem Leben zufrieden. Fast jede dritte Kündigung erfolgt wegen der Führungskraft. Nicht das Gehalt, sondern mangelnde Wertschätzung, fehlendes Vertrauen und ein schlechtes Arbeitsumfeld treiben Menschen aus Unternehmen.  Agile Führung bietet eine Alternative, die auf Vertrauen, Selbs...

Kleine Organisationsveränderungen, die direktes Feedback erzeugen

Große Veränderungen sind in einer Organisation schwer zu messen. Oft liegt zwischen Ursache und Wirkung ein langer Zeitraum, sodass die Umsetzer:innen nicht wissen, was genau gewirkt hat. Hier ist eine Liste mit kleinen Maßnahmen, die schnell etwas zurückmelden.

Ent-Spannen statt Platzen: Erste Hilfe für mehr Vertrauen und Resilienz im Team

Zwei Themen die mir in den letzten Wochen immer wieder über den Weg laufen sind Vertrauen und Resilienz. Vertrauen als das Fundament für gemeinsame Zusammenarbeit und Resilienz als die Fähigkeit, Herausforderungen, Stress und Rückschläge zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.  In dem Blogpost möchte ich ein paar Erste-Hilfe Interventionen teilen, die zu mehr Vertrauen und Resilienz im Team führen können - gerade wenn die Emotionen hochkochen und es heiss her geht im Team. Die „Mist-Runde“: Ärger Raum geben. In konfliktbeladenen oder belasteten Teams kann es eine große Herausforderung sein, eine offene Kommunikation und ein respektvolles Miteinander zu fördern. Eine einfache, aber äußerst effektive Methode, um Spannungen abzubauen, ist die „Mist-Runde“ . Diese Intervention, die ich zuerst bei Veronika Jungwirth und Ralph Miarka kennengelernt habe, gibt den Teilnehmern einen geschützten Raum, in dem sie ihre Frustrationen und negativen Gedanken ohne Zensur äußern können un...

Microsoft Lists: mit Forms und Power Apps komfortabel mobil arbeiten

In meinem Kundenkreis sind viele Menschen, die den Arbeitsalltag nicht vorwiegend auf dem Bürostuhl sitzend verbringen, sondern "draußen" unterwegs sind. Vielleicht in Werkstätten oder im Facility-Management. Es ist so wichtig, dass die Schnittstellen zu den Abläufen im Büro gut abgestimmt sind. Microsoft 365 hat so einiges im Baukasten, man muss es nur finden und nutzen.  In diesem Artikel spiele ich ein Szenario durch, das auf Microsoft Lists, Forms und - für die Ambitionierteren - Power Apps setzt.

Selbstbewertungsfragen für den Alltag in Arbeitsgruppen aus Sicht von Mitarbeitenden

Welche Fragen können wir Mitarbeiter:innen stellen, um herauszufinden, ob agiles Arbeiten wirkt? Es gibt bereits eine Menge an Fragebögen. Aber ich bin nicht immer zufrieden damit.