Beim Lesen von Friedrich Nietzsche hat mich als junger Erwachsener ein Gedanke stark beeindruckt: „Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagnen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel.“ /1/ Das hat starke Folgen für unsere Zusammenarbeit in Teams und zwischen Teams: wir streiten uns über unterschiedliche Wege und verlieren die Ziele aus den Augen. Das macht uns gnadenlos unproduktiv.
Die Augen dafür geöffnet hat mir übrigens Marshall B. Rosenberg mit seinem Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“. (Nebenbei: diese Bezeichnung „gewaltfreie Kommunikation“ hat meine Beschäftigung mit ihr sehr verzögert. Ich hatte so eine Vorstellung von weichgespülter Kuschelkommunikation. In Wahrheit ist es eine ganz fundierte Methode, wie sich Menschen auf Kooperation hin verständigen können. Siehe /2/)
Wenn ich mich zu einem Entschluss durchgerungen habe, schaltet mein Gehirn deshalb auf „Umsetzungsmodus“. Bloß nicht die Entscheidung nochmal in Frage stellen und die ganze Schleife von neu durchlaufen! Innerlich werden alle neuen Erfahrungen, die meinen mühsam gewonnen Plan in Frage stellen könnten, weggefiltert. Die stören jetzt nur noch die innere (oder in einem Team auch äußerliche) Einheit. Und wenn mir in dieser Situation jemand widerspricht, schalte ich auf stur und versuche eher, in mit allen Mitteln zu überreden, als noch einmal in den Planungs- und Verhandlungsmodus zurückzuschalten. – Das alles brachte für das Leben unserer Vorfahren in der Savanne sicher große Vorteile im Überlebenskampf. In der heutigen Welt kann das Vorgehen Nachteile bringen.
Der Ärger, den ich spüre, erhöht meinen Energielevel. Ich werde lauter und mache Druck. Meine Strategie ist in Gefahr geraten, und ich erhöhe meine Anstrengung, sie durchzusetzen. (Meine Frau macht auf ihrer Seite das Gleiche, nur mit etwas anderen Mitteln.) Eine solche Situation könnte man als Machtkampf auf der Ebene der Strategien beschreiben. Nur selten kommt es zu einer Einigung – bestenfalls zu einem wenig haltbaren Kompromiss oder zum Abbruch mit Türenknallen.
Solche Situationen gibt es im Berufsleben haufenweise: Ich als Berater habe mir eine tolle Agenda für einen Workshop ausgedacht, und die Teilnehmer finden sie absolut inakzeptabel. Das Entwicklerteam hat verschiedene Vorschläge für die neue Zerspanungsmaschine entworfen, und die Vertriebler haben tausend Einwände.
An diesem Punkt stellt sich regelmäßig ein Gefühl innerer Freiheit ein. Meine Strategie fesselt mich nicht mehr. Ich kann neu denken.
Das bedeutet überhaupt nicht, dass ich auf meine Bedürfnisse verzichte. Im Gegenteil, indem ich sie mir bewusst mache, nimmt ihre Wichtigkeit zu und sie gewinnen einen Platz in meinem Bewusstsein (statt nur in eines Ärgers in meinem Bauch zu rumoren). Aber ich kann sie neu und besser verfolgen, indem ich mir eine neue und bessere (nämlich realistischere) Strategie überlege. Bezüglich Empathie vielleicht mit meiner Frau, indem ich ihr meine Bedürfnisse erkläre. Bezüglich meines Actionbedarfs vielleicht ohne sie. Aber die konkrete Lösung spielt hier keine Rolle, wichtig ist das Aufstoßen des inneren Fensters.
Immer geht es darum, dass kleine Pläne durch kleine Ereignisse durchkreuzt werden. Der „Umsetzungsmodus“, in dem mein Geist sich befindet (man könnte ihn auch „Scheuklappenmodus“ nennen), hält mich auf dieser unteren „operativen“ Ebene fest und produziert dauernd negative Gefühle. Hamster im Rad, eingesperrt. Jedes Mal, wenn es mir gelingt, mich aus diesem Modus freizumachen und mich von meinem Plan zu lösen, komme ich aus dem Käfig heraus – ich gewinne wieder Verbindung zu mir und sehe anders auf die Welt um mich.
Ich schreibe diesen Post am Sonntag, 25. November 2018. Wann hat man schon mal das Privileg, über ein Thema zu schreiben, bei dem die Themen erster Advent und Agilität sich über den Weg laufen?
/2/ Marshall B. Rosenberg: „Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils“, Herder Verlag, 2004, ISBN 978-3-451-05447-1
/3/ Rosenberg schlägt neun große Kategorien von Bedürfnissen vor: Nahrung, Kleidung, Unterkunft; Sicherheit; Verständnis, Empathie; Kreativität; Intimität, Liebe; Spiel; Erholung; Autonomie; Sinn.
/4/ Seite 34 seines Buches.
Fotograf: Steve Jurvetson
Titel: The Path Less Traveled
http://piqs.de/fotos/search/abgrund/1681.html
Abbildung 2
Fotograf: Inovello
Titel: Streit
http://piqs.de/fotos/search/streit/53712.html
Die Augen dafür geöffnet hat mir übrigens Marshall B. Rosenberg mit seinem Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“. (Nebenbei: diese Bezeichnung „gewaltfreie Kommunikation“ hat meine Beschäftigung mit ihr sehr verzögert. Ich hatte so eine Vorstellung von weichgespülter Kuschelkommunikation. In Wahrheit ist es eine ganz fundierte Methode, wie sich Menschen auf Kooperation hin verständigen können. Siehe /2/)
Entscheidung und Entschluss
Wir Menschen haben einen spezifischen Umgang mit Entscheidungen. Wenn wir einen Plan machen müssen, dann wägen wir am Anfang verschiedene Möglichkeiten ab. Diese Abwägung geschieht doppelt, einmal bewusst-rational und einmal unterbewusst-emotional. Denn bekanntlich haben wir zwei Entscheidungszentren in unserem Gehirn. Dieser interne Planungsprozess kann widersprüchlich ablaufen und ist oft sehr aufwendig. Er kostet messbar Energie. Unser Geist versucht, die Anzahl der Entscheidungen zu minimieren.Wenn ich mich zu einem Entschluss durchgerungen habe, schaltet mein Gehirn deshalb auf „Umsetzungsmodus“. Bloß nicht die Entscheidung nochmal in Frage stellen und die ganze Schleife von neu durchlaufen! Innerlich werden alle neuen Erfahrungen, die meinen mühsam gewonnen Plan in Frage stellen könnten, weggefiltert. Die stören jetzt nur noch die innere (oder in einem Team auch äußerliche) Einheit. Und wenn mir in dieser Situation jemand widerspricht, schalte ich auf stur und versuche eher, in mit allen Mitteln zu überreden, als noch einmal in den Planungs- und Verhandlungsmodus zurückzuschalten. – Das alles brachte für das Leben unserer Vorfahren in der Savanne sicher große Vorteile im Überlebenskampf. In der heutigen Welt kann das Vorgehen Nachteile bringen.
Eine Strategie wird durchkreuzt
Ein simples Beispiel. Meine Frau und ich planen den nächsten Sommerurlaub. Wobei, von Planen kann kaum die Rede sein – nennen wir es eher „kämpfen um“. Sie macht mich richtig ärgerlich mit ihren dauernden Einwänden. Ich brauche dieses Jahr dringend etwas Action, und habe mir ein Road Movie rund um Frankreich ausgedacht. Jeder Tag woanders. Sie zernörgelt diesen schönen Plan mit hartnäckiger Energie: Ob man sich nicht mal eine Woche ausruhen könnte? Und die hohen Hotelkosten, wenn man jede Nacht eine andere Unterkunft mietet! Und vier Stunden am Tag im Auto, das ist doch nun totale Zeitverschwendung.Der Ärger, den ich spüre, erhöht meinen Energielevel. Ich werde lauter und mache Druck. Meine Strategie ist in Gefahr geraten, und ich erhöhe meine Anstrengung, sie durchzusetzen. (Meine Frau macht auf ihrer Seite das Gleiche, nur mit etwas anderen Mitteln.) Eine solche Situation könnte man als Machtkampf auf der Ebene der Strategien beschreiben. Nur selten kommt es zu einer Einigung – bestenfalls zu einem wenig haltbaren Kompromiss oder zum Abbruch mit Türenknallen.
Solche Situationen gibt es im Berufsleben haufenweise: Ich als Berater habe mir eine tolle Agenda für einen Workshop ausgedacht, und die Teilnehmer finden sie absolut inakzeptabel. Das Entwicklerteam hat verschiedene Vorschläge für die neue Zerspanungsmaschine entworfen, und die Vertriebler haben tausend Einwände.
Sich von der Strategie freimachen
Für solche Gelegenheiten hält Rosenberg ein Zitat bereit: „Buddha hat das ganz schön auf eine Formel gebracht: Mach dich niemals von deinen Strategien abhängig.“ /4/ Praktisch heißt das:- Wenn ich merke, dass ich in den Anstrengungsmodus komme, weil irgendetwas (oft der „Widerstand“ einer anderen Person) eine meiner Strategien durchkreuzt, dann mache ich einen inneren Stopp.
- Ich tue genau das, was unsere angeborene Verhaltensweise zu vermeiden sucht: Ich stelle meine getroffene Entscheidung auf den Prüfstand.
- Ich nehme Kontakt zu mir selbst auf und versuche herauszufinden: Welche meiner Bedürfnisse werden durch die Strategieblockade verletzt? Im obigen Urlaubsbeispiel waren das zum Beispiel Kreativität („Etwas erleben im Urlaub“) und Empathie („Meine Frau bemüht sich nicht, mich zu verstehen.“)
Das Festhalten an der beschlossenen Strategie ist nicht immer ratsam |
An diesem Punkt stellt sich regelmäßig ein Gefühl innerer Freiheit ein. Meine Strategie fesselt mich nicht mehr. Ich kann neu denken.
An den Zielen, an den Bedürfnissen festhalten
Das bedeutet überhaupt nicht, dass ich auf meine Bedürfnisse verzichte. Im Gegenteil, indem ich sie mir bewusst mache, nimmt ihre Wichtigkeit zu und sie gewinnen einen Platz in meinem Bewusstsein (statt nur in eines Ärgers in meinem Bauch zu rumoren). Aber ich kann sie neu und besser verfolgen, indem ich mir eine neue und bessere (nämlich realistischere) Strategie überlege. Bezüglich Empathie vielleicht mit meiner Frau, indem ich ihr meine Bedürfnisse erkläre. Bezüglich meines Actionbedarfs vielleicht ohne sie. Aber die konkrete Lösung spielt hier keine Rolle, wichtig ist das Aufstoßen des inneren Fensters.
Im Dauerärger: das unlebendige Leben
Ich ärgere mich sehr oft. Fast ständig, merke ich gerade. Im Workshop, den ich moderiere, stellen zwei Teilnehmer hartnäckig Fragen, die nur für sie von Interesse sind. Mein ganzer Zeitplan kommt durcheinander, vielleicht schaffe ich nicht den ganzen Stoff – aber angelastet wird es dann mir und nicht den beiden Störenfrieden. Auf dem Heimweg im Auto durch den Berufsverkehr fährt einer vor mir penetrant langsam. Er kommt noch über die Ampel, aber bei mir springt sie auf Rot um. Dann an der Supermarktkasse drängelt sich jemand vor und braucht dann auch noch quälend lange, um sein Geld aus dem engen Portemonnaie zu fischen. Ja, geht’s denn noch??Dauernd kommt mir jemand in die Quere |
Immer geht es darum, dass kleine Pläne durch kleine Ereignisse durchkreuzt werden. Der „Umsetzungsmodus“, in dem mein Geist sich befindet (man könnte ihn auch „Scheuklappenmodus“ nennen), hält mich auf dieser unteren „operativen“ Ebene fest und produziert dauernd negative Gefühle. Hamster im Rad, eingesperrt. Jedes Mal, wenn es mir gelingt, mich aus diesem Modus freizumachen und mich von meinem Plan zu lösen, komme ich aus dem Käfig heraus – ich gewinne wieder Verbindung zu mir und sehe anders auf die Welt um mich.
Ich schreibe diesen Post am Sonntag, 25. November 2018. Wann hat man schon mal das Privileg, über ein Thema zu schreiben, bei dem die Themen erster Advent und Agilität sich über den Weg laufen?
Werbeblog
Kleiner Werbeblock zum Schluss: Das Forum Agile Verwaltung bietet übrigens im Januar 2019 zwei jeweils zweitägige Seminare zu Gewaltfreier Kommunikation zum Selbstkostenpreis an. Nähere Infos unter http://agile-verwaltung.org/2018/10/22/seminarangebot-gewaltfreie-kommunikation-am-8-9-januar-2019-und-22-23-januar-2019/Anmerkungen
/1/ Friedrich Nietzsche: „Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister Erster Band. Neuntes Hauptstück. Der Mensch mit sich allein“, 1878-1880/2/ Marshall B. Rosenberg: „Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils“, Herder Verlag, 2004, ISBN 978-3-451-05447-1
/3/ Rosenberg schlägt neun große Kategorien von Bedürfnissen vor: Nahrung, Kleidung, Unterkunft; Sicherheit; Verständnis, Empathie; Kreativität; Intimität, Liebe; Spiel; Erholung; Autonomie; Sinn.
/4/ Seite 34 seines Buches.
Bildnachweise
Abbildung 1Fotograf: Steve Jurvetson
Titel: The Path Less Traveled
http://piqs.de/fotos/search/abgrund/1681.html
Abbildung 2
Fotograf: Inovello
Titel: Streit
http://piqs.de/fotos/search/streit/53712.html
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