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Was ist dem Kunden etwas wert? - Scrum, Agile und Lean Thinking im Bereich Banking und Financial Services

Manche Firmen wollen unbedingt die Nummer 1 in bestimmten Bereichen werden. Die Führungskräfte und Mitarbeiter sind dann damit beschäftigt, so viele Kunden wie möglich zum Vertragsabschluss zu bewegen. Dazu gehören entsprechende Marketing-Kampagnen und Telefonaktionen. Bei Scrum und Lean Thinking geht das anders.

Was will der Kunde?

Während des Studiums hing bei uns im Labor ein Zettel an der Wand: "Was will der Kunde?" Eine technische Lösung, die sich nicht verkaufen lässt, ist eine nutzlose Lösung. Welche Jobs muss ein möglicher Kunde erledigen? Bei welchen davon kann ihm eine Bank oder ein Dienstleister helfen.

Sehen wir uns dazu die Webseiten einiger Banken und Dienstleister an. Einige starten mit ihren technischen Lösungen, andere mit Kundenbedürfnissen.
  • Start mit Produkten und technischen Lösungen: Commerzbank ("Produkte, Beratung"), Concardis ("Lösung finden, Produkte entdecken"), dwp Bank ("führender Dienstleister"), DZ Bank ("starker Allfinanzanbieter"), Ingenico Group ("Lösungen und Dienstleistungen"), Visa ("Visa für Händler")
  • Start mit Kundenbedürfnissen: Deutsche Bank ("Investments, Vorsorge ..."), ING ("Kies een thema om mee aan de slag te gaan"), Santander ("Wir sind für Sie da - in allen Lebenslagen:"), Siemens Finanzierung ("Equipment- und Technologiefinanzierung, ..., Projektfinanzierung"), Sparkasse.de ("Ihre Pläne"), Volkswagen Financial Services ("Konto & Karten, Sparen & Anlegen, ...")
Ein Artikel ist mit besonders aufgefallen: "[Partnername] nimmt erstes [Produktname] von [eigener Firmenname] am Netzbetrieb der [Kundenname] in Betrieb". Technisch richtig, aus Kundensicht aber nicht sehr wertvoll. Was der Text eigentlich sagt: An einem bestimmten Flughafen kann man nun Lebensmittel an einem Automaten mit Karte bezahlen.

Wenn Scrum Teams nicht mehr Wert für ihre zahlenden Kunden liefern, läuft etwas schief.

Sicht auf die Kunden erhöhen

Gary Hamel schreibt im Vorwort zu "The Age of Agile" von Steve Denning /1, S. 11/:
"Wenn man erreichen möchte, dass die Menschen wie Eigentümer denken und sich so verhalten, dann muss die gesamte Organisation in kleine, lokale Einheiten mit eigener Gewinn- und Verlustrechnung zerlegt werden. Alle Mitarbeiter müssen in der Lage sein, den Zusammenhang zwischen ihrem eigenen Beitrag und der Wirtschaftlichkeit dieses Microbusiness zu sehen, in dem sie arbeiten."
Im Lean Thinking nennen wir diese Microbusinesses Value Streams. Tapping und Shuker sehen die Fokussierung auf einen Value Stream als den nächsten Schritt, der nach der Vereinbarung, Lean zu arbeiten, folgt /2/.

Gerade im Bereich Banking und Financial Services gibt es sehr viele Brüche, Spezialisierungen und Silos, die eine ganzheitliche Sicht auf den Kunden erschweren /3, S. 6/. Hier ist es die Aufgabe von Führungskräften, eine ganzheitliche Sicht zu ermöglichen. Ich hatte ein Gespräch mit einer Führungskraft aus einer Bank. Diese Person berichtete von vielen Umorganisationen in den letzten Jahren. Aber ihr war wichtig, dass die Mitarbeiter nicht wieder auf die nächste Reorganisation warten, bevor sie loslegen. Wer in gemischten Teams Probleme für den Kunden lösen will, möge sich einfach die Leute suchen und anfangen. Der Rest würde organisiert. Das finde ich gut.

Wie erfolgreich kann ein Scrum-Team sein, das keine Sicht auf den wirklichen Kunden hat? Gar nicht! Die "Methode Scrum" verbessert nichts.

Alles raus, was keinen Wert liefert

Die Ursprünge von Lean und Agile liegen in Kriegssituationen, in denen es wichtig war, mit dem auszukommen, was man hatte. Um überhaupt etwas zu produzieren oder fertig zu stellen, musste man jeden Schritt hinterfragen. Das Maßstab war nicht, ob der Schritt sinnvoll war. Der Maßstab war, ob der Schritt dem Ergebnis Wert hinzufügt. Wenn nicht, hat man sich überlegt, ob es einen Weg gibt, ohne diesen Schritt auszukommen.

In dem angesprochenen Papier von Jéssica Xavier dos Santos, Maria do Rosário Cabrita haben sich die Mitarbeiter einer portugiesischen Bank bestimmte Prozesse angesehen und festgestellt, dass es vor allem in den Prozessen der Kontoeröffnung und Kontopflege viele Nacharbeiten und Wartezeiten gab /3, Abschnitt 5/. Ist der Kunde bereit, die Arbeitszeit für Fehler und Rückfragen zu bezahlen? Wahrscheinlich nicht.

Unabhängig von Scrum kann sich jedes Team überlegen, wie es wertlose Schritte ausspart.

Veränderungen in den Alltag integrieren

Firmen, die lean oder agil arbeiten, haben Wege gefunden, Verbesserungen in den Alltag zu integrieren. Dazu gibt es Rhythmen, Ereignisse und visuelle Hilfsmittel. Sie haben gelernt, dass man in alte Gewohnheiten zurückfällt.

Scrum Teams haben ihre Scrum Ereignisse, Boards und Burndown-Charts. Lean Teams haben ebenfalls Boards, Daily Kaizens, Kamishibai-Karten und markierte Bereiche.

Scrum Teams arbeiten auf Produktvisionen und Sprintziele hin /4/. Lean Teams streben den nächsten Zielzustand an /5/.

Um das nachhaltig zu verankern, gibt es besondere Rollen, die den Teams helfen, sich an die vereinbarten Regeln zu halten. Bei Scrum ist das die Rolle Scrum Master, bei Lean Thinking sind das Coaches oder Lean Senseis. Die Frage ist nicht, ob diese Person zertifiziert ist. Mir sind andere Punkte wichtig:
  • Wem vertraut das Team? 
  • Wer strahlt eine natürliche Autorität aus? 
  • Wem gestattet das Team, Fragen zu stellen, die weh tun? 
  • Wer legt sich mit Führungskräften an, wenn es nötig ist?
  • Wer bleibt dran, damit das Team jeden Tag etwas verbessert?
Die "Methode Scrum" bringt nichts, wenn sich die Arbeitsabläufe nicht grundlegend ändern. Wer versucht, die alte und die neue Welt gleichzeitig zu bedienen, wird große Schwierigkeiten haben.

Am Ende ist es eine Frage der Führung

Wer wirklich Marktführer werden will, konzentriert sich darauf, den Kunden Wert zu liefern. Kunden kaufen wertvolle Produkte. Bei wertarmen Produkten suchen sie die günstigste Alternative.

Um die Produktivität zu erhöhen, werden alle wertlosen Schritte aus den Abläufen eliminiert. Täglich wird etwas verbessert.

Es ist die Aufgabe der Führungskräfte, wertvolle Produkte zu definieren und dafür zu sorgen, dass Teams ungestört und fokussiert arbeiten können.

Wie weit sind denn die Banken oder die Dienstleister in diesem Bereich? Eine Befragung von Michael Leyer und Jürgen Moormann aus dem Jahr 2013 unter mehreren Tausend Mitarbeitern und Führungskräften aus dem Finanzsektor kommt zu einer ernüchternden Feststellung:
"... die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer unserer Umfrage ist höher als die tatsächliche Umsetzung. Das Ergebnis zeigt, dass die Teilnehmer der Umfrage zwar die Absicht haben, lean zu handeln. Aber diese Absicht ist nicht durch konkrete Handlungen untermauert." /6, S. 1379/
Bei Agilität wird vor allem immer wieder eine Bank zitiert, die ING aus den Niederlanden /7/. Alle anderen Player in diesem Sektor haben also noch die Chance, zum Vorreiter zu werden.

Update vom 01.10.2018: Amazon hat eigene Ambitionen, Bankdienstleistungen anzubieten /8, 9, 10/.

Anmerkungen


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