Direkt zum Hauptbereich

Zur Erinnerung: Gemeinsame Unternehmungen werden nur gemeinsam gut

Menschen tun sich z.B. in Firmen, Teams oder Vereinen zusammen, weil sie gemeinsam mehr erreichen können als alleine: "Gemeinsam sind wir stark!" Aber warum ist das eigentlich so?

Gemeinsam sind wir stark? Im heutigen Firmenalltag könnte man auf die Idee kommen, dass wir eben gerade nicht nach dieser Maxime leben. Denn es wird die Stärke des Einzelnen betont und gefördert: Regelmäßige Mitarbeitergespräche unter vier Augen, individuelle Zielvereinbarungen mit entsprechenden Anreizen, zugeschnittene Karriereangebote, Konkurrenzmentalität. Das Streben nach Fortkommen, Selbstverwirklichung und Erfolg der einzelnen MitarbeiterInnen ist Fokus der Personalentwicklung und der Manager (und auch, wenn wir ehrlich sind, der vielen Selbstmanager unter uns). Gemeinsam sind wir also stark? Naja, schon irgendwie. Aber eben nur, wenn alle oder zumindest möglichst viele möglichst stark sind. Wo dies nicht der Fall ist, haben die "Starken" die Schwachen mitzuziehen.

Das ist die vorherrschende Organisationskultur, an die wir heute glauben. Auch wenn wir ganz langsam zu bemerken scheinen, dass wir damit an Grenzen stoßen, wollen wir Organisationen doch noch immer als Ansammlung, als Summe des individuellen Know-Hows und der individuellen Leistungsfähigkeit verstehen. Je stärker und besser ausgebildet jeder ist, desto besser für die Firma, die Abteilung, das Team. Deshalb ist es für jeden Einzelnen wichtig, möglichst stark und gut zu sein (siehe z.B. Fortbildungsmarathon, MBAs etc.) und dies auch zu bleiben (siehe Trends zum "lebenslangen Lernen" oder zur "Resilienz").

Für den gemeinsamen Erfolg spielen die Fähigkeiten der Beteiligten natürlich eine sehr wichtige Rolle. Wer würde z.B. ein Software-Projekt mit Menschen starten, die nichts von Programmieren verstehen? Gleichzeitig spricht aber auch einiges dafür, dass es nicht ausreicht, nur möglichst viele Fachexperten zu versammeln. Know-How ist zwar wichtig. Aber für Erfolg braucht es mehr. Nur: Was?

Wenn eine Gruppe von Menschen nicht allein durch die Ansammlung von hervorragenden einzelnen Leistungen gut oder leistungsstark wird, wodurch dann? Die Antwort klingt banal, es macht aber durchaus Sinn, sie sich immer wieder einmal vor Augen zu führen: Dadurch, dass mehrere Menschen gleichzeitig (!) unterschiedliche (!) Dinge tun können. Während in einer Firma z.B. die Buchhaltung gerade Rechnungen schreibt und Geld eintreibt, kann der Vertrieb neue Kunden gewinnen, ein Beraterteam einem Bestandskunden helfen und die Geschäftsführung bei der Bank einen neuen Kredit beantragen. Das alles zur selben Zeit! Einzelne Personen, z.B. Freiberufler, sind hier sehr deutlich im Nachteil. Sie können diese Arbeiten nur nacheinander erledigen.

Ein anderer, sehr wichtiger und entscheidender Vorteil ist, dass Organisationen - im Gegensatz zu Einzelpersonen - auch paradoxe, gegenläufige, teilweise auch widersprüchliche Dinge tun können: Während der Vertrieb und das Marketing schon längst dabei sind, ein Produkt zu verkaufen, kann die Entwicklungsabteilung gerade erst anfangen zu rätseln, wie sie das Produkt um alles in der Welt überhaupt und dann auch noch in diesem irrsinnigen Zeit- und Budgetrahmen hinbekommen kann.

Das - und nicht etwa die schiere Menge an Menschen - macht uns gemeinsam leistungsfähiger als Einzelpersonen. Wer diese Vorteile maximal ausspielt, folgt zwei wichtigen Erkenntnissen:

  1. Gute Absprachen und Zusammenarbeit sind wichtiger als effizientes Handeln von einzelnen Experten.
    Wenn der Hauptvorteil gemeinsamen Handelns tatsächlich ist, dass man unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig erledigt, dann hat natürlich jenes Team die Nase vorn, das sich gut abspricht und zielgerichtet Entscheidungen trifft. Dafür kann in Wahrheit keiner alleine die Verantwortung tragen. Kein Geschäftsführer oder Projektmanager, kein Lenkungsausschuss oder Führungskreis. Auch z.B. eine Projektmanagement-Methode alleine ist hier nicht ausreichend. Und gänzlich naiv und fahrlässig handelt, wer darauf vertraut, dass sich die Dinge von alleine regeln. Also darauf hofft, dass die vielen gut ausgebildeten Experten schon irgendwie von selbst rechtzeitig die richtigen Dinge in die Wege leiten. Organisation (und auch Erfolgsstreben) ist eben eine Aufgabe, an der explizit möglichst viele, am besten alle Mitglieder einer Unternehmung beteiligt werden und für die auch möglichst viele, am besten alle die Verantwortung tragen (können). Dafür braucht es im Team entsprechende Kompetenzen und Strukturen. Und vor allem eine entsprechende Haltung.

  2. Konflikte sind unvermeidbar und begrüßenswert. Sie sind eine Chance, zu lernen und zu wachsen. Organisationen leben davon, gleicheitig, z.T. Widersprüchliches zu tun. Das ist immer mit der Frage verbunden: Was ist kurz-, mittel- und langfristig am sinnvollsten zu tun?  Daraus ergeben sich immer Konflikte. Ein guter Umgang damit und mit den damit verbundenen aufkommenden Ambivalenzen bringt den entscheidenden Vorteil, weil er die Kräfte der Organisation zielgerichtet bündelt. Und: Ein guter Umgang mit Konflikten ermöglicht erst die konstruktiven Lernerfahrungen, auf die das Team aufbauen kann. Leistungsfähige Organisationen haben deshalb die Entweder-Oder-Welt hinter sich  gelassen (Wahr-Falsch, Gut-Böse, Erfolg-Scheitern, Deal-No-Deal, Experte-Laie, Job-Entlassen, Meinung sagen-Karriere verbauen etc.). Sie arbeiten stattdessen mit ziel- und lösungsorientierten Multiperspektiven, die tolerant sind und sich in Auseinandersetzungen eben nicht in ihrer jeweiligen Existenz bedrohen ("Wer nicht für mein Argument ist, ist gegen mich.", "Wer nicht spurt, der fliegt!", "Wer nicht agil wird, der wird gefeuert.").

Für das Erreichen gemeinsamer, also auch unternehmerischer Ziele reichen also viele motivierte Menschen oder ausgezeichnete Fachleute alleine nicht aus. Schon gar nicht, wenn sie eine eigene Agenda verfolgen und einen Tunnelblick auf ihre eigenen, persönlichen Ziele haben. Erfolg erzielen Gruppen von Menschen, wenn sie ihr unterschiedliches persönliches Wollen in einem gemeinsamen, übergeordneten Ziel bündeln, ihre individuellen Fähigkeiten und Talente im Sinne dieses gemeinsamen Ziels organisieren und mit den zwangsläufig aufkommenden Konflikten gut umgehen, also konstruktiv, wertschätzend und fair. Dann sind wir Menschen gemeinsam stark. Denn so können wir mehr als die Summe der einzelnen Teile sein.

Wir Menschen wissen das sehr genau. Denn es ist das Erfolgsmodell der Evolution. Und vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb die aktuell vorherrschenden linearen Hierarchien gerade von agilen, fraktalen, flachen Organisationsformen herausgefordert werden. Sie bauen auf Selbstorganisation von Teams auf. Ahnen wir vielleicht, dass die individualistisch-leistungsorientierten, zwanghaften hierarchischen Strukturen, mit denen wir hierzulande hauptsächlich unseren Alltag organisieren, Erfolg und Zufriedenheit mehr und mehr verhindern? Wird es Zeit sich neu zu organisieren? Besinnen wir uns darauf zurück, was uns als Menschen wirklich stark macht?

Der allgemeinen Zufriedenheit und auch dem wirtschaftlichen Erfolg könnte es zuträglich sein. Sind das nicht zwei sehr gute Gründe, das gemeinsame Experiment zu wagen?

Alle Teamworkblog-Posts von Edgar Rodehack.

Edgars eigener Blog: www.trellisterium.de
Edgars Podcast: trellisterium.podbean.com 

Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de


Literatur & Links


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Teamleitungen gesucht

Was macht Teams erfolgreich? Kann man das lernen? Ab Herbst starten unsere Kurse für aktuelle und künftige Teamleitungen. Jetzt gibt es die Gelegenheit, den Kurs zu testen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Microsoft Copilot - Notebook, Pages, Agents und mehr

Es tut sich sehr viel an der Copilot Front. Gefühlt entwickelt Microsoft mit aller Kraft die KI-Anwendung weiter. Mit dem letzten Update hat sich die Microsoft-Startseite stark verändert. Hier zeige ich, was sich hinter all den Begrifflichkeiten verbirgt und was davon alltagstauglich ist.

Nachschau zum Lean Coffee-Spezial "Agil einfach machen" (Interaktive Buchvorstellung)

Bei unserem Lean Coffee-Spezial Ende Mai waren wir von Lean Coffee Karlsruhe/Frankfurt Zeugen einer Buchvorstellung, doch nicht nur das – natürlich gab es auch einen nicht unbeträchtlichen Anteil an eigener Aktion, denn bei unseren Spezialterminen ist traditionell „Teilgabe“ angesagt. Das Autorenduo Christian Baron und Janick Oswald zeigte uns, was es mit „Agil einfach machen“ auf sich hat.  

Wenn es mal gerade etwas schwierig bei Kund:innen wird… Zwei Fragen, die uns helfen, unsere Strategie mit unseren Kund:innen abzusprechen.

Seit 2024 organisieren Bob Galen und ich eine Masterclass für agile Coaches. Wir möchten die Ausbildung von agilen Coaches verbessern und ihnen Techniken mitgeben, mit denen sie bei ihren Kund:innen etwas einfacher haben. Bisher haben wir in vier Durchgängen mit jeweils 14 Modulen ungefähr 70 Extraordinarily Badass Agile Coaches ausgebildet (/1/). In diesem Blogpost möchte ich ein paar Erfahrungen und simple Techniken aus der Masterclass teilen, wie wir unsere Strategie besser abstimmen können. Sie beschränken sich nicht auf agiles Coaching – das ist nur das Setting.

Kleine Organisationsveränderungen, die direktes Feedback erzeugen

Große Veränderungen sind in einer Organisation schwer zu messen. Oft liegt zwischen Ursache und Wirkung ein langer Zeitraum, sodass die Umsetzer:innen nicht wissen, was genau gewirkt hat. Hier ist eine Liste mit kleinen Maßnahmen, die schnell etwas zurückmelden.

Schätzungen sind schätzungsweise überschätzte Schätze

"Wer viel misst, misst viel Mist." Zumindest ist diese Gefahr gegeben. Entweder misst man z. B. Mist, weil man zu früh zu KPIs zur Messung von Ergebnissen greift, oder aber man greift zu den falschen KPIs, die gar nicht das messen, was man wissen möchte. Einst war agiles Arbeiten der alternative Ansatz, aber inzwischen gibt es auch für einige Details dessen, was in Konzernen als "agil" praktiziert wird, einleuchtende alternative Ideen, die bis heute noch nicht so richtig auf die große Bühne vorgedrungen zu sein scheinen. 

Agil sein heißt nicht, unternehmerisch zu denken

 Die Diskussion, ob Agilität ein „Hype“ war, der nun vorüber ist. Ob wir schon im „Post-agilen Zeitalter“ leben. Und wenn ja, wer dafür verantwortlich ist: diese Diskussion nehme ich jetzt schon seit etwa anderthalb Jahren wahr, und sie geht auch aktuell weiter. In meiner Branche wird Agilität weiter gebraucht Ich bin in der speziellen Situation, dass ich beruflich aus dem öffentlichen Dienst komme und auch seit meinem Ausscheiden vor 15 Jahren weiterhin vor allem Kunden im öffentlichen Bereich berate. Also auf einem Parkett, das normalerweise nicht mit den Anliegen des Agilen Manifests verbunden wird: der Produktion von Software für gewerbliche Kunden in einem unsicheren Umfeld. Auf diesem scheinbar „exotischen“ Feld hat sich in den vergangenen sechs bis acht Jahren bei vielen Verwaltungen die Erkenntnis verbreitet, dass agile Vorgehensweisen bei den anstehenden Transformationen für sie sinnvoll sein können. Denn auch Projekte z.B. die „Digitalisierung der Verwaltung“ (ein völlig ...