Unternehmen, die auch nur einen Teil ihrer Prozesse auf agile Arbeitsmethoden umstellen wollen, geraten regelmäßig in Zugzwang: es reicht nicht aus, nur die einzelnen Teams auf Scrum oder Kanban umzupolen. Auch andere altbewährte Praktiken müssen auf den Prüfstand. Dazu gehört eine kritische Auseinandersetzung mit Einkommensungleichheiten innerhalb der Teams und im Unternehmen.
In der harten Praxis aber sieht es bisweilen anders aus. Ein Beispiel: In einem Scrum-Basiskurs meldete sich ein junger Teilnehmer ganz erschrocken, nachdem er das Team als hierarchiefreien Raum verstanden hatte: „Ja, aber dann gibt es ja gar keine individuelle Leistungsbeurteilung durch den Vorgesetzten mehr??!“ – „Stimmt, das macht dann keinen Sinn mehr.“ – „Ja aber, was wird denn dann mit meiner Karriere im Unternehmen? Wie kann das gutgehen, wenn auch die Faulen einfach vom Team mitgeschleift werden? Behalte ich dann immer das gleiche Einkommen?“
In herkömmlichen Unternehmen bauen Menschen ihre Berufs- und Einkommensperspektive darauf, andere Kollegen im Konkurrenzkampf zu überflügeln und so auf der Karriereleiter zu klettern. Diese Strategie wird hinfällig, wenn eine individuelle Leistungsbeurteilung nicht mehr gewünscht oder auch gar nicht mehr möglich ist. Das zeigt: die Einführung agiler Methoden in einigen Bereichen stellt Unternehmen vor die Notwendigkeit, auch ganz andere Änderungen vorzunehmen.
In unserem Beispiel hatte die Unternehmensführung zwar flächendeckende Scrum-Seminare für die Mitarbeiter in der Entwicklung geordert, aber sich noch keine Gedanken über geänderte Führungsmethoden insgesamt gemacht. Entweder die Geschäftsführung ist bereit, sich weiter nach vorne zu wagen und auch die nächsten Schritte zu tun – und damit neue Antworten auf die Einkommenswünsche insbesondere junger Mitarbeiter zu geben. Oder sie versucht, an individuellen Leistungsbeurteilungen festzuhalten. Dann wird auch der agile Geist mit großer Wahrscheinlichkeit wieder einschlafen.
Es gibt aber auch Unternehmen, die ganz bewusst Ungleichheiten in ihren Teams in Kauf nehmen, um Kosten zu sparen. Werden Mitarbeiter weltumspannend in ein Team zusammengebunden – sagen wir aus Kalifornien, Lahore und Bukarest -, so kann sich ein relativ niedriger Durchschnittslohn ergeben, der die Entwicklungsarbeiten für das Unternehmen konkurrenzfähiger macht.
Das Team muss dann mit den Auswirkungen klarkommen. Neben den bekannten Synchronisationsproblemen ist in der Literatur dann meist von „kulturellen Differenzen“ die Rede /1/. Das ist bestenfalls eine Verharmlosung, wahrscheinlicher aber das zielgerichtete Ausweichen vor dem unangenehmen Thema „Einkommensungleichheiten“. Man kann sich aber vorstellen, dass es das Gefühl für Gleichheit, den selbstverständlichen gegenseitigen Respekt unterschwellig behindert, wenn das eine Teammitglied 10mal mehr verdient als das andere.
Ich denke, dass die agile Bewegung sich auch dieser Frage (und anderen) stellen sollte. Agilität, nicht als Arbeitstechnik oder Projektmanagementmethode missverstanden, kann das Tor aufstoßen zu einem gesellschaftlichen Dialog über das lebenswerte Leben. Sie kann einfache, sinnvolle Visionen erarbeiten, wie sie der Populismus gerade nicht anbietet. Stellt sie sich dieser Herausforderung aber nicht, verliert sie ihre Existenzberechtigung.
"Politikerinnen und Politiker, die nicht mehr anzubieten haben als das Management von Komplexität, werden von Frontleuten hinweggefegt, die große Veränderungen versprechen" schrieb der Soziologe Heinz Bude nach der Wahl Donald Trumps. /2/ Ähnliches mag für Agilisten gelten, die sich auf abgeschotteten Events für Eingeweihte zum x-ten Mal über die letzten Techniken der Daily Scrums von verteilten Teams oder die Verästelungen von Scrum at Scale die Köpfe heißreden. Aber vor den Auswirkungen von Digitalität und Globalisierung die Augen verschließen.
/2/ Heinz Bude: Aufstand der Verbitterten, Gastartikel, Berliner Zeitung, 10.11.2016
Karriereprobleme in agilen Zeiten
Eine der Erfolgsbedingungen von Scrum beruht auf der Gleichheit der Teammitglieder:- Innerhalb des Entwicklungsteams ist diese Gleichheit Bedingung für, dass die Aufgaben schnell und unkompliziert von den Teammitgliedern an sich gezogen werden, ohne dass sie von einer Person autoritativ verteilt werden.
- Zwischen dem Team und dem Product Owner besteht eine gewisse Machtbalance dadurch, dass über den Umfang der in einem Sprint zu erledigenden Aufgaben verhandelt wird. Auch dies eine Voraussetzung für respektvollen Umgang.
In der harten Praxis aber sieht es bisweilen anders aus. Ein Beispiel: In einem Scrum-Basiskurs meldete sich ein junger Teilnehmer ganz erschrocken, nachdem er das Team als hierarchiefreien Raum verstanden hatte: „Ja, aber dann gibt es ja gar keine individuelle Leistungsbeurteilung durch den Vorgesetzten mehr??!“ – „Stimmt, das macht dann keinen Sinn mehr.“ – „Ja aber, was wird denn dann mit meiner Karriere im Unternehmen? Wie kann das gutgehen, wenn auch die Faulen einfach vom Team mitgeschleift werden? Behalte ich dann immer das gleiche Einkommen?“
In herkömmlichen Unternehmen bauen Menschen ihre Berufs- und Einkommensperspektive darauf, andere Kollegen im Konkurrenzkampf zu überflügeln und so auf der Karriereleiter zu klettern. Diese Strategie wird hinfällig, wenn eine individuelle Leistungsbeurteilung nicht mehr gewünscht oder auch gar nicht mehr möglich ist. Das zeigt: die Einführung agiler Methoden in einigen Bereichen stellt Unternehmen vor die Notwendigkeit, auch ganz andere Änderungen vorzunehmen.
In unserem Beispiel hatte die Unternehmensführung zwar flächendeckende Scrum-Seminare für die Mitarbeiter in der Entwicklung geordert, aber sich noch keine Gedanken über geänderte Führungsmethoden insgesamt gemacht. Entweder die Geschäftsführung ist bereit, sich weiter nach vorne zu wagen und auch die nächsten Schritte zu tun – und damit neue Antworten auf die Einkommenswünsche insbesondere junger Mitarbeiter zu geben. Oder sie versucht, an individuellen Leistungsbeurteilungen festzuhalten. Dann wird auch der agile Geist mit großer Wahrscheinlichkeit wieder einschlafen.
Unterschiedliche Lohnniveaus in einem Team
Es gibt aber auch Unternehmen, die ganz bewusst Ungleichheiten in ihren Teams in Kauf nehmen, um Kosten zu sparen. Werden Mitarbeiter weltumspannend in ein Team zusammengebunden – sagen wir aus Kalifornien, Lahore und Bukarest -, so kann sich ein relativ niedriger Durchschnittslohn ergeben, der die Entwicklungsarbeiten für das Unternehmen konkurrenzfähiger macht.
Gleichheit kann auch in bunten Teams herrschen |
Das Team muss dann mit den Auswirkungen klarkommen. Neben den bekannten Synchronisationsproblemen ist in der Literatur dann meist von „kulturellen Differenzen“ die Rede /1/. Das ist bestenfalls eine Verharmlosung, wahrscheinlicher aber das zielgerichtete Ausweichen vor dem unangenehmen Thema „Einkommensungleichheiten“. Man kann sich aber vorstellen, dass es das Gefühl für Gleichheit, den selbstverständlichen gegenseitigen Respekt unterschwellig behindert, wenn das eine Teammitglied 10mal mehr verdient als das andere.
Neue Herausforderungen für Agilität
Ein großer Teil der Unterstützung, den die agile Bewegung erfährt, stützt sich auf die Erfahrung, dass Arbeit wieder als sinnvoll erlebt werden kann. In dem Maße, wie agile Methoden weitere Teile der Arbeitswelt erfassen, greift auch die Frage nach Sinn auf andere Bereiche über. Gehört es nicht auch zum Sinn der Arbeit, eine einigermaßen sorgenfreie Alltagsexistenz zu finanzieren – egal, in welchem Berufsalter man sich befindet und egal wo auf der Welt man diese Arbeit verrichtet?
Ich denke, dass die agile Bewegung sich auch dieser Frage (und anderen) stellen sollte. Agilität, nicht als Arbeitstechnik oder Projektmanagementmethode missverstanden, kann das Tor aufstoßen zu einem gesellschaftlichen Dialog über das lebenswerte Leben. Sie kann einfache, sinnvolle Visionen erarbeiten, wie sie der Populismus gerade nicht anbietet. Stellt sie sich dieser Herausforderung aber nicht, verliert sie ihre Existenzberechtigung.
"Politikerinnen und Politiker, die nicht mehr anzubieten haben als das Management von Komplexität, werden von Frontleuten hinweggefegt, die große Veränderungen versprechen" schrieb der Soziologe Heinz Bude nach der Wahl Donald Trumps. /2/ Ähnliches mag für Agilisten gelten, die sich auf abgeschotteten Events für Eingeweihte zum x-ten Mal über die letzten Techniken der Daily Scrums von verteilten Teams oder die Verästelungen von Scrum at Scale die Köpfe heißreden. Aber vor den Auswirkungen von Digitalität und Globalisierung die Augen verschließen.
Anmerkungen
/1/ Siehe z. B. den Artikel von Hugo Messer vom 17.09.2016 „The Top 5 Problems with Distributed Teams and How to Solve Them“, https://www.infoq.com/articles/top5-problems-distributed/2/ Heinz Bude: Aufstand der Verbitterten, Gastartikel, Berliner Zeitung, 10.11.2016
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