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Wissensmanagement im Team: Was soll der Nutzen sein?

Viele Menschen sind Wissenssammler: hier ein runtergeladenes pdf. Dort ein Link auf einen superinteressanten Podcast. Oder ein Newsletter mit total spannenden Infos (schon mal delanceyplace.com abonniert? Absolut top – mein Sammlerehrenwort!). Wie kann man solche Sammlungen im Team oder im Unternehmen austauschen? Und macht das überhaupt Sinn? Viele Wiki-Leichen in Organisationen künden davon: Gar nicht so einfach.

Der Chef-Beschluss

Wie so oft war es ein Kunde, der mich auf das Problem stieß. Der Kunde ist ein Fachverband von Unternehmen der Verpackungswirtschaft. Also von Unternehmen, die Plastiktüten, Tetrapacks, Flaschen, Tablettenröhrchen usw. produzieren.

Ein Teilprojekt bei diesem Kunden bestand darin, ein Wissensmanagement für den Verbandsvorstand einzuführen. Alle Vorstandsmitglieder sammeln Wissen ohne Ende: Fachartikel, zum Teil in Form von Links, zum Teil als pdf’s, auch noch als Papier. Eingehende Mails von Kollegen: „Lies doch mal dies oder jenes“, zum Teil ohne Anhang, zum Teil mit mehreren Anhängen.

Auf Strategiesitzungen oder vielmehr in den Pausen fütterten diese Schätze die Gespräche. „Haben Sie das schon mal gelesen?“ „Wo finden Sie bloß immer diese interessanten Hintergrundberichte!“ „Also Prof. Meyerbeer hat ja kürzlich darauf hingewiesen, dass die These von Müllerschön ….“ So hatte jeder sein Wissenspolster, und je dicker das Polster, umso höher saß man.

Auf der letzten Sitzung im März wurde beschlossen: „Wir packen unsere Schätze zusammen. (Gemeinsam sitzen wir noch höher.)“ Den Anfang sollte Herr Fohlenkötter, der Vorstandsvorsitzende, machen und seine, bislang liebevoll in 700 Outlookordnern gehorteten Wissensjuwelen der gesamten Runde zur Verfügung stellen.

Die Herausforderung

 

Der Plan war: Frau Langenhagen, die Vorstandsassistentin, pflegt künftig alle Dokumente in eine Datenbank ein, in der sie nach vielfältigen Gesichtspunkten verschlagwortet werden. Und dort können dann alle Berechtigten darauf zugreifen und in weiteren Phasen ihre eigenen Dokumente beisteuern.

Der Plan klang gut.

Seine Realisierung eher – nun sagen wir: dunkel.

Als erstes stellte sich heraus, dass Frau Langenhagen Herrn Fohlenkötter nicht verstand. Herr Fohlenkötter legte Frau Langenhagen einen Handelsblattartikel auf den Tisch: „Coca-Cola steigt in chinesischen Milchmarkt ein“. Sie scannte den Artikel ein, lud ihn in die SQL-Datenbank und verschlagwortete brav: „Coca-Cola“, „Milchmarkt“, „China“.

Drei Wochen später suchte Herr F. den Artikel und konnte und konnte ihn nicht finden. Er stürmte ins Vorzimmer: „Herrgott(…), wo ist denn dieser (…) Artikel über Weißblechverpackungen in dieser (…) Datenbank??“ Frau Langenhagen fiel aus allen Wolken: „Was für ein Thema?? Dazu gab‘s überhaupt nichts in letzter Zeit!“

Herr Fohlenkötter meinte (so stellte sich nach längerer (…) Diskussion und (… …) Suche heraus) den Coca-Cola-Milch-China-Artikel. Für ihn waren Milch und China überhaupt nicht interessant. Aber dass Coca-Cola Milchpads aus Weißblech entwickelt hatte (wo es doch sonst immer auf Aluminium setzt) – ja, das war doch eine Sensation! Ja, das sprang doch jedem sofort ins Auge!

Ziel des Wissensarchivs ist nicht das Wissen

 

Klar war: Frau Langenhagen konnte Herrn Fohlenkötters Wissensartikel nicht verschlagworten. Nur er selbst konnte das tun. Aber nach welchen Gesichtspunkten? Warum war ihm die Weißblechverpackung im Handelsblattartikel so wichtig gewesen?

Nach längerer Diskussion kam heraus: Herr F. beobachtete Tendenzen, die für die Verbandsmitglieder wichtig werden konnten. (Das war ihm selbst vorher gar nicht so klar gewesen.) „Weißblech“ gehörte für ihn zum Thema „Nachhaltigkeit“: In der Öffentlichkeit lief seit geraumer Zeit eine Diskussion, die Aluminium als Gesundheitsrisiko geißelte ("Aluminium - Ursache für Alzheimer?" - Usw.). Gegenwärtig war überhaupt nicht klar, ob und evtl. welche praktischen Folgen diese Diskussion haben könnte. Gesetzliches Verbot von Alu-Verpackungen? Boykottaufrufe von NGO’s? Einführung weiterer Pfand- oder Gebührenregelungen?

Alle möglichen schnellen Entwicklungen waren denkbar. Für Herrn Fohlenkötter kam es nicht darauf an, die Zukunft vorauszusehen. Sondern mit aufmerksamem Blick durch die Welt zu gehen und ein inneres Frühwarnsystem für größere Risiken seiner Branche auszubilden. Er wollte nicht, wie es den Kollegen der Bankenbranche oder im Verlagswesen ergangen war, durch disruptive Ereignisse erwischt werden.

Diese Erkenntnisse machten auf einmal den Aufbau eines Wissensarchivs für den Vorstand viel einfacher als gedacht, vor allem aber mit gigantisch großem Nutzen. Es geht gar nicht in erster Linie um das Sammeln von fremdem Wissen. (Worin sollte auch der Nutzen bestehen, aus fünf ungeordneten Speichern einen einzigen großen zu machen?)

Es geht in erster Linie um die Verständigung: Welche strategischen Tendenzen sind für uns wichtig?

Und erst einmal darum, sich auszutauschen: Welche Mitglieder im Vorstandsteam sehen welche Tendenzen und welche Hypothesen-Aura umgibt jede Tendenz?

Verschlagwortung nach „Tendenzen“

 

Das machte die Erfassung der Artikel auf einmal viel einfacher als gedacht.
Wir einigten uns auf folgende Erfassungsprinzipien:
  1. Jeder „Sammler“ verschlagwortet seine Funde selbst. Den Anfang macht Herr Fohlenkötter.
  2. Als erstes schreibt er kurz in ein Notizfeld, was er am gesammelten Dokument wichtig findet. (Das weiß man nämlich selbst oft nach einem halben Jahr nicht mehr.)
  3. Jeder Sammler erstellt eine Liste der Tendenzen, die er aktuell für wichtig hält und die er beobachtet.
  4. Jeder Artikel muss mindestens einer Tendenz zugeordnet werden. Das ist das einzige Pflichtfeld bei der Erfassung.
  5. Andere Schlagwörter können in beliebiger Zahl hinzugefügt werden. Auf sie wird weniger Wert gelegt. Vielleicht lässt sich später mal daraus eine Folksonomy /1/ entwickeln, aber das ist noch nicht absehbar.
  6. Die üblichen bibliografischen Nachweise werden auf ein Minimum beschränkt. Eine einzige Zeile ist dafür vorgesehen, wo andere Programme seitenweise Autorennachweise und Titel und Publikation usw. abfragen.
Heraus kam eine ganz minimalistische Erfassungsmaske für die Wissensartikel:

Abbildung: Erfassungsmaske für ein strategisch orientiertes Wissensarchiv

Ein Wissensarchiv dient dem Aufbau eines internen Verständnisnetzes

 

Allen Beteiligten war sofort klar, dass sie einen großen Wurf gelandet hatten.

Das wichtigste Ergebnis dieser Art von Wissensarchiv waren gar nicht die gesammelten Artikel, sondern die Liste der Tendenzen. Darüber würde sich eine lohnende Diskussion im Vorstand führen lassen: Wer sieht welche Tendenzen, die zu disruptiven Ereignissen führen können? Wie werden diese Tendenzen von den Vorstandsmitgliedern eingeschätzt?

Nicht Wissen ist Macht, wie es wohl manchmal heißt. Sondern der strategische Austausch im Team über gemeinsam gesehene Tendenzen und gemeinsam mögliches Handeln. Zunehmend vernetztes Denken weist so den Weg zu einer Kooperationskultur.

Anmerkungen

/1/ Als Folksonomy bezeichnet man eine Methode, wenn Einzelne in einer Wissensgemeinschaft Artikel unabhängig voneinander taggen und dann nach und nach die so angesammelten Schlagwörter zu Begriffen mit Ober- und Unterordnungen vernetzen. Man spricht auch von emergent ontology. Vgl. zum Beispiel den Artikel „Kollaboratives Wissensmanagement“ unter www.kde.cs.uni-kassel.de/stumme/papers/2006/hotho2006kollaboratives.pdf


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