Direkt zum Hauptbereich

Aufwände im Team schätzen - eine Anleitung

Wie viel Arbeit kann ein Team realistisch schaffen? Ohne eine gemeinsame Schätzung ist das schwierig zu bewerten. Aber wie geht man genau vor? Hier ein Blick über die Schultern der CST-Kolleginnen und Kollegen.

Schätzungen auf Zeitbasis funktionieren nicht

Wir haben eine Zeitlang versucht, Aufwände auf der Basis von Zeiten zu schätzen. Jeder von uns hat seine eigene Zeitaufschreibung und sein eigenes System /1/. Für viele Dinge kenne ich die Aufwandstreiber und ich kann ziemlich zuverlässig sagen, wie lange ich für bestimmte Aufgaben brauche. (Bei anderen Dingen liege ich aber hoffnungslos daneben.)

Die persönliche Zeitaufschreibung hat aber mit einer Abschätzung im Team nichts zu tun. Jeder hat seinen eigenen Arbeitsstil. Jeder hat unterschiedliche Aufgaben und muss auch unterschiedliche Kontexte berücksichtigen. Die lassen sich nicht vergleichen. Zudem treibt einem die - wenn auch wohlgemeinte - Frage danach, was man denn den ganzen Tag mache, schnell die Zornesröte ins Gesicht.

Steve McConnell weist in seinem Buch über Aufwandsschätzungen darauf hin, dass eine zeitliche Abschätzung nicht automatisch mit einer Zusage gleichzusetzen sei. Das schwingt leider oft in der Frage nach der Dauer einer Aufgabe mit.

Was können wir statt Zeiteinheiten für die Schätzungen nehmen?

Wir brauchen ein Maß für Arbeit

Aber um realistisch einzuschätzen, was wir als Team in den nächsten Wochen leisten können, brauchen wir etwas.

Es ist gut, wenn wir zählbare Dinge haben. Nehmen wir an, ich möchte ein längeres Dokument ins Englische übersetzen. Ich sehe mir nach einer Stunde an, wie viele Seiten ich geschafft habe. Dann zähle ich, wie viele Seiten noch zu übersetzen sind. Jede Stunde überprüfe ich, ob der Aufwand noch hinkommt. Zählbare Dinge sind immer praktisch. Das ist der wichtigste Tipp, den Steve McConnell in seinem Buch gibt.

Was machen wir aber, wenn wir kein vergleichbares Maß haben? In diesem Fall können wir Story Points nutzen, die wir aus Scrum-Projekten kennen. Story Points geben den relativen Aufwand wieder, der in verschiedenen Aufgaben steckt. Dabei wird nicht die einzelne Aufgabe, sondern eine größere Menge an Aufgaben insgesamt betrachtet. Eine leichte Aufgabe hat weniger Aufwandspunkte als eine schwierige. Vergeben werden die Punkte 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34 usw.. Einer ganz leichten Aufgabe wird ein Story Point zugeordnet. Eine Aufgabe mit 3 Story Points entspricht ungefähr so viel Aufwand wie eine Aufgabe mit einem und zwei Story Points zusammen.

Während wir uns mit absoluten Zeitschätzungen sehr schwer tun und oft gewaltig daneben liegen, fällt uns die relative Abschätzung viel leichter. Wie kann man das nun konkret im Team machen?

Beispiel für einen Schätzworkshop für ein Team (Dauer ca. 2-4 Stunden)

Bei Scrum-Teams wird der relative Aufwand von Anforderungen geschätzt. Der Ausdruck "Story Point" bezieht sich auf das Format der Anforderungen, weil die Anforderungen in agilen Softwareprojekten oft in der Form von sog. User Storys beschrieben werden. Das heißt aber nicht, dass andere Teams nicht auch Story Points nutzen dürfen. Die Art der Aufgaben ist aber etwas anders:
  • In unserem Team machen wir Trainings. 
  • Wir beraten Kunden. 
  • Die Buchhaltung muss gemacht werden. Es werden Rechnungen gestellt, Angebote geschrieben usw. 
  • Wir schreiben Blogbeiträge und Buchkapitel. 
  • Anfragen und Termine sind zu koordinieren. Hotels, Zugfahrten und Flüge müssen gebucht werden. 
  • Das Wechseln des Telefonanbieters macht man nicht eben zwischen Tür und Angel. 
Kurz: es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben.Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir unseren Zeitaufwand nicht vergleichen können. Aber interessanterweise schätzen wir alle den relativen Aufwand ähnlich ein. Und so geht es.
  • Zunächst wird ein Scrum Master festgelegt, der durch den Workshop führt.
  • Jeder geht im Geiste die letzten 2-3 Wochen durch und schreibt alle wesentlichen Aufgaben auf Post-Its auf. Eine Aufgabe pro Zettel.
  • Jeder bringt die Aufgaben für sich in eine Reihenfolge: ganz leichte nach unten, ganz schwere nach oben. Alle anderen werden dazwischen eingeteilt.
  • Die Aufgaben werden zusammengetragen. Entweder fängt man bei 1 (kleinste Aufgaben) oder bei 5 (mittlerer Aufwand) an. Jeder hängt seine Aufgabenzettel hin, ohne dies mit den anderen zu diskutieren.

Abb. 1: Typische Aufgaben in einem Team nach relativem Aufwand sortiert
  • Das Team diskutiert nacheinander jede Größenklasse. Jeder stellt dazu nacheinander seine Karten in der Größenklasse vor und beschreibt, was für ihn den hohen oder geringen Aufwand ausmacht.
In der Diskussion merken einzelne (aber nicht alle) Teammitglieder, dass sie ähnliche Aufgaben haben. Entweder merken sie, dass sie den relativen Aufwand gleich einschätzen oder sie entdecken unterschiedliche Aufwandstreiber. Oder sie merken, dass für sie unterschiedliche Aktivitäten zur Aufgaben gehören. So gleichen sie ihr Verständnis an.
  • Der wichtige Schritt ist nun, für jede Größenklasse eine oder mehrere Referenzen festzulegen.
Damit ist die Basis für die weitere Zusammenarbeit gelegt. Neue Aufgaben mit Hilfe der Referenzen eingeschätzt. Für die Wochen- oder Sprintplanung werden die Aufwandspunkte zusammengerechnet. Im Review wird geprüft, ob das Team die Leistung gebracht hat.

Anmerkungen:

  • /1/ Für meine Projekte benutze ich übrigens Toogl. Dieser Dienst einer estnischen Firma bietet eine kostenfreie Variante an. Er  funktioniert plattformübergreifend und ist online und offline verfügbar: www.toggl.com
  • /2/ McConnell, Steve: Software Estimation : Demystifying the Black Art. 1. Aufl.. München: Microsoft Press, 2006.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Wie Agilität den Kundennutzen steigert - Einige Argumente für Berater:innen

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit fragen sich viele, ob agile Beratung noch eine Zukunft hat. Die Antwort liegt in der konsequenten Orientierung am Kundennutzen. Qualität setzt sich durch, wenn sie messbare Verbesserungen bei Umsatz, Kosten und Leistungsfähigkeit bewirkt, anstatt sich in Methoden und zirkulären Fragen zu verlieren. Dieser Artikel zeigt, wie agile Beratung nachhaltige Veränderungen in Unternehmen schafft und warum gerade jetzt gute Berater:innen gebraucht werden, um Organisationen widerstandsfähiger zu machen.

Warum eine Agile Transformation keine Reise ist

Die agile Transformation wird oft als eine Reise beschrieben. Doch dieser Vergleich kann viele Unternehmen in die Irre führen oder Bilder von unpassenden Vergleichen erzeugen. Transformationen sind keine linearen Prozesse mit einem klaren Ziel, sondern komplexe und dynamische Entwicklungen. Dieser Artikel zeigt, warum Agilität kein Weg mit einem festen Endpunkt ist.

Kleine Organisationsveränderungen, die direktes Feedback erzeugen

Große Veränderungen sind in einer Organisation schwer zu messen. Oft liegt zwischen Ursache und Wirkung ein langer Zeitraum, sodass die Umsetzer:innen nicht wissen, was genau gewirkt hat. Hier ist eine Liste mit kleinen Maßnahmen, die schnell etwas zurückmelden.

Agile Leadership – Führst du noch oder dienst du schon?

Die Arbeitswelt verändert sich. Und das spüren nicht nur Führungskräfte, sondern vor allem Mitarbeitende. Immer mehr Menschen hinterfragen den Sinn ihrer Arbeit, erwarten Respekt, Vertrauen und eine Unternehmenskultur, die echte Zusammenarbeit ermöglicht. Studien wie die Gallup-Studie 2025 oder die EY-Jobstudie zeigen: Der Frust am Arbeitsplatz wächst – und mit ihm die Unzufriedenheit mit der Führung. Höchste Zeit, umzudenken. Genau hier setzt agile Führung an. 1. Warum agile Führung heute entscheidend ist  Klassische Führung – hierarchisch, kontrollierend, top-down – funktioniert immer weniger. Die Zahlen sind eindeutig:  Laut Gallup fühlen sich nur noch 45 % der deutschen Beschäftigten mit ihrem Leben zufrieden. Fast jede dritte Kündigung erfolgt wegen der Führungskraft. Nicht das Gehalt, sondern mangelnde Wertschätzung, fehlendes Vertrauen und ein schlechtes Arbeitsumfeld treiben Menschen aus Unternehmen.  Agile Führung bietet eine Alternative, die auf Vertrauen, Selbs...

Ent-Spannen statt Platzen: Erste Hilfe für mehr Vertrauen und Resilienz im Team

Zwei Themen die mir in den letzten Wochen immer wieder über den Weg laufen sind Vertrauen und Resilienz. Vertrauen als das Fundament für gemeinsame Zusammenarbeit und Resilienz als die Fähigkeit, Herausforderungen, Stress und Rückschläge zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.  In dem Blogpost möchte ich ein paar Erste-Hilfe Interventionen teilen, die zu mehr Vertrauen und Resilienz im Team führen können - gerade wenn die Emotionen hochkochen und es heiss her geht im Team. Die „Mist-Runde“: Ärger Raum geben. In konfliktbeladenen oder belasteten Teams kann es eine große Herausforderung sein, eine offene Kommunikation und ein respektvolles Miteinander zu fördern. Eine einfache, aber äußerst effektive Methode, um Spannungen abzubauen, ist die „Mist-Runde“ . Diese Intervention, die ich zuerst bei Veronika Jungwirth und Ralph Miarka kennengelernt habe, gibt den Teilnehmern einen geschützten Raum, in dem sie ihre Frustrationen und negativen Gedanken ohne Zensur äußern können un...

Microsoft Lists: mit Forms und Power Apps komfortabel mobil arbeiten

In meinem Kundenkreis sind viele Menschen, die den Arbeitsalltag nicht vorwiegend auf dem Bürostuhl sitzend verbringen, sondern "draußen" unterwegs sind. Vielleicht in Werkstätten oder im Facility-Management. Es ist so wichtig, dass die Schnittstellen zu den Abläufen im Büro gut abgestimmt sind. Microsoft 365 hat so einiges im Baukasten, man muss es nur finden und nutzen.  In diesem Artikel spiele ich ein Szenario durch, das auf Microsoft Lists, Forms und - für die Ambitionierteren - Power Apps setzt.

Selbstbewertungsfragen für den Alltag in Arbeitsgruppen aus Sicht von Mitarbeitenden

Welche Fragen können wir Mitarbeiter:innen stellen, um herauszufinden, ob agiles Arbeiten wirkt? Es gibt bereits eine Menge an Fragebögen. Aber ich bin nicht immer zufrieden damit.