Direkt zum Hauptbereich

Verstehen wir, was wir sehen?

Es gibt Dinge, die wir nicht verstehen, obwohl wir direkt davor stehen und sie sehen. Das ist ein viel größeres Hindernis für Veränderungen als der direkte Widerstand. Dem kann man nämlich argumentativ begegnen. Aber im ersten Fall helfen Argumente nicht. Oft ist es gut, wenn man solch ein Sitation selbst erlebt. Genau das ist mir letztens passiert.

Vielleicht kennen Sie das Gefühl: Sie sind dabei, sich die zweite Staffel Ihrer Lieblingsserie anzusehen. Sie fiebern mit den Protagonisten mit. Ein lieber Mensch sieht sich zusammen mit Ihnen diese Folge an. Aber er kennt die Serie gar nicht. Er stellt dauernd Fragen, warum dies und jenes wichtig ist. Jetzt sind Sie in der Zwickmühle. Einerseits wollen Sie die spannende Szene weitersehen und andererseits müssen Sie viel erklären, damit der andere "reinkommt".

Genau so ist es oft, wenn Sie in der Firma von einer Sache begeistert sind. Ich bin zum Beispiel von Scrum und Selbstorganisation begeistert. Ich will am liebsten loslegen, weitermachen, was bewegen. Dann kommt jemand, der "die erste Staffel noch nicht gesehen hat". Der kann der Situation, in der ich mich gerade befinde, gar nichts abgewinnen. Es hilft nichts; ich muss jetzt erst einmal auf "Pause" drücken und erzählen, was bisher passiert ist. Sonst hat der andere keine Chance.

Jan fällt ins Wasser

Aber selbst wenn ich viel rede, bedeutet das noch nicht, dass er auch versteht, was ich da sage. Das ist mir letztens passiert. Ich war mit meinem Sohn Wasserski fahren. Im Wartebereich lief ein Video, das uns mit den grundsätzlichen Regeln vertraut machte. Eine wichtige Regel war, dass man in den Kurven durch ein auf dem Wasser markiertes Tor fahren muss.

OK, habe ich verstanden. Ich muss durch das Tor. Aber auf dem Wasser war das ganz anders. Ich hatte keine Ahnung, wie ich durch diese Tore sollte. Naja, fahre ich erstmal dran vorbei und versuche es später. Platsch, da lag ich schon im Wasser. Das gleiche in der nächsten Runde.

Was war das Problem? Eine Wasserski-Bahn ist wie eine Seilbahn, die im Kreis fährt. Damit das geht, braucht man mehrere Rollen, um die Seile laufen. Das Seil, das mich gezogen hat, wird an jeder Rolle auf den nächsten Teil der Seilbahn umgesetzt. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die Wasserski-Bahn.
Abbildung 1: Schema einer Wasserski-Bahn
Durch den Rollenwechsel in den Kurven ändert sich auch der Zug und die Zugrichtung. Wenn man durch die Tore fährt, ist der Unterschied gering. Wenn man nicht durch die Tore fährt, ist der Unterschied so stark, dass man sich nicht mehr auf den Ski halten kann.

Durch die Tore fahren, war also keine Sicherheitsregel, sondern etwas, das mir das Fahren erleichtert. Obwohl ich das Video am Anfang gesehen hatte, hatte ich es nicht verstanden. Erst als ich mich ein paar Mal hingelegt hatte, begann ich zu lernen. Mir fehlten die wichtigen Begriffe "Zug" bzw. "Änderung im Zug".

Als ich es verstanden hatte, war es kein Problem mehr, vier Runden am Stück auf der Bahn zu drehen (siehe Abb. 2).
Abbildung 2: Jan fährt Wasserski

(Den Muskelkater im Brustbereich in den Tagen danach verschweige ich einfach mal). Der Nachmittag hat dann noch viel Spass gemacht. Und mich wieder eine gute Portion Demut gelehrt.

Tore gibt es immer wieder

Wenn es um Veränderungen im Betrieb geht (z.B. um die Einführung von Scrum oder von einer gemeinsamen Ablage), besteht immer das Risiko, dass andere die Tore nicht verstehen, die die neue Arbeitsweise aufstellt. Sie sind nicht da, um Regelkonformität zu gewährleisten, sondern um die Benutzung zu erleichtern. Doch selbst wenn man das erklärt, heißt das noch nicht, dass andere das verstehen.

Mehr reden hilft in dieser Situation nicht. Besser ist es, Übungssituation zu ermöglichen und auch, aus Anfangsfehlern lernen zu können. Mit Spielen geht das besonders gut. Sie können bestimmte Situationen auf das Wesentliche reduzieren und wichtige Begriffe sichtbar machen. Bei TastyCupcakes gibt es viele Anregungen.

Wenn Sie die Person sind, die Spiele auswählt, ist es gut, wenn Sie sich vor jeder Auswahl überlegen, welche Begriffe eigentlich wichtig sind und im Spiel erlebt werden sollen. Bei Scrum ist der Begriff Unsicherheit sehr wichtig. Das Spiel Lean Startup Snowflakes /2/ zeigt den Mitspielern, dass man trotz unsicherer Ausgangslage gute Ergebnisse produzieren kann. Unsicherheit ist also nichts Schlechtes. Man muss nur anders als üblich mit ihr umgehen.

Am besten gefallen mir Spiele, bei denen das Team die gleiche Situation mehrfach durchspielen und irgendetwas messen. Von Runde zu Runde wird etwas geändert. Dann sehen alle Mitspieler die Auswirkung.

So, jetzt sehe ich mir die die nächste Folge der zweiten Staffel meiner aktuellen Liebslingsserie an. Bin gespannt, was Mr. Reese heute erleben wird. ("Ach Herrje, ich habe ja noch seinen Hund.")

Anmerkungen

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie beschreibt man einen Workshop für eine Konferenz?

Konferenzen bieten immer ein gutes Forum, um sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen. Was für die Vortragenden selbstverständlich scheint, ist für die Besucher:innen oft unverständlich. Wie können Vortragende ihren Workshop in 2-3 Sätzen beschreiben, damit die Besucher:innen schnell einschätzen können, er sich für sie lohnt?

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Der Softwareeisberg, die Softwarepyramide - Wie sprechen wir über neue Software?

Software ist aus den Geschäftsprozessen vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Sie verwaltet Kunden- und Produktdaten. Sie automatisiert Abläufe und verhindert Fehler. Aber Software veraltet. Was machen wir, wenn wir Unternehmenssoftware erneuern müssen? Von den ersten Konzepten bis zum ersten Release ist es ein weiter Weg, mit vielen Entscheidungen. Wie sprechen wir über diese Entscheidungen?

Transparenz als Schlüssel zum Erfolg: 20 Reflexionsfragen für moderne Organisationen

Transparenz ist das Herzstück erfolgreicher Teams. Sie schafft Vertrauen und fördert Zusammenarbeit. Wenn alle Zugang zu den notwendigen Informationen haben, können sie fundierte Entscheidungen treffen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Dies führt zu höherer Effizienz, schnelleren Entscheidungsprozessen und besseren Arbeitsergebnissen. Transparenz ist mehr als ein Schlagwort – es gilt, sie greifbar zu machen, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln und es in die Praxis umzusetzen. Wie das gelingt und welche Vorteile es für Euer Team und Eure Organisation bringt, erkunden wir im Folgenden.

Die Stimmung in Deinem Team drehen? So wird’s gemacht.

Oder ähnlich. Mir gefiel der Titel. Vor ein paar Tagen hat mich jemand angesprochen und von einem, wohl etwas frustrierenden, virtuellen Teammeeting erzählt. Die Teammitglieder zogen lange Gesichter, schauten grimmig in ihre Kameras. Ich habe mich dann gefragt, was ich tun würde, wenn ich in so einer Situation wäre. In diesem Blogpost beschreibe ich ein paar Tipps mit denen Du die Stimmung in Deinem Team (und Deine eigene) verbessern kannst.

Die Microsoft Teams-Not-To-Do-Liste

Viele hoffen, dass es  für die Einrichtung von Microsoft Teams  den Königsweg gibt, den perfekten Plan – doch den gibt es leider (oder glücklicherweise?) nicht. Genauso wenig, wie es jemals einen Masterplan für die Organisation von Gruppenlaufwerken gab, gibt oder je geben wird. Was gut und vernünftig ist hängt von vielen Faktoren und ganz besonders den Unternehmensprozessen ab. Sicher ist nur eines: Von alleine entsteht keine vernünftige Struktur und schon gar keine Ordnung. Dafür braucht es klare Entscheidungen.

Agilität ist tot. Ausgerechnet jetzt?

Agilität wird zurückgefahren, Hierarchien kehren zurück. Doch ist das wirklich der richtige Weg in einer Welt, die immer unberechenbarer wird? Oder erleben wir gerade eine riskante Rolle rückwärts?

Effektive Dokumentation in IT-Teams: Herausforderungen und Best Practices

  Effektive Dokumentation in IT-Teams: Herausforderungen und Best Practices In der heutigen Informationsgesellschaft ist eine effiziente Dokumentation essenziell für den Erfolg von IT-Teams. Dennoch kämpfen viele Unternehmen mit veralteten, überladenen oder unauffindbaren Informationen. Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen der Dokumentation, zeigt Best Practices wie den „Clean-Up Day“ und zieht Parallelen zu politischen Initiativen zur Bürokratieentlastung. Strukturierte und gepflegte Dokumentation steigert die Effizienz, reduziert Fehler und verbessert die Zusammenarbeit. Der Mut zur Löschung irrelevanter Inhalte ist dabei ein zentraler Erfolgsfaktor.

Die Digitale Transformation braucht Tempo. Also auch Konversation in Ruhe statt nur hektische Meetings

„Gesprächsrunde“ (Quelle: siehe unten) Mir sind in letzter Zeit zwei Trends aufgefallen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Zum einen gibt es vermehrt Beiträge zur Meetingkultur , vor allem auf Online-Konferenzen bezogen. Zum anderen taucht das Thema „ Widerstand der Mitarbeiter gegen Changeprojekte“ wieder einmal stärker auf. Die beiden Phänomene sind gar nicht so unterschiedlich. Ihnen gemeinsam ist die Unzufriedenheit mit unproduktiven Vorgehensweisen, mangelndem Tempo, Stockungen in Prozessen und Projekten. Kurz, beide adressieren verschiedene Aspekte des Gefühls „wir sind im Hamsterrad, und es geht wieder einmal nichts voran“. Um diese beiden Trends geht es in diesem Artikel. Und eine Einladung zu einem Event „Impuls in der Mittagspause“, in dem Stephanie Borgert eine konkrete Alternative vorstellt. Zeitfresser Meetings Dazu hat Jessica Turner Ende 2024 ein interessantes Buch veröffentlicht „Online-Meetings mit Fokus und Mehrwert“ (alle Quellen unten). Der...

Leisten! Leisten? Leisten!

Warum opfern wir so viel für den Job, selbst wenn es uns nicht wirklich weiterbringt? Ein paar blasphemische Gedanken zu einem für uns überlebenswichtigen Thema.