Direkt zum Hauptbereich

Warteschlangen im Management

Ist es eigentlich gut, wenn unsere Manager zu 100% ausgelastet sind? Meine Frage suggeriert schon, dass das wohl nicht richtig sein kann. Aber was wäre eine gute Auslastung?
Im Moment lese ich gerade "Schwarmdumm" von Gunter Dueck /1/. Tolles Buch. Ich könnte seitenweise abschreiben, weil es mir so aus der Seele spricht. Der Tenor des Buches ist, dass wir einzeln alle ziemlich intelligent sind. Aber wenn wir in Unternehmen zusammenfinden, tun wir Dinge, die sehr unvernünftig sind.

Gunter Dueck geht am Anfang seines Buches auf die Auslastung von Managern ein und verweist auf die Warteschlangentheorie, die ich auch schon bei Don Reinertsen gefunden habe /2/.

Warteschlangen sind gefährlich

Ich muss etwas ausholen, bin aber gleich wieder da. Reinertsen schreibt in "Flow", dass Warteschlangen zu größten Verschwendern in der Produktentwicklung gehören. Das Blöde ist nur, dass man im Gegensatz zu Warteschlangen an der Kasse, Warteschlangen in der Produktentwicklung nicht sieht. In der Produktentwicklung sind Informationen die Warteschlange: angefangene Designs, angefangene Konzepte, angefangene Geschäftsmodelle etc.

Warteschlangen sind deshalb für uns interessant, weil sie zu (viel) längeren Durchlaufzeiten, zu höheren Risiken, zu mehr Schwankungen, zu mehr Bürokratie, zu abnehmender Qualität und auch zu abnehmender Motivation führen /2, S. 57/.

Warteschlangen im Management

Gunter Dueck erinnert nun in "Schwarmdumm", dass die Warteschlangentheorie auch für Managementprozesse gilt. In der Warteschlange sind wie bei der Produktentwicklung neue Konzepte und neue Ideen. Aber auch Entscheidungsbedarfe und Kommunikationsaufgaben. Eigentlich sind in der Warteschlange alle Aufgaben und Projekte, um die sich der Manager kümmern muss.

Was ich an Duecks Buch gut finde, dass er uns vorrechnet, was eine hohe Auslastung bedeutet. Nehmen wir eine einfache Warteschlange, bei der es einen Bearbeiter gibt. Die neuen Anfragen kommen zufallsverteilt an, wobei kürzere Abstände wahrscheinlicher sind als lange Abstände. Auch die Bearbeitungszeit ist zufallsverteilt und es ist wahrscheinlich, dass eine kürzere Bearbeitungsdauer häufiger vorkommt als eine sehr lange. Da Papier bekanntlich geduldig ist, haben wir eine unendliche Kapazität im Wartebereich. (In der sog. Kendall-Notation wird solch eine Warteschlange mit M/M/1/ beschrieben.)

Eine wesentliche Größe für die Wartezeit ist die Auslastung des Bearbeiters (abgekürzt durch den griechischen Buchstaben Rho ρ). Die freie Kapazität ist entsprechend 1-ρ. Allein anhand der Auslastung kann man nun erkennen, wie viele Aufgaben der Bearbeiter auf dem Tisch hat. Das ist nämlich Auslastung pro freie Kapazität: Anzahl Aufgaben = ρ/(1-ρ).

Jetzt können Sie sich ausrechnen, dass Anzahl der Aufgaben ziemlich schnell steigt, wenn man zu stark ausgelastet ist. Sie verdoppelt sich, wenn die Auslastung von 60 auf 80% steigt. Sie verdoppelt sich nochmal bei einem Anstieg von 80 auf 90% und ein weiteres Mal bei einer Auslastung von 90 auf 95%.
Abb. 1: Anzahl der Aufgaben in Bearbeitung bei steigender Auslastung
Gemein, oder? Je mehr Sie ausgelastet sind, desto stressiger wird es. Gunter Duecks Frage ist nun, wie viel Kreativität und Innovationen man von einem Manager erwarten kann, der zu 95% ausgelastet ist, also rund 20 Aufgaben auf seinem Tisch hat. Lesen Sie also in seinem Buch, was er darauf antwortet.

"Moment," werden Sie vielleicht sagen, "bei uns ist das ja gar kein zufallsverteilter Ankunftsprozess von neuen Aufgaben". (Das ist das erste M in der Warteschlangennotation. M steht für Markow-Prozess). "Wir haben ja ein XYZ-Management, mit dem Aufträge gesteuert werden."

Nun, dem widerspreche ich: Sie können nicht vorhersehen, wann es Störungen im Betrieb gibt, wann Projekt- oder Berichtsanfragen aus der Holding kommen, wann es Kundenbeschwerden oder Krankheitsfälle im Betrieb gibt. Wie hat es Wolf so schön ausgedruckt: Auch wenn Sie die Situation scheinbar professionell managen, wird die Situation anderer Meinung sein.

Bringen Sie die Auslastung unter 85%

Gunter Duecks Empfehlung ist, die Auslastung unter 85% zu drücken. Ich gehe da noch weiter und schlage 75% vor. Eine Auslastung von 75-80% bedeutet, grundsätzlich einen Tag in der Arbeitswoche oder eine Woche in einem Monat freizuhalten. In unserer Firma CST haben wir übrigens vereinbart, die letzte Woche im Monat nicht für Kundentermine zu verplanen.

Brauchen wir dafür ein Ressourcen- oder Ideenmanagement? Laut Reinertsen nicht. Er sagt, es reicht, wenn wir anfangen, die Warteschlangen managen. Die mathematischen und ökonomischen Hintergründe kann man bei ihm gut nachlesen /2, Kap. 3/.

Übrigens hat Frederic Laloux bei seiner Untersuchung über vitale Unternehmen genau das festgestellt: Die von ihm Befragten Geschäftsführer hat in diesen anders organisierten Unternehmen keinen vollen Terminkalender. Sie hatten richtig Zeit.

Sie können die Auslastung nicht reduzieren, indem Sie härter arbeiten. Aber das wissen Sie ja schon, wenn Sie schon andere Beiträge in unserem Blog gelesen haben.

Anmerkungen

  • /1/ Dueck, Gunter: Schwarmdumm : So blöd sind wir nur gemeinsam. 1. Aufl.. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2015.
  • /2/ Reinertsen, Donald G.: The Principles of Product Development Flow : Second Generation Lean Product Development. 1. Aufl.. Redondo Beach, California: Celeritas, 2009.
  • /3/ Laloux, Frederic: Reinventing Organizations : Über die Entwicklung ganzheitlicher, sinnerfüllender und wachstumsorientierter Organisationen. 1. Aufl.. München: Vahlen Franz GmbH, 2015.


Kommentare

  1. Danke Jan, für diesen tollen Artikel! Gerade habe ich jemanden zur Arbeitsplatzbeschreibung beraten und da war die Frage, wieviel "Luft" einzuplanen ist, und wie man dieses der Führungskraft nahelegt... Das hier passt perfekt. Witzigerweise schwankten wir auch zwischen 15% und 25% als wünschenswertem unverplantem Zeitbudget.

    AntwortenLöschen
  2. Kleine Verständnisfrage: durch den "freien" Tag reduziert sich die Anzahl der z.B. per Mail eingehenden Aufgaben ja nicht, die Warteschlange wächst. Besteht der Nutzen des freien Tages jetzt darin, dass man sich ausschließlich dem Abarbeiten der Warteschlange widmet?

    AntwortenLöschen
  3. Hallo Friedhelm, ja. Der freie Tag senkt die Auslastung des Servers.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie beschreibt man einen Workshop für eine Konferenz?

Konferenzen bieten immer ein gutes Forum, um sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen. Was für die Vortragenden selbstverständlich scheint, ist für die Besucher:innen oft unverständlich. Wie können Vortragende ihren Workshop in 2-3 Sätzen beschreiben, damit die Besucher:innen schnell einschätzen können, er sich für sie lohnt?

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Der Softwareeisberg, die Softwarepyramide - Wie sprechen wir über neue Software?

Software ist aus den Geschäftsprozessen vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Sie verwaltet Kunden- und Produktdaten. Sie automatisiert Abläufe und verhindert Fehler. Aber Software veraltet. Was machen wir, wenn wir Unternehmenssoftware erneuern müssen? Von den ersten Konzepten bis zum ersten Release ist es ein weiter Weg, mit vielen Entscheidungen. Wie sprechen wir über diese Entscheidungen?

Transparenz als Schlüssel zum Erfolg: 20 Reflexionsfragen für moderne Organisationen

Transparenz ist das Herzstück erfolgreicher Teams. Sie schafft Vertrauen und fördert Zusammenarbeit. Wenn alle Zugang zu den notwendigen Informationen haben, können sie fundierte Entscheidungen treffen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Dies führt zu höherer Effizienz, schnelleren Entscheidungsprozessen und besseren Arbeitsergebnissen. Transparenz ist mehr als ein Schlagwort – es gilt, sie greifbar zu machen, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln und es in die Praxis umzusetzen. Wie das gelingt und welche Vorteile es für Euer Team und Eure Organisation bringt, erkunden wir im Folgenden.

Die Stimmung in Deinem Team drehen? So wird’s gemacht.

Oder ähnlich. Mir gefiel der Titel. Vor ein paar Tagen hat mich jemand angesprochen und von einem, wohl etwas frustrierenden, virtuellen Teammeeting erzählt. Die Teammitglieder zogen lange Gesichter, schauten grimmig in ihre Kameras. Ich habe mich dann gefragt, was ich tun würde, wenn ich in so einer Situation wäre. In diesem Blogpost beschreibe ich ein paar Tipps mit denen Du die Stimmung in Deinem Team (und Deine eigene) verbessern kannst.

Die Microsoft Teams-Not-To-Do-Liste

Viele hoffen, dass es  für die Einrichtung von Microsoft Teams  den Königsweg gibt, den perfekten Plan – doch den gibt es leider (oder glücklicherweise?) nicht. Genauso wenig, wie es jemals einen Masterplan für die Organisation von Gruppenlaufwerken gab, gibt oder je geben wird. Was gut und vernünftig ist hängt von vielen Faktoren und ganz besonders den Unternehmensprozessen ab. Sicher ist nur eines: Von alleine entsteht keine vernünftige Struktur und schon gar keine Ordnung. Dafür braucht es klare Entscheidungen.

Agilität ist tot. Ausgerechnet jetzt?

Agilität wird zurückgefahren, Hierarchien kehren zurück. Doch ist das wirklich der richtige Weg in einer Welt, die immer unberechenbarer wird? Oder erleben wir gerade eine riskante Rolle rückwärts?

Effektive Dokumentation in IT-Teams: Herausforderungen und Best Practices

  Effektive Dokumentation in IT-Teams: Herausforderungen und Best Practices In der heutigen Informationsgesellschaft ist eine effiziente Dokumentation essenziell für den Erfolg von IT-Teams. Dennoch kämpfen viele Unternehmen mit veralteten, überladenen oder unauffindbaren Informationen. Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen der Dokumentation, zeigt Best Practices wie den „Clean-Up Day“ und zieht Parallelen zu politischen Initiativen zur Bürokratieentlastung. Strukturierte und gepflegte Dokumentation steigert die Effizienz, reduziert Fehler und verbessert die Zusammenarbeit. Der Mut zur Löschung irrelevanter Inhalte ist dabei ein zentraler Erfolgsfaktor.

Die Digitale Transformation braucht Tempo. Also auch Konversation in Ruhe statt nur hektische Meetings

„Gesprächsrunde“ (Quelle: siehe unten) Mir sind in letzter Zeit zwei Trends aufgefallen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Zum einen gibt es vermehrt Beiträge zur Meetingkultur , vor allem auf Online-Konferenzen bezogen. Zum anderen taucht das Thema „ Widerstand der Mitarbeiter gegen Changeprojekte“ wieder einmal stärker auf. Die beiden Phänomene sind gar nicht so unterschiedlich. Ihnen gemeinsam ist die Unzufriedenheit mit unproduktiven Vorgehensweisen, mangelndem Tempo, Stockungen in Prozessen und Projekten. Kurz, beide adressieren verschiedene Aspekte des Gefühls „wir sind im Hamsterrad, und es geht wieder einmal nichts voran“. Um diese beiden Trends geht es in diesem Artikel. Und eine Einladung zu einem Event „Impuls in der Mittagspause“, in dem Stephanie Borgert eine konkrete Alternative vorstellt. Zeitfresser Meetings Dazu hat Jessica Turner Ende 2024 ein interessantes Buch veröffentlicht „Online-Meetings mit Fokus und Mehrwert“ (alle Quellen unten). Der...

Leisten! Leisten? Leisten!

Warum opfern wir so viel für den Job, selbst wenn es uns nicht wirklich weiterbringt? Ein paar blasphemische Gedanken zu einem für uns überlebenswichtigen Thema.