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DMS- und ECM-Projekte zum Erfolg führen (Teil 2): Der Belegworkflow

Nur wenige Projekte zur Einführung von Dokumentenmanagement-Systemen bringen ihren Kunden den Nutzen, den diese sich davon erhoffen. Im zweiten Teil unserer Serie beschäftigen wir uns mit dem Thema „Workflow von Rechnungen und Belegen“, auch oft als „digitale Rechnungsbearbeitung“ bezeichnet. Unsere These: Der Belegworkflow spielt in den Werbeschriften der DMS-Hersteller zwar immer eine große Rolle. Darauf aber die Auswahl eines DMS-Produkts zu stützen, wäre eine völlige Fehlentscheidung.


Was bedeutet „Belegworkflow“?

Eingangsrechnungen sind wirklich ein Horror. Wenn eine Rechnung in Papierform bei der Poststelle eingeht, durchläuft sie einen labyrinthischen Pfad aus mehrfachen Kontrollen und Freigaben durch das Unternehmen, bis sie endlich verbucht werden kann. Die Abbildung zeigt einen typischen Pfad in einer Körperschaft öffentlichen Rechts.
Abb.1: Belegworkflow
Wenn ein Papierdokument derart kompliziert durch eine Organisation wandern muss, liegen die Nachteile auf der Hand:
    • Die Rechnung geht (abgesehen von der Poststelle) durch drei Stellen und muss 5 Transfers von einer Abteilung in eine andere durchmachen. Dabei kann viel passieren, d. h. das Dokument kann verlorengehen oder auf irgendwelchen Stapeln liegen bleiben. Besonders in der Urlaubszeit, im Vertretungsfall.
    • Eine Kontrolle, wo sich eine bestimmte Rechnung gerade befindet, ist – solange sie nicht in der FiBu gelandet ist – nicht möglich.
    • Der Arbeitsaufwand ist hoch, insgesamt ca. 20 Minuten pro Rechnung.

      Digitale Rechnungsbearbeitung – ein Geschenk des Himmels

      So muss es zumindest jedem Finanzbuchhalter oder jedem sonstigen Verantwortlichen vorkommen, wenn jemand erscheint und sagt: „Diese Abläufe mache ich einfacher, schneller und völlig fehlerfrei.

      Diese Abgesandten des Himmels gibt es tatsächlich. Es handelt sich aber nicht um Engel, sondern um Anbieter von DMS.
      Hören wir ihre frohe Botschaft:

      Im Jahr 2015 werden in Europa ca. 35 Milliarden Rechnungen den Empfänger wechseln (Billentis, 2012). Studien zeigen außerdem, dass beim papierbasierten Arbeiten durchschnittlich sechs Kopien je Rechnung erstellt und dezentral archiviert werden. Laut Europäischer Kommission lassen sich durch eine Umstellung von der klassischen hin zu einer elektronischen Abrechnung Kostensenkungen von über 70 % erzielen. Ebenso kann weit mehr als die Hälfte der bislang benötigten Arbeitszeit eingespart werden. (…)

      OS|ECM bietet automatisierte Post- und Rechnungseingangslösungen für Ihr Unternehmen. (…)

      Die Dokumente können - abhängig von ihren Inhalten - unterschiedliche Workflows auslösen, die die Dokumente automatisch an die zuständigen Bearbeiter weiterleiten. Mahnfristen, Wiedervorlagen und Stellvertreterregelungen sorgen dafür, dass nichts liegen bleibt und alles pünktlich bearbeitet wird.
      “ /1/

      In dieser Werbebotschaft ist doch alles Wichtige drin: die Riesenzahl für die Betroffenheit (35 Milliarden!!), die EU-Kommission für die Seriosität, die Einsparung von Arbeitszeit für die Entscheider.

      Wer kann das brauchen?

      Rechnen wir nach! Gehen wir aus von einem mittleren Unternehmen mit 200 Mitarbeitern und 4.000 Eingangsrechnungen im Jahr (/2/). Dann beträgt das Einsparpotenzial:
      • 4.000 Rechnungen pro Jahr
      • 20 Minuten pro Rechnung
      • 1.333 Arbeitsstunden pro Jahr
      • 50% Einsparpotenzial
      • 33 € Kosten pro Arbeitsstunde
      • 22.000 € gesparte Kosten
      Das heißt, das relative Einsparpotenzial ist hoch. Das absolute Potenzial ist aber gering. Bezogen auf alle Mitarbeiterstunden im Jahr sieht man das an folgender Rechnung:
      • 200 Mitarbeiter
      • 210 Arbeitstage im Jahr
      • 8 Stunden pro Arbeitstag
      • 336.000 Arbeitsstunden insgesamt
      • 0,20 % Einsparung an allen Arbeitsstunden
      Wenn ich also nicht vom einzelnen Prozess „Belegverarbeitung“ ausgehe, sondern das gesamte Unternehmen mit all seinen Prozessen in den Blick nehme, dann liegt das Einsparpotenzial nur etwas über der Promillemarke.


      Wenn schon Belegworkflow, dann aber einer, der was taugt

      Trotzdem sollten Projektleiter, die mit der DMS-Einführung beauftragt sind, auf einen gute Realisierung dieses Bausteins in den jeweiligen Produkten achten. Wichtig ist dabei, ob das DMS den Workflow als isolierten Ablauf ansieht oder ob es ihn mit anderen Vorgängen verknüpfen kann.

      Im obigen Flowchart macht sich der Mitarbeiter in der bestellenden Abteilung eine Kopie, wenn die Rechnung über seinen Arbeitsplatz läuft und er sie prüfen soll. Das ist gängige Praxis. Dabei geht es in der Regel nicht nur um Absicherung, sondern darum, die Rechnung zum auslösenden Vorgang zu heften. Einer Rechnung geht ja immer eine Bestellung voraus, und diese Bestellung hatte ihrerseits einen Grund (eine Ersatzbeschaffung oder eine Reparatur oder ein Bauprojekt oder ein Bedarf am Lager usw.) Und der Mitarbeiter führt die Rechnung mit der Bestellung zusammen, dabei er jederzeit diesen Zusammenhang nachvollziehen kann.

      Ein DMS taugt nur etwas, wenn es diesen Zusammenhang auch darstellen kann. (Kann es das nicht, ist nämlich das ganze Kopien-machen überhaupt nicht abgeschafft.) D. h. das DMS muss in der Lage sein, mindestens schon den Beschaffungsvorgang abzubilden und diesen mit der Rechnung zu verknüpfen. Es muss die Rechnung kontextbezogen speichern können und dies auch für den Mitarbeiter, der die Beschaffung ausgelöst hat, zugreifbar machen (/3/).

      Ein solches DMS unterstützt schon die Erstellung der Bestellung. Dabei wird eine interne Bestellnummer erzeugt, die auf der Seite des bestellenden Mitarbeiters auf einen Vorgang verweist. Der Lieferant wird aufgefordert, die Bestellnummer auf der Rechnung anzugeben. Dann kann die eingehende Rechnung schon beim Einscannen und indexieren mit dem Bestellvorgang verknüpft werden (und nebenbei hat der Mitarbeiter bei seiner Rechnungsprüfung einen viel geringeren Aufwand, weil er die Bestellung nicht suchen muss).

      Schlussfolgerungen

      DMS-Hersteller führen regelmäßig an, wie toll ihre Produkte die Rechnungsverarbeitung im Unternehmen straffen und absichern. Aber von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen spielt der Prozess der Belegverarbeitung in Organisationen eine absolute Nebenrolle.

      Deshalb versuchen die Software-Anbieter auch, den Belegworkflow darüber hinaus zu nutzen: Nämlich als Beispiel, was man mit ordentlich programmierten Workflows auch an anderer Stelle im Unternehmen, bei all den anderen Prozessen, erreichen könne. Sie argumentieren mit dem lockenden Versprechen: „Wenn ihr erst mal euren Prozess der Rechnungsverarbeitung effizient gestaltet habt, dann könnt ihr das analog auch mit einer Vielzahl anderer Prozesse erreichen.

      Es stellt sich also die Frage, inwiefern der Belegworkflow als Modell für andere Unternehmensprozesse herhalten kann. Das wird das Thema des nächsten Teils unserer DMS-Serie sein.

      Anmerkungen

      Kommentare

      1. "Das heißt, das relative Einsparpotenzial ist hoch. Das absolute Potenzial ist aber gering. Bezogen auf alle Mitarbeiterstunden im Jahr sieht man das an folgender Rechnung:"

        müsste es nicht umgekehrt lauten? das absolute Einsparungspotenzial ist hoch, das relative gering?

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      2. Lieber Anonym,
        da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt.
        Was ich meinte, war: "Relativ auf diese eine Aufgabe - Rechnungen verbuchen - ist das Potenzial hoch, nämlich 50%. Weil der Gesamtaufwand für diese Aufgabe im Unternehmen aber gering ist, ist die Einsparung absolut gering (was sind 22.000 € pro Jahr bei einem Unternehmen von 200 Mitarbeitern).
        Damit ist es aber auch relativ gering - nur diesmal bezogen auf eine andere Grundgesamtheit, nämlich alle Prozesse.

        Vielen Dank für den Hinweis. Ich lasse mir mal eine klarere Formulierung einfallen. Das müsste relativ einfach sein, nur gerade jetzt fehlt mir absolut die Zeit dafür.

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