Direkt zum Hauptbereich

Ein konstruktives Nein

„Sie sind doch der Profi, Herr M. Das schaffen Sie mit Links,“ sagte der Chef, nachdem er gigantische Projektaufgaben – selbstverständlich mit minimalem Budget und utopischem Zeitfenster – vorgestellt hat. Was tun? Ich kann doch nicht zum Chef „Nein“ sagen. Ich hatte dieses Jahr auf mehr Verantwortung und vielleicht eine Gehaltserhöhung gehofft.  Wenn ich das Projekt ablehne, zeige ich, dass ich dieser Verantwortung nicht gewachsen bin. Aber wenn ich „Ja“ sage, geht’s in die Hose, sicher. Selbst wenn ich die ganze Abteilung im Team hätte und keiner krank wird, ist der Zeitplan allein nicht zu schaffen.  Oder vielleicht doch. Es wird wie immer viele Überstunden geben. Das Testen könnte beim Kunden gemacht werden (wie immer). Was tun?

Nein sagen!

Als Berater höre ich fast im Wochenrhythmus die Leiden der Projektmanager, die mit solchen Situationen konfrontiert werden. Allerdings gibt es hier einen einfachen aber fundamentalen Denkfehler bei dem Glauben, dass „Nein“ negative Konsequenzen mit sich zieht. Grundsätzlich sollte man keine Aufgabe ohne die Überzeugung übernehmen, die Aufgabe zum Erfolg bringen zu können. Wir werden nach unseren Ergebnissen beurteilt. Keiner erinnert sich später an die Entschuldigungen und die unmöglichen Projektbedingungen. Keiner – erst recht nicht der Chef – wird sich merken, dass der Chef so viel Druck aufgebaut hat. Wenn ich „Ja“ sage, heißt es implizit, dass ich an den Erfolg unter den gegebenen Bedingungen glaube.

Darin liegt der Denkfehler. Erfahrene Projektmanager machen diesen Fehler nicht.

Wichtig ist zu erkennen, dass das Nein nur die Sache oder die Rahmenbedingungen ablehnt. Es ist keine Ablehnung der Person des Chefs. Ein Chef, der die Arbeit so personalisiert, ist seiner Führungsrolle nicht gewachsen. Gewiss, es gibt allzu viel solche Führungskräfte. Will man selbst voran kommen, muss man das Rückgrat haben, solche Personen mit Sachlichkeit zu trotzen.

Darüber hinaus darf man nie unterschätzen wie abhängig der Chef von der Fachmeinung seiner Mitarbeiter ist. Ein Chef wird über die Jahre zum Generalist und hält einfach mit der Detailentwicklung in den verschiedenen Fächern und Technologien nicht mit. Der konstruktiv-denkende Chef ist für die qualifizierte Meinung seiner Mitarbeiter dankbar. Der Chef will sich nicht vor seinem Kunden, dem Vorstand oder seinen Kollegen mit einem Misserfolg blamieren.

Wie kann man durch ein „Nein“ positive Konsequenzen für sich selbst und seinen Chef erreichen? Die Lösung ist das „konstruktive Nein“. Etwa wie in manchen Kulturen, in denen man das Wort „Nein“ nicht anwenden darf. Dort drückt man es anders aus. Der Dialog könnte wie folgt ablaufen:
  • Mitarbeiter: „Lieber Chef, gerne helfe ich unserer Firma bei diesem Projekt. Allerdings brauche ich einige Rahmenbedingungen für den Projekterfolg.“
  • Chef: „Super. Ein Ja hört man immer gerne. Was brauchen Sie?“
  • Mitarbeiter: „Da die Situation soundso und der Zeitplan eng ist, bräuchte ich folgendes ... (Liste von Bedingungen, die das Projekt in eine erfolgreiche Bahn lenken würde)“.
  • Chef: „Aber, Herr M., Sie wissen, wie eng unsere Ressourcen und wie hoch die Kundenanforderungen sind.“
  • Mitarbeiter: „Ja, sicher.  Aber, bitte verstehen Sie mich richtig. Nach meiner Auffassung wird dieses Projekt ohne diese Bedingungen nicht erfolgreich. Oder zumindest bin ich die falsche Person für diese Aufgabe.“
  • Chef: „Wie bitte? Nicht möglich? Was meinen Sie?“
  • Mitarbeiter: „Nach meiner Erfahrung brauchen wir immer viel mehr Zeit für das Testen als gedacht. Es gibt auch immer Verzögerungen im Anforderungsprozess, weil die Anwender erst langsam begreifen, was sie wirklich brauchen. Die Kundenbeschwerden über Qualität häufen sich. Wir können es uns nicht mehr erlauben, nur halbfertige Sachen zu liefern.“
  • Chef: „An die Verzögerungen hatte ich gar nicht gedacht, hmmm ... Und das Testen – da haben Sie auch recht. Ich frage mich selber, ob wir nicht zunächst mehr Gespräche mit dem Kunden führen müssen, damit wir und auch der Kunde den Auftrag besser verstehen.“
  • Mitarbeiter: „Genau. Deswegen brauchen wir die genannten Bedingungen. Dann mache ich das Projekt wirklich gerne.“
  • Chef: „Ich schaue mal, wie wir sie schaffen können.  Sehen Sie, Herr M., Sie sind doch der Profi.“
Wie sagen unsere Leser "Nein"? 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Microsoft Copilot - Notebook, Pages, Agents und mehr

Es tut sich sehr viel an der Copilot Front. Gefühlt entwickelt Microsoft mit aller Kraft die KI-Anwendung weiter. Mit dem letzten Update hat sich die Microsoft-Startseite stark verändert. Hier zeige ich, was sich hinter all den Begrifflichkeiten verbirgt und was davon alltagstauglich ist.

Erfahrung mit Vibe-Coding - und warum das keine Teamprobleme löst

Die KI-Werkzeuge zum Erstellen von Werkzeugen für die tägliche Arbeit werden immer besser. Die selbstgestrickten Tools erleichtern die eigene Arbeit. Aber für den Einsatz im Team fehlt noch etwas.

Wenn Leisten Leistung kostet

Immer. Immer "on". Immer mehr. Immer schneller. Und natürlich: Immer besser. Das ist die Welt, in der wir heute leben. Eine Welt der Dauerleistung. Und die hat ihren Preis: Wir werden schwächer. Sofern wir nicht die Grundlagen guten (Selbst-)Managements beherzigen und Pausen machen. Also zur richten Zeit das wirklich Wichtige tun.

Schätzungen sind schätzungsweise überschätzte Schätze

"Wer viel misst, misst viel Mist." Zumindest ist diese Gefahr gegeben. Entweder misst man z. B. Mist, weil man zu früh zu KPIs zur Messung von Ergebnissen greift, oder aber man greift zu den falschen KPIs, die gar nicht das messen, was man wissen möchte. Einst war agiles Arbeiten der alternative Ansatz, aber inzwischen gibt es auch für einige Details dessen, was in Konzernen als "agil" praktiziert wird, einleuchtende alternative Ideen, die bis heute noch nicht so richtig auf die große Bühne vorgedrungen zu sein scheinen. 

A shared file storage is not a library

In over 90% of cases where we advise organizations on filing systems, we find that they are organized by topic. This system quickly leads to chaos because outdated documents are not disposed of quickly enough. So why does everyone think to structure their filing system by topic? I believe we have the wrong idea.

From False Starts to Precision Landing: The Evolution of Requirements Management

Requirements management originated in U.S. rocket programs between 1945 and 1970. A small management trick contributed to the success of the Apollo program.

Wie läuft ein Projekt zum Entwickeln von Szenarien ab?

Seit 2016 beschäftigen Edgar und ich uns intensiv mit der Szenariotechnik. Szenarien sind ein wirkungsvolles Werkzeug, um Projekte oder ganze Geschäftsmodelle auf ihre Zukunftstauglichkeit zu testen.

Wenn es mal gerade etwas schwierig bei Kund:innen wird… Zwei Fragen, die uns helfen, unsere Strategie mit unseren Kund:innen abzusprechen.

Seit 2024 organisieren Bob Galen und ich eine Masterclass für agile Coaches. Wir möchten die Ausbildung von agilen Coaches verbessern und ihnen Techniken mitgeben, mit denen sie bei ihren Kund:innen etwas einfacher haben. Bisher haben wir in vier Durchgängen mit jeweils 14 Modulen ungefähr 70 Extraordinarily Badass Agile Coaches ausgebildet (/1/). In diesem Blogpost möchte ich ein paar Erfahrungen und simple Techniken aus der Masterclass teilen, wie wir unsere Strategie besser abstimmen können. Sie beschränken sich nicht auf agiles Coaching – das ist nur das Setting.