Ein Ministerium findet die Unterlagen nicht mehr, mit denen ein Aktiengeschäft über mehrere Milliarden Euro eingefädelt wurde. Dies nur ein aktuelles Beispiel für unsere E-Mail-Probleme.
Es stand in der Stuttgarter Zeitung vom 29. März 2012: Ein Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags konnte seiner Aufklärungsaufgabe nur mühsam nachkommen, weil das zuständige Ministerium keine vollständigen Unterlagen liefern konnte.
Zum Hintergrund: Die letzte CDU-geführte Landesregierung unter Stefan Mappus hatte ein Aktienpaket des Energieversorgers EnBW zurückgekauft. Dafür hatte sie dem französischen Staat 4,5 Milliarden Euro gezahlt. Nach der Neuwahl setzte die neue Landtagsmehrheit einen Untersuchungsausschuss ein, um die genauen Umstände dieses (politisch umstrittenen) Kaufs zu klären. Der Ausschuss stieß bei seinem Auftrag auf große Schwierigkeiten.
Teilweise fehlten wichtige E-Mails in den Projektunterlagen des Ministeriums. Sie mussten aus den E-Mail-Ordnern einer externen Beraterfirma herausgesucht und dem Ausschuss zugeleitet werden. Es sei unglaublich, schimpfte ein Ausschussmitglied, dass die Grundlagen für die Abwicklung des Aktienkaufs „nicht in Regierungsakten dokumentiert sind.“ Sie könnten „nur aus Mailverkehren rekonstruiert werden …, die ebenfalls nicht dokumentiert sind, sondern nun von den damaligen Beteiligten wiedergefunden werden“. /1/
Das Interessante an dieser aufgeregten Kritik ist, dass sie sich auf einen ganz normalen Zustand bezieht. Es ist keinesfalls eine Spezialität des Staatsministeriums Baden-Württemberg, dass E-Mails in den individuellen E-Mail-Ordnern der Mitarbeiter bleiben (und bei deren Ausscheiden oder Versetzung meist gelöscht werden). Das ist vielmehr überwiegende Praxis in allen größeren Organisationen, ob öffentliche Verwaltungen oder Privatunternehmen.
Abspeichern der Dateien in „Kontextordnern“
Zu Beginn der „elektronischen Revolution“ an den Büroarbeitsplätzen wurden von vielen Mitarbeitern die gewohnten Strukturen der Papierablage auf den PC’s und den Serverlaufwerken nachgebildet. Nach Ablösung des Betriebssystems DOS durch die ersten Windows-Versionen schuf das erste Übersichtlichkeit. Diese Strukturen waren zwar oft noch individuell und damit nicht teamfähig: Jeder Mitarbeiter hatte „seinen“ Ordner, dem er nach eigenem Geschmack eine Systematik verpasste. Und oft fehlten die Zugriffsrechte auf die Ordner von Kollegen, sodass im Vertretungsfall das neue Medium weniger teamfähig war als das alte Papier.
Aber diese individuellen Strukturen hatten den großen Vorteil, kontextorientiert zu sein. Alle Dokumente, die zu einem Vorgang oder zu einem Projekt gehören, wurden in einen gemeinsamen Windows-Ordner gelegt. Dem lag meistens ein intuitives Verständnis zugrunde, was ein Vorgang ist („ein Auftrag“, „eine Reklamation“, „ein Projekt“, „ein Kunde“) – das war für die Praxis ausreichend. /2/
Diese Ordnung
1 Vorgang = 1 Unterordner
gibt Kontexte wieder und schafft Zusammenhänge. Daraus ergeben sich vielfältige Vorteile. Einer ist die Struktur des menschlichen Gedächtnisses. Menschen erinnern am besten Geschichten. Und ein Vorgang ist nichts anderes als eine „Geschichte“ mit einem Anfang und einem Ende.
Die Verbreitung des Mediums E-Mails als Hauptkommunikationsmittel im letzten Jahrzehnt war eine der Hauptursachen dafür, dass diese kontextbezogene Ordnerstruktur im Arbeitsalltag aufgebrochen wurde. Kontextverlust ist immer mit Hintergrundsstress verbunden, mit dem Gefühl, auf schwankendem Boden zu wandern. Die Klagen über „Informationsfluten“ finden hier ihre Wurzeln. Es ist nämlich nicht die schiere Menge an Informationen, die uns hilflos macht, sondern der Mangel an Strukturen, sie zu steuern und zu ordnen.
Was aber können die Teams tun, um wieder kontextbezogene Informationsstrukturen herzustellen? Denn einen Weg zurück zur E-Mail-losen Welt wird es nicht geben.
Dazu demnächst mehr.
Anmerkungen:
Es stand in der Stuttgarter Zeitung vom 29. März 2012: Ein Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags konnte seiner Aufklärungsaufgabe nur mühsam nachkommen, weil das zuständige Ministerium keine vollständigen Unterlagen liefern konnte.
Zum Hintergrund: Die letzte CDU-geführte Landesregierung unter Stefan Mappus hatte ein Aktienpaket des Energieversorgers EnBW zurückgekauft. Dafür hatte sie dem französischen Staat 4,5 Milliarden Euro gezahlt. Nach der Neuwahl setzte die neue Landtagsmehrheit einen Untersuchungsausschuss ein, um die genauen Umstände dieses (politisch umstrittenen) Kaufs zu klären. Der Ausschuss stieß bei seinem Auftrag auf große Schwierigkeiten.
Teilweise fehlten wichtige E-Mails in den Projektunterlagen des Ministeriums. Sie mussten aus den E-Mail-Ordnern einer externen Beraterfirma herausgesucht und dem Ausschuss zugeleitet werden. Es sei unglaublich, schimpfte ein Ausschussmitglied, dass die Grundlagen für die Abwicklung des Aktienkaufs „nicht in Regierungsakten dokumentiert sind.“ Sie könnten „nur aus Mailverkehren rekonstruiert werden …, die ebenfalls nicht dokumentiert sind, sondern nun von den damaligen Beteiligten wiedergefunden werden“. /1/
Das Interessante an dieser aufgeregten Kritik ist, dass sie sich auf einen ganz normalen Zustand bezieht. Es ist keinesfalls eine Spezialität des Staatsministeriums Baden-Württemberg, dass E-Mails in den individuellen E-Mail-Ordnern der Mitarbeiter bleiben (und bei deren Ausscheiden oder Versetzung meist gelöscht werden). Das ist vielmehr überwiegende Praxis in allen größeren Organisationen, ob öffentliche Verwaltungen oder Privatunternehmen.
Abspeichern der Dateien in „Kontextordnern“
Zu Beginn der „elektronischen Revolution“ an den Büroarbeitsplätzen wurden von vielen Mitarbeitern die gewohnten Strukturen der Papierablage auf den PC’s und den Serverlaufwerken nachgebildet. Nach Ablösung des Betriebssystems DOS durch die ersten Windows-Versionen schuf das erste Übersichtlichkeit. Diese Strukturen waren zwar oft noch individuell und damit nicht teamfähig: Jeder Mitarbeiter hatte „seinen“ Ordner, dem er nach eigenem Geschmack eine Systematik verpasste. Und oft fehlten die Zugriffsrechte auf die Ordner von Kollegen, sodass im Vertretungsfall das neue Medium weniger teamfähig war als das alte Papier.
Aber diese individuellen Strukturen hatten den großen Vorteil, kontextorientiert zu sein. Alle Dokumente, die zu einem Vorgang oder zu einem Projekt gehören, wurden in einen gemeinsamen Windows-Ordner gelegt. Dem lag meistens ein intuitives Verständnis zugrunde, was ein Vorgang ist („ein Auftrag“, „eine Reklamation“, „ein Projekt“, „ein Kunde“) – das war für die Praxis ausreichend. /2/
Diese Ordnung
1 Vorgang = 1 Unterordner
gibt Kontexte wieder und schafft Zusammenhänge. Daraus ergeben sich vielfältige Vorteile. Einer ist die Struktur des menschlichen Gedächtnisses. Menschen erinnern am besten Geschichten. Und ein Vorgang ist nichts anderes als eine „Geschichte“ mit einem Anfang und einem Ende.
Die Verbreitung des Mediums E-Mails als Hauptkommunikationsmittel im letzten Jahrzehnt war eine der Hauptursachen dafür, dass diese kontextbezogene Ordnerstruktur im Arbeitsalltag aufgebrochen wurde. Kontextverlust ist immer mit Hintergrundsstress verbunden, mit dem Gefühl, auf schwankendem Boden zu wandern. Die Klagen über „Informationsfluten“ finden hier ihre Wurzeln. Es ist nämlich nicht die schiere Menge an Informationen, die uns hilflos macht, sondern der Mangel an Strukturen, sie zu steuern und zu ordnen.
Was aber können die Teams tun, um wieder kontextbezogene Informationsstrukturen herzustellen? Denn einen Weg zurück zur E-Mail-losen Welt wird es nicht geben.
Dazu demnächst mehr.
Anmerkungen:
- /1/ Stuttgarter Zeitung, 16.02.2012
- /2/ Genauere Darstellung der Ordnerstruktur nach Vorgängen und Kontexten in: Wolf Steinbrecher, Martina Müll-Schnurr: Prozessorientierte Ablage. Gabler-Verlag, 2. erw. Auflage, 2009
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