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Möglichkeiten für Innovation schaffen! (1/2)

Innovationsfähigkeit ist weniger eine Kompetenz- als vielmehr eine Kulturfrage. Ein paar Gedanken zu Produktinnovation und organisatorischer Erneuerung. (Der erste Teil von zweien.)

Das Branchenmagazin "Buchreport" interviewte mich kürzlich zum Thema Innovation und Organisation./1/ Hier ein paar der etwas allgemeiner gefassten Antworten zu diesem aus meiner Sicht sehr sehr wichtigen Thema. (Der zweite Teil des Interviews erschien hier am 15.10.2019.)

Buchreport: Warum sollten sich Unternehmen überhaupt mit Innovation ihrer Wirtschaftsweise befassen?

Edgar: Innovation bedeutet Weiterentwicklung. Wer als Unternehmen darauf verzichtet, sich mit Innovation zu befassen, verzichtet darauf, sich weiterzuentwickeln. Das kann und wird die Existenz eines jeden Unternehmens gefährden. Märkte bewegen und wandeln sich nunmal ständig. Wenn Firmen vergessen, ausblenden oder gar bewusst ignorieren, dass Produktneuerungen und damit auch organisatorische Anpassungen ein wichtiger und existentieller Bestandteil ihrer Aufgabe sind, könnte das dazu führen, dass ihre Produkte für den gewandelten Markt nicht mehr passen.

Genau solche Tendenzen sind allerorten erkennbar. Mit den veränderten technischen Möglichkeiten, mit dem Aufkommen von Internet und Smartphones und vor allem mit dem Aufkommen größerer Content-Anbieter und -Angebote haben sich unser aller Ansprüche und individuellen Möglichkeiten radikal geändert. Das zu sagen ist ja fast schon ein Klischee. Trotzdem: Wir können alle nicht in die Zukunft blicken. Wir sollten jedoch damit rechnen, dass diese Entwicklung längst noch nicht zu Ende ist, sondern im Gegenteil immer mehr an Fahrt gewinnen wird.

Werden denn nicht alle Herstellungsprozesse stark von den externen Erfordernissen determiniert, dass ein „Ausbruch“ zwecklos ist?

Natürlich gibt es immer und überall sehr viele stabile Abläufe, die wie Zwänge oder zumindest als starke Notwendigkeit erscheinen und auf den ersten Blick vielleicht sogar unveränderbar. Aber was bringt es uns, uns dies immer wieder zu sagen, wenn die altbekannten Produkte über die altbekannten Vertriebskanäle nicht mehr gekauft werden?

Alternativ, das ist klar, ist es natürlich immer möglich zu sagen: „Lassen wir es bleiben! Es ist zwecklos, etwas an den bestehenden Prozessen zu verändern.“ Das allerdings fände ich für viele Branchen mindestens schade. Denn so würden sie sich die Unternehmen, die trotz einer solchen „Strategie“ überleben, sehr wahrscheinlich in eine Nische für wenige Liebhaber verabschieden. Viele engagierte Menschen verlören so ihre Existenzgrundlage.

Wenn Sie die Branchen vergleichen, für die Sie als Berater aktiv sind – wie sind sie in Sachen Innovationskultur unterwegs?

Ich kenne überhaupt keine Branche, deren Unternehmen sich von ihrer Arbeitsweise strukturell schon wesentlich erneuert hätte. Dafür aber kenne ich viele, die mit viel Elan und Energie versuchen, das zu ändern und sich weiterzuentwickeln. Prinzipiell aber arbeiten wir alle noch immer wie vor 50 Jahren (mindestens). Und das heißt: Strukturell sind wir schlicht nicht auf Innovation ausgerichtet. Im Gegenteil: Primär geht es organisatorisch darum, Stabilität zu erhalten und eben keine Veränderungen zu riskieren. Das ist auch nur logisch: Denn das war im letzten Jahrhundert wichtig, erforderlich und auch: wahnsinnig erfolgreich.

In letzter Zeit zeichnet sich aber ab, dass es bald nicht mehr so gut laufen könnte. Und so ist es für uns alle gut, dass sich in den Firmen etwas zu ändern beginnt. Denn sonst laufen wir Gefahr, dass uns andere, die die Dinge anders und besser angehen, in Zukunft überflügeln und uns die Butter vom Brot nehmen. Es wird Zeit, dass wir neben Stabilität zu erhalten auch lernen, uns und unsere Produkte immer wieder erfolgreich zu erneuern. Es geht darum, zu lernen, wie man organisatorisch lernt.

Wie gelingt Innovation?

Innovation halte ich für keine Glückssache, die von Geistesblitzen Einzelner abhängt. Innovation ist eine strategische Aufgabe und eine strukturelle Haltungs- und Kulturfrage. Es ist eine Aufgabe, die alle angeht und organisiert werden muss. Sie ist in dieser Hinsicht weder von der Unternehmensgröße noch von den Ressourcen einer Unternehmung abhängig. Sondern zunächst einzig und allein davon, ob eine Organisation willens und in der Lage ist, sich mit Innovation zu beschäftigen und sich entsprechende Strukturen zu geben. Dazu gehört vor allem, möglichst unabhängig von den eigenen Vorlieben, Bedürfnissen und Erfahrungen den Kundennutzen konsequent in den Mittelpunkt zu stellen. Innovative Strukturen sind offene Strukturen, die nicht nur erlauben, sondern von möglichst allen auch einfordern, außerhalb der angestammten Bahnen zu denken, zu handeln und auch zu experimentieren.

Übrigens ist dies zwar auch oberste Aufgabe des Managements, also Chefsache. Viel mehr noch ist es aber Aufgabe möglichst vieler MitarbeiterInnen in allen Abteilungen. Die aber brauchen den Auftrag, die Möglichkeit und auch den organisatorischen Rahmen, die Dinge nicht nur, aber eben auch in diesem Sinne, also anders als bisher, eben innovativer anzugehen. Es sind neue, flexiblere, weniger hierarchische und silogetriebenere, ja: agilere Wege notwendig, die Kommunikation, Entscheidungen und Erledigung von Arbeit anders zu regeln und dadurch zu beschleunigen.

Selbstverständlich ist auch notwendig, dass alle MitarbeiterInnen verstehen, warum ein solches verändertes Arbeiten jetzt wichtig ist: Nicht etwa, weil die bestehenden Abläufe oder gar alles, was wir bislang getan haben, plötzlich vollkommen schlecht oder total deplatziert wären. Sondern, weil eine ziemlich radikal veränderte und dynamische Marktsituation Anpassungen erfordert. Wer das versteht und umsetzt, hat die Chance, die Erfolgsstory der Vergangenheit fortzuschreiben.

Dennoch müssen Sie zugeben, dass Innovation ganz ohne „Beinarbeit“ und ohne die entsprechenden Qualifikationen nicht geht. Und mit welchen Kapazitäten sollen Teams, die ohnehin schon an der Belastungsgrenze sind, diese Arbeiten leisten und sich weiterqualifizieren?

Der Stresspegel in manch einer Organisation scheint mir tatsächlich enorm hoch. Das liegt für mich aber noch nicht einmal so sehr an der generell hohen Arbeitsbelastung, die es natürlich auch gibt. Schließlich haben die meisten Unternehmen in der jüngeren Vergangenheit kontinuierlich immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt, was natürlich ein wirklich riesiges Problem mit vielfältigsten Konsequenzen ist. Hinsichtlich Innovation vor allem, weil Stress ein besonders wirksames Gift gegen Kreativität, Mut und gute Entscheidungen ist. Dennoch ist Stress noch gar nicht mal das drängendste Problem, das viele Unternehmen haben.

Das größte Problem vieler Unternehmen ist momentan, dass Führungskräfte und MitarbeiterInnen gleichermaßen versuchen, Absatz- und Produktkrisen aufzuhalten, die sich nicht aufhalten lassen. Und zwar indem sie das tun, was und wie sie es immer schon getan haben: Nämlich noch mal eine Schippe drauflegen. Die Erfolgsmittel der Vergangenheit – Fleiß! Einsatz! Effizienz! – werden angewendet.

Viele Unternehmen kommen mir deshalb so vor wie der Bauer, der darüber klagt, dass er wegen seiner Hühner zu nichts kommt. Ständig müsse er sie einfangen! Gefragt danach, warum er denn keinen Zaun baue, entgegnet er genervt: Dafür habe er nun wirklich keine Zeit. Schließlich müsse er ja Hühner einfangen.

Meines Erachtens braucht es im normalen betrieblichen Alltag selten qualifizierte "Innovationsprofis". Ich wüsste nicht mal genau, was damit gemeint sein soll. Für mich braucht viel mehr die Einsicht, dass gutes Management und gute Organisation eben beides heißt: Die richtigen Dinge richtig tun. Warum sollte das mit dem bestehenden Team nicht möglich sein? Warum sollten Spezialisten ihrer eigenen Arbeit nur Routinearbeiten verrichten können und nicht auch innovativ arbeiten?


Den zweiten Teil des Interviews findet ihr hier



Hier finden Sie alle Artikel von Edgar Rodehack.


Anmerkungen & Literatur


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