Direkt zum Hauptbereich

Organisatorischer Stress ist geschäftsschädigend. Und Körperverletzung.

Wer absichtlich oder unbewusst zulässt, dass einzelne MitarbeiterInnen, Teams, Abteilungen oder gar die gesamte Unternehmung gestresst sind, geht ein großes Geschäftsrisiko ein. Außerdem dürfte er nah dran sein, Körperverletzung zu begehen.


Zeichnung vom Autor


Stress ist gut. Er lässt uns aus dem Stand fokussiert und leistungsfähig schnell reagieren und schwierige Situationen meistern. Oft wachsen wir dabei über uns selbst hinaus. Die Vorzüge von Stress liegen also auf der Hand. Und sie sind verführerisch! Wer möchte in den heutigen Zeiten, wo es doch so sehr um Optimierung, Effizienz und Wettbewerb geht, nicht stets maximal gut sein? Und welcher Chef träumt nicht von solchen MitarbeiterInnen und Teams? Nichts einfacher also als das: Stress!

Nach Schätzungen von Asklepios und des Manager Magazins könnten bis zu acht Prozent der Mitarbeiter großer DAX-Unternehmen von Burn-out-Erkrankungen betroffen sein. 
(statista. Das Statistikportal: Statistiken und Studien zu Depression und Burn-out-Syndrom)

Let's stress!


Um einzelne Menschen, Gruppen oder auch die ganze Firma verlässlich und dauerhaft unter Druck zu setzen, zu (über)fordern und damit höchstleistungsfähig zu machen (und aufgrund des stressbedingten Tunnelblicks auch manipulierbarer), finden sich eine Menge geeigneter Maßnahmen: Ein Projekt jagt das nächste, mit entsprechend knappen oder utopischen Terminen. Teams sind dauerhaft unterbesetzt. Fehler werden öffentlich oder subtil angeprangert. Die individuellen oder Team-Kompetenzen werden versteckt oder direkt angezweifelt ("Organisieren Sie dem mal ein Coaching, damit er wieder klarkommt mit seinem Zeitmanagement.") Permanent wird auf die schwierige wirtschaftliche Lage und die damit verbundenen Zwänge verwiesen - auch dem Zwang, noch mehr rauszuholen. Verdeckt oder unverhohlen offen wird mit Jobverlust gedroht ("Wer nicht will oder kann, darf gehen!"). Generell wird der Workload hochgehalten und strukturelle Probleme ostentativ ignoriert oder auf einzelne MitarbeiterInnen oder Teams abgewälzt: Überstunden? Das Problem des einzelnen Mitarbeiters. ("Da müssen Sie schon selbst sehen, wie Sie das hinbekommen!") Und manchmal - ja auch das - wird gemobbt oder zum Mobbing angestiftet, um unliebsame Mitarbeiter loszuwerden ("Sorgen Sie halt dafür, dass es ihr bei uns unangenehm wird!").

Als Karōshi (jap. 過労死, Tod durch Überarbeiten) bezeichnet man in Japan einen plötzlichen berufsbezogenen Tod. Todesursache ist meist ein durch Stress ausgelöster Herzinfarkt oder Schlaganfall. Umstritten ist, ob Suizide, die auf arbeitsbedingte psychische Erkrankungen zurückzuführen sind (過労自殺 Karōjisatsu) unter die Definition fallen. (Wikipedia "Karoshi")

Wo es so auch nur teilweise zugeht, sehen die berichteten Ergebnisse über eine gewisse Zeit sehr wahrscheinlich tatsächlich gut aus. Genauso wahrscheinlich ist allerdings, dass der vermeintliche Erfolg mit zweifelhaften Mitteln erkauft ist und sich einem jähen Ende nähert. Auch wenn dies oft mit kostspieligen Maßnahmen herausgezögert wird, was das unprofessionelle Vorgehen freilich auf die Spitze treibt. Denn die Leistungs-Hochphase ist eben nur ein Teil des Stressmusters. Der andere wichtige Teil ist, dass Menschen unbedingt Ruhephasen brauchen. Wie sonst sollen sie jene Energie wieder aufbauen, die sie gerade verwendet, aufgebraucht haben? Wie und wann sollen sie sonst kreativ sein und gute, innovative Geschäftsideen entwickeln? Was hier für einzelne Menschen gilt, gilt auch für Teams.

"Ich habe ja nichts dagegen, dass Sie mir hier raussterben. Aber doch nicht auf meine Kosten!" (Gerhard Polt, Circus Maximus)


Von Powerteams lernen

Aus der Positiven und der Motivations-Psychologie, von Sportlern und generell von erfolgreichen Teams wissen wir: Flow, gute Trainings- und Wettkampfergebnisse und Erfolg erzielen diejenigen auf längere Sicht, die den Wechsel von An- und Entspannung und Regeneration beherrschen. Wem im Management diese Erkenntnis fehlt oder - schlimmer noch - wer sie absichtlich missachtet, steuert unweigerlich auf das große Leistungsloch und das große Scheitern zu: Hohe Krankenstände, Abwanderung von Fachkräften, schlechtes Geschäftsklima mit vielen unproduktiven Konflikten, demoralisierte und demotivierte MitarbeiterInnen, schlechtere Produkte, unzufriedene Kunden... Und das auf lange Sicht! Denn insgesamt wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die - wenn überhaupt - nur mit sehr großem Aufwand gestoppt und positiv gewendet werden kann.
Im Vergleich zum Jahr 2000 lagen die Fehlzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen bei Berufstätigen 2015 um 90 Prozent höher.
(TK-Gesundheitsreport 2016, S. 80)

ManagerInnen und MitarbeiterInnen, die bewusst oder unbewusst den Stresspegel hochhalten, sind deshalb ein erhebliches, grundsätzliches Geschäftsrisiko. Sie handeln unprofessionell und in vielerlei Weise verantwortungslos. In heutigen Zeiten von Disruption, allgemein sinkender Produktivität, des harten Wettbewerbs und des Fachkräftemangels und der Beschäftigungskrise dürfte ihr Wirken besonders verheerend sein. Zudem gefährden sie die Gesundheit der Menschen in ihrem Unternehmen und schaden damit der Allgemeinheit.


Denn Stress ist nicht nur unangenehm für alle Beteiligten (und - ohne Übertreibung - manchmal lebensbedrohlich). Er zieht meistens längere, gravierende gesundheitliche Folgen nach sich, die von den Solidarsystemen unserer Gesellschaft getragen werden. So gesehen kann man sehr wohl von Körperverletzung, mindestens aber von unsozialem Verhalten sprechen, wenn langanhaltender organisatorischer, struktureller Stress gefördert oder auch nur geduldet wird. Aus gutem Grund ist Körperverletzung durch das Strafgesetz verboten und die körperliche und psychische Unversertheit auch durch das Arbeitsschutzgesetz garantiert.
Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (§ 223 StGB)
Es gibt also viele gute wirtschaftliche, gesundheitliche, rechtliche und soziale Gründe, vorsätzliche oder fahrlässige organisatorische Stresspraktiken zu unterlassen, zu unterbinden und auch konsequent zu ahnden. Wir sollten das in unserem ureigensten Interesse tun. Als Inhaber, Vorgesetzte, MitarbeiterInnen, Kolleginnen, Kunden, BürgerInnen, schlicht als Menschen, die möglichst langfristig gesund und gut von der gemeinsamen Zusammenarbeit leben wollen und dies auch müssen. Man stelle sich bloß vor, wenn uns dies auch noch motiviert, locker und mit Spaß gelänge!





Edgars eigener Blog: www.trellisterium.de
Edgars Podcast: trellisterium.podbean.com 


Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de


Literatur & Weiterführendes


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Klartext statt Konsens - wie Meetings wieder was bewirken

Bessere Kommunikation ist Lippenstift fürs Protokoll. Kennst Du das: Das Meeting läuft, Energie ist da, der Knoten platzt - und jemand sagt: "Wir müssen besser kommunizieren!" Alle nicken. Jemand schreibt's auf. Und was passiert damit?  Nichts . Warum? Weil "besser kommunizieren" keine Handlung ist. Genauso wenig wie: "mehr Verantwortung übernehmen", "offener Feedback geben", "konstruktiver diskutieren", "proaktiver sein", "mehr miteinander reden", "transparenter werden", "Verständnis füreinander zeigen". Alles klingt gut. Aber ohne Klartext bleibt’s ein Vorschlag - nett im Protokoll, aber ohne Effekt auf den nächsten Arbeitstag. Kein konkreter Schritt, keine sichtbare Veränderung. Keiner der's macht. Es ist eine gute Absicht ohne Konsequenz. Wir haben kein Problem Verbesserungen zu identifizieren.   Die wahre Herausforderung ist selten das Finden von Verbesserungen. Es ist das Konkretisie...

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Erfahrung mit Vibe-Coding - und warum das keine Teamprobleme löst

Die KI-Werkzeuge zum Erstellen von Werkzeugen für die tägliche Arbeit werden immer besser. Die selbstgestrickten Tools erleichtern die eigene Arbeit. Aber für den Einsatz im Team fehlt noch etwas.

Wie baut man einen Aktenplan auf?

Ein Aktenplan beschreibt, an welcher Stelle genau ein Team seine Dokumente und Nachrichten ablegt. Aber wie baut man den genau auf?

Dateien teilen in Teams - arbeiten in gemeinsamen Dateien

Arbeitest du mit Kolleginnen und Kollegen an gemeinsamen Dateien, die in Teams, aus OneDrive oder SharePoint liegen? Hast du dabei vielleicht kein ganz gutes Gefühl, weil du dir nicht so ganz sicher bist, was mit der Datei tatsächlich passiert? Wer darauf Zugriff hat und wie du das sehen kannst? Dann lies weiter, hier stelle ich dir die wichtigsten Fakten und Einstellungen kurz und knapp vor.

Wenn Leisten Leistung kostet

Immer. Immer "on". Immer mehr. Immer schneller. Und natürlich: Immer besser. Das ist die Welt, in der wir heute leben. Eine Welt der Dauerleistung. Und die hat ihren Preis: Wir werden schwächer. Sofern wir nicht die Grundlagen guten (Selbst-)Managements beherzigen und Pausen machen. Also zur richten Zeit das wirklich Wichtige tun.

Die Profi-Tools im Windows-Explorer

Haben Sie bei der Urlaubsvertretung sich manches Mal geärgert, wenn Sie Dateien gesucht haben, die ein Teammitglied abgelegt hat? Die Suche im Explorer funktioniert tadellos, aber manchmal sollte man den Suchbegriff noch ein bisschen genauer fassen können. Z.B. mit UND oder ODER oder NICHT... Das geht so einfach, dann man von alleine kaum drauf kommt:

Microsoft Copilot - Notebook, Pages, Agents und mehr

Es tut sich sehr viel an der Copilot Front. Gefühlt entwickelt Microsoft mit aller Kraft die KI-Anwendung weiter. Mit dem letzten Update hat sich die Microsoft-Startseite stark verändert. Hier zeige ich, was sich hinter all den Begrifflichkeiten verbirgt und was davon alltagstauglich ist.

From False Starts to Precision Landing: The Evolution of Requirements Management

Requirements management originated in U.S. rocket programs between 1945 and 1970. A small management trick contributed to the success of the Apollo program.