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Lernen, organisatorisch

Heute ist man sich einig: Wollen Unternehmen in den unruhigen Zeiten des digitalen Umbruchs mittel- bis langfristig überleben oder gar erfolgreich sein, so haben sie sich schnell anzupassen. Heute gilt es also das zu tun, von dem schon sehr lange die Rede ist: Lernende Strukturen zu schaffen. Doch was bedeutet das? Und wie kann das gelingen?

Im Grunde ist es einfach: Lernen bedeutet, Erfahrungen zu machen, zu verarbeiten und sie - im besten Falle - zukünftig gewinnbringend für das zu nutzen, was man grundsätzlich erreichen will. Wer organisatorisches Lernen ermöglichen möchte, hat also lediglich dafür zu sorgen, dass seine KollegInnen, MitarbeiterInnen und vielleicht auch Inhaber und Kunden
  1. regelmäßig gemeinsame Lernerfahrungen machen können und dies auch tun,
  2. ihre Erfahrungen gemeinsam und zielgerichtet auswerten,
  3. ihre gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse für die nächsten Lernerfahrung nutzen - also für ihren nächsten (Lern-) Erfolg.

Lernen leicht gemacht


Längst schon sind die schnellen Geschäftserfolge lernend organisierter Unternehmen für buchstäblich jedermann sichtbar (zum Beispiel in Form allgegenwärtiger Amazon-Päckchen). Längst schon ist allgemein angekommen, wie wichtig, sogar überlebenswichtig Lernstrukturen für Organisationen sind. Längst schon gibt es erprobte konkrete, leicht umsetzbare Ansätze, Organisationen lernend auszurichten./1/ Warum sind wir dann nicht längst schon allerorten entsprechend organisiert, also z.B. in unseren Schulen, Universitäten, Teams, Firmen und staatlichen Institutionen?

Könnte es damit zusammenhängen, dass wir noch nicht an organisatorisches Lernen glauben können? Schließlich dürfte die oben genannte Definition von Lernen und der empfohlene Dreischritt unserer persönlichen und gesellschaftlichen Lebenserfahrung widersprechen. In Schule und Universität bedeutet Lernerfolg und Erfolg nämlich, in Prüfungssituationen einen vorgegebenen Lernstoff auf den Punkt genau so wiedergeben zu können, wie es die Prüfungsordnung vorsieht. Gelingt uns das, erhalten wir gute Zensuren. Bildungsstätten verlassen wir als maximal gut zertifizierte Fachexperten, um unser Geld damit zu verdienen, Wissen und Können zielgerichtet einzusetzen. Und das bedeutet, so, wie wir es in Schule und Universität gelernt haben, vor allem also: Wie es von uns verlangt wird./2/

"Hierarchie hilf!"


Im skiziierten alltäglichen sozio-psychologischen Spiel, also im Tun, lernen wir, wie das persönliche und gesellschaftliche Erfolgsmuster aussieht. Es ist mit "Command and Control" gut beschrieben: Besser ausgebildete Menschen sagen anderen, was sie zu tun haben, und kontrollieren danach die Umsetzung. Das - so lernen wir - ist für den Gesamterfolg notwendig. Denn: Alle (!) profitieren davon, also sowohl Einzelne und Gemeinschaft./3/ So kommt es, dass z.B. einzelne Beamte und Gremien in Ministerien Lehrpläne verfassen, die Lehrer, Schüler und Eltern dann umzusetzen haben. Lehrer sagen ihren Schülern, wie sie was zu tun haben und geben anschließend für die Resultate entsprechende Zensuren. Manager oder Managementgremien erstellen Business- und Projektpläne, die Firma und Projektteams dann zu erfüllen haben. Ingenieure entwickeln Verfahren, die Facharbeiter dann umsetzen, etc.

Weil wir uns hierzulande allgemein so organisieren (das auch schon lange und augenscheinlich einigermaßen erfolgreich) lernen wir also, dass an verschiedenen Positionen unserer Organisationen Spezialisten oder Spezialistengremien sitzen, die aufgrund ihrer Expertise und ihres Amtes für gute und richtige Entscheidungen sorgen. Und wir lernen auch: Um deren Entscheidungen haben wir uns nicht zu kümmern. Wir haben unseren eigenen klar umrissenen Verantwortungs- und Aufgabenbereich./4/

Der Mensch ein Gewohnheitstier

 

Lange war diese hierarchische, auf die Fachkompetenz und Entscheidungsgewalt des Einzelnen abzielende Form der Wissensvermittlung, Aufgabenverteilung und Organisation ein Garant für stabilen Erfolg. Und ohne Zweifel tut sie in vielen Bereichen noch immer gute Dienste und wird dies auch noch eine Weile tun. Spätestens aber, seit ein Industriezweig nach dem anderen vor allem digital herausgefordert und umgekrempelt wird, stellen wir verwundert fest, dass dieses Erfolgsmodell der Vergangenheit an Grenzen stößt.

Das jedoch liegt weniger daran, dass hierarchische Denk-, Handlungs- und Lernmuster per se unwirksam oder schlecht wären. Vielmehr passen sie nicht mehr so gut auf die veränderten Umstände. Denn diese sind heute unsteter, unsicherer, weniger planbar. Das heißt, dass sich die Spielregeln ständig verändern. Und zwar immer schneller und ohne, dass man gut vorhersehen oder gar mitbestimmen könnte, wie. Für einzelne Menschen, Teams, Firmen und sogar ganze Gesellschaften bedeutet das, dass sie heute anders und schneller, gleichzeitig aber immer noch gut (re-)agieren, also vor allem: im übergeordneten positiven Sinn der gesamten Unternehmung entscheiden müssen.

Dazu sind die vielen relevanten Ereignisse schnell zu bemerken, zu bewerten und rechtzeitig gute Entscheidungen zu treffen. Hierarchische Kommunikationsstrukturen sind dazu zu undurchlässig und zu langwierig, zumindest vergleichsweise./5/ Wichtiger aber noch ist (und fataler), dass es einzelnen Schaltstellen in Hierarchien nicht in den Sinn kommt und auch untersagt ist, Entscheidungen zu treffen, die über den fest abgegrenzten Bereich, den vielzitierten Silo, hinausreichen. So haben wir es von Kindesbeinen an gelernt, so wurden wir seit jeher incentiviert und werden es auch immer noch. Und so fällt es uns schwer, hierarchische Denk- und Handlungsmuster zu verlassen. Wir vertrauen weiterhin darauf, dass Einzelne aufgrund ihrer individuellen Kompetenz das Richtige tun werden. Wir halten daran fest, selbst wenn wir sehen, dass uns andere dadurch gefährlich den Rang ablaufen und wir bemerken, dass wir flexibler werden müssten - zum Beispiel, indem wir Lernstrukturen etablieren.

"Change or Die"?


In unsicheren Zeiten könnte das ein allzu riskantes Spiel sein. Es ist also höchste Zeit, dass die kompetenten Experten, die wir alle sind, damit beginnen, organisatorische Voraussetzungen zu schaffen, unsere Expertise zu vernetzen, gemeinsam zu lernen und gemeinsam und im gemeinsamen Sinne gut zu entscheiden.

Im Grunde ist das einfach. Wir müssen dazu nur über unseren eigenen hierarchischen Schatten springen. Wir können nur gewinnen, zumindest eine sehr wahrscheinlich lohnenswerte Erfahrung. Wagen wir das Experiment?



Hier klicken für alle Artikel von Edgar Rodehack.


Anmerkungen 

  •   /1/ Z.B. Kanban, Scrum, Design Thinking
  • /2/ Analoges gilt allgemein für Erfahrungen, die wir im Job machen: Wer vorgegebene Ziele erfüllt, wird mit Geld- und/oder Statuszuwachs belohnt.
  • /3/ Also z.B. Lehrer, Schüler und Schulklasse, Teamitglied und Team, Bürger und Gesellschaft usw.
  • /4/ Als Schüler wäre das vielleicht Auswendiglernen, als Produktmanager ist es, mich um meine Produktsparte zu kümmern, als Außendienstler geht es darum, meine zugeordneten Kunden zu betreuen usw.
  • /5/ Zumindest undurchlässiger und langwieriger als ihren agilen Pendants. 

 

Literatur 

  • Delhij, Arno; van Solingen, Rini; Wijnands, Willi: Der eduScrum Guide. o.O. 2015.
  • Kline, Peter: Ten steps to a learning Organization, Arlington/Virginia, 1993.
  • Senge, Peter M.: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart, 2011.
  • Sutherland, Jeff: Scrum The Art of Doing Twice the Work in Half the Time, New York, 2014.

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