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Keine Organisationsverbesserung ohne „System“


Jan hat gestern einen hoffnungsfrohen Artikel gepostet, warum Änderungen in Organisationen gar nicht so schwierig seien. Und hat darin bemerkt, dass ich den Systembegriff „moniert“ habe. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen (ich bin nämlich kein Monitor). Also muss ich jetzt geschwind ein Loblied auf den Systembegriff singen.


Wenn wir uns mit Theorie und abstrakten Begriffen wie „System“ beschäftigen, dann geht es uns um unsere Praxis. Wir wollen unsere eigenen Organisationen verbessern und lebenswerter gestalten. Und wir wollen (als externe Berater) unsere Kunden dabei unterstützen, das Gleiche mit ihren Organisationen tun zu können. Dafür brauchen wir Begriffe und Denkfiguren („Gestalten“), die uns helfen, uns untereinander über unsere Ziele und Aktionen zu verständigen.
Wie hilfreich ist dabei der Begriff „System“ und die Denkfigur, die er in uns hervorruft?

Vorgeschichte der Systemtheorie: der Individualismus und Subjektivismus
Die grundlegende Frage ist immer: Warum ist es so schwer, Organisationen zu „verbessern“? Das ist auch die Ausgangsfrage von Jans gestrigem Beitrag. Und natürlich wollen wir aus den Antworten auf diese Frage Schlussfolgerungen ziehen: Wie können wir mit diesen „Widerständen“ konstruktiv umgehen?
In dieser Hinsicht hat die Systemtheorie ganz Wesentliches geleistet. Dazu muss man sich anschauen, in welchem Umfeld sie entstanden ist.

In den 30er bis 60er Jahren des letzten Jahrhunderts waren die wichtigsten theoretischen Strömungen (in Philosophie, Soziologie, Anthropologie) subjektivistisch ausgerichtet. Heidegger in Deutschland entwarf das Bild des in die fremde abweisende Welt geworfenen einzelnen Menschen. Der Existenzialismus Jean-Paul Sartres in Frankreich ging von der Freiheit des Menschen aus, jederzeit seine Handlungen selbst zu bestimmen. Der einzelne Mensch muss sich jede Minute neu definieren und Entscheidungen „frei“ in Konfrontation „zur Welt“ treffen (wobei letztere ihm z. B. in Form eines Vorgesetzten, einer Anordnung oder einer Regel entgegentritt). Es gibt keine Vorgeschichte. Die sozialen Strukturen, die die Handlungsmöglichkeiten der Menschen einengen, werden vernachlässigt.
Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften gab (und gibt es auch heute) eine andere mächtige Strömung der individualistischen Theorie: Das war das Bild vom Menschen als Nutzenmaximierer (Rational-Choice-Theorien). Diese Ansätze gehen von einem isolierten Individuum aus, das seine Handlungen am Ziel des eigenen Erfolges ausrichtet. /2/

Diese Theorien haben starke Auswirkungen, wenn ich Änderungen in Organisationen bewirken will. Wenn ich zum Beispiel als externer Berater die superklugen Vorschläge mache und merke, dass die nicht auf spontane herzliche Begeisterung stoßen, dann sind immer die einzelnen Menschen „schuld“:
  • Entweder stimmt ihr Charakter nicht oder andere persönliche Eigenschaften: der Chef ist zu cholerisch oder der Mitarbeiter ist zu träge usw. Ich muss also irgendwie versuchen, die Menschen umzuerziehen.
  • Oder sie irren sich in Bezug auf ihren Nutzen. Sie haben einfach nicht verstanden, dass meine Vorschläge ihnen den ultimativen Gewinn bringen werden. Ich muss sie also belehren. Je mehr sie meine Ratschläge ablehnen, desto intensiver.

Schau auf die Beziehungen zwischen den Menschen!
In den 1950er bis 1970er Jahren entwickelten sich Theorien, die sich kritisch gegen diese Vorstellungen abgrenzten. Das waren der Strukturalismus (vorwiegend in Frankreich) und die Systemtheorie (vorwiegend in den USA mit Talcott Parsons als Protagonisten und in Deutschland mit Niklas Luhmann).
Am Existenzialismus kritisierten diese Theorien, dass er immer nur auf den Menschen schaut und darüber die Rolle ausblendet, die die Gesellschaft ihm zuweist. Und die Rolle ist immer mit Verhaltenserwartungen verbunden, denen der Einzelne sich gar nicht immer bewusst ist und die er nicht ständig in Frage stellen kann.
Vom Konzept des individuellen Nutzenmaximierers grenzte sich die Systemtheorie ab, weil darin ausgeblendet wird, dass „Erfolg“ immer gesellschaftlich definiert wird: Besteht „Erfolg“ im „reich werden“? Im Aufziehen vieler Kinder? In der Vermehrung der Familienehre? In der Anerkennung als guter Mensch? Je nach Erfolgsmaßstab einer Gesellschaft werden sich ihre Individuen, selbst wenn sie Nutzenmaximierer sind, ganz unterschiedlich verhalten.


 
Die Systemtheorie sagt: Das Verhalten von Menschen ist nicht ganz "frei". Sondern es ist auch an Bedingungen gebunden, die von den Systemen abhängen, in denen sie leben. Das kürzeste Lehrvideo zur Systemtheorie, das ich kenne, ist 43 Sekunden lang. Es zeigt den gleichen Menschen in zwei Gesellschaftssystemen. Und zwar zeigt es eine Ansagerin im iranischen Fernsehen kurz vor der Revolution 1979 (unter dem Schah) und drei Jahre nach der Revolution (in der islamischen Republik). Die Ansagerin sagt einfach jeweils die folgenden Sendungen an. Man braucht überhaupt kein Persisch zu können, um zu verstehen, wie ein System den einzelnen Menschen (den "Akteur") determiniert. Und für Zweifler: jawohl, es ist der gleiche Mensch.  


Bei Strukturalismus und Systemtheorie spricht man auch von „objektivistischen Theorien“. Ihre wesentlichen Ratschläge für Organisationsentwickler könnte man wie folgt zusammenfassen:
  • Schau nicht vor allem auf den einzelnen Menschen, sondern auf seine Beziehungen zu anderen. Diese Beziehungen in ihrer Gesamtheit bilden eine stabile Struktur, ein „System“. Das „Element eines Systems“ definiert sich nicht durch seine inneren Eigenschaften, sondern durch seine Beziehungen zu anderen Elementen des Systems. /3/
  • Wenn man in einer Organisation etwas ändern will, dann reicht es nicht aus, das Verhalten eines Einzelnen zu anderen. Wenn nicht gleichzeitig die anderen, mit denen er in Beziehung stehen, ihr Verhalten ändern, wird der Einzelne auch wieder in seine alten Verhaltensweisen zurück geholt.
  • Ein interner Change Agent einer Organisation und (nach einiger Zeit und in gewissem Maße) auch ein externer Berater sind auch Elemente des Systems. Sie müssen immer selbstkritisch prüfen, inwiefern die Lösungen, die sie vorschlagen, aus der Systemlogik entspringen. Also die alten Sünden vielleicht weiterführen würden, statt sie zu vermeiden. Jan hat in seinem Blogpost gestern auf die Gefahr hingewiesen, dass „jede Veränderungsinitiative im Wesentlichen darauf reduziert [wird], die neuen Begriffe so umzudefinieren oder zu überladen, dass sie eigentlich den Status Quo widerspiegeln.“
Diese Gesichtspunkte haben unser Change Management vorangebracht. Sie laden uns ein, genauer hinzuschauen, besser zuzuhören, unsere eigene Rolle nicht selbstgefällig zu spielen, sondern bescheidener aufzutreten. Ich denke, Jan und ich sind uns in diesem Punkt einig.

Ich sehe aber auch Unzulänglichkeiten in der Systemtheorie. Dazu demnächst mehr.

Anmerkungen
/1/ http://www.teamworkblog.de/2014/08/veranderungen-in-organisationen-sind.html

/2/ Siehe dazu zum Beispiel Hilmar Schäfer: Die Instabilität der Praxis. Reproduktion und Transformation des Sozialen in der Praxistheorie, Verlag Velbrück Wissenschaft, 2013, Seiten 68 ff.

/3/ Niklas Luhmann: Einführung in die Systemtheorie. Carl-Auer-Verlag, 2. Auflage, 2004 (herausgegeben von Dirk Baecker).

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