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Ist die Führung immer an allem Schuld?

Wenn erneut ein größeres Unternehmen den Bach runtergeht – vor wenigen Wochen hat es die Praktiker-Kette getroffen, vorher war es Schlecker und davor Karstadt und in gewisser Weise Porsche –, wissen wieder einmal alle, woran es lag: am Management und seiner fehlerhaften Strategie. So einfach ist es nicht, meint Teamworkblog.

In der Marktwirtschaft, die Neues nur über Zerstörung des Alten schafft, müssen Unternehmen untergehen. Aber unser Unbehagen, das uns auch einzugestehen, treibt uns auf die Suche nach Schuldigen. So können wir an der Kontrollillusion festhalten: wenn wir nur alles richtig machen, kann uns das nicht passieren!

Will man sich ein Bild von den fundamentalen Illusionen einer Epoche machen, ist ein Blick auf die gesellschaftlichen Sündenböcke hilfreich. In der frühen Neuzeit waren es die Hexen und Zauberer, die mit ihrem Leben dafür herhalten mussten, dass die Befolgung des christlichen Regelkatalogs nicht ausreichte, das Unglück aus der Welt fernzuhalten. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Managerschelte in den Wirtschaftskolumnen eine ähnliche Rolle spielt. Es geht um die offensichtliche Wirkungslosigkeit guter Ratschläge.

Der Erfolg auf dem Markt hat auch mit Zufall zu tun

Wenn ein Markt ein Überangebot aufweist, müssen Anbieter untergehen. Das ist ein Grundgesetz der marktwirtschaftlichen Konkurrenz. Gibt es zu viele Baumärkte, weil die Kaufkraftsumme der deutschen Heimwerker für diesen Zweck ihre Obergrenze erreicht hat, so muss einer von ihnen untergehen. Wenn die Produktionskapazitäten an Autos die Aufnahmefähigkeit des Weltmarkts übertreffen, so wird es früher oder später einen der großen Autokonzerne erwischen – nur welchen, das steht noch nicht fest.

Fest steht nur, was hinterher passiert. Hinterher sind alle vorher klüger gewesen. Und sie haben es alle schon lange vorhergesehen. Nämlich was das Management für Fehler gemacht hat, wann die Fehlentwicklung einsetzte, was es hätte anders machen müssen.

Aber all das ist wohlfeil und dient der Existenzsicherung der publizierenden Betriebswirtschaft. In Wahrheit weist der Markt auch Eigenschaften einer negativen Lotterie auf: In der Lotterie kann jeder gewinnen, aber niemals alle. Das ist das grundlegende Paradox der Wahrscheinlichkeitstheorie, das uns schwerfällt zu begreifen und schwerer noch zu akzeptieren.

Bei einer Lotterie ist das offensichtlicher als zum Beispiel bei einem Marathonlauf. Bei einem Marathonlauf hat doch jeder in der Hand, wie viel er trainiert, oder? /1/ Aber auch wenn alle alle guten Ratschläge beherzigten – am Ende steht doch nur einer auf dem Podest. Der Widerspruch zwischen „jeder“ und „alle“ spiegelt nur die unterschiedlichen Sichtweisen – die Froschperspektive des einzelnen Marktteilnehmers und die Vogelperspektive der Makroökonomie – wider, die beide Recht haben, obwohl sie in einander diametral widersprechen.

Unser Gehirn kann nicht beide Perspektiven gleichzeitig darstellen. Wir können beide denken – wir können „Bottom-up“ oder „Top-Down“ denken – aber niemals zusammen. Wir müssen immer von einer in die andere Sichtweise umschalten. Versuchen Sie’s mal – es macht immer leise Klick.

Ist jeder seines Unglücks Schmied?

Stephan Kaufmann schreibt in einem Kommentar der Frankfurter Rundschau, dass es nach einer Unternehmenspleite genau so intelligent sei, dem Management Vorwürfe zu machen, als wenn man einem unterlegenen Marathonläufer nach dem Wettbewerb vorwerfe, er sei eben zu langsam gelaufen. /2/ Aber ist es nicht so? Hat nicht immer das unterlegene Unternehmen vermeidbare Fehler gemacht, so wie die unterlegenen Marathonläufer eben doch ein bisschen zu wenig trainiert, einen zu geringen Erfolgswillen mobilisiert haben?

Trotzdem spielt in vielen Fällen aber auch der Zufall eine entscheidende Rolle. Aber dieser Zufall wird verstärkt durch Rückkoppelung, und diese Rückkoppelung verdeckt den ursprünglichen Zufall.
Wir treffen alle unsere Entscheidungen unter Unsicherheit. Niemand kann den Geschmack und die Reaktionen seiner Kundschaft vorher genau kalkulieren. Das Management trifft eine Entscheidung, ein neues Produkt zu lancieren. Es werden Energie und Geld investiert. Das neue Produkt erweist sich als Flop und das Produkt der Konkurrenz beginnt mit einem kleinen I und wird zum Renner.

Nun kommt eine Rückkopplung, und diese Rückkopplung wirkt entscheidend. Das Unternehmen ist entmutigt. Seine Kapitalkraft ist geschwächt, wenn auch anfangs noch nicht zerstört. Das Management müsste etwas anderes versuchen, aber steckt in einem Dilemma: Gesteht es die Fehleinschätzung ein? Dann läuft es Gefahr, das sowieso schon angekratzte Vertrauen der Mitarbeiter noch weiter zu untergraben. Gesteht es den Fehler nicht radikal ein? Dann muss es weiter Geld und Kraft in einer unproduktiven Richtung verschwenden. Das Märchen von der weisen, die Zukunft antizipierenden Führung erweist sich als größtes Hindernis beim flinken Manövrieren.

Betriebswirtschaft als Exorzismus

Nassim Taleb beschreibt in seinem Buch „The Black Swan“, wie empfindlich wir Menschen auf das Phänomen des Zufalls reagieren. /3/ Wenn wir unser eigenes Leben beschreiben, so sind wir angeboren auf Narrativität und Kausalität ausgerichtet: Wir versuchen, unserer Geschichte einen Sinn zu geben, indem wir es als logische Folge von Ursache und Wirkung, von eigenen Entscheidungen und den resultierenden Erfolgen oder Misserfolgen darstellen. So bewahren wir uns die Illusion, unser Leben im Griff zu haben – selbst Misserfolge gehen auf eigene Fehler zurück, aus denen wir lernen und die wir in der Zukunft vermeiden können. Viel schlimmer als die eigene Schuld wäre das zufällige Scheitern.

Die Hexen und Zauberer des ausgehenden Mittelalters sollten die Illusion bewahren, dass die Ausrottung des Bösen möglich sei. Im Unterschied zu damals ist heute die Macht der Manager positiv besetzt: sie sollen ihre Unternehmen in die lichte Zukunft führen. Aber diese Zuschreibung hat auch das Ziel, der verstörenden Erkenntnis auszuweichen: dass wir uns unserer eigenen Zukunft auch nicht annähernd bemächtigen zu können. Und das Gleiche gilt für die Kehrseite der Medaille, die Schelte von den „Nieten in Nadelstreifen“. Der goldene Handschlag ist nur der gerechte Ausgleich für diese Sündenbockrolle.

Was bedeutet das für uns praktisch?

Bezüglich auf das Überleben unserer Unternehmen vermutlich nicht viel. Die Marktkonkurrenz kann - quasi naturgesetzlich - Neues nur um den Preis der Zerstörung des Alten schaffen. Immer muss ein bestimmter Teil der Unternehmen periodisch untergehen. Solange das so ist, kann man nur sein Bestes tun und muss trotzdem damit rechnen, dass es einen erwischt. So wie ein Marathonläufer ausdauernd trainiert und trotzdem verlieren kann.

Für die Zusammenarbeit in den Unternehmen aber kann es eine ganze Menge bedeuten. Zuerst einmal zur Kenntnis nehmen, dass auch die beste und klügste Strategie und die führendsten Führungskräfte den Erfolg nicht garantieren können. Also ein bisschen mehr Gelassenheit im Umgang mit den Risiken des geschäftlichen Wellengangs.

Und das wäre ja auch schon ganz entspannend.

Anmerkungen


  • /1/ Natürlich stimmt das auch nicht. Es kann nicht jeder rund um die Uhr sein Leben dem Lauftraining widmen. Dazu gehören bestimmte körperliche Voraussetzungen und ein bestimmtes familiäres Umfeld. Das Gleiche gilt bezüglich dem Wettbewerb auf dem Markt. Dort bedarf es bei der Produktentwicklung oft einfach einer hohen Kapitalausstattung. Um die Brennstoffzelle der Zukunft zu entwickeln, muss man ein großer Automobilkonzern sein. Aber dieser Artikel will bewusst von den ungleichen Voraussetzungen des Wettbewerbs absehen und sich nur den Faktoren widmen, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder ins Feld geführt werden: weitsichtige Strategie, energische Umsetzung, unbedingte Erfolgsorientierung.
  • /2/ Stephan Kaufmann: Der Markt als Zerstörer, in: Frankfurter Rundschau, 13. Juli 2013, abrufbar unter http://www.fr-online.de/meinung/leitartikel-zu-praktiker-der-markt-als-zerstoerer,1472602,23701064.html ; Und vor dem Zufall gibt es natürlich Faktoren wie Kapitalausstattung usw. Um beim Beispiel Marathon zu bleiben:
  • /3/ Taleb, Nassim Nicholas: The Black Swan : The Impact of the Highly Improbable. Re-issue. London: Penguin Uk, 2008.
  • /4/ Taleb weist diesen Mechanismus am Beispiel von spekulativen Finanzkrisen nach.

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Kommentare

  1. Lieber Wolf,

    mir gefällt Dein Plädoyer für mehr Gelassenheit. Beim Lesen Deines Beitrags stellt sich mir die Frage, wo ich für mich die Grenze zwischen Gelassenheit und Aktivität ziehe.

    Es gibt Punkte, die sehe ich wie Du: Ich kann jetzt nicht mehr tun. Der Erfolg hängt auch vom Zufall ab und ich weiß gar nicht, ob ein tatsächlicher Erfolg nun Ergebnis meiner eigenen Arbeit oder einfach nur Zufall ist.

    Es gibt aber auch Punkte, da darf ich niemals nachlassen. Sei es Vertrieb oder Produktentwicklung auf der einen Seite und den Einsatz für z. B. Umweltschutz oder innerbetriebliche Chancengleichheit auf der anderen Seite. Wenn ich hier nachlasse, verlieren entweder die Kunden das Interesse oder die Mitarbeiter. Beides ist nicht gut.

    Ich habe noch einen anderen Gedanken: Es gibt einen Unterschied zwischen Gelassenheit und Fatalismus. Gelassenheit bedeutet "Geschehen lassen", Fatalismus ist Resignation ("Was soll ich schon ändern?").

    Grenzen zwischen Gelassenheit und Aktion, zwischen Gelassenheit und Fatalismus sind persönliche Grenzen. Für Teams müssen aus meiner Sicht nicht dafür sorgen, dass alle Mitglieder die gleichen Grenzen ziehen. Ich glaube es reicht schon, dass jedem Teammitglied die Grenzen des anderen bekannt sind.

    LG, Jan

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