Agilität wird zurückgefahren, Hierarchien kehren zurück. Doch ist das wirklich der richtige Weg in einer Welt, die immer unberechenbarer wird? Oder erleben wir gerade eine riskante Rolle rückwärts?
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Agilität hat ausgedient.
So könnte man denken, wenn man sich heute in den Foren umschaut: Agile, einst gehypt als Schlüssel zum dauerhaften Erfolg, scheint vielerorts gestoppt oder zurückgefahren zu werden. Ganz im Sinne des allgemeinen Zeitgeists feiern zwanghaftere Organisationsformen ein Comeback: Zurück zur Hierarchie. Zurück zu alten Machtpositionen und Befehlsketten. Zurück zu mehr Kontrolle.
Doch machen wir damit nicht eine gefährliche Rolle rückwärts? Ist es schlau, sich gerade jetzt von Ansätzen zu verabschieden, die Unternehmen stabil und anpassungsfähig halten sollten?
Warum also ausgerechnet heute wieder auf hierarchische Strukturen setzen, wenn wir längst wissen, dass sie Entscheidungen verlangsamen? Während sich die Welt, wie wir sie kannten, verabschiedet und sehr schnell etwas Neues heraufzieht – ohne dass wir vorhersagen könnten, was?
In einer Welt also, die mit jedem Tag unberechenbarer und bedrohlicher wird? Wo wirtschaftliche Disruption längst keine akademische Debatte mehr ist, sondern Realität? Wo Handelskonflikte und wirtschaftliche Verwerfungen eskalieren? Das ist die Welt, mit der wir es heute zu tun haben. Alle. Jeden Tag.
In dieser Lage zurück zu maximal starren, schwerfälligen Organisationsformen? Das könnte ein verdammt heißer Reifen werden.
Zurück zum Zwang? Warum?
Ja, es gibt Gründe, warum wieder stärker auf Kontrolle gesetzt wird. Aber sie liegen selten darin, dass klassische, also zwanghaftere Hierarchien heute besser als agile funktionieren und deshalb jetzt die bessere Wahl wären.
Vielmehr fehlt vielen schlicht eine Alternative. EntscheiderInnen in den Unternehmen kennen wenig bis nichts anderes. Zudem neigen Menschen gerade in Krisenzeiten zu simplen Entweder-Oder-Entscheidungen. Agil hat's nicht gebracht? Dann halt wieder Hierarchie!
Außerdem – so ehrlich dürfen wir schon miteinander sein – waren die Erfahrungen mit Agilität oft durchwachsen. Sie wurde zu oft falsch, halbherzig oder schlicht unverstanden eingeführt und umgesetzt.
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Und so kam es, dass Agilität zwar meist freudig begrüßt wurde, weil es in vielen Unternehmen einen massiven organisatorischen Reformstau gab (den es noch immer gibt). Dann aber erlebten die Menschen die agile Realität (die oft eben keine war) als chaotisch, ineffektiv und unwirksam.
Die Folge? Führungskräfte fühlten sich bedroht und entmachtet, Mitarbeitende verunsichert, überfordert und oft auch: veräppelt („Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.“). Die Idee der selbstorganisierten Teams wich der Realität von unklaren Zuständigkeiten und fehlender Orientierung. (Oder vielleicht sogar: Von NOCH unklareren Zuständigkeiten und NOCH weniger Orientierung.)
Dabei halten agile Strukturen sehr wohl, was sie versprechen. Wenn sie dort angewendet werden, wofür sie da sind. Und auch so, wie sie gedacht sind.
Agilität - Überlebensnotwendig statt „Nice to Have“
Die Herausforderungen sind längst größer als noch vor wenigen Jahren, was unterschiedliche Gründe hat. Wozu jetzt noch die aktuell angespannte geopolitische Lage kommt.
Und, ja, in unsicheren Zeiten greifen Menschen instinktiv auf Bekanntes zurück. Hat ja schließlich immer schon funktioniert. Was also tun? Mehr Vorgaben, mehr Kontrolle, mehr Hierarchie. Mehr Zwang.
Das ist nachvollziehbar. Aber nach wie vor ein Problem.
Agilität war nie als Ersatz für Führung gedacht. Sie sollte ManagerInnen und Umsetzungsteams besser vernetzen und abstimmen, um gemeinsam (!) schneller bessere Ergebnisse zu erzielen. Mit und in den klassischen Strukturen funktionierte das nicht mehr so gut – und das tut es heute erst recht nicht.
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In diesem Sinne war Agile nie eine Kuschelecke oder ein nettes Extra zum Wohlfühlen. Es ist eine strukturelle Voraussetzung für zügige, zielgerichtete Anpassung der Organisation, wenn es unübersichtlich und dynamisch ist. Agile war und ist ein wichtiges Werkzeug für Erfolg.
Die heutigen Krisen machen sie also nicht obsolet. Sondern NOCH notwendiger.
Denn jetzt brauchen wir erst recht klare strategische Linien – und die Fähigkeit, unsere Kräfte flexibel, schnell und effektiv einzusetzen. Agilität sorgt dafür, dass Organisationen reagieren können, ohne wertvolle Zeit und Kraft zu verlieren.
Rein hierarchische Organisationsansätze sind dafür ungeeignet. Sie sind für andere, stabilere Umstände gemacht.
Doch es geht nicht um die Frage, ob Unternehmen agil oder hierarchisch geführt werden sollten. Es geht darum, beides klug zu kombinieren, um Erfolg zu haben.
Das braucht Führungspersönlichkeiten, die das verstehen. Die Orientierung geben und klare Rahmen setzen, damit ihre Teams ihren agilen Freiraum gut nutzen und ihre Aufträge gut ausführen können.
Kurz gesagt: Wer agile Elemente nutzt – als kluges strategisches, ergänzendes Werkzeug und nicht als unverstandenen Selbstzweck und Gegenentwurf – und sie mit einer ebenso durchdacht eingesetzten Hierarchie kombiniert, wird gewinnen.
Nein, Agilität ist nicht tot. Sie ist lebendiger denn je.
Gut so.

Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile und gesunde Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de
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