Das Cynefin Framework ist mehr, als eine theoretische Grundlage um uns durch die komplexe Welt unserer Entscheidungen zu navigieren. Es ist ein Kompass für Führungskräfte. Wie es hilft, Wohnungsbrände zu löschen, lest Ihr im Artikel.
Niklas Hirsch und Maria Kühn
Das Cynefin Modell
Das Cynefin Modell von Dave Snowden umschreibt die verschiedenen Situationen, in denen sich diese Lage in ihrem Ablauf befunden hat. Chaotisch, Komplex, Kompliziert und klar. Das Modell ist ursprünglich aus dem Wissensmanagement und dem Organisationsdesign. Es lässt sich auch auf Projekte anwenden und hilft uns bei der Frage, wie wir in welchen Situationen agieren sollen.
Feuerwehr Führungskräfte sind Spezialisten darin. Sie beherrschen es, in hoch brisanten Situationen aus Chaos Komplexität zu machen. Sie machen Chaos bearbeitbar. Sie lösen Komplexität agil auf um strukturiert Einsätze abarbeiten zu können. Und das 1.300.000 mal im Jahr. Feuerwehr Führungskräfte sind Agilisten durch und durch. Man kann sie im wahrsten Sinne des Wortes nachts um 3 aus dem Bett werfen und sie funktionieren in diesen Mustern.
Cynefin in der Realität
Wenn der Notruf 112 gewählt wird, geht der Anruf bei der zuständigen Leitstelle ein: „Notruf Feuerwehr und Rettungsdienst, wo genau befindet sich der Unfallort?“ hört man dann von der anderen Stimme am Telefon. Ab diesem Zeitpunkt läuft ein Automatismus ab. Der Disponent an der Leitstelle fragt sich durch einen Fragenkatalog. Er will möglichst genau herausfinden was passiert ist. In Abhängigkeit seiner Eingaben wählt der Computer dann die zu alarmierenden Einheiten aus.
Verschiedene Einsatzstichworte sind vordefiniert. Dahinter stehen verschiedene Faktoren wie benötigte Personalstärke, Löschwassermenge oder Art der benötigten Fahrzeuge. Einsätze werden also klassifiziert. Diese Klassifizierung ist von den Informationen des Meldenden abhängig. Das sind meistens keine Feuerwehrleute. Es kommt also immer mal wieder vor, dass das, was Feuerwehrleute an der Einsatzstelle vorfinden, nicht dem Einsatzstichwort entspricht. Eine Geschichte aus dem echten Feuerwehrleben:
Es brennt - wirklich
Ein Nachbar meldet einen brennenden PKW. Das wird als F 1 (Feuer klein erste Stufe) klassifiziert. Ein Feuerwehrfahrzeug mit 6 Feuerwehrleuten, 2 davon unter Atemschutz und 500 Liter Löschwasser sind innerorts ausreichend. Für Feuerwehrleute ein Standartereignis und die alarmierten Kräfte sind im Normalfall völlig ausreichend.
In klaren Situationen können wir in klaren Strukturen reagieren. Dinge routiniert abarbeiten. Unsere Lösungen sind vorhanden. Wir haben „best practise“ Lösungen in der Tasche. Diese Situation hat einen Nachteil: Wir fühlen uns in dem, was wir tuen, sicher. Hier ist die Gefahr groß, in die Chaos Situation zu rutschen. Das Cynefin Modell stellt den Übergang von „Klar“ in „Chaotisch“ als Klippe dar.
Die erste Feuerwehr Führungskraft an der Einsatzstelle findet eine andere Lage vor: Es brennt zwar ein PKW, der steht jedoch unter einem Carport. Das Carport ist an ein Wohnhaus angebaut. Das Wohnhaus ist mit Holz verkleidet. Ein brennender PKW kann Temperaturen von über 700 Grad erreichen. Die Führungskraft reagiert sofort und lässt das Alarmstichwort erhöhen. Feuer 2 Wohnungsbrand. Sofort heulen die Sirenen auf und weitere Feuerwehren werden an die Einsatzstelle alarmiert. Die Führungskraft erkundet weiter und stellt fest, dass sich direkt neben dem Carport die Wohnung einer älteren Dame befindet. Ist die Dame noch im Gebäude? Ist dort schon Rauch oder Feuer und die Dame ist bereits bewusstlos? Sofort wird das Stichwort auf Feuer 2 Menschenleben in Gefahr erhöht. In der ganzen Gemeinde schrillen die Funkmeldeempfänger der Feuerwehrleute auf.
Befindet sich das Projekt in chaotischen Bedingungen, nicht erstarren, machen!
Wenn uns keine Informationen vorliegen, müssen wir einfach machen. Wir wissen nicht, welche Beziehungen vorhanden sind. Kennen die Ursache-Wirkung Beziehung nicht. Wir experimentieren auf Grundlage einer unbestätigten Annahme. Wir wollen eine Reaktion provozieren. Die Beobachtung ist dann eine Information, die wir aufnehmen, um auf sie zu reagieren.
Sofort wird vor Ort ein Trupp unter Atemschutz zur Menschenrettung in das Gebäude geschickt, um die Wohnung abzusuchen. Seit dem Eintreffen der ersten Führungskraft sind noch keine 5 Minuten vergangen.
Zum Glück ist bei diesem Einsatz niemand verletzt worden. Kräftezehrend wurde das Dach des Hauses geöffnet und die Fassade abgerissen, da sich das Feuer bereits durch den gesamten Dachstuhl gefressen hatte.
Die Lage in den Griff bekommen
Feuerwehr Führungskräfte durchlaufen eine spezielle Ausbildung. Hier werden sie trainiert mit volatilen und stressigen Situationen umzugehen. Trotz eines Mangels an Informationen eine Entscheidung treffen.
Nehmen wir das Beispiel von oben. Auf dem Funkmeldeempfänger, der die Feuerwehrleute alarmiert, steht das Stichwort F1 brennt PKW. Schon auf dem Weg zum Feuerwehr Gerätehaus rattert der Kopf der Führungskraft los. Wie könnte es vor Ort aussehen? Welche Maßnahmen kann ich treffen? Steht der PKW im Vollbrand oder qualmt es lediglich aus dem Motorraum?
Man bereitet sich also auf die Lage vor. Kann man entscheiden, was man unternehmen muss? Nein. Aber man kann Vorbereitungen aufgrund der Meldung treffen. So ergeht der Befehl, dass sich 2 Personen auf der Anfahrt mit Atemschutz ausrüsten sollen. Wir agieren in festen Mustern. Routinierte „best practice“ Abläufe. Kommt die Führungskraft an der Einsatzstelle an, beginnt in Feuerwehrsprache die Chaosphase.
Bereits mit dem Blick aus dem Fahrzeug auf die Lage beginnt die Führungskraft Informationen zu sammeln. Was brennt? Wie stark? Wie sieht die Umgebung aus? Hanglage, Bebauung, Fahrzeugart, Menschen in der Nähe. Brennt ein PKW auf einem großen, ebenerdigen und leeren Einkaufsparkplatz und weit und breit ist nichts und niemand, geht sofort der Stresspegel nach unten. Die Chaosphase endet und die Routine beginnt. Eine klare Lage.
Es kann immer noch eine Herausforderung sein, den PKW wirklich zu löschen, ggf. sind alternative Antriebe verbaut, die Tür geht nicht mehr auf oder Kraftstoff läuft aus. Dann rutschen wir in eine komplizierte Lage. Das ist aber eine bearbeitbare Situation. Dafür haben Feuerwehren Standartlösungen parat.
Ist es aber wie im Beispiel oben und die Lage ist anders als gemeldet, beginnt ein Wettrennen mit der Zeit. Mit zu wenig Personal an der Einsatzstelle eine hochbrisante Lage abarbeiten. Klar wird sofort nachalarmiert. Bis die Kräfte da sind dauert es aber.
Mit solchen Situationen umgehen können Feuerwehr Führungskräfte unheimlich gut. Sie wollen möglichst schnell aus der Chaosphase raus und in eine bearbeitbare Lage kommen. Sofort werden Erstmaßnahmen aufgrund des Offensichtlichen befohlen. Beispielsweise die Riegelstellung zum Schützen des Wohnhauses. Die Führungskraft setzt die Erkundung fort. So nennt man das Sammeln von Informationen in der Feuerwehr.
Es wird versucht, möglichst schnell einen Überblick über die Lage zu bekommen. Wie fortgeschritten ist der Brand? Was befindet sich wo? Wer ist beteiligt? So stellt sich im Beispiel oben heraus, dass sich im DG des angrenzenden Hauses eine Wohnung befindet. Sofort wird auf diese Information reagiert, ein Trupp unter Atemschutz in die Wohnung geschickt. Die Erkundung wird umgehend fortgesetzt. Anwohner und Nachbarn befragt, Rückmeldungen der Trupps im Gebäude ausgewertet. Die Anwohner melden, die alte Dame ist bereits im freien, die Wohnung bis auf eine Katze leer. Wieder neue Informationen die einen anderen Befehl nach sich ziehen. Die Katze wird gerettet und der Trupp beendet die Suche. Er geht nun zur Brandbekämpfung vor.
Mit dem sammeln und bewerten von Informationen wird aus der Chaosphase eine immer klarere Lage. Es ergibt sich ein Bild der Situation mit immer besseren und fundierteren Informationen. In kleinen Schritten, mit weiteren Befehlen, ersten Ergebnissen und Erkenntnissen aus Maßnahmen wird das Bild immer klarer. Aufgrund dieses Bildes können immer genauere und wirksamere Maßnahmen abgeleitet werden. So wird nach wenigen Minuten aus dem Feuer mit Menschenleben in Gefahr ein Dachstuhlbrand.
In komplexen Situationen haben wir einige Informationen. Diese sind jedoch unbestätigt und wir können keine Vorhersagen über Wirkungen treffen. Wir müssen experimentieren. Wir wollen unsere Annahmen bestätigen und aus ihnen Fakten machen. Durch empirische Arbeit können wir Informationen validieren. Oder feststellen, dass unsere Informationen anders sind, als wir sie eingeordnet haben.
Ein Dachstuhlbrand ist durchaus eine komplexe Lage, aber bearbeitbar. Jetzt wird das Dach aufgerissen. Wieder eine Rückmeldung vom Trupp auf dem Dach. In der Zwischendecke brennt es. Von innen wird die Verkleidung abgerissen. So wird festgestellt, wie weit sich das Feuer durchgefressen hat.
In komplizierten Situationen kennen wir Beziehungen. Wir können Themen einordnen. Wir analysieren die Informationen und Ergebnisse der Reaktionen und können auf diese mit einem erprobten Plan reagieren. Durch die Analyse wollen wir eine klare Struktur erreichen und die Kompliziertheit vereinfachen.
Jetzt ist die Lage klar, alle notwendigen Informationen liegen vor. Auch außen wird die Verkleidung entfernt und das letzte Glutnest abgelöscht. Alles wird auf Normaltemperatur herunter gekühlt. Der Einsatz ist beendet.
Führungskräfte durchlaufen einen iterativen Zyklus aus erkunden – planen - befehlen. Agiles Arbeiten. Dieser Zyklus wird ununterbrochen durchlaufen, neue Informationen fließen in die Planung ein, neue Maßnahmen werden abgeleitet und geplant. Dann dem jeweiligen Trupp befohlen. Was meldet er zurück? Was verändert sich gerade? Greifen die Maßnahmen? Neue Informationen, neue Planung, neuer Befehl. Durch diese Denkweise machen Feuerwehr Führungskräfte aus der Chaosphase eine komplexe Lage und daraus eine komplizierte Lage.
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In unserer Agilen Mittagspause bekommst Du in einem interaktiven Format die Gelegenheit, Impulse und Erfolgsfaktoren für deinen Arbeitsalltag mitzunehmen und dich aktiv einzubringen.
Datum: Montag, 20.02.2023
Zeitraum: 12:15 Uhr bis – 13:15 Uhr via Zoom.
Wir bieten eine kostenlose einstündige Veranstaltung zum Thema Cynefin Framework an.
In dieser Websession geben wir konkrete Impulse:
Was ist das Cynefin Framework?
Wofür nützt es mir und meinem Team?
Wie kann es mir im Alltag helfen, Klarheit zu finden?
Wir bieten einen Raum zum Austausch und um die gewonnen Impulse in konkrete umsetzbare Handlungsansätze zu transferieren.
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