Leisten unsere Prozesse wirklich die versprochene Effizienz, auch wenn wir viele Sonderfälle haben? Oder behindern uns Prozesse mehr als sie helfen? So stellt sich die Frage in vielen Teams. Wie entscheiden wir allerdings, wo der Sonderfall liegt?
Alle sind sich einig über den Nutzen von Prozessen: Sie schaffen Effizienz durch Wiederholbarkeit. Sie sind messbar, und dadurch können sie optimiert werden, sowohl im Ablauf als in ihren Ergebnissen. Darüber hinaus vereinbaren sie Verantwortlichkeiten und definieren Schnittstellen. Jeder weiß, was er erwarten kann, und was von ihm erwartet wird.
Prozesse leisten aber noch mehr. Sie minimieren die Anzahl an Einzelentscheidungen. Über 40% der täglichen Entscheidungen einer Person werden schätzungsweise durch Gewohnheiten erledigt./1/ Erst Zähne putzen, dann Haare kämmen. Wenn wir täglich unsere Routine neu entscheiden müssten, könnten wir den Alltag wegen der Masse an Entscheidungen nicht bewältigen.
Im Geschäft sind die Standardabläufe unsere Team-Gewohnheiten, die wir gemeinsam bewusst oder unbewusst festlegen. Prozesse erlauben einem Team, sich effektiv auf wichtige Dinge zu konzentrieren, anstatt sich an Kleinigkeiten zu reiben. Die Vereinbarung über einen Prozessablauf sagt, „Wir werden die Frage, ob rechts oder links, nicht wiederholt neu entscheiden. Wir vereinbaren links.“ So weit, so gut.
Es gibt allerdings Situationen, in denen Prozesse eher hindern als helfen, in denen gutes Urteilsvermögen die Prozesseffizienz trumpft. Ein Beispiel: der Bestellprozess fordert, dass der Kunde erst selbst ein Nutzerkonto im Internet anlegen muss, bevor er per Telefon etwas bestellen kann. Dann ruft eine sehbehinderte Person an, die anscheinend mit dem Nutzerkontoanlegen nicht klar kommt.
Jeder erkennt in diesem Fall die Notwendigkeit, den Prozess außer Kraft zu setzen, auch wenn dies bedeutet, dass der Mitarbeiter vielleicht Kenntnis über das Passwort des Kunden erlangt. Allerdings stößt dies möglicherweise gegen die Sicherheitsrichtlinie oder die Datenschutzbestimmungen. Vielleicht ist das CRM-System so aufgebaut, dass der Mitarbeiter gar keine Nutzerkonten anlegen kann.
Weder dem Kunden noch uns nutzt die Strenge dieser Regel. Deshalb erlauben wir Sonderfälle. Ein Sonderfall liegt dann vor, wenn die Anwendung des festgelegten Prozesses zu einem Schaden oder Nachteil führt. Ein Sonderfall fordert gerade die Urteilskraft eines einzelnen Menschen.
Aber wo ist die Grenze zum Sonderfall? Vielleicht braucht mein wichtiger Kunde eine Ausnahmeregelung im Change-Prozess. Oder das Team fühlt sich durch die im Prozess vereinbarten Termine in seiner Kreativität eingeschränkt. Oder vielleicht will ich als Chef es diesmal einfach so haben. Leider öffnen solche Ausnahmen dem Chaos Tür und Tor. Das ist ein gefährliches Spiel. Mit genügend Sonderfällen verlieren die Prozesse an Bedeutung.
Die Balance zwischen zu wenig Prozess und zu viel kann schwer zu finden sein. Wenn ein Kollege die Prozesse nicht einhält, schieben wir häufig neue Prozessregeln hinzu, in der Hoffnung, dem Disziplinmangel entgegenzuwirken. Schon 1954 bemerkte Peter Drucker, dass Prozesse jedoch keine Wirkung auf Disziplinprobleme haben. Disziplin ist ein (arbeits)ethisches Thema, das nicht durch zusätzliche Prozesse gelöst werden kann. Bei fehlender Prozesstreue müssen Kollegen oder Chef dem Einzelkämpfer ins Gewissen reden. /2/
Prozesse bergen noch eine Gefahr: Gerade weil sie Entscheidungen automatisieren, kommen die Mitglieder einer Organisation entscheidungsmäßig aus der Übung. Manche Organisationen sind so „überprozessualisiert“, dass „common sense“ als Nachteil gesehen wird. Als Folge werden echte Sonderfälle nicht mehr als solche erkannt.
Also was tun?
* Prozesse nicht zu eng festlegen, damit das Denken noch gefördert wird
* Sonderfälle erlauben und in Klassen kategorisieren, damit sie schnell erkannt werden
* Eine Fehlerkultur aufbauen, die den Mut fördert, Entscheidungsrisiken einzugehen
* Disziplinthemen klar als solche benennen und angehen
* Als Chef: sich selbst keine Sonderlocken erlauben. Neben den Auswirkungen auf die Prozesslandschaft verlieren Sie dadurch Ihre Glaubwürdigkeit.
So kommen wir vom Chaos der allgegenwärtigen Ausnahmen zu einem Uhrwerk guter Prozesse, das noch Platz für menschliches Urteilsvermögen erlaubt.
/1/ Duhigg, Charles. The power of habit: why we do what we do in life and business. New York: Random House, 2012.
/2/ Drucker, Peter. The essential Drucker. New York: Collins, 2001. Seite 122-124.
Alle sind sich einig über den Nutzen von Prozessen: Sie schaffen Effizienz durch Wiederholbarkeit. Sie sind messbar, und dadurch können sie optimiert werden, sowohl im Ablauf als in ihren Ergebnissen. Darüber hinaus vereinbaren sie Verantwortlichkeiten und definieren Schnittstellen. Jeder weiß, was er erwarten kann, und was von ihm erwartet wird.
Prozesse leisten aber noch mehr. Sie minimieren die Anzahl an Einzelentscheidungen. Über 40% der täglichen Entscheidungen einer Person werden schätzungsweise durch Gewohnheiten erledigt./1/ Erst Zähne putzen, dann Haare kämmen. Wenn wir täglich unsere Routine neu entscheiden müssten, könnten wir den Alltag wegen der Masse an Entscheidungen nicht bewältigen.
Im Geschäft sind die Standardabläufe unsere Team-Gewohnheiten, die wir gemeinsam bewusst oder unbewusst festlegen. Prozesse erlauben einem Team, sich effektiv auf wichtige Dinge zu konzentrieren, anstatt sich an Kleinigkeiten zu reiben. Die Vereinbarung über einen Prozessablauf sagt, „Wir werden die Frage, ob rechts oder links, nicht wiederholt neu entscheiden. Wir vereinbaren links.“ So weit, so gut.
Es gibt allerdings Situationen, in denen Prozesse eher hindern als helfen, in denen gutes Urteilsvermögen die Prozesseffizienz trumpft. Ein Beispiel: der Bestellprozess fordert, dass der Kunde erst selbst ein Nutzerkonto im Internet anlegen muss, bevor er per Telefon etwas bestellen kann. Dann ruft eine sehbehinderte Person an, die anscheinend mit dem Nutzerkontoanlegen nicht klar kommt.
Jeder erkennt in diesem Fall die Notwendigkeit, den Prozess außer Kraft zu setzen, auch wenn dies bedeutet, dass der Mitarbeiter vielleicht Kenntnis über das Passwort des Kunden erlangt. Allerdings stößt dies möglicherweise gegen die Sicherheitsrichtlinie oder die Datenschutzbestimmungen. Vielleicht ist das CRM-System so aufgebaut, dass der Mitarbeiter gar keine Nutzerkonten anlegen kann.
Weder dem Kunden noch uns nutzt die Strenge dieser Regel. Deshalb erlauben wir Sonderfälle. Ein Sonderfall liegt dann vor, wenn die Anwendung des festgelegten Prozesses zu einem Schaden oder Nachteil führt. Ein Sonderfall fordert gerade die Urteilskraft eines einzelnen Menschen.
Aber wo ist die Grenze zum Sonderfall? Vielleicht braucht mein wichtiger Kunde eine Ausnahmeregelung im Change-Prozess. Oder das Team fühlt sich durch die im Prozess vereinbarten Termine in seiner Kreativität eingeschränkt. Oder vielleicht will ich als Chef es diesmal einfach so haben. Leider öffnen solche Ausnahmen dem Chaos Tür und Tor. Das ist ein gefährliches Spiel. Mit genügend Sonderfällen verlieren die Prozesse an Bedeutung.
Die Balance zwischen zu wenig Prozess und zu viel kann schwer zu finden sein. Wenn ein Kollege die Prozesse nicht einhält, schieben wir häufig neue Prozessregeln hinzu, in der Hoffnung, dem Disziplinmangel entgegenzuwirken. Schon 1954 bemerkte Peter Drucker, dass Prozesse jedoch keine Wirkung auf Disziplinprobleme haben. Disziplin ist ein (arbeits)ethisches Thema, das nicht durch zusätzliche Prozesse gelöst werden kann. Bei fehlender Prozesstreue müssen Kollegen oder Chef dem Einzelkämpfer ins Gewissen reden. /2/
Prozesse bergen noch eine Gefahr: Gerade weil sie Entscheidungen automatisieren, kommen die Mitglieder einer Organisation entscheidungsmäßig aus der Übung. Manche Organisationen sind so „überprozessualisiert“, dass „common sense“ als Nachteil gesehen wird. Als Folge werden echte Sonderfälle nicht mehr als solche erkannt.
Also was tun?
* Prozesse nicht zu eng festlegen, damit das Denken noch gefördert wird
* Sonderfälle erlauben und in Klassen kategorisieren, damit sie schnell erkannt werden
* Eine Fehlerkultur aufbauen, die den Mut fördert, Entscheidungsrisiken einzugehen
* Disziplinthemen klar als solche benennen und angehen
* Als Chef: sich selbst keine Sonderlocken erlauben. Neben den Auswirkungen auf die Prozesslandschaft verlieren Sie dadurch Ihre Glaubwürdigkeit.
So kommen wir vom Chaos der allgegenwärtigen Ausnahmen zu einem Uhrwerk guter Prozesse, das noch Platz für menschliches Urteilsvermögen erlaubt.
/1/ Duhigg, Charles. The power of habit: why we do what we do in life and business. New York: Random House, 2012.
/2/ Drucker, Peter. The essential Drucker. New York: Collins, 2001. Seite 122-124.
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