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Geschäftsprozessoptimierung: Immer Ärger mit schwach strukturierten Prozessen


Teams können Prozessbeschreibungen gut gebrauchen: Sie stellen quasi einen Fundus an gemeinsamem Teamwissen dar. Sie erleichtern Vertretung und Einarbeitung und bereiten das Fundament einer Softwareunterstützung der Tagesarbeit. Seit einiger Zeit aber richtet sich das Augenmerk auf Prozesse, die sich einer einfachen Beschreibung hartnäckig widersetzen.

Nachdem die deutsche Nationalelf bei der Fußball-EM vor dem Finale ausgeschieden war, waren die 80 Mio. deutschen Nationaltrainer ratlos: Wie hatte das passieren können? Wie konnte es dazu kommen?

Waren wirklich alle ratlos? Nein. Eine kleine Minderheit kannte sofort die Ursache: die Prozessmanager. Sie wusste: alles Training von Softskills eines Teams nützt nichts, wenn die solide Basis fehlt: eine gute Prozessdokumentation!
Es wäre doch so einfach gewesen. Ein kleiner Workflow, mit einem der gängigen Software-Tools zur Prozessdoku erstellt, und schon hätte es einfach klappen müssen.


Abb. 1: Ein kleiner Workflow hätte genügt, um den Erfolg der Nationalmannschaft zu garantieren.

Konfliktuelle Prozesse
Das Beispiel birgt einen ernsthaften Kern: Bestimmte Prozessarten lassen sich nicht mit herkömmlichen Methoden dokumentieren, standardisieren und normieren. Schon Jean-Paul Sartre hatte bemerkt: „Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“ Ein Fußballspiel, als Prozess betrachtet, hat zum Objekt kein totes Werkstück und kein geduldiges Papier, sondern lebendige Menschen – eben das gegnerische Team. In einem solchen Prozess lässt sich kein Standardablauf herausschälen, der von eventuellen Störungen zu trennen wäre. Der Ablauf besteht gerade im dauernden Umgang mit den Störungen, ohne sie würde der Ablauf keinen Sinn machen. Eine sehr schöne Beschreibung des Prozesses „Kühe melken“ habe ich mit Rücksicht auf den eiligen Leser in eine Fußnote verbannt. /1/
In der Literatur ist oft von „schwach strukturierten Prozessen“ die Rede. /2/ Aber diese Bezeichnung sagt nichts darüber aus, warum bestimmten Prozesse sich hartnäckig bestimmten, bewährten Methoden der Beschreibung und Optimierung verweigern.
Ich schlage deshalb vorläufig die Bezeichnung „Konfliktuelle Prozesse“ für Prozesse von der Art „Fußballspiel“ vor. Bei derartigen Abläufen ist das „Objekt“ meines Prozesses mit Willen behaftet. Es reagiert nicht einfach auf meine Interventionen (meine Prozessschritte), sondern tut oft, was es will und wenn es es will. Und dieses „Objekt“ hat andere Interessen als ich.

Ziele und Methoden des Prozessmanagements
Werfen wir kurz einen Blick auf „stark strukturierte Prozesse“ wie zum Beispiel „Produktion von Bremsen für Pkw“ oder im Gesundheitswesen „Untersuchungen von Blutproben“. Bei solchen Aufgaben werden meist folgende Ziele und Methoden des Prozessmanagements genannt:

  1. Sicherung hoher Qualität im Sinne von praktischer Fehlerfreiheit (Sigma-Level 6 entsprechend 99,99966 % fehlerfreie Produkte);
  2. Zu diesem Zweck werden die Prozessabläufe auf sehr detaillierter Ebene normiert (bis zum einzelnen Handgriff).
  3. Die Einhaltung der definierten Prozessabläufe wird unterstützt oder sogar erzwungen durch maschinell programmierte Abläufe (Fließband oder Software-Workflow).
Halten wir jetzt dagegen einen konfliktuellen Prozesse aus unserer Arbeitswelt. Ich nehme als Beispiel „Vertragsverhandlungen mit Kunden“, weil die auch eine Art „Nullsummenspiel“ mit Ähnlichkeiten zu Fußball oder Schach darstellen.


Abb. 2: Prozesse wie „Vertragsverhandlungen mit Kunden“entziehen sich einer Beschreibung auf sehr detaillierter Ebene.

Was sind die Unterschiede dieses Prozesses zu den oben genannten?
Mir fallen folgende grundlegende Abweichungen auf: 
  1. Schon die Zieldefinition ist nicht ganz einfach. Ist das Ziel wirklich der Vertragsabschluss, sozusagen „um jeden Preis“? Wenn der zuständige Mitarbeiter feststellt „der Kunde passt nicht zu uns“ und die Verhandlungen abbricht – ist das nicht auch ein „gutes Ergebnis“?
  2. Ich habe also die Wahl, als Ziel „Vertragsabschluss“ zu definieren: Dann ist eine Erfolgsquote von 99% nie zu erreichen – und zwar egal, wie gut ich meinen Prozess strukturiere. Oder ich definiere als Ziel „Klarheit bei uns und beim Kunden, ob Anforderung und Angebot passend gemacht werden können“: Dann ist praktisch nie messbar, ob dieses Ziel in einem konkreten Fall erreicht wurde.
  3. Betrachte ich die Prozessbeschreibung auf einem hohen (wenig detaillierten) Level, dann fällt die Häufigkeit möglicher Rücksprünge auf: Noch beim letzten Schritt, der internen Vertragsprüfung, kann der zuständige Abteilungsleiter eine Unstimmigkeit finden, die den ganzen Ablauf wieder in den Status „Angebot verhandeln“ zurückwirft. Oder dem Kunden fällt relativ spät ein, dass er ja eigentlich auch noch drei Zusatzbausteine braucht – und ich fange wieder an, seine Anforderungen zu analysieren, und zwar wiederum, ohne dass es ganz vermeidbar wäre („mangelnde Prozessbeherrschung“). Das Ziel, die Prozessvariabilität zu reduzieren, kann nur beschränkt garantiert werden.
  4. Der Prozess ist keiner Beschreibung auf detaillierter Ebene zugänglich. Ähnlich wie beim obigen Beispiel Fußball kann ich nicht genau festlegen, wie ein Mitarbeiter in einer Sitzung mit Kundenvertretern die Verhandlung führen soll.
  5. Deshalb ist auch eine Modellierung des Prozesses als fixierter Software-Workflow nicht möglich.
Halbzeitpause
Es geht uns im Teamworkblog nicht darum zu behaupten, dass die konfliktuellen Prozesse überhaupt keiner Optimierung zugänglich sind. Die Frage ist nur, wie unsere Teams diese widerspenstigen Prozesse dokumentieren und evtl. standardisieren können. Und welche guten Methoden oder Tools gibt es, mit denen wir unsere Teammitglieder unterstützen können?

Damit werden wir uns im Teamworkblog noch ein bisschen beschäftigen.

Anmerkungen
/1/ In seinem Roman „Der menschliche Makel“ schildert Philip Roth, wie die Magd Faunia Kühe melkt. Auch die Kühe haben Namen: Daisy, Maggie, Flossie …
„Unter diesen umsorgten Tieren und in der sie umgebenden Aura einer opulenten, erdhaften Verbundenheit mit weiblicher Üppigkeit war es Faunia, die wie ein Tier schuftete … Sie  rief sie eine nach der anderen aus dem offenen Unterstand, wo sie auf einer Mischung aus Heu und Fladen ruhten – ‚na los, Daisy, mach jetzt keine Zicken. Komm schon Maggie, ja, so ist es gut. Heb deinen Arsch an, Flossie, sei nicht so faul’ -. Sie packte sie am Halfter und zog und zerrte sie durch den Matsch und dann über eine Stufe auf den Betonboden des Melkstandes, sie schob diese plumpen Daisys und Maggies zum Trog, bis sie standen, wo sie stehen sollten, maß einer jeden ihre Portion mit Vitaminen gemischten Futters ab, reinigte die Zitzen, desinfizierte sie und molk sie mit ein paar energischen Handbewegungen an, bevor sie die an den Enden der Milchleitungen befestigten Melkbecher anlegte, und hielt dabei nie inne, konzentrierte sich ganz und gar du jeden Handgriff, war aber, in auffallendem Gegensatz zu der störrischen Fügsamkeit der Kühe, bienenfleißig in ständiger Bewegung, bis die Milch durch die durchsichtige Milchleitung in den Tank aus schimmerndem Edelstahl floss und sie endlich ruhig daneben stehen konnte und nur noch darauf achten musste, dass alles funktionierte und auch die Kuh still stand. Doch dann kam sie wieder in Bewegung, massierte das Euter, um sicherzugehen, dass die Kuh ausgemolken war, löste die Melkbecher von den Zitzen, schüttete, nachdem sie die Kuh losgebunden hatte, das Futter für die nächste in den Trog, trug den Sack mit dem Körnerfutter zum zweiten Meldstand, nahm dann in diesem beengten Raum das Halfter der gemolkenen Kuh, manövrierte sie mit einem Klaps hinaus, drückte mit der Schulter gegen den riesigen Rumpf, wobei sie kommandierte: ‚Jetzt komm schon, geh raus, geh schon raus …’, und führte sie durch den Matsch zurück zum Unterstand.’
Faszinierend in der Beschreibung Roths ist der Fluss der Sprache, der sich dem Fluss der Bewegungen anschmiegt und den Rhythmus der Bewegungen Faunias in den Rhythmus unseres Lesens und, wenn wir das Gelesene etwa halblaut mitsprechen wollen, unseres Sprechens übersetzt und uns so mitschwimmen lässt in diesem Fluss. Es ist kein heiteres Strömen. Es ist ein dauernder Wechsel der Geschwindigkeit, eine ständige Überwindung von Stockungen des Objekts und durch das Objekt – die Kuh -, welcher vom Menschen ständig geglättet, überwunden, kanalisiert, umschifft, durchkreuzt und wieder losgelassen wird, um den menschlichen Zweck, der sich im Prozess selbst verkörpert, wie ein rettendes Ufer zu erreichen.
Die Arbeit ist durchwoben mit einer Abfolge von Störungen, von Unwilligkeiten des Arbeitsobjekts, das dem Ziel des Prozesses fremd gegenübersteht – die Kuh, die stampft, die daneben tritt, verzögert usw. – und dauernd unterbricht. Arbeit und Störung sind nicht klar getrennt.
Philip Roth: Der menschliche Makel, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag, 22. Auflage, 2010, S. 61 f.
/2/ Zum Beispiel ich selbst im Buch „Prozessorientierte Ablage“, 2. Auflage, Kapitel 9: „Strategische Prozesse ordnen“, Seite 137

Kommentare

  1. Lieber Wolf,

    Verhandlungen sind ein wunderbares Beispiel für diese Art von Prozessen. Die Unterschiede zu den gut strukturierten Prozessen, die Du nennst, sind meiner Erfahrung nach die wichtigsten.

    Aus Prozessmanagementsicht muss man solche Prozesse zerlegen:

    1. Es gibt Aktivitäten innerhalb des Prozesses, die sich tatsächlich standardisieren lassen, z. B. das Zusammenstellen und Ausdrucken von Vertragsdokumenten. Hier kann man Zeiten und Abläufe genau festhalten.

    2. Nach manchen Aktivitäten muss man Haltepunkte vorsehen, um die Qualität zu prüfen. Damit sollen unnötige Rücksprünge vermieden werden. Ein unnötiger Rücksprung wäre das erneute Ausdrucken von Vertragsdokumenten, weil Rechtschreibfehler oder Fehler in den Preisen vorhanden waren. Hier zählt man gefundene Fehler oder prüft, ob bestimmte Messwerte nicht unterschritten werden.

    3. Dann gibt es Aktivitäten, die mal vorkommen und mal nicht. Diese kann man wie Elfmeterschießen üben. Über Preise wird oft verhandelt; aber man übt selten im Rollenspiel, was man genau sagt, wenn die Gegenseite einen hohen Rabatt einfordert. Stattdessen ärgert man sich, wieder einmal nachgegeben zu haben. Aber dafür muss man sich Zeit reservieren.

    4. Bestimmte Aktivitäten sind immer neu und nicht vorhersehbar. Hier braucht man seinen gesunden Menschenverstand. Das passende Verhalten lernt man erst mit der Zeit. Am besten macht man viele Verhandlungen mit und man sollte viele Fehler machen, aus denen man lernt. Dafür sollte man Tagebuch führen.

    5. Weiterhin gibt es Aktivitäten, zu denen wir sehr spät oder nie ein Feedback gekommen. Ob wir richtig gehandelt haben, wissen wir erst, wenn es zu spät ist. Hier hilft uns nur Moral, Ethik oder welchen Begriff wir dafür verwenden wollen.

    Die konfliktuellen Prozesse sind meist auch komplexe Systeme mit nicht-linearen Vorgängen. Damit kann unser Verstand nicht umgehen. Einer allein kann das Problem nicht lösen. Einer allein kann aber deswegen auch nicht schuld sein, wenn etwas nicht klappt. Das ist dann die Aufgabe von Teams!

    LG, Jan

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