Direkt zum Hauptbereich

Der fiktive Zeitungsartikel – eine Methode zur Entwicklung von Vision und Strategie

Team sitzt gelangweilt im Strategieworkshop. Tische und Stühle in der bekannt kommunikativen U-Form, Sie wissen schon. Wär’s ein Comic, wäre der Raum von großen „Gähn!“-Blasen erfüllt. So hört man nur das leise Klicken der Smartphones unterm Tisch.
Wie findet man jetzt einen Einstieg in das Thema? Einen, der nicht aus der total kreativen Frage besteht: „Wo wollen wir in 5 Jahren stehen“? Dazu eine etwas andere Methode.
Abb. 1: Der fiktive Zeitungsartikel (Quelle: fodey.com)

Der Zeitungsartikel, der nie geschrieben wurde

Der Moderator des Workshops erzählt eine Geschichte:

Stellen Sie sich vor, ich telefoniere morgen früh mit Ihnen. Ich bin irgendwo in einer Nachbarstadt in einem Hotel, und wir müssen einen Termin abklären. Ganz nebenbei sage ich zu Ihnen: "Ach, was für ein Zufall. Gerade habe ich einen Artikel in der Zeitung über Ihr Unternehmen gelesen. Ein ganzseitiger Artikel, sehr gut recherchiert und mit interessanten Bewertungen." Sie werden natürlich neugierig und wollen wissen, was in dem Artikel steht. "Ich bin ein bisschen in Eile", sage ich darauf, "ich kann Ihnen jetzt nicht den ganzen Artikel vorlesen. Aber ich biete Ihnen Folgendes an: Sie können mir sechs Fragen stellen, die ich mit Ja und Nein beantworten kann. Diese sechs Fragen beantworte ich Ihnen – mehr kann ich nicht für Sie tun."

Das Team kann jetzt an den Moderator diese sechs Fragen stellen – nie mehr. Und diese Fragen schreibt der Moderator auf ein Flipchart in der Reihenfolge, wie sie gestellt werden. (Werden es mehr als sechs Fragen, kann das Team unter sich verhandeln, welche Fragen ihm wirklich wichtig sind. Die unwichtigen werden wieder gestrichen.)

Ein Beispiel

Ich habe dieses Spiel vor einigen Wochen bei einem Kunden gespielt. Der Kunde, das ist eine große soziale Einrichtung in einer süddeutschen Großstadt, die in verschiedenen Stadtvierteln Beratungsstellen unterhält. Die Beratungen wenden sich an Familien in einer Notlage, sei sie eher finanziell (Schuldnerberatung), Lebenslage (Wohnungssuche) oder sozial (Kinder in der Schule).
Dabei wurden vom Strategieteam folgende Fragen gestellt:

Abb. 2: Fragen des Teams

Dann sollte ich eine Antwort auf die Fragen geben. Machte ich natürlich nicht. Denn jetzt beginnt die zweite Runde des Spiels:

Was meinen Sie denn, welche Tendenz der Zeitungsartikel hat?“

Jeder Workshop-Teilnehmer sollte seine Vermutung äußern. Ich schrieb die Anzahl der Ja in eine Spalte rechts daneben. Das Ergebnis sah so aus:

Abb. 3: Antworten des Teams
Sofort war klar, um welche Themen sich die Strategieentwicklung würde drehen müssen:
  • Wirksamkeit: Wir gelten als kompetent und fair und alles Mögliche, aber wir bewirken nichts – denn unsere Ratschläge werden nicht angenommen.
  • Arbeitsbedingungen: Niemand will bei uns arbeiten (die Einrichtung hat wirklich Nachwuchssorgen), weil wir als gutwillige Selbstausbeuter gelten.

Was ist der Trick?

Die Methode vermittelt einen schnellen Einblick, was einer Organisation wichtig ist, dass es ihren Kunden wichtig sein soll. Die Methode ist schnell (ca. 30 Minuten). Aber sie regt sehr komplex die Fantasie an: Was denke ich, was die Öffentlichkeit und meine Klienten über mich denken? Und was ist mir eigentlich wichtig daran?
Der Umweg über das imaginierte, nur in der Vorstellung der Teilnehmer konstruierte Fremdbild führt zur Klarheit über das eigene Wunschselbstbild (Ich-Konstruktion in der Individualpsychologie). Und stellt damit einen großen Schritt zu einem selbstorganisierten Wir-Gefühl des Teams dar.

Der Übergang zur Frage:„Ja, und wie soll der Artikel denn in 2017 aussehen?“ ist schnell gefunden und führt direkt zur Diskussion über Vision und Strategie.

Kommentare

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Agile Sternbilder: Die Entdeckung kosmischer Agilitäts-Superkräfte

Hast du dich je gefragt, ob dein Sternzeichen deine Fähigkeiten in einer agilen Arbeitsumgebung beeinflusst? In diesem Blogpost tauchen wir ein in die faszinierende Welt der Astrologie und ihre mögliche Verbindung zu modernen Arbeitsweisen. Entdecke, wie die Sterne deine agilen Stärken prägen könnten. Ob überzeugter Agilist oder neugieriger Sternzeichenliebhaber – dieser Artikel kann dir neue Perspektiven eröffnen und vielleicht sogar dein nächstes Teamprojekt inspirieren!

Den passenden Job finden

Hier teile ich, wie ich daran arbeite, endlich den richtigen Job zu finden. Kleingedrucktes: Dieser Artikel richtet sich (natürlich) an jene, die gerade in der luxuriösen Position sind, dass sie nicht jedes Angebot annehmen müssen. Anstatt von Engagement zu Engagement zu hetzen und frustriert zu sein über Konzernstrukturen, fehlende Ausrichtung und die Erkenntnis, dass in einem selbst beständig die Hintergrundfrage nagt, ob es das ist, womit man seine immer knapper werdende Lebenszeit wirklich verbringen möchte, gibt es manchmal auch die Möglichkeit, die nächste berufliche Station etwas nachhaltiger auszusuchen - auch, um tatsächlich (etwas) mehr beitragen zu können.

Die Microsoft Teams-Not-To-Do-Liste

Viele hoffen, dass es  für die Einrichtung von Microsoft Teams  den Königsweg gibt, den perfekten Plan – doch den gibt es leider (oder glücklicherweise?) nicht. Genauso wenig, wie es jemals einen Masterplan für die Organisation von Gruppenlaufwerken gab, gibt oder je geben wird. Was gut und vernünftig ist hängt von vielen Faktoren und ganz besonders den Unternehmensprozessen ab. Sicher ist nur eines: Von alleine entsteht keine vernünftige Struktur und schon gar keine Ordnung. Dafür braucht es klare Entscheidungen.

Agilität ist tot. Ausgerechnet jetzt?

Agilität wird zurückgefahren, Hierarchien kehren zurück. Doch ist das wirklich der richtige Weg in einer Welt, die immer unberechenbarer wird? Oder erleben wir gerade eine riskante Rolle rückwärts?

Wie beschreibt man einen Workshop für eine Konferenz?

Konferenzen bieten immer ein gutes Forum, um sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen. Was für die Vortragenden selbstverständlich scheint, ist für die Besucher:innen oft unverständlich. Wie können Vortragende ihren Workshop in 2-3 Sätzen beschreiben, damit die Besucher:innen schnell einschätzen können, er sich für sie lohnt?

Gemeinsam eine Anwenderdokumentation erstellen

Unternehmenssoftware ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Anwenderinnen und Anwendern, den Unternehmensprozessen und den Ergebnissen. Normalerweise schreibt der Hersteller der Software die Dokumentation für diejenigen, die die Software benutzen. Wenn die Software allerdings stark angepasst wurde, muss die Dokumentation von denen kommen, die die Prozessmaschine am besten verstehen - den Anwenderinnen und Anwendern. Wie könnte man das praktisch machen?

Der Softwareeisberg, die Softwarepyramide - Wie sprechen wir über neue Software?

Software ist aus den Geschäftsprozessen vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Sie verwaltet Kunden- und Produktdaten. Sie automatisiert Abläufe und verhindert Fehler. Aber Software veraltet. Was machen wir, wenn wir Unternehmenssoftware erneuern müssen? Von den ersten Konzepten bis zum ersten Release ist es ein weiter Weg, mit vielen Entscheidungen. Wie sprechen wir über diese Entscheidungen?