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Wozu sind Unternehmensberater gut?

Eine bewusst zweideutige Formulierung einer gar nicht eindeutigen Frage. Jedoch liebt Teamworkblog die zweideutigen Fragen, denn sie erleichtern ihm seine chamäleonhaften Antworten.


Zwei Fragen in einer

Man kann die Titelfrage empirisch verstehen, quasi aus wissenschaftlicher Neugier entsprungen: Was bringt Organisationen dazu, externe Berater zu engagieren? Das wäre eine statistische Untersuchung, bei der man mit Fragebögen bewaffnete Soziologiestudenten auf einige Hundert Unternehmen loslässt.

Oder man kann sie moralisch interpretieren: Was würde einen guten (also so einen wirklich richtig guten) Berater wohl ausmachen? – Es lohnt sich, die beiden Fragestellungen auseinanderzuhalten. Sonst kann es passieren, dass man sich den besten aller möglichen Berater ausdenkt. Der taucht dann aber vielleicht nur in Sonntagsreden auf, aber nie in einem realen Unternehmen: Er findet nämlich keinen Auftraggeber.

Der wirkliche "Berater"

Viele Beratungsaufträge werden in der Realität nur deshalb erteilt, um Machtbalancen im Unternehmen zu ändern, oder umgekehrt, um sie zu stabilisieren. Die Geschäftsführung braucht jemanden Externen, der die Pläne in der Schublade an die Betroffenen verkauft, also mit den Weihen der Objektivität und der betriebswirtschaftlichen Unantastbarkeit versieht. Bei solchen Aufträgen geht es nicht um Wissenszuwachs für das Unternehmen, sondern nur um Machtverstärkung – eher verbunden mit Wissensabwehr. Motivationstrainings bilden davon eine Subspezies.

Die zweite Variante: Eine Führungskraft auf mittlerer Ebene sucht händeringend jemanden, der den Vorgesetzten eine Hierarchieebene darüber glaubhaft macht, dass dringend eine bestimmte Maßnahme notwendig ist. Also neue Methoden in der Produktentwicklung eingeführt werden müssen oder man Geld in die Hand nehmen muss, um die Standorte besser zu vernetzen, oder dass man ein gescheites ECM benötigt.
Diese Art von Auftrag hat meistens ein bisschen mit Wissenstransfer zu tun, steht aber auf wackligen Beinen. Der Promoter des Beratungsauftrags, oft der IT-Leiter oder der QMB, untergäbt nämlich seinen eigenen Expertenstatus gegenüber der obersten Führung. Oft werden solche Beratungsaufträge mitten im Projekt gestoppt.

Und dann gibt es noch die Zwickmühlenaufträge, nach dem Motto "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!" – Die Geschäftsführung befindet sich in einem Dilemma zwischen zwei gleich katastrophalen Alternativen. Die heiße Kartoffel schiebt sie dem externen Berater zu, dessen Honorar vor allem Schmerzensgeld darstellt. Am Schluss muss auch der Experte kapitulieren. Bei der Schlusspräsentation erlebt er aber zu seinem Erstaunen keine enttäuschten Auftraggeber, sondern triumphierende: "Siehste woll, haben wir’s doch gewusst!" (/1/)

Der "gute" Berater und seine scheiternden Aufträge

Daneben gibt es aber auch die Beratungsaufträge, bei denen eine Organisation ernsthaft nach wissensbasierter Unterstützung von außen sucht. Das macht die Ansprüche aber oft nicht weniger paradox.

Dazu ein Beispiel: Die Zyklen der Produktentwicklung verkürzen sich deutlich. Die Ursachen auf globalisierten Märkten sollen uns hier nicht interessieren und auch nicht ihre unterschiedliche Ausprägungen nach Branchen. Im Durchschnitt dürfte die Behauptung zutreffen und, vielfach vermittelt, selbst auf gut abgeschotteten Märkten – wie z. B. dem der öffentlichen Verwaltung – ihre Wirkungen zeigen.
Diese Wirkungen sind vor allem zwei: Die Angst vor Fehlern nimmt zu. Wer heute auch nur ein halbes Jahr mit seiner Produktentwicklung in die falsche Richtung marschiert, läuft schon bald Gefahr, vom Markt gekickt zu werden.

Die zweite Wirkung: Die Zusammenarbeit innerhalb der Unternehmen muss anders organisiert werden. Der Austausch von Zwischenergebnissen zwischen verschiedenen Abteilungen – z. B. zwischen technischer Entwicklung und Marketing und zwischen Marketing und Vertrieb – muss besser fließen. Silodenken zwischen den Funktionseinheiten und Kontrollwahn von oben sind Sand, der das Getriebe ruiniert.
Jetzt kommt der Auftrag an den Berater: "Bitte hilf uns bei der Beschleunigung - und mach das bitte auch ganz schnell!" Unterschwellig ist damit eine zweite Aufforderung verbunden, die bloß meist nicht ausgesprochen wird: "Ändere bloß unsere Kultur nicht!" Denn unbewusst ist dem Auftraggeber klar. Wenn zur geforderten Beschleunigung eine Kulturänderung nötig sein sollte – zum Beispiel Übergang von einer Kontrollkultur zu selbstorganisierten Teams -, dann tut das erstens weh und geht zweitens nicht ganz so schnell.

Der Auftrag droht, zum oben geschilderten Zwickmühlenauftrag zu werden. Der Auftraggeber will schnelle Lösungen, der Berater kommt mit notwendigen Strukturänderungen. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein Unternehmen aus der Baubranche mir einen Auftrag erteilt hatte. Ich sollte ihnen helfen, eine übersichtliche Struktur auf ihren chaotischen Servern und E-Mail-Fächern einzurichten. Wir hatten sieben Beratertage vereinbart.

Am Ende des fünften Tages, als ich gerade ein paar Daten über die Projektablage erhoben hatte, kam der Bauplaner (mein Ansprechpartner im Projekt) zu mir und sagte: "Herr Steinbrecher, so wie Sie das angehen, läuft das bei uns nicht. Sie machen hier alle möglichen Datenvolumenstatistiken und Suchstrategieanalysen, alles viel zu theoretisch. Bei uns ist man gewohnt, die Ärmel hochzukrempeln. Ich werde jetzt meinen Mitarbeitern sagen, sie sollen einfach mal aufräumen. Einfach alle Ordner auf dem Server durchgehen und alles, was man nicht mehr braucht, löschen. Und Ende des Jahrs ein Review."

Ich wollte antworten: "Herr Eichinger, lassen Sie uns noch die zwei Tage warten und etwas nachdenken. Sie haben 90.000 Ordner auf dem Server. Angenommen Ihre Mitarbeiter brauchen nur eine Minute pro Ordner, um sich für oder gegen eine Löschung zu entscheiden: dann sind die in zwei Jahren …" Aber Herr Eichinger war schon verschwunden in Richtung der Büros seiner Mitarbeiter, und hatte im Gehen seine Ärmel hochgekrempelt.

Der Berater als Reiseführer

Was ist im geschilderten Beispiel schief gelaufen? Ich glaube, es war weniger die Frage der Schnelligkeit, der meine "aufwendige" Methode nicht gerecht wurde. Sondern Herr Eichinger hatte sich einfache Rezepte gewünscht, die strukturell nicht viel ändern (also in diesem Sinn ohne großen Aufwand). Also etwas im Rahmen der Hemden-Aufkrempel-Kultur.

Gerade unter dem Regime der Beschleunigung funktionieren einfache Rezepte nicht mehr. Der Anspruch, mit schnellen "Tipps und Tricks" ohne eigene Anstrengung Wettbewerbsvorteile einzukaufen, wird illusionär. Beratungsaufträge sind immer mit Strukturänderungen verbunden. Das setzt auf Seiten des Auftraggebers die Fähigkeit voraus, "den eigenen Standpunkt zu relativieren, um dadurch die Bereitschaft zu entwickeln, neue unvertraute Wege zu beschreiten". /2/

Welche Metapher könnte dieses Zusammenspiel zwischen Auftraggeber und Berater beschreiben? Wir haben beim Teamworkblog mit verschiedenen Bildern experimentiert, um dieses Verhältnis plastisch werden zu lassen. Ich erinnere mich, dass einmal "Arzt und Patient" im Gespräch war. Aber bei diesem Bild schwingt mir zu sehr eine hierarchische Vorstellung von "richtig und falsch", "gesund und krank" mit. Und das gibt es bei Organisationen nicht.

Mir gefällt mittlerweile das Bild des Begleiters besser, der einen Reisenden zu einem unbekannten Ziel führt. Wenn man sich diese Situation genau vorstellt, dann kennen beide dieses Ziel nicht. Und dennoch ist der Reiseführer dem Reisenden von Nutzen.

Denken wir uns ein Ehepaar, das zum ersten Mal im Leben in die Karibik fahren möchte. Es möchte sich einen Reiseführer engagieren, der sie dorthin begleitet. Der Reiseführer kennt die Karibik wie seine Westentasche. Was er nicht kennt, sind die Bilder "traumhafte Karibik" in den Köpfen von Ehemann und Ehefrau. Und die beiden wollen ja in der Regel nicht in die Karibik. Sondern sie wollen in ihren "Traum von Karibik".

Erahnt ihr, was mit dem "Beraterauftrag" passieren kann? Wenn die Auftraggeber sich nicht bewusst sind, dass "Traum von Karibik" und "reale Karibik" zwei ganz verschiedene Dinge – nicht nur sein können, sondern unvermeidlich sind, werden sie mit der Leistung des Reiseführers nicht zufrieden sein. Wenn umgekehrt der Reisebegleiter an sich selbst den Anspruch stellt, seinen Kunden "einen Traum zu erfüllen", wird er seinem eigentlichen Job nicht gerecht.

Aber beide zusammen können, in ständigem Austausch über Zielvorstellung und Wegeskunde, zu einem Ergebnis gelangen, bei dem die Reisenden am Ende sagen: "Ganz anders als unsere Erwartungen – aber traumhaft gut."

Anmerkungen

  • /1/ Die systemische Literatur über Beratungssituationen besteht zum großen Teil aus der genüsslichen (und oft vergnüglichen) Obduktion derartiger Auftragsleichen. Klassisch die Schriften von Mara Selvini Palazzoli (1916- 1991), zum Beispiel "Il mago smagato. Come cambiare la condizione paradossale dello psicologo nella scuola", Feltrinelli, 1976 (dt. Der entzauberte Magier 1981). Oder "Sul fronte dell'organizzazione. Strategie e tattiche." Feltrinelli 1989 (dt. Hinter den Kulissen der Organisation 1993).
  • /2/ So Markus R. Pawelzik im Interview mit Matthias Micus und Katharina Rahlf, indes 1/2013, S. 56-66

Kommentare

  1. Lieber Wolf,

    besonders unter Beratern wird die Rolle immer heiß diskutiert. Ich stimme Deinen Beschreibungen zu. Was die Rolle des Reisebegleiters angeht, bin ich mir noch nicht sicher.

    1. Die Rolle wirkt optional. "Was brauche ich einen Reisebegleiter? Ich kaufe mir einfach 'Städtetrip nach Change-Management-Village' von Parco Molo. Da stehen alle Geheimtipps drin. Außerdem dauert die Reise eh nur ein Wochenende." Wir haben bei einem Kunden die Rolle eher als Sherpa definiert. Ohne den komme ich nicht zum Mount Everest. Aber wer will denn wirklich dorthin? Insgesamt scheint mir die geistige Landkarte der Unternehmensherausforderungen eher Flachland zu sein.

    2. Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass Beratung meistens BEZAHLTE (oder ZU BEZAHLENDE) Beratung ist. Ohne die Pflicht zur Bezahlung wären viele Beratungsaufträge einfacher. Wer bezahlt den Reisebegleiter? Wie viele Reisende brauche ich, damit sich ein Begleiter bezahlt macht?

    3. Mir scheint das Selbstverständnis als Arzt, Mechaniker oder Anwalt besser geeignet, auch wenn es Schwachpunkte in diesem Vergleich gibt. Bei diesen Rollen ist klar, dass es eine Informationsasymmetrie gibt. Der Kunde bezahlt eine Art Schleusengebühr, um in dem Gebiet seines Beratungsbedarfs auf eine höheres Niveau angehoben wird.

    LG, Jan

    AntwortenLöschen
  2. Jedes Modell ist eine Vereinfachung und nur so gut, wie es uns Vorhersagen über bestimmte Details erlaubt. Wenn man mit der Idee des Reisebegleiters spielt, kommen ein paar interessante Dinge raus:

    1. Wer reist wohin? Sind die ganzen Blogs, Fachartikel und Vorträge, die wir als Berater erstellen, Werbeprospekte für schöne Reiseziele? "Kommen Sie ins 'optimale-Prozesse-Land'"
    "Ein unvergleichlicher Aufenthalt in Scrumanien und im wilden Agilistan"

    2. Wie werden die Reisenden auf die neuen Ziele aufmerksam und woher wissen sie, dass ein Reisebegleiter die Reise noch schöner macht?

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