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Ist Teamwork noch sinnvoll?

Folgende E-Mail eines Lesers erreicht die Blogredaktion:

Ihr nennt Euch Teamworkblog. Ihr habt vermutlich etwas über “Teamwork” zu sagen oder darüber, wie Teams zusammen arbeiten. Ich bin gespannt und skeptisch.

Warum? Teamwork scheint weder kreativ noch effizient zu sein, zumindest nach geläufiger Meinung und in der heutigen Praxis. Gerade diese Woche fasste Susan Cain in der New York Times das zusammen, was ich täglich erlebe und was die psychologische Forschung längst weiß: Personen erzeugen in Einzelarbeit bessere Ideen und Ergebnisse und sie tun es sogar schneller als Teams /1/.

Nehmen wir Brainstorming als Beispiel. Brainstorming wurde 1953 als die neueste, größte Technik zur Entfaltung menschlicher Schaffenskraft gefeiert. Allerdings haben Forscher bereits 1958 bewiesen, dass Brainstorming im Vergleich zur aggregierten Ergebnisse von Einzelpersonen weniger Ideen und diese mit geringerer Qualität produziert. Dutzende von Studien haben diese Ergebnisse bestätigt. Ein paar Psychologen aus Tübingen zeigten 1987 und 1991 /2/ auch warum: Ganz einfaches "production blocking", d. h. die Äußerungen anderer hindern das Denken jedes einzelnen. Andere Probleme, wie Selbstzensur, Gruppenzwang und Trittbrettfahrer spielen ebenfalls eine Rolle. Trotz dieser Forschungsergebnisse bleibt Brainstorming ein beliebtes Mittel in fast jeder Firma.

Die psychologische Literatur ist einig: kognitive Aufgaben lösen Gruppen besser als Einzelperson. Allerdings tragen Gruppen selten mehr bei als die Summe der Individuen. Bekanntermaßen funktionieren Methoden wie Delphi dadurch, dass Personen ihre Lösungen allein erarbeiten, aber in ständigem Austausch mit einem häufig räumlich getrennten Team stehen.

Wir kennen alle den Witz: TEAM steht für "toll, ein Anderer macht’s". Aber hinter dem Witz versteckt sich eine Reihe von ernsten Problemen. Eine Suche nach Sicherheit durch Konsens mit der Gruppe oder dem Chef, ein mangelndes Engagement oder ein fehlender Sinn für unternehmerisches Handeln, die Vermeidung von Verantwortung usw. Wir verstecken uns in der Menge. So erreicht ein Team nur mittelmäßige Leistungen. 

Auf der anderen Seite schaffen wir Organisationen (Unternehmen, Abteilungen, Teams), die mehr Wert als die Summe der Individuen schaffen. Einer der Großväter der modernen Managementlehre, Chester Barnard, stellte diese Frage für Führungskräfte in den 1930er Jahren: Was ist der Beitrag der (zusätzlichen) Manager zum Team? Irgendwie muss diese Konstellation mehr ergeben, als nur das Hinzufügen einer weiteren Arbeitseinheit. Das Gleiche gilt für Teams: Zusammen müssen wir mehr oder etwas anderes bewerkstelligen können.

Wir müssen das Wort „Teamwork“ neu definieren. Wir müssen sowohl die Macht der individuellen Kreativität als auch die der Teams nutzen. Es scheint, dass Teamarbeit die optimale Koordination der Einzelkämpfer ist. Wir brauchen eine Zusammenführung der koordinierten Alleinarbeit.

Meines Erachtens müssen wir dafür diese Punkte umsetzen:
  1. Getrennte Arbeitsplätze - keine Großraumbüros
  2. Results-Only Atmosphäre: die Anforderungen des Endergebnisses sollten klar definiert und vereinbart werden. Aber, die Art und Weise, wie das erzielte Ergebnis erreicht wird, muss so viel wie möglich dem Einzelnen überlassen werden.
  3. Gemeinsame Räume für einen informellen Austausch
  4. Meetings nur dann, wenn Entscheidungen erforderlich sind
  5. Keine Meetings oder Workshops ohne Vorbereitung (durch jeden Teilnehmer)
  6. Der Aufbau einer "Fehlerkultur", wo "den Mut, Fehler zu machen" als höchstes Gut gesehen wird. Alle Fehler sind erlaubt, einmal.
  7. Eine „keine Unterbrechung“ Kultur, wo das Ignorieren eines klingelnden Telefons erlaubt ist.
Schreibt uns oder ergänzt Kommentare, wenn Ihr eine Meinung zu Teamwork habt.

Literaturhinweise

/1/ Cain, Susan: “The Rise of the New Groupthink.” The New York Times, January 13, 2012, sec. Opinion / Sunday Review.
/2/ Diehl, Michael, and Wolfgang Stroebe: “Productivity loss in brainstorming groups: Toward the solution of a riddle." Journal of Personality and Social Psychology, Vol 53(3), Sep 1987, 497-509. doi 10.1037/0022-3514.53.3.497
/3/ Diehl, Michael, and Wolfgang Stroebe: “Productivity Loss in idea-generating groups: Tracking down the blocking effect.” Journal of Personality and Social Psychology, 61 (1991): 392-403. doi: 10.1037/0022-3514.61.3.392
/4/ Barnard, Chester I.: The functions of the executive. 0030. Aufl.. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press, 1968.

Kommentare

  1. Lieber skeptischer Leser,
    aus Sicht eines der Beteiligten am Teamworkblog ein, zwei Bemerkungen.
    Zum Namen ‚Teamworkblog’: Der weist nicht nur auf das Thema hin, sondern auch darauf, dass der Blog Ergebnis von Teamwork ist. Die Blogger sind ein Team(?), eine Gruppe(?), eine Interessensgemeinschaft(?) von Individuen(!), die gemeinsam den Blog entwickeln und das Team(?) durch ihn.
    Damit kommen wir zum zweiten Punkt: Was ist ein Team? Wenn ich 10 Leute, die sich nicht oder kaum kennen, in einen Raum setze und ihnen auftrage: „Jetzt brainstormt mal schön“, wird wenig herauskommen. Solche Initialsituationen sind durch gegenseitiges Abtasten, Einschätzen, in Kontakt treten und wieder herausgehen gekennzeichnet – und das wird überlagert durch die Aufgabe. Das Resultat wird Null sein. Diese Situation trifft man oft bei psychologischen Experimenten mit anonymen Studenten, herausgerissen aus jeder realen Situation.
    Ich meine damit: Es gibt vermutlich verschiedene Konstellationen von kooperierenden Menschen, die wir als „Teams“ bezeichnen, die aber in der Praxis unterschiedlich funktionieren. Die willkürlich zusammen gewürfelte Runde würde ich als ‚Gruppierung’ bezeichnen. Eine andre Art von Team ist die Gruppe, an die du – lieber skeptischer Leser – deine Vorschläge zur Teamkultur richtest. Also ein Team, das längerfristig zusammen arbeitet.
    Auch davon gibt es nach meiner Erfahrung verschiedene Arten.
    A. Es gibt Teams, die ich häufig in Behörden finde: Jeder macht das Gleiche wie der Kollege und erzeugt unabhängig von ihm seine Produkte. Wie im Arbeitsamt: jeder Mitarbeiter betreut ‚seine’ Fälle eigenständig. Notwendigkeit von Kooperation beschränkt sich auf: Vertretungsfälle, Wissensaustausch (neue Gesetze), Formularwesen.
    B. Es gibt Teams, bei denen ein Produkt gemeinsam erzeugt wird. Zum Beispiel in Konstruktionsbüros oder Softwarefirmen: jeder trägt seinen Baustein zum Produkt bei, aber die Bausteine müssen hinterher zusammen passen. Der Umfang und die Tiefe der Kooperation geht bei solchen Teams viel weiter. Der gegenseitige Respekt spielt eine größere Rolle. – Für diese Teams sind deine Vorschläge, lieber skeptischer Leser, sehr wichtig und hilfreich.
    Diese Kategorisierung wird überlagert von der Hierarchie. Es gibt Teams mit einem von außen vorgegebenen Vorgesetzten, und es gibt selbstorganisierte Teams. Das spielt bestimmt bei beiden von dir, lieber skeptischer Leser, genannten Beispielen (Brainstorming + Teamkultur) eine gewichtige Rolle. Wenn der Chef im Raum sitzt, fällt vielen nichts ein vor lauter Anstrengung, es müsse ihnen was einfallen (und zwar etwas Intelligenteres als dem Kollegen Meyerbeer, dem Ehrgeizling). Und in A0-Teams (A-Teams mit Hierarchie) ist sowieso alles verboten, was in B1-Teams (B-Teams, selbstorganisiert) Gegenstand neugierigen Experimentierens ist.

    AntwortenLöschen
  2. Hallo skeptischer Leser, hallo Herr Steinbrecher!

    Ein wunderbarer Beitrag zum Thema Team, mit einem sehr guten Kommentar!

    Mir hat der Beitrag folgende Erkenntnisse gebracht, die auch im Zusammenhang mit dem Kommentar stehen:
    - Die Unterscheidung zwischen synergetischem Team und Kollektiv (http://wp.me/p1o1AK-ej) sehe ich bestätigt. Auch bestätigt es meine Entscheidung, die vor dem "Wie gehe ich im Team miteinander um/ mache ich Teamarbeit?" steht: Zuerst einmal muss es ein Team sein.

    - Die kritische Anerkennung: Teamwork ist nicht mit "Zeit, die man zusammen verbringt" gleichzusetzen. Stattdessen braucht es in der Team-Arbeit viel Zeit für eigenständige, konzentrierte und allein erbrachte Arbeit, auch und gerade Raum für informellen Austausch und den Willen, als Team mehr zu erreichen, wie man als Einzelperson schaffen kann.

    Beide Texte haben mir sehr dabei geholfen wieder klar zu bekommen, worauf es in der Teamarbeit ankommt, was ICH als gegeben voraussetze (das bei meinen Gesprächspartner gar nicht so sein muss) und wie ich in Gesprächen zu einem gemeinsamen Verständnis beitragen kann.

    Vielen Dank!
    Gebhard Borck

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