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"Wem es zu viel wird, der kann ja gehen"? - Führung und Leistung

Geraten Menschen und Teams unter Druck, steht die Leistung des gesamten Unternehmens auf dem Spiel. Druck und Stress sind aber keine Launen des Schicksals. Sie sind hausgemachte Probleme. Verursacht durch ungünstige Strukturen und entsprechendes Verhalten der Führungskräfte. Zeit, die Dinge anders anzugehen.

Zeichnung vom Autor

Vorsichtige Schätzungen besagen, dass vier Millionen Deutsche von krankhaftem Stress betroffen sind, was sich in solch unangenehmen Dingen wie Kreislaufproblemen, schlechtem Schlaf, Gedankenkreiseln, Depression, Angstzuständen, Muskel-Skelett-Schmerzen, vor allem Rückenleiden, oder auch komplettem Burnout äußert. Alarmierend ist, dass die Tendenz hierzu seit Jahren steigend ist. In erster Linie ist das natürlich ein persönliches Problem für die vielen Betroffenen. Doch auch Firmen und Wirtschaft allgemein leiden verstärkt darunter: Die Produktivität sinkt - und das kontinuierlich. Man möchte meinen, dass die verantwortlichen Führungskräfte alles tun, um bereits die Entstehung von negativem Stress zu verhindern. Oft jedoch geschieht das genaue Gegenteil. Wie kann das sein? 

Stress ist eine wahrlich komplexe Angelegenheit, ausgelöst meist durch die Gefühls-, Denk- und Handlungsgewohnheiten der einzelnen Betroffenen. Ihren Beginn aber finden Stresserkrankungen in der Regel nicht beim Einzelnen, sondern in den Umständen in seinem Umfeld, vor allem natürlich am Arbeitsplatz: Arbeitsreiche, angespannte Phasen ohne echte Pausen oder ungeklärte, konfliktreiche Zustände, die sich oft über längere Zeiträume hinziehen. Ob es zu Stresskrisen kommt, darüber entscheiden also hauptsächlich die organisatorischen Strukturen. Die Leistungsfähigkeit und Stresskompetenz Einzelner spielen eine weniger wichtige Rolle.

Und doch überlassen wir es gerne genau jenen einzelnen MitarbeiterInnen und Erkrankten alleine, mit der Situation klarkommen. Keine Frage, oft geschieht dies aus unprofessioneller Ruppigkeit: "Wem es zu viel wird, der kann ja gehen." Meist aber geschieht dies, weil wir so gut wie nichts über soziale Stressdynamiken wissen. Und aus Rücksicht. Schließlich wollen wir niemandem zu nahe treten. Was gut gemeint ist, ist für alle sehr unselig. Denn so tabuisieren wir Stress. Und umgekehrt - das ist besonders bitter - natürlich auch Gesundheit und Leistung. Eine allgemein gute, gesundheits- und leistungsorientierte Lösung wird so im besten Fall erschwert, meist aber wird sie so gänzlich verhindert. Die Folge: Der Stresspegel steigt und steigt, die Leistungskurve befindet sich im Sturzflug - im gesamten Team!



Statt offen über gute Wege zu sprechen, wie Zufriedenheit, Gesundheit und Leistung für alle wieder möglich sein kann, wird - wenn überhaupt - in kleinen Grüppchen über die Situation beraten und getuschelt. Betroffene MitarbeiterInnen kehren dann vielleicht nach einer vermeintlich erholsamen Auszeit wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Dort jedoch wurden die Umstände der Arbeit nicht angepasst oder die Strukturen geändert. Die Konflikte schwelen weiter unausgesprochen vor sich hin, also ist auch von einer Lösung keine Rede. Oft wird auch gar nicht lang herumgemacht: MitarbeiterInnen werden dann gleich komplett ausgetauscht - der Laden muss ja schließlich weiter laufen.

Obwohl doch alle in bester Absicht handeln (mutmaßlich), so wird auf diese Weise doch eine ebenso klare wie fatale Botschaft an die Gruppe gesendet: "Hier ist jeder auf sich selbst gestellt. Auf Unterstützung hat hier keiner zu hoffen.“ In sozialen Gruppen, welchen sich Menschen vor allem aus solidarischen Gründen und aus dem Bedürfnis der Zugehörigkeit heraus anschließen - also vor allem, um ihre Existenz und Selbstverwirklichung zu sichern -, ist dies ein besonders wirksames (Leistungs-) Gift, das die virulente Stress- bzw. Leistungskrise maximal verschlimmert. Was also stattdessen tun? Hilfreich ist, das gesamte System in den Blick zu nehmen und sich vor allem konkret anzusehen, wie sich die Führung der Unternehmung verhält: Welche Vorgaben macht das Management? Wie verhalten sich Inhaber und Vorgesetzte? Wichtig: Nicht was sie sagen ist interessant, sondern was sie tun - und was nicht.

Aufgabe der Firmen-, Abteilungs- und Teamleitung ist generell, konkret dafür zu sorgen, dass die Unternehmung rentabel produzieren und verkaufen kann. Das heißt, dass Manager für finanzierbare Budgets und klare, realistische und dadurch motivierende Richtungsvorgaben zu sorgen haben. Und für ein gutes Leistungsklima. Deshalb gilt: Wo einzelne Menschen oder ganze Teams unter Druck oder in Stress geraten oder sogar deswegen ausfallen, machen vor allem Führungskräfte ihren Job nicht gut genug. Das aber tun sie sicher nicht absichtlich. Warum dann?

In den letzten Dekaden wurden gute Ergebnisse vor allem dadurch erreicht, dass so viele Abläufe wie möglich optimiert wurden, und zwar hauptsächlich, indem man sie automatisierte. Die verbliebenen nicht-automatisierten Aufgaben wurden auf so wenige und hochspezialisierte Menschen wie möglich verteilt. Dieser Optimierungsprozess ist heute weitestgehend abgeschlossen. Das bedeutet, dass Ergebnisse sich mit Mitteln der Effizienz kaum mehr steigern lassen. Erkenntnisse dieser Art machen sich in unseren hochkomplexen wirtschaftssozialen Organismen, in welchen Menschen sich heute organisieren, naturgemäß nur sehr langsam breit. Und so kommt es, dass viele Führungskräfte, Teams und auch Selbstoptimierer noch immer versuchen, aktuelle Probleme mit Mitteln der Vergangenheit zu lösen. Auch wenn das bedeutet, dass sie ihren Teams und sich selbst einen unmöglichen Auftrag erteilen und sich und ihr Umfeld überfordern. Mit bestem Wissen und Gewissen befeuern sie so jene Stresskrisen, in welchen sich die vielen Millionen Menschen heute befinden. In großem Stile verhindern sie Leistung und Erfolg.

Denn natürlich sind Menschen und Teams am erfolgreichsten und am leistungsfähigsten, wenn es ihnen körperlich, psychisch und mental gut geht. Dafür brauchen sie eine gute, gesunde Leistungsatmosphäre. Die können sich einzelne Menschen aber nicht alleine schaffen, schon gar nicht, wenn sie sich dauerhaft unter Druck und Stress gesetzt fühlen. Also ist es eine Aufgabe für die gesamte Organisation, vor allem aber für jene, deren Job die bereits erwähnten guten Rahmenbedingungen sind: Die Führungskräfte. Sie sind gefordert, effektive (vs. effiziente) Wege einzuschlagen, die heute eben eher team- und gemeinschaftlich orientiert sein dürften. Wie sonst sollen Organisationen die aktuell drängenden Herausforderungen angehen? Wie sonst sollen sie dem radikalen digitalen Wandel, der Disruption, dem immer stärkeren Wettbewerb oder der Beschäftigungkrise ideenreich, motiviert und energiegeladen begegnen?

Zeichnung vom Autor


Es spricht vieles dafür, dass diejenigen Firmen das Rennen machen, die es schnell verstehen, ihre Haltung zu unternehmerischen, persönlichen und gemeinschaftlichen Erfolg, zu Zusammenarbeit, Zufriedenheit, Leistung, Druck und Stress zu überdenken und sich auf eine weniger verschwenderische und zwanghaftere, also auf bessere, fokussiertere und - ja - auch menschlichere Art zu organisieren.

Dafür braucht es ein Management, das einen echten, also dauerhaften und organisatorischen Erfolg will und auch den Mut hat, entsprechende Schritte zu gehen. Jede Führungskraft, die etwas auf sich hält, wird anerkennen, dass dies die Grundlage für ihre gute Arbeit ist. Dürfen wir also darauf hoffen, dass wir die allgemeine Leistungskrise in den Griff bekommen und alles gut wird? Ich wünsche uns allen in diesem Sinne jedenfalls: Gute Besserung!




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Edgars Podcast: trellisterium.podbean.com 

Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de


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