Als Projektleiter, engagierte Team-Mitglieder und externe Begleiter von Projekten werden wir immer wieder mit dem merkwürdigen Phänomen konfrontiert, dass unsere Vorschläge zur Entwicklung von Organisationen nicht immer gleich auf helle Begeisterung stoßen. Sie stoßen oft auf Widerstand und zähe Hinhaltetaktiken auch bei denen, die sich eigentlich einen Nutzen ausrechnen könnten.
Stand der Diskussion
Dazu hatte Jan einen
relativ optimistischen Artikel geschrieben, der mit Craig Larman die Meinung
vertrat, man könne Organisationen sehr schnell ändern, und der sich dabei auf
die Systemtheorie bezog. Ich habe zwei etwas kritischere Artikel geschrieben,
und zuletzt hat sich Peter wieder zustimmend zum Systemgedanken geäußert (alle
Links zu den Artikeln unter /1/).
Ich möchte jetzt ein Bild
vorstellen, das die „Widerstände“ einer Organisation nicht mit dem
Selbsterhaltungstrieb von „Systemen“ erklärt, sondern aus dem Entstehen von
Spuren als Folge repetitiver Prozesse. Das ist das Bild des „Trampelpfads“.
Trampelpfade bilden sich spontan
Ein neuer Pfad hat sich irgendwann gebildet, meist spontan. Ich hatte keinen Plan dafür, ich hatte es nur eilig. Die gebahnten Wege, die gepflasterten Gehsteige stellten einen Umweg dar: also schnell quer über den Rasen – sieht schon keiner. Am nächsten Tag das Gleiche: wieder in letzter Minute aus dem Haus gehetzt, und heute ist die Hemmschwelle zur Regelverletzung niedriger: mein Gedächtnis hat die kleine Angst gespeichert, aber auch die kleine Erleichterung: es ist ja nichts passiert. Beim genauen Hinschauen ist mein Weg von gestern sogar noch sichtbar, einige Grashalme blieben geknickt.
Am dritten Tag ist die Spur ganz deutlich da: jemand anders muss sie entdeckt und als Einladung zur sanktionierten Regelverletzung genommen haben: er hatte die Spur vertieft.
„Structure follows process“: Abseits vom
vorgeschriebenen Weg hat sich ein Trampelpfad gebildet. Hat „er sich gebildet“?
Hier mal Stopp. Jeder von
kann Beispiele aufzählen, wie sich Verhaltensweisen individuell oder kollektiv
herausbilden: Workarounds um unbequeme Abläufe der ERP-Software, Grußformeln im
Fahrstuhl in der Firma, Verteiler von internen Mails, Tolerieren des
Zuspätkommens auf Sitzungen …
Trampelpfade in diesem Sinn
sind Quellen der Veränderung und Quellen des Widerstands gegen Veränderung.
Trampelpfade sind keine „Systeme“
Das Bild des Trampelpfads unterscheidet sich vom Systembild dadurch, dass ihm kein Selbsterhaltungswille angedichtet wird. Bei einem Trampelpfad ist klar: er ist Ergebnis unserer Gewohnheiten, und er verstärkt diese Gewohnheiten in Form einer Rückkopplung. Diese Rückkopplung tritt ein,
- weil ausgetretene Pfade für uns bequemer sind als ungebahnte neue Wege,
- weil wir Menschen sehr oft einer starken inneren Botschaft folgen die besagt: „Mach’s wie alle anderen.“ /2/
Aber trotz dieser Rückkopplung,
trotz dieses „Widerstands des Trampelpfads“ gegen seine Veränderung ist doch sofort
klar: eigentlich ist es nicht der Trampelpfad, der sich selbst aufrechterhält.
Sondern wir sind es, die ihn erhalten oder ändern können.
Veränderungen in Organisationen sind andere Trampelpfade
Das Bild von Organisationen, die „sich selbst“ gestalten, empfinde ich als mystifizierend. Das Bild von Menschen in Organisationen, die diese Organisationen gestalten, scheint vor meinem Auge ganz lebendig.
Wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen Führungskräfte und Teammitglieder zulassen, alte Trampelpfade zu verlassen und neue bilden zu dürfen.
Anmerkungen
- /1/ Jan Fischbachs Artikel vom 11. August, „Veränderungen in Organisationen sind einfacher als ich ursprünglich dachte“, http://www.teamworkblog.de/2014/08/veranderungen-in-organisationen-sind.html. Meine Artikel vom 12. August „Keine Organisationsverbesserung ohne System“ http://www.teamworkblog.de/2014/08/keine-organisationsverbesserung-ohne.html und vom 18. August „Schärfung des Tunnelblicks: Wo die Systemtheorie zu falschen Bildern verführt“, http://www.teamworkblog.de/2014/08/scharfung-des-tunnelblicks-wo-die.html. Darauf Bezug nahm auch Peter Fischbach am 25. August: „Wie Sie mit einem Causal Loop Diagram ein gemeinsames Problemverständnis schaffen“, http://www.teamworkblog.de/2014/08/wie-sie-mit-einem-causal-loop-diagram.html.
- /2/ Gigerenzer nennt diese Botschaft eine wichtige Faustregel in seinem Buch „Bauchentscheidungen“.
- /3/ Kommentar in http://www.teamworkblog.de/2014/08/scharfung-des-tunnelblicks-wo-die.html
Hallo Wolf,
AntwortenLöschenbeim Lesen deines Posts ist mir ein lesenswertes Interview mit dem Soziologen und Physiker Dirk Helbing im SZ-Magazin von vor ein paar Jahren eingefallen. Helbing erforschte seinerzeit das Phänomen Trampelpfade: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/34514.
Beste Grüße,
Edgar