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Bericht des Status

Siegeszug einer merkwürdigen Formulierung in Stellenanzeigen für Scrum Master

Bevor ich erstmals den Fuß ein wenig in die Tür zur agilen Welt bekam, hatte ich schon viele Stellenanzeigen gelesen. Was man alles mitbringen muss, agile Werte, blablabla. Agile Werte sind für mich allgemeingültige Werte, man legt sie nach dem Feierabend in seinem agilen Projekt nicht einfach ab wie einen alten Hut. Commitment, Transparenz und Respekt lebe ich in meinem privaten Leben schon seit Jahrzehnten. Gut, mit dem Mut hapert es vielleicht etwas, schließlich bin ich in der deutschen Fehlerkultur aufgewachsen, und es kostet einige Kraft, sich gegen diese Prägung zu stemmen, aber immerhin habe ich mich immer wieder neuen Herausforderungen gestellt und bin nicht nur dauernd in meiner Komfortzone, sondern auch häufig in der unangenehmen Angstzone dahinter, auf die dann die Lernzone folgt (in die ich ab und zu aus Versehen auch mal gerate).

Was soll ein Scrum Master alles mitbringen?

Zurück zu den Stellenanzeigen. Irgendwann fiel mir eine Formulierung auf, die ich auf den ersten Blick sinngemäß nicht verstand (und ich war in einem meiner vorherigen Leben selbstgewählt freie Lektorin, sozusagen aus Passion, kann also mit Texten und Sprache im Allgemeinen umgehen). Diese Formulierung stach mir plötzlich immer wieder ins Auge, und mich irritierte zusätzlich, dass sie in identischer Form in den Ausschreibungen völlig unterschiedlicher Personalvermittler auftauchte. So, als hätte einer von ihnen sie in die Welt gesetzt und die anderen, die sie „cool“ fanden, hätten sie abgeschrieben: „Bericht des Status auf alle sprint-relevanten Metriken“.

Aha. Was könnte damit gemeint sein? Ich bin doch Scrum Master, ein Servant Leader, ich soll mit Menschen zusammenarbeiten und sie befähigen. Aber an irgendwen – vermutlich das Management, die überall im Halbschatten lauernden „Stakeholder“ – soll „berichtet“ werden, so ganz klassisch, das Sicherheitsbedürfnis anderer Ebenen berücksichtigend, und zwar irgendwas, das mit Metriken zu tun hat.

Linguistische Haarspaltereien

Bisher wusste ich noch gar nicht, dass man einen Status auf etwas berichten kann. Ich dachte immer, man berichtet den Status, und dann kommt ein Element im Genitiv, über das berichtet wird (etwa: Bericht des Status der Anwendung, vielleicht noch: Bericht zum Status …). Aus diesen Texten kann man förmlich herauslesen, wie sich zwei zusammengetan haben, um eine Stellenanzeige für einen Job, dessen Inhalt ihnen unbekannt ist, zu verfassen - der eine, der das, was er behalten hat, einem anderen diktiert, der andere, der aufschreibt und dabei wahrscheinlich Dinge missversteht. „Alle sprint-relevanten Metriken, na, die Fachleute werden ja wissen, was alles damit gemeint ist. So hört es sich gut an, und wir legen uns nicht fest.“

Geht es tatsächlich im Wesentlichen um den Methodenkoffer?

Inzwischen ist mir auch schon eine Variation untergekommen: „Beratung zum Status auf alle sprint-relevanten Metriken“. Vielleicht hat man gemerkt, dass das „Bericht“ (in höhere Ebenen) zu sehr nach klassischer Arbeitsweise und überhaupt nicht agil riecht. Trotzdem nicht besser. In den Folgesätzen wird dann meist klar, worauf es den Einstellern primär ankommt, nämlich nicht darauf, ein Händchen für die Förderung verschiedenster Menschen zu haben, sondern „hohe Methodenkompetenz im agilen Umfeld“ und „aktuelle Scrum-Zertifizierungen“. Ich unterstelle hier, dass mit Methode ein „Werkzeug“ gemeint ist, weil auch dieses, wenn beherrscht, mindestens subjektive Sicherheit vermittelt, ganz ähnlich den Milliarden von Tools zu Entscheidungsfindungen, die einen aber dennoch nicht der Verantwortung entheben, diese Entscheidung irgendwann einmal zu treffen, und zwar ganz allein, ohne Vorgaben durch das Tool. Als Alibi kommt in den Anzeigen dann meistens noch ein schwammiger Begriff wie „kommunikationsstark“ hinterher, wobei völlig nebulös bleibt, was sich das ausschreibende Unternehmen darunter vorstellt.

Der Scrum Master als Scrum-Polizist

Auch sehr schön dann noch: „Nachverfolgen der >Definition of Done< für alle Arbeitsergebnisse des Entwicklerteams“ (Tja, sieht ganz danach aus, als würden die Experten als erwachsene und mündige Personen gesehen und behandelt – nein, weit gefehlt: Der Scrum Master wird hier zur Marionette im klassischen Projektmanagement gemacht, die jeden Fitzel nachkontrolliert und die Peitsche schwingt, wenn etwas nicht wunschgemäß abgeliefert zu werden droht.) „Feststellen und Nachverfolgen der Teamkapazität und -geschwindigkeit“: Nachverfolgen der Teamkapazität – da ringeln sich einem Lektor die Fußnägel auf. Auch ist das „Nachverfolgen“ in großer semantischer Nähe zu „berichten“ und „kontrollieren“ angesiedelt, wie sich der sprachinteressierten Leserschaft vermutlich erschließt.

Spagat zwischen Stellenanzeige und Wirklichkeit

Am Schluss dann der Widerspruch: „Vermittlung und Weiterentwicklung der agilen Organisationsform und der agilen Werte und Prinzipien“. Wie jetzt, agile Werte – insbesondere Offenheit, Mut, Respekt, nach allem, was ich als potentieller Scrum Master in diesen Unternehmen wie weiter oben aufgelistet machen soll? Ich soll Selbstverpflichtung bei anderen fördern, indem ich kontrolliere und „nachverfolge“? Wie war das im Agilen Manifest noch mal mit dem Vertrauen, dass jemand seine Arbeit schon gut abliefern wird? Was wissen die Verfasser von agilen Werten? Richtig – man muss vermuten, eher wenig. Vielleicht brauchen sie einen gerade deswegen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie im Falle meiner Einstellung als Scrum Master im Hintergrund den Status auf alle meine arbeitsrelevanten Metriken (nach oben) berichten würden.

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